Askoldowa Mogila (Anhang und Schluß)
Mit einer epischen Dichtung aus dem
Russischen begann der erste Theil dieses Werkchens – mit einer
dramatischen Dichtung aus dem Russischen möge der
zweite Theil enden.
Das Singspiel, welches ich dem Leser hier in sorgfältiger
Uebersetzung vorführe, ist in Rußland so volksthümlich
geworden, ist so eingebürgert in Stadt und Dorf, in Palast und
Isba, daß man, bis auf die ärmsten Leibeigenen herab, nur
wenige Russen finden dürfte, welche nicht ganze Stellen davon
auswendig wüßten.
Die vielen darin vorkommenden Lieder sind größtentheils der
altrussischen Volkspoesie entnommen, und zu neurussischer
Volkspoesie geworden. Ebenso ist der Stoff des Ganzen der
alten Geschichte Rußlands entlehnt, während der beispiellose
Erfolg dieses Singspiels, Stoff zu einem neuen Stück
russischer Geschichte bietet.
Einen Theil ihrer großen Popularität hat die Dichtung
Sagoskin's gewiß den vielen darin vorkommenden hübschen
Melodieen zu verdanken, doch glaub' ich dem
Komponisten nicht Unrecht zu thun, wenn ich den poetischen
Werth des Stücks über den musikalischen stelle.
Die Uebersetzung des Stücks datirt aus der Zeit meines
Aufenthalts in Moskau, wo ich Askoldowa Mogila mit immer neuem
Vergnügen so oft aufführen sah und überall wohin ich kam,
Stellen daraus singen hörte, daß es mir ein förmliches
Bedürfniß wurde, das Stück deutsch niederzuschreiben,
gleichsam um es los zu werden. Später wurde sorgsam die Feile
angelegt und die Uebersetzung dem Original in Vers und Reim so
angepaßt, daß sich nirgends wesentliche Schwierigkeiten
darbieten werden, den deutschen Text nach der russischen Musik
zu singen.
Aber auch abgesehen von der musikalischen Seite, wird
Askoldowa Mogila nicht wenig dazu beitragen, den Leser mit
russischer Sitte und Volkseigenthümlichkeit vertraut zu
machen.
Askoldowa Mogila,
das ist:
Askold's Grab.
Romantisches Singspiel in vier Aufzügen.
Aus dem Russischen des Sagoskin.
Personen:
Ein Unbekannter.
Taropka Golowan, Spielmann.
Wßeßlaw, fürstlicher Edelknabe.Alexéi, ein alter Fischer.
Nadjéshda, seine Tochter.Wuischatta, fürstlicher Haushofmeister.
Frelaff, Warägischer Krieger.Stemid, fürstlicher Knappe.
Prostän, im Dienste des Fürsten.Krieger des Warägischen Heeres:
Jakun,
Ikmor,
Ruald,
Erik,
Arnulf.
Ostromir, fürstlicher Falkonier.Fenkal, Warägischer Skalde.
Wochraméjewna, Kiew'sche Hexe.Dienstleute im Dorfe Predißlawina:
Ssadko,
Jurka,
Plenko,
Tschurila.
Ein altes Weib.Bußlajewna, Aufseherin.
Ljubascha, eine junge Kiewerin.Ein Wächter.
Erster und Zweiter FischerKiewer und Kiewerinnen.
Slavische und Warägische Krieger des Fürsten
Sswjätoßlaw.Weibliche und männliche Dienstleute im Dorfe
Predißlawina.
Fischer.Chor der höllischen Geister.
Erster Aufzug.
Morgendämmerung. Wilde Gegend am Ufer des
Dnjepr, welcher einen großen Theil des Hintergrundes der Bühne
einnimmt; in der Ferne, auf der Gebirgsseite des Flusses,
malerische, mit Häusern übersäete Hügel, aus deren Mitte das
großfürstliche Schloß mit seinen hohen
Erkern hervorragt. Rechts von den Zuschauern
eine Fischerhütte mit Schoppen. Ringsum sind Fischnetze
ausgespannt.
Erster Auftritt.
Nadjéshda
(aus der Hütte kommend). Schon
bricht bald die Sonne hervor, und der Geliebte ist immer noch
nicht da! . . . Wie rein der Himmel ist! . . . Wie frisch und
kühl die Luft! . . . O! wie herrlich ist Gottes Welt! . . .
Husch! . . . was rauscht dort in den Gebüschen? . . . Sollte
das Wßeßlaw sein? . . . Ach, nein! . . .
Arie.
Wo bist Du, o meine Augenweide,
Wßeßlaw, Du mein treuer, süßer Freund?
Wßeßlaw, Du meiner Seele Geliebter!
Zaudere nicht, spute Dich, mich zu erfreun!
Zusammen jeden Tag begrüßen
Den Aufgang wir des Sonnenlichts,
Und hören am breiten Dnjepr
Dem hellen Schlag der Nachtigallen zu . . .
Aber Du kommst nicht – ich warte vergebens –
Es welkt mein Herz vor Gram dahin!
Komm, komm, Du meine Augenweide!
Zaudere nicht, spute Dich, mich zu erfreun!
In Dir ist alle meine Freude,
In Dir allein ist all' mein Glück!
Komm, komm, laß mich nicht länger warten,
Wßeßlaw, mein süßer, treuer Freund!Doch sieh, ich glaube . . . O! wie mein
Herz schlägt! . . . Ja, ja . . . er ist es, . . . es ist
Wßeßlaw!
Zweiter Auftritt.
Nadjéshda.
Wßeßlaw.
Nadjéshda
(ihm entgegen gehend). Wie Du Dich
verspätet hast heute, mein Lieber! Ich habe schon gewartet und
gewartet! . . .
Wßeßlaw.
Verzeih' mir Nadjéshda! Ich wäre schon lange hier gewesen,
aber am Ufer des Dnjepr stieß mir ein unbekannter Mensch
auf . . . Ach! wenn Du wüßtest, was dieser geheimnißvolle
Unbekannte Alles mit mir geplaudert hat! . . . Noch jetzt
kocht mir das Blut in den Adern! Er sagte mir . . . aber ich
habe geschworen darüber zu schweigen.
Nadjéshda. O,
mein Freund! Deine Worte erschrecken mich!
Wßeßlaw. Fürchte
Dich nicht, Nadjéshda! das Geheimniß, welches ich heute
erfahren werde, macht mich, den heimathlosen Waisen,
vielleicht zum glücklichsten Menschen der Welt . . . Doch was
ist davon zu reden! Ich bin bei Dir, der ich angehöre; Dein
Gott wird auch bald mein Gott sein – was bleibt mir noch mehr
zu wünschen übrig?
Nadjéshda. Ja,
Wßeßlaw; bald werden Dich alle Christen ihren Bruder nennen,
ich aber meinen Gemahl und Herrn. Aber Du bist jetzt schon
kein Heide mehr. Du betest zusammen mit uns, und
liebst Deine Götter nicht. Nicht wahr, Wßeßlaw, Du wirst mit
uns hier in dieser Hütte wohnen? Hier ist es so gut . . . so
lustig! . . . Aber weshalb schweigst Du denn und siehst mich
immer so starr an?
Wßeßlaw. Und
wohin soll ich die Blicke richten, wenn nicht auf Dich, Du
mein unschätzbares, liebliches Kind?
Nadjéshda.
Wohin? Siehst Du nicht dort auf der grünen Wiese die
schneeweißen duftenden Maiblumen?
Wßeßlaw. Du bist
hundertmal weißer als sie, meine Augenweide!
Nadjéshda. Aber
sieh' dort auf dem Felde, welch' helle Himbeerblüthen!
Wßeßlaw. Deine
hellrothen Lippen sind lieblicher als sie.
Nadjéshda. Aber
dieser reine, lichtblaue Himmel?
Wßeßlaw. Ist
dunkler als Deine blauen Augen, meine Süße!
Nadjéshda. Nun,
höre auf mich so zu loben, Wßeßlaw . . . Wahrhaftig, ich
schäme mich!
Wßeßlaw. Du
erröthest! . . . Erröthe meine Wonne! . . . O, wie Du schön
bist, Nadjéshda! . . . Wenn Du sprichst, so klingt es wie
Girren der Turteltaube, und wenn Du lächelst, so scheint es
mir Sonnenglanz! . . . Ja schau mich an, Freude meiner
Tage! . . . Sprich, liebst Du mich?
Nadjéshda. Ob
ich Dich liebe? . . . O Wßeßlaw, Wßeßlaw! Du kannst mich das
noch fragen?
Dritter Auftritt.
Dieselben.
Alexéi.
Alexéi
(aus der Hütte tretend). Guten
Morgen Kinderchen!
Wßeßlaw. Wie
geht's, guter Alexéi?
Alexéi. Gott sei
Dank! mein Sohn, noch immer so hin, so lange der Herr mit der
Sünde Geduld hat. Ich dachte, Nadjéshda, Du wärst schon lang
gegangen, Deine kranke Pathin zu besuchen.
Nadjéshda. Ich
habe auf ihn gewartet, Väterchen, er wird mich begleiten.
Wßeßlaw. Ja
Alexéi, ich werde sie begleiten; es ist etwas weit von hier.
Alexéi. Etwas
weit allerdings.– ganz nahe bei den Kutschinischen Bergen. Du
wirst den ganzen Tag bei Deiner Pathin zubringen, Nadjéshda;
aber hüte Dich, auf die Straße zu gehen – heute ist ganz Kiew
wie toll.
Wßeßlaw. In der
That! Ich glaube heut ist das Fest des
Ußlad.
Alexéi. So ist
es. Macht Euch nur schnell auf den Weg, bevor das Volk und die
Kriegsleute sich hinter der Stadt versammeln, um sich ihren
wilden Ergötzlichkeiten und Vergnügungen zu überlassen.
Wßeßlaw. Leb'
wohl, Alexéi – Komm Nadjéshda!
Vierter Auftritt.
Alexéi, und
bald darauf Fischer.
Alexéi. Arme
Kiewer! Wie lange werdet ihr noch in eurer Blindheit leblose
Götzenbilder verehren? – Heute werdet ihr den ganzen Tag
hindurch den Herrn erzürnen; aber wir Christen werden die
ganze Nacht zu Ihm beten, daß Er Eure Seelen erleuchte mit dem
Lichte des wahren Glaubens! . . . O! werden wir noch die Zeit
erleben, wo unser Heimathland, unser großes Kiew, von heiligen
Gesängen wiederhallt zur Ehre des wahren Gottes!
(Er versinkt in Nachdenken.) (Hinter den
Koulissen beginnt der Chor der Fischer.) Ach! da sind,
wie es scheint, auch meine Freunde! . . .
(Ein großes Boot mit
Fischern zeigt sich auf der entferntesten Fläche des Flusses;
es durchschneidet die ganze Bühne, verschwindet hinter den
Koulissen, erscheint alsdann auf's Neue auf dem nächsten
Theile des Flusses, und fährt bis zur Fischerhütte, wo es am
Ufer befestigt wird.)
Chor der Fischer.
Grüß' Dich, Dnjepr, Du mein breiter!
Rausche, brause immerfort!
Dnjepr, tiefer Strom und weiter!
Mein Ernährer und mein Hort!
Einen Waisen, gramdurchzogen,
Wiegtest Du auf Deinem Schooß;
Und auf Deinen grauen Wogen,
Ward ich Gram und Sorgen los.
Heimathlos und kummertrübe
Lebe ich mit Dir allein!
Grüß' Dich! Dnjepr, meine Liebe!
Breiter Strom, Ernährer mein!
(Nach Beendigung des
Chor's treten die Fischer an's Ufer. Einige von ihnen fangen
an die Netze abzunehmen, während Andere sich dem Alexéi
nähern.)
Alexéi. Guten
Tag, Kinderchen! Weshalb seid ihr heute so spät an die Arbeit
gegangen?
Erster Fischer.
Ei, Väterchen, wozu soll man sich plagen? Es war wohl eine
Zeit, wo man kaum das Netz aufgezogen hatte, und sogleich
waren alle Fische für den fürstlichen Tisch genommen; jetzt
aber verkauft man nur bei Wenigem an die Städter!
(Ein Unbekannter
erscheint in einem Kahne, landet und hört, auf ein Ruder
gestützt, dem Gespräche der Fischer zu.)
Zweiter Fischer.
Aber in der That, Bruder, was heißt das! Schon beinahe zehn
Tage sind verflossen, daß wir von unserm Großfürsten weder
gesehen noch gehört haben? Ob er wohl gesund ist, unser
Väterchen? Es war eine Zeit, wo nicht zwei Tage vergingen ohne
Festgelag und alle sonstige Lustbarkeiten: da waren große
Gastmähler, ritterliche Spiele . . .
Alexéi. Es ist
nicht alle Tage Sonntag! Und an der fürstlichen Speise überißt
man sich, und den süßen Wein trinkt man sich zuwider.
Erster Fischer.
Mir, Väterchen, würde er nicht zuwider werden!
Alexéi. Dann ist
es auch unmöglich, jeden Tag so in Saus und Braus zu leben. Er
hat als Fürst seine Geschäfte, muß richten und walten, um
Jedem sein Recht angedeihen zu lassen. Hier plündert ein
Waräger einen Russen, dort blickt unser Bruder der
Kiewer . . .
Der Unbekannte
(sie unterbrechend). Was? . . . Hat
er einen Waräger beleidigt?
(Alle Fischer sehen
sich um und blicken verwundert den Fremden an, welcher, das
Ruder im Kahne zurücklassend, an's Ufer tritt.)
Zweiter Fischer.
Ha, daß der Teufel ihn hole! Wie er sich herangeschlichen hat.
Alexéi. Was
suchst Du hier, Freund? Willst Du Fische kaufen?
Der Unbekannte.
Danke, Alter!
Erster Fischer.
Oder befiehlst Du auf Dein Glück das Netz auszuwerfen?
Der Unbekannte.
Nein, Lieber! Ich bin nur an's Ufer gestiegen, um ein bischen
auszuruhen. Aber worüber habt ihr da geplaudert, Fischer?
Erster Fischer.
So über Dies und Jenes.
Der Unbekannte.
Es schien mir, die Rede war von Sswjätoßlaw.
