Gedichte im Islam
Der Traubenkern

von
Friedrich Rückert

Jesid ben Abdelmalik
Auf dem Chalifenthron,
Vergrößert seine Herrschaft,
Die groß gewesen schon.

Das hat für ihn sein Bruder
Musseilama getan;
Er selber ist verschmachtet
In irren Liebeswahn.

Mehr liebt’ er als sein Auge
Die schöne Hababa;
Das Licht mocht’ er nicht sehen,
Wo er sie selbst nicht sah.

Einst an des Jordan’s ufern
Im blühnden Gartenraum
Saß er mit der Geliebten
Im schatten unterm Baum.

Des Landes Früchte setzte
Man ihm zum Mahle vor,
Davon er eine Traube
Zu speisen auserkor.

Da sog er eine Beere,
Als ob ein Kuss es sei,
Und warf nach der Geliebten
Den Kern mit Schmeichelei.

Mit ihrem zarten Munde
Fing sie ihn auf unsern,
Er drang zu ihrem Schlunde,
Und sie erstickt’ am Kern.

Sie lag ihm tot in Armen
Nicht denken konnt’ ers gar,
Dass sollte sterben können,
Was ihm das Liebste war.

Er wollte sich nicht trennen
Von dem geliebten Weib;
Begraben musste man heimlich
Den schön gewesnen Leid.

Da konnt’ er sich nicht trennen
Von der Geliebten Grab;
Er schwand in wenig Tagen
Und kam zu ihr hinab.

Man sagt, dass eine Rede
Im Grabe Wurzel schlug,
Die große Traubenbeeren
Doch ohne Kerne trug.

Aus: Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten

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