Zweites Kapitel. Der Mohammedanismus
Wahrend auf der einen Seite die europäische Welt sich neu
gestaltet, die Völker sich darin festsetzen, um eine nach
allen Seiten hin ausgebildete Welt der freien Wirklichkeit
hervorzubringen, und ihr Werk damit beginnen, alle
Verhältnisse auf eine partikulare Weise zu bestimmen und mit
trübem, gebundenem Sinne, was seiner Natur nach allgemein und
Regel ist, zu einer Menge zufälliger Abhängigkeiten, was
einfacher Grundsatz und Gesetz sein sollte, zu einem
verwickelten Zusammenhang zu machen, kurz während das
Abendland anfängt, sich in Zufälligkeit, Verwicklung und
Partikularität einzuhausen; so musste die entgegen gesetzte
Richtung in der Welt zur Integration des Ganzen auftreten, und
das geschah in der Revolution des Orients, welche alle
Partikularität und Abhängigkeit zerschlug und das Gemüt
vollkommen aufklärte und reinigte, indem sie nur den abstrakt
Einen zum absoluten Gegenstande und ebenso das reine
subjektive Bewusstsein, das Wissen nur dieses Einen zum
einzigen Zwecke der Wirklichkeit, –das Verhältnislose zum
Verhältnis der Existenz–, machte.
Wir haben schon früher die Natur des orientalischen
Prinzips kennen gelernt und gesehen, dass das Höchste
desselben nur negativ ist, und dass das Affirmative das
Herausfallen in die Natürlichkeit und die reale Knechtschaft
des Geistes bedeutet. Nur bei den Juden haben wir bemerkt,
dass sich das Prinzip der einfachen Einheit in den Gedanken
erhoben hat, denn nur bei diesen ist der Eine, der für den
Gedanken ist, verehrt worden. Diese Einheit ist nun in der
Reinigung zum abstrakten Geiste geblieben, aber sie ist von
der Partikularität, mit der der Jehovahdienst behaftet war,
befreit worden. Jehovah war nur der Gott dieses einzelnen
Volkes, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, nur mit den
Juden hat dieser Gott einen Bund gemacht, nur diesem Volke hat
er sich offenbart. Diese Partikularität des Verhältnisses ist
im Mohammedanismus abgestreift worden. In dieser geistigen
Allgemeinheit, in dieser Reinheit ohne Schranken und ohne
Bestimmung hat das Subjekt keinen andern Zweck als die
Verwirklichung dieser Allgemeinheit und Reinheit. Allah hat
den affirmativen beschränkten Zweck des jüdischen Gottes nicht
mehr. Die Verehrung des Einen ist der einzige Endzweck des
Mohammedanismus, und die Subjektivität hat nur diese Verehrung
als Inhalt der Tätigkeit, sowie die Absicht, dem Einen die
Weltlichkeit zu unterwerfen. Dieses Eine hat nun zwar die
Bestimmung des Geistes, doch weil die Subjektivität sich in
den Gegenstand aufgehen lässt, fällt aus diesem Einen alle
konkrete Bestimmung fort, und sie selbst wird weder für sich
geistig frei, noch ist ihr Gegenstand selber konkret. Aber der
Mohammedanismus ist nicht die indische, nicht die mönchische
Versenkung in das Absolute, sondern die Subjektivität ist hier
lebendig und unendlich, eine Tätigkeit, welche ins Weltliche
tretend dasselbe nur negiert und nur wirksam und vermittelnd
auf die Weise ist, dass die reine Verehrung des Einen
existieren soll. Der Gegenstand des Mohammedanismus ist rein
intellektuell, kein Bild, keine Vorstellung von Allah wird
geduldet: Mohammed ist Prophet, aber Mensch und über des
Menschen Schwächen nicht erhaben. Die Grundzüge des
Mohammedanismus enthalten dies, dass in der Wirklichkeit
nichts fest werden kann, sondern dass alles tätig, lebendig in
die unendliche Weite der Welt geht, so dass die Verehrung des
Einen das einzige Band bleibt, welches alles verbinden soll.