Alexéi. Von
welchem Sswjätoßlaw? Wenn Du von unserm Fürsten sprichst,
Bursche, so drück' Dich ein bischen anständiger aus, und nenn'
ihn nicht einfach Sswjätoßlaw, sondern Großfürsten von Kiew.
Der Unbekannte
(höhnisch lächelnd). Großfürst von
Kiew! . . . Sein Vater war einst auch Fürst der Drewlier,
seine Herrschaft hat aber nicht lange gedauert. Kennst Du das
Sprüchwort nicht, Alter! Fremdes Gut gedeiht nicht?
Alexéi. Fremdes
Gut? . . Was fällt Dir ein, Bursche? . . . Ist nicht Kiew
erblich sein eigen? Gehören wir nicht alle dem Großfürsten an?
Der Unbekannte.
Aber wem dienten eure Eltern und Voreltern? – Da liegt der
Knoten! Nicht umsonst pflegt man zu sagen, daß das Volk ein
kurzes Gedächtniß hat; aber uns, scheint es, fehlt es nicht an
Erinnerungen an das Alterthum. Es ist wohl der Mühe werth,
darüber nachzudenken: jetzt können wir schon mit den Warägern
allein nicht fertig werden, diese Küstenbewohner werden es
noch so weit treiben, daß sie uns kein Stück Zeug mehr auf dem
Leibe lassen: »wir sind Waffenbrüder des Großfürsten; also was
sein ist, das ist unser!« Nein, Brüder, so war es nicht zu den
Zeiten der alten Fürsten! Welch ein Ueberfluß herrschte da
überall. Was für ein herrliches Leben war das! Nun, was seht
ihr mich so starr an, ihr Fischer? Wenn ihr auch selbst diese
Zeiten nicht erlebt habt, so habt ihr doch sicher von Vater
und Mutter davon gehört?
Erster Fischer.
Ja, wir haben davon gehört; unsere Lieder erzählen, daß im
Alterthum in unsern Flüssen Honigwasser floß, und die Ufer von
Mehl waren, – aber das muß wohl schon lange her sein!
Der Unbekannte.
Nicht so gar lange. Wißt ihr wohl, Brüder! wer Askold
war? . . . Wie? . . . Man sieht, ihr wißt es nicht? Aber gewiß
doch haben euch eure Väter einmal von eurem früheren
rechtmäßigen Fürsten erzählt?
Alexéi. Was
willst Du mit Deinem Geschwätz, Kerl? Hört nicht darauf,
Fischer! Unser rechtmäßiger Herrscher ist Fürst Sswjätoßlaw
Igorowitsch . . . Seht diesen tollen Burschen! Deine Ehre
wollen wir nicht verletzen. – Weiß der liebe Herrgott, wer Du
bist; Dir aber geziemt es nicht, solche Reden zu führen, noch
uns, sie anzuhören.
Der Unbekannte.
Wirklich, Alter? Nun wenn man nicht sprechen darf, so kann man
doch wenigstens singen? Wollt ihr, Brüder, ein Liedchen von
mir hören? Fürchte nicht, Väterchen, es wird nichts von euren
Fürsten und Flüssen darin vorkommen. Horcht auf, Brüder!
Lied.
In der alten Zeit die Väter
Lebten lustiger als wir:
Tranken wie gemeines Wasser,
Süßen Meth und starken Wein.
Zechten, jubelten und sangen,
Lebten froh das ganze Jahr:
Seht, wie zu Askoldens Zeiten
Unsrer Väter Leben war!Chor
der Fischer.
Hörtet ihr, ihr Fischer, wie das
Leben in der Vorzeit war?Der
Unbekannte.
Damals raubten unsre Krieger
Nicht auf offnem Markt' wie jetzt,
Und beschimpften nur die Griechen
Und der Küstenvölker Troß;
Beugten tief sich vor dem Volke,
Ehrten hoch den Bürger gar –
Seht, wie zu Askoldens Zeiten
Unsrer Väter Leben war!Chor
der Fischer.
Nun, und seht ihr Fischer, wie das
Leben in der Vorzeit war?
Der
Unbekannte.
Herrschten mit den Petschenägen
Ohne der Waräger Macht,
Nahmen Steuer vom Kassogen,
Und verwüsteten Byzanz.
Alle die uns jetzt bedrängen,
Schlug einst selber Kiew's Schaar, –
Seht wie zu Askoldens Zeiten
Unsrer Väter Leben war!Chor
der Fischer.
Nun, und hört ihr Fischer, wie das
Leben in der Vorzeit war?Der Unbekannte.
Nun, Kameraden! gefällt euch mein Lied?
Alexéi. Das Lied
war gut, Bursche, aber die Worte nicht; Du hättest es für Dich
singen sollen! Nun was steht ihr Narren da und sperrt das Maul
auf? Was mag nicht Alles in der alten Zeit gewesen sein. – Man
kann nicht Alles hören!
Erster Fischer.
Sagt mir Kinder, was für ein Askold ist das, von dem ihr immer
schwatzt?
Zweiter Fischer.
Und das weißt Du nicht? Nun der, welcher dort begraben liegt,
bei Ugorsky, grade über dem Flusse!
Erster Fischer.
Aber wer war das denn eigentlich?
Zweiter Fischer.
Weiß der Teufel! Irgend ein elendes Fürstchen. Wenn damals die
Feinde Kiew in Ruhe ließen, so war blos ihre Trägheit daran
schuld. Jetzt stehen die Sachen anders, es wagt Niemand daran
zu denken! Erst neulich wieder fingen die Jatwägen und
Radimitschen Händel an – die haben was Rechtes dabei erwischt!
Unser tapferer Fürst faßte sich blos an den Schnurrbart und
sie verschwanden, als hätte sie Alle der Teufel geholt! . . .
Was ist darüber zu sprechen! Lebte jemals in Rußland ein so
mächtiger Herrscher? Erhob jemals unterm Himmel ein so kühner
Falke sein Gefieder, wie unser Väterchen, Fürst Sswjätoßlaw
Igorewitsch?
Erster Fischer.
Und wenn unser Fürst auf seinem schnellen Rosse dahergesprengt
kommt an der Spitze seiner tapfern Krieger – wie er sich da
prächtig ausnimmt! Das Herz schlägt einem vor Freude wenn man
ihn ansieht.
Alexéi. Und wie
sollte es nicht? Er ist ja unser Landesherr; seine Ehre ist
auch unsere Ehre!
Zweiter Fischer.
Gewiß! Was brauchen wir mehr! Möge er nur immer in Gesundheit
fortleben, unser Väterchen der Großfürst, unsere rothe Sonne!
Der Unbekannte.
Eine schöne Sonne! Im Sommer brennt sie und im Winter wärmt
sie nicht.
Erster Fischer.
Väterchen! he, Väterchen! was schwatzt der Schalk da? haben
ihn nicht vielleicht die Jatwägen heimlich geschickt, das Volk
aufzuwiegeln?
Zweiter Fischer.
Das sollte mich gar nicht wundern, Bruder!
Alexéi. So ist
es, Brüderchen! daß er uns nur nicht mit sich in's Verderben
zieht. He Fischer! Hört auf zu plaudern, es ist Zeit an die
Arbeit zu gehen!
(Die Fischer fangen an
die Netze abzunehmen und sich in's Boot zu setzen.)
Chor der Fischer.
Hurtig Brüder, auf und ziehet
Schneller eure Netze ein!
Und mit
Perun's Hülfe füllen
Wir den Kahn mit Fischen an.
Und wir fangen zum Verkaufe
Große Störe, goldgeschuppt . . .
Hurtig Brüder, auf und ziehet
Schneller eure Netze ein!(Nach Beendigung des
Chores steigen Alexéi und alle Fischer in das Boot und fahren
links ab.)
Der Unbekannte.
Dummes Volk! Nun, wir werden sehen was ihr sagen werdet, wenn
von der einen Seite die Petschenägen, und von der andern die
Griechen einfallen in Kiew und das Kriegsgeschrei dieser
zahllosen Horden in dem einzigen Ausruf verschmilzt: Nieder
mit Sswjätoßlaw, und der Nachkomme des großen Askold soll
Herrscher sein über Kiew! (Versinkt in
Nachdenken.)
(Von der rechten Seite
her tönt ein Tanzesreigen und die Stimme des singenden Taropka.)
Doch mir scheint . . . ganz richtig! das
ist die Stimme meines Dieners Taropka.
Taropka
(erscheint weitersingend auf der Bühne).
Voller Klarheit scheint der Mond um Mitternacht,
Herrlich, herrlich glänzt die Sonn' am Frühlingstag:
Aber herrlicher als Sonnenstrahl,
Aber klarer als der Mond zumal,
Ist unser große Fürst!
Der Unbekannte
(ihm entgegen gehend). Schickt es
sich für Dich, Taropka, solche Lieder zum Preise unseres
Schurken von Fürsten zu singen?
Taropka. Ach!
bist Du da, Bojar? . . . Aergere Dich nur nicht! Ich habe dies
Lied Abends von Solowei Budimirowitsch gelernt, dem
Liebslingssänger des Großfürsten. Ach, Bojar, was das für ein
Lied ist! . . . Hör' zu, ich werde . . .
Der Unbekannte.
Schweig! . . . Lebst Du in Kiew, um dumme Lieder zu lernen?
Taropka. Nun was
macht das, Bojar? Taropka Golowan singt sein Liedchen, aber
vergißt dabei seine Arbeit nicht: ich habe Alles
ausgekundschaftet was Dir zu wissen nöthig ist. Aber sag' mir,
hast Du heute mit Wßeßlaw gesprochen?
Der Unbekannte.
Ja, gesprochen hab' ich ihn; ihm aber das Geheimniß seiner
Geburt noch nicht enthüllt; er wird es heute erfahren, wenn
er, seinem Versprechen zufolge, um Mitternacht zum Grabe des
Askold kommt.
Taropka. Aber
bist Du auch sicher, Bojar, daß der fürstliche Edelknabe
Wßeßlaw derselbe heimathlose Waise ist, welchen Du suchtest?
Der Unbekannte.
Ja, deß bin ich gewiß. Die goldne
Griwna, welche Wßeßlaw auf der Brust trug, seine eigne
Erzählung, wie er von den Kriegern Igor's im Dickicht des
Waldes gefunden wurde, in der Hütte, welche mich vor meinen
feindlichen Verfolgern verbarg, – Alles bestätigt diese
Wahrheit. O, wenn die Götter mir beiständen, den mir von Vater
und Großvater auferlegten Befehl zu vollziehen! Wenn ich den
Tod ihres Fürsten rächen und den Enkel Askold's wieder in sein
rechtmäßiges Erbe einsetzen könnte! . . . Aber ich fürchte,
Taropka, die Anhänglichkeit, welche dieser Jüngling für
Sswjätoßlaw zeigt, seine Liebe zu einer Christin . . .
Taropka. O! ich
weiß, ich weiß, Bojar! . . . sie ist die Tochter des alten
Fischers Alexéi, heißt Nadjéshda, und wohnt hier dicht
nebenan, hier in dieser Hütte.
Der Unbekannte.
Hier?
Taropka. Ja,
Bojar. Ich war eben auf dem Wege zu ihr, als Du mir
begegnetest. Wßeßlaw hat mich einige Male mit sich genommen,
um sie mit meinen Liedern zu ergötzen. Letzthin versprach ich
ihr eine bemalte Spindel eigener Arbeit zu bringen – hier hab'
ich sie bei mir – – Aber es scheint, daß weder sie noch Alexéi
zu Hause ist . . . Ganz richtig – die Thür ist verschlossen.
Der Unbekannte.
Ist das Mädchen hübsch?
Taropka. Ja in
der That so hübsch, Bojar, daß ich mich nicht genug wundern
kann, wie sie noch nicht in's Dorf Predißlawina gekommen ist.
Dort sind viel schmucke Dirnen, aber nicht eine einzige
Schönheit, wie sie.
Der Unbekannte.
Bist Du denn selbst im Dorfe Predißlawina gewesen?
Taropka. Ei
gewiß! der Bojar Wuischatta hat mich oft hinrufen lassen, um
die dort eingeschlossenen Schönen mit meinen Liedern zu
belustigen. Du weißt doch, daß er vom Großfürsten dort als
Aufseher des Terems angestellt ist?
Der Unbekannte.
Wuischatta? . . . der vertraute Haushofmeister des
Großfürsten.
Taropka. Nun ja!
derselbe, welcher allein für zehn Personen ißt, während seine
Hausgenossen vor Hunger sterben. Nicht umsonst hat man ein
Lied auf ihn gemacht:
Ei, wie unser Herr Wuischatta feist und dick,
Ei wie seine Diener mager sind!
Setzt sich unser Väterchen zu Tisch,
Schwelgt er einen ganzen Ochsen auf.Der Unbekannte
(unterbrechend). Nun, wird's bald
ein Ende haben mit deinem Singen! Sag' mir: Wßeßlaw liebt wohl
diese Nadjéshda sehr?
Taropka. Wie
sollt' er nicht! . . . Er will sie ja heirathen.
Der Unbekannte.
Heirathen? . . . Aber wenn ihm Jemand die Braut entführt?
Taropka. Möge
Perun einen Jeden vor solchen Gedanken bewahren! Man sagt:
Wßeßlaw hat eine schwere Hand, die Jeden treffen wird, der es
wagen sollte ihn von Nadjéshda zu trennen – dafür, Bojar,
steh' ich Dir ein!
Der Unbekannte.
In der That! . . . So . . . wenn meine Worte nicht fruchten
sollten . . . Taropka, geh zum Bojaren Wuischatta und sag'
ihm, daß ich ihn heute zur Mittagszeit am untern Theile der
Stadt beim Weleßow'schen Tempel erwarten werde, um ihm ein
wichtiges Geheimniß mitzutheilen.
Taropka. Kannst
Dich auf mich verlassen! . . . Holla! . . . Sieh da . . .
richtig . . .
Der Unbekannte.
Was ist da?
Taropka. Ein
ganzer Trupp Kiewerinnen kommt auf uns zu; ich wich ihnen
vorhin nicht weit von hier aus. Heute ist Ußlad's Fest, da
wird vom Morgen bis zur späten Nacht das Volk sich vor der
Stadt lustig machen . . . He! . . . gewiß hat sich auch Stemid
dazwischen geschlichen! . . . Ein flotter Bursche! Saufkumpan,
Spaßvogel!
