Gedichte im Islam
Der entlassene Diener

von
Friedrich Rückert

Halb nackt aus seiner Grotte
Ein Derwisch rief zu Gotte:
O Herr, dein Dienst ist schwer;
Ich wollte sonder Klagen
Und ohne Murren tragen,
Allein mich friert zu sehr.
Er schwieg in dumpfem Grimme,
Da hört’ er eine Stimme:
Mein Knecht, verlangst du mich?
Geh aus der Grott’ und wärme,
Dass dich der Frost nicht härme,
An meiner Sonne dich.
„Und kannst du mir nicht weben
Ein ander’ Kleid und geben
Als deiner Sonne Strahl?“
Die Stimme sprach: Ertrage
Den Mangel nur acht Tage,
So steht dir eins zur Wahl.
Als nun die achte zogen,
Kam ihm ein Kleid geflogen,
Doch alt war’s und zerfetzt.
„Hast du dich seit acht Tagen
Mit Schaffen wollen plagen,
Und schufest bis zuletzt?“
Wie trag’ ich Diener Gottes
Ein solches Kleid des Spottes,
Ein solch Gewand der Schmach,
Da dieser Erde Söhne
Gewänder tragen schöne?“
Die Stimme sprach:
Geh auf den Markt und wähle!
Es steht dir zu Befehle
Ein Kleid, das dir gefällt;
Doch rühme dich nicht weiter,
Mein Knecht zu sein und Streiter,
Du bist im Dienst der Welt.

von Friedrich Rückert aus
Sieben Bücher morgenländischer Sagen und Geschichten", Stuttgart 1837

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