In dieser Weite, in dieser Macht verschwinden alle Schranken,
aller National- und Kastenunterschied; kein Stamm, kein
politisches Recht der Geburt und des Besitzes hat einen Wert,
sondern der Mensch nur als Glaubender. Den Einen anzubeten, an
ihn zu glauben, zu fasten, das leibliche Gefühl der
Besonderheit abzutun, Almosen zu geben, das heißt, sich des
partikularen Besitzes zu entschlagen: das sind die einfachen
Gebote; das höchste Verdienst aber ist, für den Glauben zu
sterben, und wer in der Schlacht dafür umkommt, ist des
Paradieses gewiss. Die mohammedanische Religion nahm ihren
Ursprung bei den Arabern: hier ist der Geist ein ganz
einfacher, und der Sinn des Formlosen ist hier zu Hause, denn
in diesen Wüsten ist nichts, was gebildet werden könnte. Von
der Flucht Mohammeds aus Mekka im Jahre 622 beginnt die
Zeitrechnung der Mohammedaner. Noch bei Lebzeiten Mohammeds
unter seiner eignen Führung und dann besonders nach seinem
Tode unter der Leitung seiner Nachfolger haben die Araber
diese ungeheuren Eroberungen gemacht. Sie warfen sich zunächst
auf Syrien und eroberten den Hauptort Damaskus im Jahre 634;
weiter zogen sie dann über den Euphrat und Tigris und kehrten
ihre Waffen gegen Persien, das ihnen bald unterlag; in Westen
eroberten sie Ägypten, das nördliche Afrika, Spanien und
drangen ins südliche Frankreich bis an die Loire, wo sie von
Karl Martell bei Tours im Jahre 732 besiegt wurden. So dehnte
sich die Herrschaft der Araber im Westen aus, im Osten
unterwarfen sie sich, wie gesagt, Persien, Samarkand und den
südwestlichen Teil von Kleinasien nacheinander. Diese
Eroberungen, wie die Verbreitung der Religion, geschehen mit
einer ungemeinen Schnelligkeit. Wer sich zum Islam bekehrte,
bekam völlig gleiche Rechte mit allen Muselmännern. Was sich
nicht bekehrte, wurde in der ersten Zeit umgebracht; später
verfuhren jedoch die Araber milder gegen die Besiegten, so
dass diese, wenn sie nicht zum Islam übergehen wollten, nur
ein jährliches Kopfgeld zu entrichten hatten. Die Städte,
welche sich sogleich ergaben, mussten dem Sieger ein Zehntel
alles Besitzes abgeben; die, welche erst genommen werden
mussten, ein Fünftel.
Die Abstraktion beherrschte die Mohammedaner: ihr Ziel war,
den abstrakten Dienst geltend zu machen, und danach haben sie
mit der größten Begeisterung gestrebt. Diese Begeisterung war
Fanatismus, das ist eine Begeisterung fürein Abstraktes, für
einen abstrakten Gedanken, der negierend sich zum Bestehenden
verhält. Der Fanatismus ist wesentlich nur dadurch, daß er
verwüstend, zerstörend gegen das Konkrete sich verhält; aber
der mohammedanische war zugleich aller Erhabenheit fähig, und
diese Erhabenheit ist frei von allen kleinlichen Interessen
und mit allen Tugenden der Großmut und Tapferkeit verbunden.
La religion et la terreurwar hier das Prinzip, wie bei
Robespierrela liberté et la terreur. Aber das wirkliche Leben
ist dennoch konkret und bringt besondere Zwecke herbei; es
kommt durch die Eroberung zu Herrschaft und Reichtum, zu
Rechten der Herrscherfamilie, zu einem Bande der Individuen.
Aber alles dieses ist nur akzidentell und auf Sand gebaut, es
ist heute, und morgen ist es nicht; der Mohammedaner ist bei
aller Leidenschaft gleichgültig dagegen und bewegt sich im
wilden Glückswechsel. Viele Reiche und Dynastien hat der
Mohammedanismus bei seiner Ausbreitung begründet. Auf diesem
unendlichen Meere wird es immer weiter, nichts ist fest; was
sich kräuselt zur Gestalt, bleibt durchsichtig und ist ebenso
zerflossen. Jene Dynastien waren ohne Band einer organischen
Festigkeit, die Reiche sind darum nur ausgeartet, die
Individuen darin nur verschwunden. Wo aber eine edle Seele
sich fixiert, wie die Welle in der Kräuselung des Meeres; da
tritt sie in einer Freiheit auf, dass es nichts Edleres,
Großmütigeres, Tapferes, Resignierteres gibt. Das Besondere,
Bestimmte, was das Individuum ergreift, wird von demselben
ganz ergriffen. Während die Europäer eine Menge von
Verhältnissen haben und ein Konvolut derselben sind, ist im
Mohammedanismus das Individuum nur dieses, und zwar im
Superlativ, grausam, listig, tapfer, großmütig im höchsten
Grade. Wo Empfindung der Liebe ist, da ist sie ebenso