Der Unbekannte.
Wer ist dieser Stemid?
Taropka. Der
Lieblingsknappe des Großfürsten und Busenfreund Wßeßlaw's . . .
Oho! er ist nicht allein! Wer zum Teufel ist denn bei ihm? Was
für eine Vogelscheuche! Richtig, es ist Frelaff.
Der Unbekannte.
Was für ein Frelaff?
Taropka. Ein
Warägischer Krieger, so ein Zanksucher und Aufschneider, daß
es kaum zu glauben ist! Nicht nur Stemid, sondern auch seine
Kameraden, die Waräger, Alle spotten über ihn.
Der Unbekannte.
Ich bin müde und habe noch weit zu fahren: ich werde mich
hinter diese Hütte setzen um etwas auszuruhen; vielleicht
komme ich Nachmittags wieder hieher, und wenn ich Nadjéshda zu
Hause treffe . . . Taropka, gieb mir Deine Spindel, – ich
werde sagen, ich hätte sie von Dir zu überbringen.
Taropka
(ihm die Spindel übergebend, welche der
Unbekannte zu sich steckt). Hier Bojar, nimm!
Fünfter Auftritt.
(Menge Städter und Städterinnen, Stemid,
Frelaff, Taropka und der Unbekannte auf dem vorderen Theile
der Bühne, hinter der Hütte. Nachdem die Mädchen ein Lied zum
Tanzesreigen gesungen, fangen sie an verschiedene Spiele zu
spielen.)
Frelaff. Aber
weshalb, Stemid, traben wir immer wie Maulaffen hinter ihnen
her? Wer hat uns denn verboten, uns etwas näher heranzumachen
an die Schönen?
Stemid. Ja, Du
hast Recht, komm mit!
Ein bejahrter Kiewer.
Nein, Burschen, rühret unsre Mädchen nicht an, ihr verscheucht
sie nur!
Frelaff. Wir
verscheuchen sie! O Du altes Bocksgesicht! Wer bist Du denn,
ein Petschenäge, he?
Der bejahrte Kiewer
(sich verneigend). Ganz richtig,
gnädiger Herr! Ihr ehrenwerthe Herren seid großfürstliche
Krieger, aber es taugt nicht für unsere Schwestern und
Töchter, mit Kriegsleuten zusammen zu kommen.
Frelaff. Aber
mit wem denn? Vielleicht mit euren Brüdern, den Kiew'schen
Krämern!
Taropka. Möge es
Eure Gnaden nicht erzürnen, aber mit handeltreibenden Kiewern
ist immer vortheilhafter umzugehen als mit euch, Herren und
tapfere Krieger! Nicht umsonst hat man das Lied gemacht:
Heida, sei gegrüßt, Du mein reicher Gast,
Du mein reicher Gast, junger Kaufmannssohn!
Weder schön noch geschickt bist Du, Väterchen,
Aber schön und geschickt ist Dein blankes Geld!Stemid. Bah,
bah, bah! Taropka Golowan! Was treibt Dich hierher? Willst Du
mir vielleicht die hübschen Mädchen abspenstig machen?
Taropka. Ach,
Ew. Gnaden, wie sollte ich! Wahrhaftig, wenn es bei Dir in der
Tasche nicht klingt, so wirst Du hier wenig erwischen, Bojar.
Frelaff. Sind
denn eure Schönen so spröde? das fehlt noch! Nein! in meiner
Heimath gleichen nicht nur die Mädchen, sondern auch die
jungen Weibchen euren Kiewerinnen nicht. Bei uns an der Küste
ist ein anderes Leben; da gelten die Krieger was. Ich schwöre
bei Oden, daß nie
ein hübsches Mädchen mit Frelaff, dem flotten Burschen,
zusammen gekommen ist, ohne ihm einen freundlichen Blick
zuzuwerfen, oder ein paar schmeichelhafte Worte zu sagen.
Stemid. Nun wozu
diese Großprahlerei, Frelaff! . . . Hör' Bruder, ist es Dir
wohl schon einmal vorgekommen, daß Du bei stillem Wetter das
Gesicht in einen Fluß gehalten hast, um daraus zu trinken?
Frelaff. Wie
denn nicht! . . .
Stemid. So
erinnerst Du Dich auch wohl, wie es Dir jedesmal geschienen
hat, daß selbst die Wassernixe aus der Tiefe zu Dir
hinaufgeschaut habe. Mit Deiner rothen Nase und Deinen
fuchsigen Wangen bildest Du Dir gar ein, daß hübsche Mädchen
auf Dich sehen! . . .
Frelaff. Nun,
warum nicht? Braucht denn ein Kriegsmann im Gesicht einer
jungen Dirne zu gleichen, wie Dein Kamerad Wßeßlaw?
Stemid. Wßeßlaw?
. . . Ja, Frelaff, er ist jünger und hübscher; aber versuch
einmal mit ihm anzubinden! . . . Wßeßlaw hat ganz andere Kerle
als Du bist, hinter'n Gürtel gesteckt.
Frelaff. Was! .
. . dieses schmächtige Bürschchen sollte sich mit einem Kerl
wie ich bin, gemessen haben . . . Weißt Du nicht, daß ich –
Frelaff, Sohn Rußlaw's, Enkel Ruald's und Urenkel Ingelot's,
keinen Stärkeren als ich bin, kenne, daß ich . . .
Stemid. Schweig
nur, schweig nur, Prahlheld! sieh, da haben sich die Mädchen
im Kreise aufgestellt: wahrscheinlich wird eine von den
Schönen ein Liedchen singen. Horchen wir.
Frelaff. Und ich
schwöre bei Hela, daß wenn diese Sängerin werth ist von
Frelaff geküßt zu werden, ich sie küssen werde.
Stemid. Aber
wenn sie Jemandes Braut ist?
Frelaff. Nun,
was denn? Mag er ruhig zusehen, und sich selbst belecken.
Stemid. Aber
wenn sie einen jungen breitschultrigen Bräutigam bei sich hat,
der nicht zugiebt, daß sich seine Braut küssen läßt?
Frelaff. Aber
was macht mir das aus?
Stemid. Hör' nur
auf mit Deinen Prahlereien, Frelaff. Du hast immer ein großes
Maul, aber wenn es Ernst wird, und man Dir die Fäuste zeigt,
so bist Du der Erste der hintern Busch kriecht.
Frelaff. Wer? .
. . Ich? . . . Ich, ein geborner Waräger fürchte eure
russischen Fäuste? . . . Wart'? ich werde Dir zeigen wie man
bei mir zu Hause hübsche Mädchen küßt!
Finale
ChorDort im Thale eine weiße
Birke hoch aufragte;
Bei der Birke saß ein Mädchen,
Seufzte tief und klagte.
Ei Du Kleine!
Ei Du Feine!
Eines
der MädchenFür wen pflanzt ich einen Garten,
Mußt ihn pflegen, warten?
Doch gewiß für Keinen,
Als den lieben Meinen!
Ei Du Kleine!
Ei Du Feine!
Sagt, warum im Gärtchen singen
Vöglein ihre Lieder?
Jubelnd Alle klingen
Vom Geliebten wieder!
Ei Du Kleine!
Ei Du Feine!
Flog mein Falk, mein heller
Leichtgeschwingter, schneller, –
Brachte keine Kunde,
Flog und ging zu Grunde!
Ei Du Kleine!
Ei Du Feine!
Chor
Bunte Blumen werd' ich säen,
Sollen lustig sprießen!
Werd' am frühen Tag aufstehen,
Blümlein zu begießen!
Ei Du Kleine!
Ei Du Feine!(Frelaff
geht auf die Sängerin zu und küßt sie.)
Das
MädchenWas soll das? Fort! Wir sind nicht
Zu Deinem Scherz hier, wisse!
FrelaffFürcht' Dich, mein schönes Kind, nicht,
Wenn ich Dich auch mal küsse!
Chor
der MädchenFort Krieger! Ist das schicklich?
Laß, laß das Mädchen, geh'!
Das
MädchenIch schreie . . .
FrelaffAugenblicklich?
Chor
der MädchenFort Krieger! Ist das schicklich?
Laß, laß das Mädchen, geh'!
(Das
Mädchen reißt sich los und läuft auf die Hütte zu,
Frelaff setzt ihr nach und erwischt sie bei der Hand.)
Frelaff
Halt, Kind! Dich werd' ich mit mir nehmen!Der
Unbekannte
Wir werden seh'n ob Dir's gelingt!
(Tritt auf die Bühne.)
Laß ab, sonst werd' ich Dich bezähmen,
Du freches Hasenvieh!
Frelaff
Du lügst!
Wer bist Du? Und wie kannst Du's wagen,
Mit mir so grob zu sein?Der
Unbekannte (zu dem befreiten
Mädchen).
Geh' Du!
(Zu Frelaff.)
Und sollte Dich die Neugier plagen,
Zu wissen wer ich bin – hör' zu!
Der breite Dnjepr – ist mein Lager,
Das heil'ge Rußland – ist mein Haus,
Ich hasse glühend die Waräger,
Mein ganzer Fluch trifft dieses Volk –
Ihr Drohen fürcht' ich nicht,
Und lohn' es nur mit Hohn und Spotte,
Doch, was mein höchster Wunsch erzielt:
Ist, daß des ganzen Volkes Rotte
Der Russenfäuste Schwere fühlt!
Chor
Ist, daß des ganzen Volkes Rotte
Der Russenfäuste Schwere fühlt.
Stemid. Nun,
Freund, ist's aus mit Lieb und Küssen?
Taropka. Die
Liebe brach an Hindernissen!
Frelaff. Nein,
solcher Schimpf ist unerhört!
(das Schwert ziehend)
Steh' Bursche!
Der
Unbekannte (ihm das Schwert
entreißend).Was, Du ziehst das Schwert?
Geh' hin zum Spinnerocken!
Chor
der KiewerO Held, Du verzagter!
Zum Spinnrad hingejagter!
FrelaffEr ging fort mit meinem Schwert! . . .
Fangt ihn auf! haltet ihn!
Kiewer und TaropkaEr ging fort mit seinem Schwert!
Frelaff Fangt ihn auf! haltet ihn!
Bringt ihn mir her!
Räuber Du! Hasenfuß!
Wart, wenn Dich Frelaff kriegt,
Nimm Dich in Acht!
Gauner, verfluchter Dieb!
Sucht ihn auf! haltet ihn!
Bringt ihn mir her.
Der
Unbekannte (in seinem Kahne
erscheinend) Hier bin ich!
Chor Hier ist er!
Frelaff Verdammter Gauner!
Gieb mir mein Schwert her!
Der
Unbekannte Dein Schwert? Sogleich!
Ein Schwert werd' ich Dir geben wie es sich
Für Dich geziemt . . . hier ist es! Nun leb wohl!
Frelaff (herbeilaufend)Mein Schwert! Was seh ich! Eine Spindel!
ChorDie Spindel gab er Dir!
Taropka (sie aufhebend)Wie bunt bemalt und voller Zier!
ChorO Held, Du verzagter!
Zum Spinnrad hingejagter!
FrelaffWartet, gleich werd' ich Euch! . . .
Wen lacht ihr aus, ihr Narrenzeug?
Taropka (Frelaff die Spindel
übergebend)Du hiebst ihn muthig nieder –
Hast tapfer Deinen Feind besiegt,
Hier nimm Dein Stahlschwert wieder.
FrelaffSchweig!
StemidBursche, schneid' nicht solch Gesicht!
Ich nehm' es auf, nimmst Du es nicht!
(Die Spindel aufhebend.)
Sag' daß im Kampf mit den
Russalken
Du es verlorst. – Kommt Brüder mit!
ChorLeb wohl, Held, Du verzagter!
Zum Spinnrad hingejagter!
Ende des ersten Aufzugs.
Zweiter Aufzug.
Das Theater stellt das Innere eines
geräumigen Erkergemaches vor; ein großer gedeckter Tisch,
hinter welchem Krieger sitzen und zechen.
Erster Auftritt.
Prostän,
Wßeßlaw,
Fenkal, Ostromir,
Jakun,
Frelaff, Ikmor und eine
Menge anderer warägischer und russischer Krieger.
ChorZisch' in Pokalen
Funkelnder Meth!
Rausch' in den Bechern
Schimmernder Wein!
FenkalAuf, trinkt zu Ußlad's Ehren!
Auf's Glück des Russenlands,
Auf aller Schönen Wohl,
Auf aller Freunde Lust,
Auf der Empörer Noth,
Und auf der Feinde Schmach!
ChorAuf der Empörer Noth,
Und auf der Feinde Schmach!
FenkalWer trinkt und nicht betrunken,
Wer liebet was gut,
Wer glücklich bei Schönen
Und furchtlos im Kampf:
Der ist ein wahrer Held,
Ein Bruder uns und Freund!
ChorDer ist ein wahrer Held,
Ein Bruder uns und Freund!
Prostän. So
recht, Brüder! Mir nachgemacht! Die Becher hoch! Zur Ehre
Ußlad's, zur Ehre des Russischen Landes.
Frelaff
(seinen Becher austrinkend). Und
zum Ruhme der Warägischen Krieger!
Ostromir. Aha!
sprichst Du auch mit, Frelaff! Ich dachte schon, Du hättest
die Zunge verloren.
Jakun. In der
That, er ist heute etwas maulfaul . . . Aber auch Du, Wßeßlaw,
scheinst mir eben kein Festtagsgesicht zu haben.
Wßeßlaw. Mir ist
nicht ganz wohl.
Prostän. Ei,
Unsinn! Zech' mit uns bis zum Morgen, da wird Alles vorüber
sein.
Wßeßlaw. Nein,
Kameraden, ihr habt versprochen mich vor Mitternacht gehen zu
lassen.
Prostän. Ja,
wenn Stemid kommt, Dich abzulösen.
Frelaff. Nun,
Gott weiß was ihr an diesen Stemid findet? Oder könnt ihr ohne
ihn nicht zechen? Was ist eigentlich Gutes in ihm? Ein
Bürschchen, das nach nichts aussieht! kein Wuchs, kein
Leibesgehalt, . . . in den Wangen jungfräuliche Röthe, und im
Kopfe Weiberverstand!
Prostän. Aber in
den Händen, Bruder, hat er keine Spindel.
Frelaff.
Spindel! . . . Wozu Spindeln? . . . Was für eine Spindel?
Prostän. Was für
eine! Wir wissen schon, was für eine! Stemid sieht blos dem
Gesichte nach einem hübschen Mädchen ähnlich, aber wenn es
Fäuste setzt, ist das ein Kerl wie es wenige giebt!
Ostromir. Ich
habe selbst gesehen, wie er allein auf einen Bären losging.
Frelaff. Das ist
was Rechtes! . . . Da ist es dem Burschen einmal gelungen mit
der Mistgabel einem schlafenden Bären das Fell auszureißen,
und ihr könnt euch nicht satt darüber wundern! – Ich will
nicht von mir sprechen, aber mein Vorfahr Ingelot hat einmal
einen Bären so mit der bloßen Faust angegriffen und sich mit
ihm gebalgt . . .
Jakun. Und hat
ihn bezwungen?
Frelaff. Als ob
das ein Wunder wäre! . . . Einen Bären zu bezwingen ist nichts
– das weiß ich aus Erfahrung.
Prostän. Nun was
hat er denn gemacht?
Frelaff. Was er
gemacht hat? . . . Ihm lebendig das Fell abgezogen!
Prostän. Und der
Bär hat nicht einmal gebrummt?
Frelaff. Das ist
'ne Frage, ob er nicht gebrummt hat! Natürlich, er hat
gebrüllt, sich aber nicht losgebrüllt!
Jakun. Nun,
Bruder, hör' auf, Dich über uns lustig zu machen!
(Stemid tritt ein und
stellt sich, von Niemand bemerkt, hinter Frelaff.)
Frelaff. Was?
glaubst Du ich lüge? Ich habe jetzt noch den ganzen Balg, den
ich nebst einem Schwerte von meinem Vorfahren geerbt habe.
Aber wißt ihr, Kameraden, was das für ein Schwert ist? . . .
Noch jetzt ist in meiner Heimath das Sprüchwort: Fürchte nicht
das stürmische Meer, nicht den Donner des Himmels, aber
fürchte das Schwert Ingelot's. Es ist vorgekommen, daß Einer
zwei gestählte Helme auf dem Kopfe hatte, sobald ich drauf
schlug, drang es durch bis zum Gürtel; aber auf dem Schwerte –
glaubt ihr mir's Brüder – war nicht eine Scharte zu sehen!
Stemid. Wie
sollten wir das nicht glauben! Du bist ein Kenner von
Schwertern.
Frelaff. Ach!
bist Du da, Stemid?
Prostän. Bitte
gehorsamst! . . . Setz' Dich, Kamerad!
Stemid. Wartet
Brüder! Es war bei euch die Rede von einem Schwerte; wollt
ihr, so werde ich euch ein so wunderbares Schwert zeigen, wie
ihr in eurem ganzen Leben keines gesehen habt.
Die Krieger.
Zeig', zeig'!
Stemid. Und Du
schweigst, Frelaff? Oder willst Du nicht mein selbsthauendes
Schwert bewundern?
Frelaff. Nun,
laß doch, Stemid! Was für Späße sind das!
Stemid. Ich
spaße nicht . . . Aber wie? soll ich es zeigen?
Frelaff
(aufstehend). Ach, Bruder, laß das!
Ich muß Dir erst ein paar Worte in's Ohr flüstern
(führt Stemid auf die Seite). Thu'
mir den Gefallen, erzähle Niemandem von dieser verfluchten
Spindel!
Ostromir. Was
flüstert ihr dort mit einander?
Stemid. So,
nichts! Seht, Kameraden, ehe ich euch dieses wunderbare
Schwert zeige, muß ich euch erzählen, wie ich dazu gekommen
bin.
Frelaff
(leise). Nun, laß doch, Bruder!
Stemid
(nicht auf ihn hörend). Heute
Morgen ging ich zusammen mit Frelaff, den Ringeltanz der
schönen Mädchen anzusehen.
Frelaff. Höre,
Stemid, ich bin geduldig, aber wenn Du wagst . . .
Stemid. Du
willst mich doch nicht vielleicht in's Bockshorn jagen?
Besänftige Dich, Bruder! Du weißt, ich habe Ingelots Schwert
bei mir.
Frelaff. Aber
zum Teufel, was soll das! . . . Nimm Dich in Acht, Du
Schönzüngiger, ich werde Deine Zunge zum Schweigen
bringen . . .
Stemid. Oho!
wirklich? . . . So hört doch, Kameraden!
Frelaff
(die Hand an den Griff seines Schwertes
legend). Zieh Dein Schwert, verdammter Spötter!
Stemid
(die Spindel hervorziehend). Mit
Vergnügen! (Alle Krieger brechen in ein
Gelächter aus.)
Prostän. Ach,
der Spaßvogel! . . . Seht Brüder; eine Spindel!
Ostromir. Macht
den Burschen Platz! Aber hört, wenn ihr euch schlagt, so muß
es bis auf den Tod sein.
Stemid. Nun, Du
herzhafter Kämpe, komm hervor!
Alle. Komm vor,
Frelaff!
Frelaff
(sich widersetzend). Du bist nicht
werth, Gelbschnabel, daß ich mit Dir mein stählern Schwert
besudele! Sprich, sprich immer zu, Bürschchen! schwatze,
ergötze die Gesellschaft, verdammter Aufschneider! Windbeutel!
Stemid. Aber
wahrhaftig, es würde nicht übel sein, einen Hackebrettspieler
kommen zu lassen; hier ist auch Keiner, der uns etwas
belustigte. Dem Fenkal hängt die Zunge schon schwer im Halse,
und Frelaff wird bald nicht mehr auf den Füßen stehen . . .
Heda! He! . . .
Taropka
(singt hinter den Koulissen). Ach!
Du blaues, blaues Meer! . . .
Stemid. Richtig,
es ist Taropka! Wartet, Kameraden; ihr werdet gleich was haben
euch zu belustigen. (Läuft davon.)
Frelaff. Hinter
wem läuft er dort her? Der arme Bursche! Auf der Cither sollte
er spielen, aber nicht mit einem Schwerte gehen, der verdammte
Fiedler!
Wßeßlaw. Aber
schämst Du Dich nicht, Frelaff, über einen Scherz so böse zu
werden? Wodurch hat er Dich denn eigentlich beleidigt?
Frelaff. Mich
beleidigt, sagst Du? . . . Nein Bruder, er konnte den Adler
vom Meere, den hellen Falken, den weißen Geier nicht
beleidigen; dieser bunt beflügelte Rabe, mich flotten Burschen
beleidigen? Reich mir, Bruder Prostän, jene Flasche mit Wein
her. (Trinkt.) Ich will mir nur
keine Schande machen; aber wenn ich ihn auf die eine Hand
setze, und mit der andern darauf schlage: weg ist er!
Prostän. Ach
was, Bruder, heute ist Ußlad's Tag – da muß man sich nicht
zanken.
Frelaff. Aber
was, zum Teufel, hab' ich mit eurem Ußlad zu thun? Ich will
Nichts von ihm wissen! . . . Wenn's aber schon so weit geht,
so werd' ich diesem Prahlhans eine Lehre geben.
(Trinkt.) Wollt ihr, Kinder, so
reiße ich ihm in diesem Augenblicke vor euren Augen den Hals
ab! (Trinkt.) Ich werde ihn
zerdrehen! . . . in ein Hammelhorn kneten! . . . in einen
Knoten zusammenwickeln. (Springt auf.)
Wollt ihr? . . . (Stemid tritt ein;
Frelaff setzt sich wieder hin.) Nun, Du kannst Dich
glücklich schätzen! Danke den Göttern, daß ich keine Lust habe
aufzustehen!
Stemid
(sich nach der Thür zu wendend).
Nun, was ist mit Dir? . . . Komm herein!
Zweiter Auftritt.
Dieselben.
Taropka.
Ostromir. Was
ist das für ein Centaurenkämpe? Teufel, welche Fratze! Hör'
Bruder, Du gefällst mir!
Taropka
(sich verbeugend). Die hübschen
Mädchen sagen das auch, mein guter Herr.
Stemid. Bitte
hübsch freundlich zu sein und Bekanntschaft zu machen. Dieser
Kumpan ist mein vertrauter Freund, und obgleich nicht so in
Ehren wie unser verstorbener Sänger Solowéi Budimirowitsch, so
singt und spielt er doch nicht schlechter als er.
Frelaff. Hu, was
für eine Fratze! . . . Aber der Kopf, der Kopf . . . Eine
prächtige kupferne Wanne!
Taropka. Wie er
auch sein mag, Bursche, er sitzt gewiß fester auf den
Schultern, als Dein trotziges Köpfchen.
Frelaff. Was ist
das? . . . Glaubst Du vernagelter Holzkopf vielleicht, ich sei
besoffen?
Prostän. Sei
ruhig, Frelaff! Sauf' und schweig'! Aber Du, Taropka, was
willst Du trinken; Wein oder Meth?
Taropka. Ich
werde Wein trinken, ehrenhafter Herr, aber ohne deswegen dem
Methe zu entsagen. Laßt nur heranbringen, und wir werden
trinken zum Ruhme des Wirthes! (Man reicht
ihm einen Pokal.) Ein fröhliches Fest, ihr Herren, und
einen leichten Rausch! (Trinkt.)
Ihr zecht und lebt hoch, aber wir müssen mit den abgefallenen
Krümchen vorlieb nehmen.
Stemid. Nun,
Taropka, mach uns lustig!
Taropka. Was
wünschest Du, Väterchen? . . . Es soll mich freuen, eure
Gnaden zu ergötzen. Ist's gefällig, daß ich euch ein Mährchen
vortrage nebst einem Liede von einem braven Burschen, und was
sich mit ihm zugetragen im Walde, hinter dem Schtschekowischen
Berge? – Es war dieses am Tage der Russalken, vor langer,
langer Zeit, als nach die Fürsten Askold und Dir
das Land beherrschten.
Prostän. So ist
es kein Mährchen?
Taropka. Wie
soll ich's euch erklären, gnädige Herren, ohne zuviel zu
sagen? Es ist ein Mährchen – und kein Mährchen, es war und war
nicht; aber die alten Weiber behaupten, es habe sich wirklich
zugetragen.
Alle. Erzähle.
erzähle!
Taropka
(verbeugt sich und beginnt). Hätte
der brave Bursche nicht die Mitternachtsstunde vergessen, wär'
er nicht in das Dickicht des Waldes gegangen am Russalkentage!
Vor Zeiten lebte ein tapferer Krieger, Swänislaw, genannt der
Furchtlose; er liebte ein schönes Mädchen, ihr Name war
Miloßwäta. Und einstmals, zur Frühlingszeit, am Russalkentage,
sagte er seiner Geliebten, er würde in das Dickicht des Waldes
gehen, sich mit Jagen zu ergötzen. Miloßwäta seufzte, und sie
wußte warum – wer am Russalkentage bis Mitternacht im Walde
geblieben, fand den Rückweg nie wieder: »Kehrst Du nicht heim
vor Mitternacht – sagte die Dirne – so such mich auf dem
sandigen Grunde des Sees Doloba!« – Ich komme, lispelte
Swänißlaw, und er ging davon und wandelte seines Weges.
Ballade
Roth säumte sich der Himmelsbogen
Schon von der Sonne letztem Glühn,
Kommt Swänißlaw des Weg's gezogen,
Der einführt in das Waldesgrün;
Und wo im Wald die Wege enden,
Sitzt eine Maid am Eichbaum dort,
Sie winkt und lockt mit weißen Händen,
Und winkt und lockt ihn mit sich fort.
Und Swänißlaw, von Lieb befallen,
Merkt nicht, daß es die Nixe war,
Sieht nicht die grünen Haare wallen,
Und folgt der Schönen immerdar . . .
Krieger denke, denk der Stunde!
Mitternacht auf Dolob's Grunde.
Und sieh, am Bord des Stroms, des breiten,
Viel prächtige Paläste steh'n –
D'raus zum Empfang des Kriegers schreiten
Viel junge Dirnen, schmuck und schön.
Und kosen ihn mit Schmeichelblicken,
Und führen ihn zum Palast ein,
Mit Meth und Wein ihn zu erquicken,
Mit süßem Sang ihn zu erfreun . . .
Längst schwand der Tag, es hat derweile
Der Krieger nicht der Zeit gedacht . . .
Da plötzlich . . . hört er Windsgeheule . . .
Gelächter schallt, . . . 's schlägt Mitternacht!
Krieger denke, denk der Stunde!
Mitternacht auf Dolob's Grunde.
Und Tage schwinden, Wochen ziehen,
Schon auf der Au die Blume bleicht,
Polelja's, Lado's Feste fliehen . . .
Jung Swänißlaw sich nimmer zeigt.
Und sieh, schon flieh'n des Herbstes Tage,
Schon längst der Wald entblättert stand;
Schon lang im Volke geht die Sage,
Daß kundelos der Bursch verschwand.
Einst fanden Bauern früh am Morgen
Den kühnen Krieger Swänißlaw . . .
Im Felde, im Gebüsch verborgen,
Lag er und schlief den ew'gen Schlaf.
Krieger denke, denk der Stunde!
Mitternacht auf Dolob's Grunde.
Prostän. Aber
was geschah mit seiner Braut?
Taropka. Die
Alten erzählen, daß sie sich im Dolobischen See ertrunken
habe. Man sagt, daß seit jener Zeit her allnächtlich der See
heult wie ein wildes Thier – und zur Stunde der Mitternacht
steigt sie aus dem Meeresschlunde, setzt sich an's Ufer, und
singt daß die Erde erzittert. Man sagt auch, daß sie dann
immer die Worte murmele: Wärest Du fröhlich gewesen, Du mein
geliebter Bursch, und hättest nicht die Stunde der Mitternacht
vergessen!
(Wßeßlaw steht auf.)
Ostromir. Was
soll das, Wßeßlaw? wohin willst Du?
Wßeßlaw. Mir ist
nicht recht wohl.
Stemid.
Wahrhaftig, so kommst Du mir auch vor! – Deine Augen sehen gar
nicht menschlich aus! – Rührt ihn nicht an, Brüder! Laßt ihn
gehen, sich etwas auszuruhen. Aber willst Du nicht vorher
einen Schlaftrunk nehmen.