rücksichtslos und Liebe aufs innigste. Der Herrscher, der den
Sklaven liebt, verherrlicht den Gegenstand seiner Liebe
dadurch, dass er ihm alle Pracht, Macht, Ehre zu Füßen legt
und Szepter und Krone vergisst; aber umgekehrt opfert er ihn
dann ebenso rücksichtslos wieder auf. Diese rücksichtslose
Innigkeit zeigt sich auch in der Glut der Poesie der Araber
und Sarazenen. Diese Glut ist die vollkommene Freiheit der
Phantasie von allem, so dass sie ganz nur das Leben ihres
Gegenstandes und dieser Empfindung ist, dass sie keine
Selbstsucht und Eigenheit für sich behält. Nie hat die
Begeisterung als solche größere Taten vollbracht. Individuen
können sich für das Hohe in vielerlei Gestalten begeistern;
auch die Begeisterung eines Volkes für seine Unabhängigkeit
hat noch ein bestimmtes Ziel; aber die abstrakte, darum
allumfassende, durch nichts aufgehaltene und nirgends sich
begrenzende, gar nichts bedürfende Begeisterung ist die des
mohammedanischen Orients. So schnell die Araber ihre
Eroberungen gemacht hatten, so schnell erreichten bei ihnen
auch die Künste und Wissenschaften ihre höchste Blüte. Wir
sehen diese Eroberer zuerst alles, was die Kunst und
Wissenschaft angeht, zerstören: Omar soll die herrliche
alexandrinische Bibliothek zerstört haben. Entweder enthalten
diese Bücher, sagte er, was im Koran steht, oder ihr Inhalt
ist ein andrer, in beiden Fällen sind sie überflüssig. Bald
darauf aber lassen es sich die Araber angelegen sein, die
Künste und Wissenschaften zu heben und überall zu verbreiten.
Zur höchsten Blüte kam das Reich unter dem Kalifen al-Mansur
und Harun al-Raschid. Große Städte entstanden in allen Teilen
des Reiches, wo Handel und Gewerbe blühten, prächtige Paläste
wurden erbaut und Schulen eingerichtet, die Gelehrten des
Reiches fanden sich am Hofe des Kalifen zusammen, und es
glänzte der Hof nicht bloß durch die äußerliche Pracht der
köstlichen Edelsteine, Gerätschaften und Paläste, sondern
vorzüglich durch die Blüte der Dichtkunst und aller
Wissenschaften. Anfangs behielten die Kalifen auch noch die
ganze Einfachheit und Schlichtheit bei, welche den Arabern der
Wüste eigen war (besonders wird der Kalif Abubekr in dieser
Hinsicht gerühmt) und keinen Unterschied von Stand und Bildung
kannte. Der gemeinste Sarazene und das geringste Weib ging den
Kalifen wie seinesgleichen an. Die rücksichtslose Naivität
bedarf der Bildung nicht; und jeder verhält sich durch die
Freiheit seines Geistes zu dem Herrscher als zu
seinesgleichen.
Das große Reich der Kalifen hat nicht lange bestanden, denn
auf dem Boden der Allgemeinheit ist nichts fest. Das große
arabische Reich ist fast um dieselbe Zeit zerfallen als das
fränkische: Throne wurden durch Sklaven und neu
hereinbrechende Völker, die Seldschucken und Mongolen,
gestürzt und neue Reiche gegründet, neue Dynastien auf den
Thron gehoben. Den Osmanen ist es endlich gelungen, eine feste
Herrschaft aufzustellen, und zwar dadurch, dass sie sich in
den Janitscharen einen festen Mittelpunkt bildeten. Nachdem
der Fanatismus sich abgekühlt hatte, war kein sittliches
Prinzip in den Gemütern geblieben. Im Kampfe mit den Sarazenen
hatte sich die europäische Tapferkeit zum schönen, edlen
Rittertum idealisiert; Wissenschaft und Kenntnisse,
insbesondere der Philosophie, sind von den Arabern ins
Abendland gekommen; eine edle Poesie und freie Phantasie ist
bei den Germanen im Orient angezündet worden, und so hat sich
auch Goethe an das Morgenland gewandt und in seinem Diwan eine
Perlenschnur geliefert, die an Innigkeit und Glückseligkeit
der Phantasie alles übertrifft. Der Orient selbst aber ist,
nachdem die Begeisterung allmählich geschwunden war, in die
größte Lasterhaftigkeit versunken, die hässlichsten
Leidenschaften wurden herrschend, und da der sinnliche Genuss
schon in der ersten Gestaltung der mohammedanischen Lehre
selbst liegt und als Belohnung im Paradiese aufgestellt wird,
so trat nun derselbe an die Stelle des Fanatismus. Gegenwärtig
nach Asien und Afrika zurückgedrängt und nur in einem Winkel
Europas durch die Eifersucht der christlichen Mächte geduldet,
ist der Islam schon längst von dem Boden der Weltgeschichte
verschwunden und in orientalische Gemächlichkeit und Ruhe
zurückgetreten.