Wßeßlaw. Nein es
schmeckt mir nicht! Auf Wiedersehen, Kameraden!
(Geht ab.)
Dritter Auftritt.
Dieselben
ohne Wßeßlaw.
Prostän. Es
scheint ihm wirklich nicht wohl zu sein! Er saß Dir so
mausestill wie ein Todter, ohne auch nur seinen Schnurrbart
anzufeuchten.
Frelaff
(seinen Schnurrbart streichelnd).
Schnurrbart, sagt ihr? Aber wo sollte er denn den hernehmen?
Das Bürschchen ist ja noch nicht ausgewachsen!
Vierter Auftritt.
Dieselben
und Wuischatta.
Prostän. Ach,
ein unerwarteter Gast: Herr Haushofmeister Wuischatta,
willkommen, willkommen!
Wuischatta.
Danke schön; grüß euch Kameraden! Nun, was treibt ihr? Ist für
Alle genug da? Soll ich noch ein paar Tönnchen Meth anrollen
lassen?
Frelaff. Nur
immer heran Bojar! Ist auch noch Vorrath im Keller? Für's
Verschwinden wollen wir schon sorgen!
Wuischatta. Nun,
willst Du bald aufhören? Wie's mit den Andern steht, weiß ich
nicht, aber ich sehe, Frelaff, in Dich ist selbst mit einem
Trichter nicht viel mehr zu bringen.
Ostromir. Wo
bist Du heute gewesen, Bojar?
Wuischatta.
Ueberall herum! Ich war in der Unterstadt und habe zugesehen
wie die Bürger und Bürgerinnen das Ußlad'sfest feierten. Ach,
Kinderchen! wir leben nicht mehr in den alten Zeiten! Alle
Kiewer Schönen sind verschwunden. – Glaubt mir, ich habe auch
nicht ein hübsches Gesichtchen gesehen! Da war ein Kerl, der
versprach mir eine Schönheit zu zeigen, aber ich glaube nicht
daran! . . . Eh! Taropka Golowan! Bist Du auch hier, Bruder?
Höre Freund! Du treibst Dich überall herum, hast Du nicht
irgendwo was Schönes aufgestöbert? Nun sag'! Man möchte vor
Aerger toll werden! Sollten denn wirklich keine hübschen
Mädchen mehr zu finden sein?
Taropka
(sich verbeugend). Wie sollen wir
so etwas wissen, Herr! Wir sind obscure Leute; aber Eure
Gnaden – das ist eine andere Sache: Du stehst an der Quelle.
Wuischatta. Aber
wo stehst Du, schafsköpfischer Holzbock? Wo Du fremden Wein
saufen und den Leuten Lieder vorsingen kannst?
Taropka. Ganz
richtig, Väterchen!
Wuischatta. He!
. . . Wißt ihr was, Kinder? Man hat mir gesagt, daß die
Christen sich auch versammelt haben, um den Ußlad's Tag auf
ihre Weise zu feiern, in ihrer alten Kapelle auf dem
Ugorischen Platze, dicht neben dem Grabe Askold's. Man sieht,
die sind klüger als ihr, Kinderchen; die feiern Alle zusammen
– Männer und Junggesellen, Weiber und hübsche Mädchen. Nun,
was meint ihr, Burschen? Sollen wir uns nicht aufmachen, um
uns unter sie zu mischen? . . . He?
Frelaff. Der
Einfall gefällt mir – kommt mit, Brüder!
Ostromir. Nun,
was besinnt ihr euch noch? Laßt uns gehen, Kinderchen!
Alle
(ausgenommen Stemid). Kommt!
Stemid. Was
fällt euch ein, Kameraden! Oder habt ihr vergessen, daß der
Großfürst uns verboten hat, das Volk zu beleidigen?
Frelaff. Ja, das
Volk . . . aber dies sind ja Christen!
Ostromir.
Versteht sich! Feinde unsers Fürsten.
Prostän. Sklaven
der listigen Griechen.
Jakun. Die weder
an Perun noch an Oden glauben.
Taropka. Weder
singen noch lustig sind. –
Wuischatta. Und
ihre Töchter eingeschlossen halten.
Frelaff. Nun,
kommt, wir werden sie uns ansehen!
Wuischatta.
Hört, Kinderchen! Kommt erst auf einen Augenblick mit zu mir;
ich werde euch Wein vorsetzen, wie ihr in eurem ganzen Leben
keinen getrunken habt; und von dort gehen wir denn Alle zu
Askold's Grabe. Nun, wie? Ist's euch gefällig so?
Alle. Wir
kommen, wir kommen!
Wuischatta. Aber
laßt uns erst ein Lied hören, Kinder! He! Taropka Golowan!
Gieb uns das Ußlad's-Lied zum Besten, und wir werden Dir auch
was zum Besten geben. Nun, wird's bald? Fang' an!
Taropka. Gleich,
Bojar, laß mich nur erst die Gurgel ein bischen anfeuchten.
(Nimmt einen Becher mit Wein, trinkt und
singt, ihn in der Hand haltend.)
1.Ußlad, dem Gotte, der Freude, zur Ehr!
Dem Fürsten zum Ruhm und den Göttern allen!
Zechen wir heute und schwanken umher,
Trinken bis wir zu Boden fallen.
Wer ist, der am Wein keine Freude hat?
Wein ist kein Gift, er ist uns das Beste!
Trinkt dies zum frohen Feste!
Trinkt dies dem Gott Ußlad!
Chor Trinkt dies zum frohen Feste!
Trinkt dies dem Gott Ußlad!
Taropka.2.
Schon aus der Väter Zeiten her,
Ist dieser heil'ge Brauch in Ehren –
Und ihr müßt, muntre Burschen, mehr
Als eure Väter, Becher leeren!
Heut trinken wir aus Brauch uns satt,
Und morgen auf des Rausches Reste.
Trinkt dies zum frohen Feste!
Trinkt dies dem Gott Ußlad!
Chor
Trinkt dies dem frohen Feste!
Trinkt dies dem Gott Ußlad!(Als nach Beendigung des
Ußladliedes Alle fortgehen, wird Prostän von Wuischatta
zurückgehalten.)
Wuischatta.
Wart', Prostän! Ich habe Dir ein Wort in's Ohr zu flüstern.
Prostän. Wovon,
Bojar?
Wuischatta.
Hör', was ich Dir sagen will: nicht umsonst führe ich euch zu
Askold's Grabe. – Wer weiß? vielleicht fügt es der Zufall, daß
mir eine dieser Mitternächtigen in die Augen springt. – Es
steht schlecht, Prostän, sehr schlecht! Unserm Großfürsten
geht Alles nicht nach Wunsch! Wenn man ihm jetzt ein frisches,
schönes Mädchen verschaffen könnte, – das wäre eine herrliche
Sache!
Auf jeden Fall nimm fünf oder sechs Kerle von der Schloßwache
mit Dir: es könnte vielleicht geschehen, daß ein schönes Kind
in's Dorf Predißlawina zu schaffen wäre, und da hat man doch
gleich Jemand zur Hand.
Prostän.
Verstehe, Bojar! Verlaß Dich auf mich!
Wuischatta. Nun
so mach' Dich auf den Weg, Prostän. Ich werde die Andern bei
mir aufhalten. Vollführ' Du Deinen Auftrag, und komm' bald
zurück, meinen guten Meth mit uns zu trinken.
Fünfter Auftritt
Veränderung der Dekoration.
Das Theater stellt das Ufer des Dnjepr
dar. Im Hintergrunde, rechts von den Zuschauern, sieht man
durch zerstreut stehende Bäume, gerade am Ufer des Flusses,
die Ruinen eines christlichen Tempels; ein großer Theil davon
ist fast ganz zerfallen. Ganz vorn auf der linken Seite – ein
hoher Hügel; ringsum Wildniß, hinter dem Flusse die
Wiesenflächen des Dnjepr. Die Strahlen des Vollmondes brechen
sich auf dem Wasser. Beim Aufziehen des Vorhanges steht der
Unbekannte am Fuße des Grabhügels, und blickt in die Ferne. Im
Hintergrunde, am Ufer des Flusses, schleichen furchtsam Männer
in einfacher Kleidung und Weiber mit Schleiern verhüllt
vorbei; sie verschwinden in den Trümmern der Kirche. Bei der
Fortdauer der Arie des Unbekannten werden die Fenster des
zerfallenen Tempels erleuchtet.
Der
Unbekannte (auf eine Streitaxt
gelehnt).Bald am hohen Himmelshause
Mond, verlischt Dein helles Licht . . .
Bald naht Mitternacht – die grause!
Aber Wßeßlaw kommt noch nicht! (hält
ein.)
Chor
(kaum hörbar aus den Ruinen her) Vater! Vater, allbarmherziger!
Gott! behüte Deine Kinder!
Der
UnbekannteBald versinkt des letzten Strahles
Roth, es flieht das Himmelslicht,
Bald in Kiew schlummert Alles,
Aber Wßeßlaw kommt noch nicht!
Chor Schütze, wahr' uns, Allerhöchster!
Und behüte uns vor Noth!
Der
UnbekannteSchweig, schweig, Prophetenmund des Herzens!
Warum mit Unglück drohst Du mir?
Warum gießt Du des Zweifels Wirren
In meine wild zerrissne Brust?
Nein, nein! Eh'r fließt der breite Dnjepr,
Sanft wie ein kleines Bächlein hin,
Eh'r fallen Sterne auf die Erde,
Die Sonne sinkt am Mittag eh'r
Als des gewaltigen Askold Enkel,
Zu ew'ger Knechtschaft sich verkauft!
Horch! . . . Wer kommt da! . . . Richtig,
es ist Wßeßlaw!
Sechster Auftritt
Der Unbekannte
und Wßeßlaw.
Der Unbekannte
(ihm entgegen gehend). Nun, das
heißt auf sich warten lassen! Du scheinst nicht sehr begierig
zu sein, zu wissen, wer Deine Eltern waren.
Wßeßlaw. Es war
mir unmöglich früher zu kommen; aber wenn Du wüßtest, mit
welcher Ungeduld . . .
Der Unbekannte
(ihn unterbrechend). Du wünschest
das Geschlecht zu kennen, von welchem Du abstammst? O Wßeßlaw!
Wßeßlaw! es war eine Zeit – und Dein altes Geschlecht, gleich
der stolzen Eiche, ragte gewaltig empor über das ganze
Russenland; Bösewichter haben den Stamm an der Wurzel
abgehauen; er fiel – und stürmische Winde haben seine
zersplitterten Aeste in der Welt zerstreut.
Wßeßlaw. Aber,
wer bin ich eigentlich?
Der Unbekannte.
Bis jetzt noch Diener und Sklav Sswjätoßlaw's . . . Diener und
Sklav! . . . Aber Geduld, Wßeßlaw! Eher wird der klare Don
seine Silberwogen rückwärts wälzen, eher wird man den
mächtigen Adler eine Kohlmeise nennen, als Dich länger Deines
Dienstes bei Sswjätoßlaw rühmen! . . . Du weißt, wen dieser
hohe Grabeshügel bedeckt?
Wßeßlaw. Dies
ist Askold's Grab.
Der Unbekannte.
Aber weißt Du auch, daß Askold Fürst war im großen Kiew? daß
er, durch Meuchelmord getödtet, unter den Streichen
schändlicher Verräther fiel, und daß sein unbeweinter Schatten
Blut fordert? Wßeßlaw! dieser unglückliche Herrscher war Dein
Ahnherr, und seine Mörder waren die Vorfahren Deines Fürsten
und Gebieters.
Wßeßlaw. Wie ist
das möglich?
Der Unbekannte.
Ja! Du bist der einzige Sproß dieses berühmten Geschlechts,
und ich . . . der Enkel des treuen Dieners Deines Ahnherrn,
der Erste der Dir Heil wünscht, Wßeßlaw, rechtmäßiger
Herrscher und Fürst des großen Kiew!
Wßeßlaw.
Unglücklicher! Was redest Du? Ich Fürst sein des großen Kiew!
Ich mich erheben gegen meinen Herrn und Wohlthäter! . . .
Der Unbekannte.
Deinen Wohlthäter!
Wßeßlaw. Ja!
meinen Wohlthäter! Hat Sswjätoßlaw mich nicht gepflegt in
meiner Jugend? Hat er nicht dem heimathlosen Waisen Speise und
Trank gegeben?
Der Unbekannte.
Gedankenloser! Nennst Du den Deinen Wohlthäter, der, Dein
gesetzliches Erbe raubend, Dir wie einem darbenden Hunde ein
Stück Brot vorwirft, getränkt mit dem Blute Deiner Väter! O,
Wßeßlaw, Wßeßlaw! O Kind des Unglücks, das ich auf den Armen
getragen habe! Unmöglich können die erzürnten Götter in Dir
allein auf ewig das Geschlecht der Askolden zur Sklaverei
verdammt haben? . . . Nein, Nein! Ich sehe in diesen edlen
Blicken das Feuer der Rache auflodern! . . . So recht, Wßeßlaw!
Die Rachestunde ist gekommen, Dein Schwert gezogen! . . .
Unglück für Unglück! Blut für Blut!
Wßeßlaw. Nein!
nimmermehr!
Der Unbekannte.
Nimmermehr? . . . O! so wird man der Stunde fluchen, in
welcher Du Sswjätoßlaw's Diener wurdest! Man wird denen
fluchen, die Dich zu einem niedern Sklaven erzogen
haben! . . . Ja, man wird selbst die Götter verfluchen, die
das Herz Dir verstockten! . . . Ja! ich verfluche sie!
Chor
(in den Ruinen).Gelobt sei Gott, wenn er uns rettet!
Gelobt sei er, wenn er uns straft!
Der Unbekannte.
Was ist das? . . .
Wßeßlaw. Hörst
Du nicht? . . . Du verfluchst Deine Götter, sie aber loben den
Herrn – dies sind Christen.
Die
Stimme Nadjéshda'sGelobt sei Gott, wenn er uns rettet!
Gelobt sei er, wenn er uns straft!
Wßeßlaw. Ja,
richtig! Das ist Nadjéshda's Stimme. (Eilt
zu den Ruinen hin.)
Der Unbekannte.
Wahnsinniger! Wohin gehst Du?
Wßeßlaw. Laß
mich, versuchender Teufel! Hier vor dem Tempel des wahren
Gottes entsag' ich auf immer allen meinen Rechten, und schwöre
gläubig und tapfer meinem Wohlthäter zu dienen und Nadjéshda's
Gatte zu werden . . . das ist Alles, wonach meine Seele sich
sehnt. Leb' wohl! – (Geht in die Ruinen.)
Siebenter Auftritt
Der Unbekannte
und bald darauf Wuischatta.
Der Unbekannte.
Er ist gegangen! . . . Unwürdiger Sohn der unwürdigen
Ssudißlawa! Und so bleibt denn kein anderes Mittel! . . . Gut!
Wir werden sehen, ob Du den Wohlthäter nennen und
dem ein treuer Diener bleiben wirst, der Deine Braut
entführt. (Geht auf zu den Ruinen und
blickt durchs Fenster.) Da ist sie! . . . neben
ihm . . . in blauem Schleier . . . O wie sie schön ist!
Wuischatta
(sich umdrehend). Hier, Kinderchen,
hierher! Ei, sind die zurückgeblieben! Aber es scheint doch
junges Volk zu sein! . . . Bah! bah! bah! . . . wer ist das?
Heda! Das ist doch nicht derselbe, der heute bei der
Weleßowischen Kapelle mir versprach . . . ganz richtig! Bist
Du das Bursche?
Der Unbekannte.
Ich bin's, Bojar!
Wuischatta. Nun,
wie steht's, Lieber? Wann wirst Du Dein Wort halten, und mir
jene wunderbare Schönheit zeigen, vor welcher alle unsere
Predißlawinischen Schönen verschwinden, gleich wie die Sterne
vor der rothen Sonne?
Der Unbekannte.
Wann? . . . Gleich, wenn Du willst.
Wuischatta. Wie
sollt' ich nicht wollen! . . . Je eher je lieber. Wo ist sie
denn?
Der Unbekannte
(auf die Ruinen zeigend). Sieh
hier!
Wuischatta. Aha!
So ist sie eine Christin?
Der Unbekannte
(ihn zu den Ruinen führend). Siehst
Du das Mädchen dort im blauen Schleier?
Wuischatta. Ich
sehe, ich sehe! Nun, wahrhaftig, Bruder, das ist was
Prächtiges! Welch' ein schönes Kind! Aber weshalb kommen meine
Burschen noch nicht!
Finale.
Chor
(in den Ruinen)Lob sei und Dank Dir, Allerhöchster!
Du unser Schirm und unser Hort!
Lob Dir und Ehre, Allerhalter!
Der Himmel, Erd und Sonne schuf!
Chor
der Krieger (hinter den
Koulissen)Trinkt dies zum frohen Feste!
Trinkt dies dem Gott Ußlad!
Wuischatta
(ihnen entgegen gehend). So geht
doch schneller, Brüder!
Achter Auftritt
Alle Personen des ersten Auftritts,
ausgenommen Stemid.
TaropkaHeut trinken wir aus Brauch uns satt,
Und morgen auf des Rausches Reste!
Chor
der KriegerTrinkt dies zum frohen Feste!
Trinkt dies dem Gott Ußlad!
Chor
(in den Ruinen)Lob sei und Dank Dir, Allerhöchster!
Du unser Schirm und unser Hort!
FrelaffIch bin von euch der Kühnste –
Ich führ' euch vorwärts! nach!
Doch wer nicht mit uns kommt,
Der, Brüder, muß sich schämen!
ChorDoch wer nicht mit uns kommt,
Der, Brüder, muß sich schämen!
FrelaffDoch um es sicherer zu nehmen,
So geh'n wir allesammt hinein . . .
Folgt, Freunde, macht's wie ich es mache!
WuischattaWas? . . . ihr verderbt die ganze Sache!
Wir scheuchen so das Vögelein.
Frelaff (zugleich mit dem Chor)Kühn, Freunde, folgt nur meinen Schritten,
Die Schöne wird uns nicht entgehen!
Chor
(zugleich mit Frelaff)Kühn, Freunde, folgt nur seinen Schritten,
Die Schöne wird uns nicht entgehen!
(Aus
den Ruinen kommen Männer und Frauen.)
WuischattaMacht kein Geräusch! geht sachte!
Seht, was der Lärmen machte –
Sie hörten's, laufen fort!
Chor
und FrelaffSeht, was der Lärmen machte!
Sie laufen davon! . . .
Auf, folgt ihnen schneller,
Haltet sie, haltet sie!
(Frelaff
und die Hälfte der Krieger laufen an's Ufer
des Dnjepr den aus dem Tempel Kommenden nach.)
Wuischatta
(für sich)Wir gehn umher am Ufer hier;
Und was wir suchen, finden wir.
(Zu den Kriegern.)
Sachte, sachte! geht doch leise!
Suchet rings umher im Kreise!
ChorSachte, sachte! geht doch leise!
Suchet rings umher im Kreise!
Wuischatta (leise zu Prostän)Du hast vor Allen den Befehl –
Drum eile fort und bring' sie schnell!
Allgemeiner ChorSachte, sachte! geht doch leise!
Suchet rings umher im Kreise!
(Gehen links ab und
verbergen sich in den Ruinen.)
Der
Unbekannte (hinter dem
Grabhügel herkommend, wo er verborgen war).Sie sind davon! . . . Nun wird sich's zeigen, Freund,
Wie Du Fürst Sswjätoßlaw jetzt nennen wirst!
Prostän (in den Ruinen)Auf fürstlichen Befehl . . .
Wßeßlaw (ebendaselbst)Fort!
Der Unbekannte.
Dort ist, täuscht mich's nicht, der Klang von
Schwertern! . . . Vorwärts, Wßeßlaw!
Wßeßlaw
(in den Ruinen). Stirb, Bösewicht!
Chor
der Krieger (ebendaselbst)Auf, haltet den Mörder!
Ergreifet den Wßeßlaw!
Chor
der Frauen (ebendaselbst)Eilt, Kinder! geschwinder!
Hier läßt man uns nicht!
Wßeßlaw
(kommt aus den Ruinen gelaufen, das
Schwert in der Hand). Ich, Mörder? Meine Braut ist mir
geraubt – Alles ist hin! . . .
Der Unbekannte
(ihn bei der Hand fassend). Nicht
so! . . . Du lebst noch – und wir retten Nadjéshda!
Wßeßlaw. Können
wir?
Der Unbekannte.
Ja, ja! (bei Seite.) Jetzt bist Du
mein!
Taropka (in großer Eile).So rettet! so rettet!
Und holt sie doch ein?
(Wßeßlaw und der
Unbekannte gehen ab.)
Neunter Auftritt.
Alle früheren
Personen.
WuischattaIhr, eilet zur Rechten,
Ihr, laufet zur Linken!
Den Bösewicht greifet,
Und bringt ihn mir her!
ChorAuf Freunde und suchet,
Den Mörder Prostän's!
Und führt ihn zum Fürsten
Schnell ohne Verzug!
FrelaffDer Prahler, der Räuber!
Das Bürschchen, der Schalk!
WuischattaWir finden den Mörder,
Wir rächen Prostän . . .
Der Mörder stirbt morgen
Durch's Richtbeil dahin!
ChorWir finden den Mörder,
Wir rächen Prostän . . .
Der Mörder stirbt morgen
Durch's Richtbeil dahin!
Ende des zweiten Aufzugs.
Dritter Aufzug.
(Das Theater stellt den innern Hof des
Dorfes Predißlawina vor. Im Hintergrunde ein großes Gebäude
mit Erkern, verdeckten Durchgängen und Erkerzimmern. Links im
Vordergrunde ein Haus, dessen eine Seite einem Lustwäldchen
zuläuft, das vom Hofe durch eine steinerne Mauer getrennt ist,
auf welcher der Wächter hin und her geht. Beim Aufziehen des
Vorhangs sieht man auf dem Balkon des mittlern Gebäudes eine
Menge Mädchen sitzen und stehen.)
Erster Auftritt.
Mädchen,
bald darauf Bußlajewna und
Nadjéshda.
ChorAch! wie traurig ist's, das ganze
Jahr so eingesperrt zu sein!
Aus den Mauern kann das Auge
Kaum die breiten Felder sehn! . . .
Selbst Gesang macht uns nicht fröhlich:
Nur aus Kummer singen wir!
Früh zum Kummer schon erlesen,
Leben wir voll Gram dahin!
Warum, unglücksel'ge Wesen,
Sind wir aus der schönen Welt!
Selbst Gesang macht uns nicht fröhlich:
Nur aus Kummer singen wir!
(Aus dem Vorderhause
kommen Bußlajewna und Nadjéshda.)
Bußlajewna.
Komm, mein weißes Schwänchen, komm! Es ist hier etwas
windig! . . . Nun hör auf, Dich zu grämen, mein
Schwälbchen! . . . Man sagt, daß unser Herr, der Großfürst,
bald hieher kommen wird, um sich mit der Falkenjagd zu
vergnügen, und wenn er Dich sieht, meine Schöne, so wird er
gewiß ganz von Dir bezaubert sein.
Nadjéshda. Wie!
ihr werdet mich dem Fürsten Sswjätoßlaw zeigen?
Bußlajewna.
Glaubst Du denn, wir werden Dich vor ihm verstecken? Ach, Du
einfältige Närrin! Hat man Dich deshalb hieher gebracht, in's
Dorf Predißlawina, daß Du Dich Niemandem zeigen sollst? Nein,
meine Freude! Mau vergräbt wohl Schätze in die Erde, aber
nicht solche.
Nadjéshda.
Barmherziger Himmel!
Bußlajewna. Was
hast Du, was hast Du, Kindchen! . . . Bist Du bei
Verstande! . . . Darum zu weinen, daß man Dich dem Großfürsten
zeigen will! . . . Hör doch auf, Herzchen! Wer kann wissen, ob
sich unser Herr nicht in Dich verliebt, und Dich vielleicht
gar würdigt seine Gemahlin zu werden? . . . Wenn er befiehlt,
Dich unsere Großfürstin zu nennen . . .
Nadjéshda. O!
ich will Nichts! Mütterchen, Mütterchen! nimm mich zu Dir!
Bußlajewna.
Hör', meine Schöne! Wenn Du willst, werden wir auch Deine
Mutter hierher bringen . . . sag' nur wo ist sie?
Nadjéshda. Wo
sie ist? . . . O! sie ist da, wo weder Kummer, noch Thränen,
noch Leiden sind . . . wo Niemand mir wehrt, meinen Wßeßlaw zu
lieben! . . .
Bußlajewna.
Wßeßlaw . . . Nun sehe einer! Wßeßlaw! . . . Ach, Du
wunderliches Mädchen! Soll ich Dir noch lange sagen, daß Du
Dich nicht unterstehst, an diesen Trotzkopf zu denken, der es
gewagt, gegen einen Angestellten der Hofwache die Hand zu
erheben, und die Frechheit hatte, dem ersten Beamten des
Großfürsten, unserm Bojar Wuischatta, zu widersprechen! . . .
Hör' Du kleine Widerspenstige! wenn Du nicht aufhörst zu
blärren und so närrisches Zeug zu schwatzen, so werden wir
Dich schon bei Seite schaffen, mein Täubchen, weißt Du wohin?
In die Küche, oder in's Waschhaus . . . Willst Du nicht selber
Herrin sein, so werden wir Dich zur Erbmagd machen.
Nadjéshda. O,
bitte! erzeig' mir die Gnade! erfülle Dein Versprechen!
schick' mich wohin Du willst, ich will dienen wo es Dir
gefällig ist, ich kenne verschiedene Handarbeiten, kann in
Gold und Seide sticken; ich werde Alles thun was man mir
befiehlt – werde arbeiten vom Morgen bis zum Abend; des Nachts
weben, werde mich zur Sklavin eurer Sklaven machen: nur zeig'
mich dem Fürsten Sswjätoßlaw nicht . . . O! sei großmüthig!
schlag' mir dieses nicht ab – und ich werde ewig Gott für Dich
bitten! . . .
Bußlajewna. Die
liebe Einfalt! . . . Man sieht, sie ist vor Schrecken ganz von
Sinnen gekommen! . . . Sei still, sei still, mein klagendes
Vögelchen! Wart nur ein bischen, wenn Du Dich erst an unsre
Lebensweise gewöhnt hast, so wird es Dir schon selbst
gefallen. Ach! daß ich Dich auch mit nichts erfreuen kann,
mein betrübtes Kuckuckchen! . . . Warte, wart'!
(Man hört die Stimme des singenden Taropka.)
Ist das nicht gar unser Lustigmacher? Ganz richtig, er ist
es! . . . Wart' hier meine Schöne! Ich werde Dir ein solches
Singvögelein herbringen, daß Du gewiß zuhören wirst.
(Geht ab.)
Zweiter Auftritt.
Nadjéshda
(allein).
Und so ist alle meine Hoffnung, wie ein
Traum dahin! . . . Ich bin schon lange mit Kummer vertraut
gewesen . . . aber mich auf immer von Dir zu trennen, mein
Geliebter! . . . Wßeßlaw, Wßeßlaw! . . . o hätte ich Dich nie
gekannt! . . .
Arie.
Freundlich, freundlich strahlet die Sonne,
Alles jauchzt in ihrem Licht:
Nur allein ich Unglückselige
Kenne Glück und Freude nicht!All' mein Leben ich hier
Unter Kummer verweine:
Der Liebste, der Meine,
Kommt nicht mehr zu mir!
Nicht länger mehr nehm' ich
Den Weg zum Empfang!
Nicht länger vernehm' ich
Des Schmeichelmunds Klang!
Vergebens ersehnt ich
Ein schöner Loos mir:
Das Schicksal, ach! trennt mich
Auf immer von Dir!
Nur ein einzig Liebeszeichen –
Ach! wie glücklich würd' ich sein!
All mein Kummer würde weichen,
Hoch sich meine Seele freun!
Ob das Schicksal uns geschieden,
Dein, Freund, bleib' ich immerdar:
Nie war Liebe wohl hienieden,
Heiß wie meine Liebe war . . .
Was beut jetzt mein Schicksal dar?
All mein Leben ich hier
Unter Kummer verweine:
Der Liebste, der Meine
Kommt nicht mehr zu mir!
Nicht länger mehr nehm ich
Den Weg zum Empfang!
Nicht länger vernehm ich
Des Schmeichelmunds Klang!
Vergebens ersehnt ich
Ein schöner Loos mir:
Das Schicksal, ach! trennt mich
Auf immer von Dir!
Dritter Auftritt.
Nadjéshda,
Bußlajewna und
Taropka.
Komm her, komm her, mein blaues Täubchen!
Nadjéshda
(Taropka erblickend). Ach!
(Taropka giebt ihr ein
Zeichen zu schweigen.)
Bußlajewna. Was
hast Du, meine Schöne?
Nadjéshda. O,
Nichts, Mütterchen . . . Ihr seid plötzlich auf mich
zugekommen – und da hab' ich mich erschrocken.
Bußlajewna. Nun,
sieh hier, Taropka, unsern neuen Gast! Komm, sing' etwas, sie
aufzuheitern; nur mach' Deine Sache gut, lautschnäbliches
Nachtigällchen!
Taropka. Gut,
Mütterchen Bußlajewna, wir werden singen, und wenn Du schönes
Kindchen, – Deinen Namen kenn' ich nicht, – lustige Lieder
liebst, so wird Dir mein Gesang zu Herzen gehen . . . Womit
soll ich anfangen? . . . Wart'! (singt.)
Weine nicht, weine nicht, Du mein liebes Kind!
Netze Dein Gesicht nicht mit Thränen!
Nicht verschwand und es lebt noch Dein Herzensfreund . . .Bußlajewna. Ei,
hör' doch auf! Was ist das für ein Lied! . . . Das wird sie ja
traurig machen . . . Nicht wahr, meine Schöne? . . .
Nadjéshda. Nein
Mütterchen, das Lied gefällt mir.
Taropka. Wenn Du
willst, Bußlajewna, sing ich Dir ein anderes Liedchen. Nur
unterbrich mich nicht wieder, oder ich werde gar nicht mehr
singen. Nun hört zu!
LiedHorch, wie weht, weht sanft der Wind
Zischend, leise durch's Gehölz;
Durch's Gebüsche rauscht er her,
Durch die Blätter säuselt er,
Durch die Wiesen fliegt er brausend hin . . .
Bald haucht er uns sanfte Kühle zu,
Pfeift bald wie die Nachtigall –
Der Geliebten trägt er Kunde her
Von dem treuen Herzensfreund,
Und er flüstert ihr in's Ohr:
»Traurig, traurig war dem braven Bursch,
»Sein Genoß hat ihn erlöst!
»Fürchte Dich nicht, Du meine Freude,
»Gräm' Dich, meine Schöne, nicht . . .
»Es erspäht der Bösewicht
»Mich und meinen Schutzort nicht!«
Bußlajewna. Hör
auf Taropka, schweige still! – Auch dieses Lied ist mir nicht
nach dem Herzen . . . Was ist da wohl Gutes drin?
Nadjéshda
(bei Seite). Er lebt! . . . O! ich
danke Dir Allerhöchster!
Taropka. Was
Gutes darin ist! . . . O! . . . Sing doch selbst, wenn Du es
besser verstehst!
Bußlajewna. Nun,
werde nur nicht gleich ärgerlich!
Taropka.
Aergerlich oder nicht ärgerlich, aber ich werde nicht mehr
singen.
Bußlajewna. Ei,
was hast Du denn, meine rothe Sonne! . . . Nun, bitte, bitte,
sing noch Eins vor!
Taropka. Nein,
Mütterchen, sing Du selbst.
Trio.
Bußlajewna.Zürne nicht, laß noch Eins klingen!
Was Du willst, ich leih' mein Ohr.
TaropkaNein, ich singe Nichts mehr vor!
BußlajewnaEi, doch Freund! . . .
TaropkaIch will nicht
singen!
NadjéshdaWie mich Furcht und Angst durchfliegt?
BußlajewnaUnd ich liebe Dich so innig! . . .
TaropkaEwig herzlich dankbar bin ich;
Aber singen will ich nicht.
Nadjéshda (bei Seite)Lebst Du, meine Augenweide! . . .
Dank dem ew'gen Gott dafür!
BußlajewnaEin Kaftan von Gold und Seide,
Freund, wird zur Belohnung Dir.
Wie ein Herr im schmucken Kleide
Gehst Du dann, nicht mehr so schlicht . . .
TaropkaDanke schönstens für die Freude,
Aber singen will ich nicht!
BußlajewnaSüßes Bier und Grütze biet' ich
Dir, daß es an Nichts gebricht . . .
TaropkaMütterchen, bist gar zu gütig;
Aber singen will ich nicht!
BußlajewnaZürne nicht mehr, laß Eins klingen!
Sing doch, Freund!
TaropkaIch will nicht singen!
BußlajewnaSing, wie's von der Zunge bricht;
Was Du willst . . .
TaropkaIch singe nicht!
(Zugleich mit Bußlajewna und
Nadjéshda:)
Wenn mein Lied Dir so gefallen,
Warum störst Du mich darin?
Bußlajewna (Zugleich mit
Taropka und Nadjéshda:).Solch' ein Lied gefällt wohl Allen!
Und ich schwatzte nur so hin!
Nadjéshda (Zugleich mit
Bußlajewna und Taropka:).Plötzlich welche Hoffnungsstrahlen!
Ganz betäubt ist noch mein Sinn!
Bußlajewna. Nun
sei doch nicht mehr böse! sing uns noch Etwas vor!
Taropka. Nein,
nein! für Nichts in der Welt!
Bußlajewna. Ei,
was für ein eigensinniger Waldteufel!
Taropka. Aergere
Dich nicht darüber, so bin ich von Kindesbeinen an gewesen.
Aber was das für ein hübsches Liedchen ist! Ich habe euch nur
den Anfang vorgesungen; aber da wird noch erzählt, wie ein
schönes Mädchen am Fenster sitzt, und ihres Geliebten harrt;
wie er am Abend zu ihr kommt, sie zu befreien, wie er sie aus
dem hohen Thurme entführt und mit ihr ans Ende der Welt
flieht . . . Aber wie das Ende hübsch ist! – Das Ende! Ach,
was da Alles erzählt wird! . . . Aber Du wolltest es ja selbst
nicht hören . . .
Bußlajewna. Aber
wer konnte denken, daß Du ein so gefühlloses Ungeheuer
bist! . . . Und dann ist auch viel Unwahrscheinliches in
Deinem Liede! Da prahlt er und macht sich groß, als ob er ein
Ssolowéi Budimirowitsch wäre! . . . Aber was ist an dem
Liede? . . . Unsinn! . . . Komm mein Täubchen! . . . Die Sonne
ist schon untergegangen – es ist Zeit zu Hause zu gehen . . .
Nun seh' einer diesen Bojaren an! Der Kerl thut als ob er
nicht hören wollte! . . . Nun was kneifst Du die Zähne so
zusammen? Kerle wie Du bist, sind genug zu finden, es treiben
sich viele hier umher! . . . Worauf wartest Du? Komm mein
Kindchen! Aber hüt' Dich wieder so zu heulen, sonst werd' ich
Dich mit der Faust zur Ruhe bringen! (Geht
ab mit Nadjéshda.)
Vierter Auftritt.
Taropka und
der Wächter auf der Mauer.
Taropka. Wßeßlaw
ist wahrscheinlich schon lange dort im Walde – Nun, der Plan
ist gemacht, aber wie auszuführen? Ich glaube, Nadjéshda hat
mich verstanden . . . Aber da steht der verdammte Wächter im
Wege . . . Das ist ein Staar im Auge! . . . Heda, Kamerad!
Der Wächter. Was
willst Du?
Taropka. Nichts,
Lieber! Ich wollte Dich nur fragen ob es Dir nicht Langeweile
macht, so in Eins fort auf und ab zu gehen?
Der Wächter. So
ist's befohlen.
Taropka. Und
auch des Nachts?
Der Wächter. Des
Nachts gehen wir unserer zwei.
Taropka. Oho! .
. . verdammt! (ein Fläschchen aus der
Tasche ziehend.) Wie wär's, Kamerad, wenn Du auf ein
Stündchen herunterstiegest? wir könnten ein Schlückchen
zusammen genießen!
Der Wächter.
Danke, ich trinke nicht.
Taropka. Du
trinkst nicht! . . . Ha, ich merke!
Fünfter Auftritt.
Dieselben.
Wuischatta,
Ssadko, Jurka,
Diener,
Arbeiter und Arbeiterinnen;
unter Letztern einige Alte.
Wuischatta
(zu den Dienern). Hört ihr Brüder!
Und ihr Alle, Ammen, Aufseherinnen und Arbeiterinnen! Morgen
mit Tagesanbruch kommt unser gnädiger Herr, Großfürst
Sswjätoßlaw Igorowitsch, hierher in's Dorf Predißlawina, um
sich mit der Falkenjagd zu vergnügen. Seht zu, daß Alles
hübsch ordentlich, rein und aufgeräumt sei, daß nirgends Staub
und Schmutz zu finden . . . Sieh da! . . . Taropka Golowan! . . .
Bist Du hier? . . . Was hat Dich hieher getrieben?
Taropka. Ach,
ich habe mich gelangweilt, Väterchen! Wie lange habe ich eure
Gnaden nicht gesehen?
Wuischatta.
Danke Bruder! . . . Komm zu mir einen Augenblick.
(Tritt etwas vor mit Taropka.)
Hör', Taropka! Hat man Dir nicht erzählt, was für Streiche der
fürstliche Edelknabe Wßeßlaw gemacht hat?
Taropka. Ja, ich
hab' es gehört, Bojar, und konnte mich nicht genug darüber
wundern! . . . Was für ein toller Teufel! . . .
Wuischatta.
Schon über vier und zwanzig Stunden sucht man ihn, und
nirgends ist er zu finden . . . Du treibst Dich überall umher,
Taropka – hast Du nicht irgendwo gehört, wo er sich versteckt
hält?
Taropka. Nein,
Bojar, ich habe Niemanden nach ihm gefragt . . . Was kümmert
mich überhaupt die Sache!
Wuischatta. Ha,
was schwatzest Du da? Es scheint, Du liebst ihn sehr?
Taropka. Wie
soll ich mich ausdrücken, Eure Gnaden, ich hätte eben keinen
Grund ihn zu lieben, da er mir nicht viel Liebes erwiesen hat;
meine Lieder gefielen ihm nicht – und ich habe in meinem Leben
kein freundliches Wort von ihm gehört. Auch liegt mir wenig
daran: wer reich ist und freigebig – meine Lieder gern hört
und sein Geld nicht spart, ist für mich freundlich; aber wer
freundlich ist, den lieb ich auch.
Wuischatta. Wo
der Kerl wohl steckt! . . . Es ist als ob er durch die Erde
gefallen wäre! . . . Aber wir werden Dich schon finden, Du
Räuber! Ueberall sind Eilboten hingeschickt; und wenn er sich
irgendwo in der Umgegend von Kiew aufhält, so werden wir ihm
bald auf die Spur kommen. Ich habe eine alte Freundin Namens
Wochraméjewna; man sagt, sie sei eine Hexe und ich glaube es
selbst . . . Die kennt alle Herzensgeheimnisse! . . . Wenn man
heute den Wßeßlaw nicht auffängt, so gehe ich morgen selbst zu
ihr – und sie wird mir mit dem Finger zeigen, wo er sich
verkrochen hat, selbst wenn es auf dem Grunde des Meeres
wäre . . . Aber, sieh da! die Sonne ist schon ganz
untergegangen. Geht nachzusehen, ob im fürstlichen
Schlafzimmer Alles in Ordnung ist. Wer weiß, ob unser gnädiger
Herr, der Großfürst, hier nicht vielleicht übernachten wird.
Aber Du, Taropka, unterhalt das Hofgesinde, bis ich Dich zu
mir rufen lasse.
Taropka. Gern,
Bojar! Es freut mich immer, wenn ich so guten Leuten ein
Vergnügen machen kann.
(Wuischatta geht ab.)
Sechster Auftritt.
Taropka,
Ssadko (ein häßlicher, buckliger
Alter), Jurka und die Uebrigen.
Taropka. Nun wie
steht's, Kinderchen? Wollt ihr ein Lied hören, oder soll ich
euch ein Märchen erzählen? . . . Bah, bah, bah! Sieh da, mein
Herzensfreund, Herr Ssadko! Hübsch gesund und munter? Komm
Bruder! (zieht ihn bei der Hand vorwärts.)
Laß Dich ein bischen liebäugeln! Wo werden wohl solche
Schönheiten geboren?
(Alle lachen.)
Ssadko
(unterbrechend). Pack Dich von
hier, Spaßvogel! . . . Spaße mit denen, die mit Dir spaßen.
Taropka. Nun,
werde nur nicht böse, meine rothe Sonne!
Jurka. Was für
ein Krakehler der Kerl ist! Erst ist er ganz ruhig, – da
plötzlich versetzt er Dir Einen! Und immer macht er sich an
Dich! –
Ssadko. An mich?
. . . Ach, du verfluchter Jodler! Sieh Dich vor, daß ich mich
nicht an Deinen Rücken mache!
Taropka. Sich an
meinen Rücken machen, ist nicht schwer, mein Lieber, Du kannst
darauf spazieren gehen wie auf dem Felde; aber an Deinen wird
sich selbst der Teufel nicht so bald machen: da Du von hinten
und vorn ein Verhack hast!
Ssadko. Nimm
Dich in Acht, Hanswurst!
Jurka. Nun,
ruhig, ruhig! Was habt ihr, Brüder! . . . Rühr' ihn nicht an,
Taropka! Das ist ein unruhiger Gast! Erzähle uns lieber ein
Märchen.
Taropka. Gern,
Lieber; –. dazu braucht es nicht viel Umstände, wenn ihr nur
zuhört! Aber drängt euch nicht so zusammen da, Brüder! Stellt
euch, das Gesicht mir zugekehrt, hierher auf die Seite . . .
So ist's gut. (Stellt sie Alle an die
Mauer.) »Ueberredung wirkt besser als Geld«. Nun
paßt auf, wenn ihr hören wollt!
Jurka. Still,
still! hört auf zu lärmen!
Taropka
(nimmt die Balaleika und greift darauf
einige Akkorde). Tram! Tram! Tram! O ihr lustigen
Burschen mit greisem Haar! Ich habe ein Märchen für euch,
wovon die Alten sagen, es sei eine wahre Geschichte; mir hat's
eine gelehrte Katze erzählt, der es vom Fuchse zugeflüstert
wurde. Nun hört meine Geschichte, ihr guten Leute, und
Burschen und schönen Mädchen! (Sich zu
einer Alten wendend.) Aber Du alte Großmutter,
liebäugele nicht mit jungen Burschen! Meine Geschichte kannst
Du hören, aber wirf mir keine verstohlenen Blicke zu!
(Alle lachen.)
Die Alte. O, Du
unverschämter Kerl! . . . Was der Einem wohl nachsagen möchte!
Taropka. Soll
ich euch erzählen, Kinderchen, wie der brave Bursche Wßemil,
seine Geliebte, die holde Jungfer Ljubaschenka, aus den
Schurkenhänden des Slavischen Bojaren Karatschun
befreite, der sie durch Hinterlist entführt hatte, und sie mit
Gewalt heirathen wollte? (Sich zu dem
Wächter wendend.) Heda, Kamerad! Hör' Du auch mein
Märchen mit an! Es wird Dir nichts ausmachen, uns das Gesicht
zuzuwenden, und ein Stündchen stille zu stehen.
Der Wächter
(sich zu Taropka wendend und auf seine
Pike lehnend). Gern, mein Lieber, ich höre gern Märchen
erzählen.
Taropka. Nun,
wenn Du so etwas gern hörst, so gieb Acht, Bursche, sieh her
und sperre nicht nach allen Seiten hin das Maul auf!
(Fährt mit den Fingern durch die Saiten
der Balalaika.) Tram tram! tram! Das Märchen fängt an
von weissagenden Affen von Jagd und Geschossen, von
ritterlichen Fahrten – aber dies ist noch das Märchen nicht,
sondern nur das Vorspiel; das Märchen kommt nach . . . Nun,
horcht auf! . . .
Finale.
Chor Stellt rund euch hin im Kreis!
Merket auf, was er spricht,
Und seid friedlich und leis!
Redet nicht, lärmet nicht!
TaropkaStolz auf steilen Bergeshöhen,
Unfern einer Slavenstadt,
Lag die Wohnung des Bojaren,
Des gewalt'gen Karatschun.
In des Terem's Raum verschlossen,
Seufzt ein schönes Mägdelein;
Und vor Kummer und vor Thränen
Will die Arme fast vergehn.
Chor Ei, das Märchen wird gar schön!
TaropkaEinst, am warmen Sommerabend
Kummerschwer, mit trübem Blick,
Saß Ljubascha, die verwaiste,
Spät allein am Fenster noch.
Und sie weint – und ihre Thränen
Rollen wie des Gießbachs Fluth . . .
Doch sie seufzt und klagt vergebens,
Ihrem Herzen wird nicht Ruh!
Chor Stille, stille, hört doch zu!
(Im
Terem wird auf der Seite des Wäldchens ein Fenster
geöffnet;
hinter demselben erblickt man Nadjéshda.)
Taropka.Und ihr Blick schweift nach der Gegend,
Wo ihr treuer Wßemil wohnt –
Ferne, hinterm See des Ilmen
Wohnt er, blieb er ohne sie!
Schon der Sommer geht zu Ende,
Keine Kunde kommt von ihm. –
Ob er wohl der Braut vergessen,
Eine Andre ihn umschlingt!
Chor Wie die Stimme golden klingt!
TaropkaBald ist's Mitternacht – die Thräne
Rollt vom wachen Angesicht;
Plötzlich schallt's wie Hufgedröhne . . .
Ja . . . er ist's . . . sie täuscht sich nicht!
Und er naht sich, sondern Weilen
Sprengt er auf das Häuschen los . . .
Nirgends Licht . . . nur Wölfe heulen
In den Schluchten, 's bäumt sein Roß.
Jetzt hört zu, Brüder! Laßt Euch kein Wort
entgehen! . . .
Chor Stellt Euch rund hin im Kreis!
Merket auf, was er spricht,
Und seid friedlich und leis!
Redet nicht, lärmet nicht!
Taropka. Der
brave Bursch' schaut rings umher . . . Alles still! Er geht
auf zum Fenster und giebt das verabredete Zeichen – so: eins –
zwei – drei (schlägt die Hände zusammen
und in derselben Minute erscheint Wßeßlaw hinter der Mauer und
setzt eine Leiter an den Terem, Nadjéshda steigt aus dem
Fenster, er empfängt sie, steigt mit ihr herunter und Beide
verschwinden hinter den Bäumen. Alles dieses geschieht,
während Taropka sein Lied singt.)
Horchet auf! Horchet auf!
Plötzlich noch zwei andere Krieger,
Brave Bursche, zeigen sich . . .
Setzen auf zum Teremfenster
Eine hohe Leiter an.
Der Bojar! der schläft schon lange,
Seine Diener – schlafen auch,
Nur der Wächter steht noch oben,
Und er murmelt vor sich hin.
Sieh, da bellten laut die Hunde –
Und es wachte Karatschun . . .
Sieh, sein Auge sucht Ljubascha . . .
Fort! . . . O Unglück . . . suche nur!
Schnell zu Pferde – zur Verfolgung . . .
Doch man findet keine Spur.
Ist der Sommer hin, geht Keiner
Beeren suchend mehr zum Wald.
Chor
Welch' ein Lied! nun endet's bald.
Ja! Ja!
Ist der Sommer hin, geht Keiner
Beeren suchend mehr zum Wald!Jurka
Und so sind sie hinausgestiegen?
Taropka
Hinaus.
Ssadko
Der Wächter sah sie nicht?
Taropka
Der wandte sein Gesicht.Der
Wächter
Hör', Freund! der Spaß macht mir Vergnügen,
Das war gewiß ein Kerl von Stroh?
Taropka
Wahrscheinlich so!Jurka
Wie aber war des Spaßes Ende?
Taropka
Wßemil hat sie befreit; sie reichten sich die Hände;
Drauf führt er sie nach Haus,
Lud seine Freunde ein – gab einen großen Schmaus!
(fängt an zu tanzen.)
Und es kreisten voll Weines die Becher rund!
Und es tanzten am Hügel die Zecher rund!
Hei! ho! immer so!
Rund herum im Kreis!
Cho
Hei! ho! immer so!
Rund herum im Kreis!
Taropka
Die Väter tanzten mit krummen Knieen,
Alte Weiber waren in Schminke!
Hei! ho! immer so!
Rund herum im Kreis!Chor
Hei! ho! immer so!
Rund herum im Kreis!Siebenter Auftritt.
Dieselben
und Bußlajewna.
BußlajewnaAch! wenn ich sie nicht finde,
Wie wird es mir ergehn!
Chor Sag'! Mütterchen, geschwinde,
Was ist mit Dir geschehn?
BußlajewnaO! Unglück, Unglück wird mir drohen!
ChorWeshalb?
BußlajewnaNadjéshda ist entflohen!
ChorNadjéshda ist entflohen?
BußlajewnaSie ist davon, davon!
Chor
(zugleich mit Taropka).O, Unglück, Unglück! O, wer hatte
Von uns geahnt, daß so sich's lenkt!
Der hämische Bojar Wuischatta
Befiehlt, daß man uns Alle hängt!
Taropka (zugleich mit dem Chor,
für sich).O, Unglück, Unglück! O, wer hatte
Gedacht, daß sie so hart bedrängt!
(laut.)
Sie ist verrückt, die alte Ratte,
Und hat nur Unsinn ausgesprengt!
Achter Auftritt.
Dieselben
und Wuischatta
Wuischatta.
Welch Lärm, daß mir die Ohren schallen?
Chor.
O, welch ein Unglück! welche Noth!
Wuischatta.
Was soll das . . . Was ist vorgefallen?
Chor.
Uns Allen drohet schon der Tod!
Wuischatta (zu Bußlajewna).
Nun, Alte, kann ich Dich nicht fragen
Was deutet dieser Lärm, dies Schrein?
Bußlajewna.
Nein, nein! Bojar, ich kann's nicht sagen,
Was sich hier zugetragen, nein!
Wuischatta.
Sogleich sagt mir des Vorfalls ganzen Lauf!
Sonst, ich befehl's, hängt man euch Alle auf!
Chor.
Was, Brüder, nützt das Schweigen uns?
So wisse denn: Nadjéshda ist entflohen!
Wuischatta (erschrocken).
Nadjéshda ist entflohen? . . .
Bußlajewna (auf den Knien, schluchzend).
O, Unglück wird mir drohen!
Chor.
Verderben droht uns Allen!
Taropka.
O, Unglück, Unglück! o wer hatte
Gedacht, daß sie so hart bedrängt!
Wuischatta (in Wuth).
Haha! jetzt fängst Du an zu winseln!
(zu den Arbeitern.)
Gleich findet sie mir auf, sonst droht euch sicherlich
Der Tod, mit euch werd ich kein Mitleid haben!
(zu Bußlajewna.)
Dich, alte Krähe, lasse ich
Lebendig in die Erde graben!
Chor
(zugleich mit Wuischatta).
Kommt, Kinder, geschwinde, macht hurtig, kommt
schnelle,
Daß man sie augenblicklich fängt!
Und Herr Wuischatta nicht zur Stelle
Befiehlt, daß man uns Alle hängt!
Wuischatta (zugleich mit dem
Chor)
Macht, Kinder, geschwinde, und sucht sie mir schnelle!
Und Geld wird euch dafür geschenkt.
Wo nicht, befehl' ich auf der Stelle,
Daß man euch allzusammen hängt!
Ende des dritten Aufzugs.
Vierter Aufzug.
(Das Theater stellt das Innere einer alten
Hütte vor; in einem Winkel steht ein großer Besen; auf einem
Wandbrette sitzt eine große Eule; auf dem Tische eine
rauhharige Katze; in der Mitte der Hütte, über einem eisernen
Feuerbecken, hängt ein Kessel, davor steht Wochraméjewna und
rührt darin mit einem langen Schöpflöffel.)
Erster Auftritt
Chor
der unsichtbaren Geister
Gift, koche und siede
Den Menschen zur Noth!
Bring' Fremden Verderben,
Doch uns nicht den Tod!
Melodrama
Wochraméjewna.
Höret mich! Hört!
Hundert Worte hab' ich,
Einen Spruch dazu;
Von den hundert sind
Drei Worte mir verbotene . . .
Wenn Eins ich raun' –
Wälzt schnell die Erde sich rund;
Sagt das Andre mein Mund –
Taumeln die Sterne, die leuchtenden;
Aber murml' ich das Dritte,
Und überspringe dann
Zwanzig Messer scharf, –
Auch die Sonne verfinstert sich!
Höret mich! hört!
Chor der unsichtbaren Geister.
Gift, koche und siede,
Den Menschen zur Noth!
Bring' Fremden Verderben,
Doch uns nicht den Tod!
Wochraméjewna.
Nun, bald ist's fertig! Genug um halb Kiew zu verderben . . .
Bitte bestens! – Wer Lust hat, trete herein – bereit mit
unserer Mischung zu dienen! Jetzt brauchen wir's blos noch zu
besprechen und Alles ist fertig!
Doch wer's austrinkt, Weh ihm, Wehe!
Daß ihn Speise anekle, der Schlaf ihn flieh!
Die schwarze Pest ihn, die tödtliche,
Wie die bittere Espe zusammen zieh'!
Daß Auszehrung, wie ein Grabeswurm,
Ihn zernage bei lebend'gem Leib!
Daß bittrer Kummer sein Herz zerstückele!
Er verdorre wie ein Pflänzchen zart!
Daß er schwind' wie 'n hungriger Hund!
Daß die Schwestern mein
Wild im Kreise tanzen und jauchzen
Auf seinem Grabeshügel;
Lustig singen dort, jubelnd springen dort
Auf seinen weißen Knöcherchen!
Chor
der Geister
Kreisend tanzen, tobend jauchzen wir
Auf seinem Grabeshügel!
Lustig singen, jubelnd springen wir
Auf seinen weißen Knochen!
(Ein Schlag an der
Pforte; das Feuerbecken sinkt ein.)
Wochraméjewna.
Horch! Der Wächter giebt Kunde! . . . Hu! schweigt Gesindel,
schweigt! . . . Oho! das fängt an russisch zu riechen! . . .
Sollte das nicht Bojar Wuischatta sein?
(Die Katze krümmt sich und wedelt mit dem Schwanze; die Eule
schlägt mit den Flügeln und Beiden fangen die Augen an zu
leuchten.) Hu! Hu! ihr da! . . . Ruhig! . . . Rührt
nicht an, was unser ist!
Zweiter Auftritt.
Wochraméjewna
und Wuischatta.
Wuischatta.
Guten Tag, Mütterchen!
Wochraméjewna.
Schön Dank, Väterchen! Komm näher, setz Dich, ruh' ein Wenig
aus!
Wuischatta. Nun,
Wochraméjewna! Das hat mir Mühe gekostet, mich herzuschleppen!
Wochraméjewna.
Aber was, meine Frühlingssonne, treibt Dich zu mir? Oder hast
Du ein Anliegen an mich?
Wuischatta. Ja,
ja, Mütterchen, ein sehr wichtiges! . . .
Wochraméjewna.
Nun was denn? Hast Du Dich zu tief in ein hübsches Mädchen
verguckt? Nun was macht's! Wir werden versuchen . . . Wenn ich
sie nicht bezaubere, so werde ich Dich entzaubern.
Wuischatta. Ach,
nein! Wochraméjewna!
Wochraméjewna.
Aber was meinst Du, Lieber? Es ist besser dem Uebel abhelfen,
als darin umkommen.
Wuischatta. Ich
komme nicht solcher Sachen wegen! Uns ist gestern im Dorfe
Predißlawina etwas verloren gegangen.
Wochraméjewna.
Ach, so ist es?
Wuischatta. Uns
ist die schönste Perle ans dem großfürstlichen Schatze
verdorben und verloren!
Wochraméjewna.
Wie so?
Wuischatta. Ja,
Mütterchen, letzte Nacht ist uns unsere erste Schönheit
entlaufen; ein geächteter Bursch hat sie weggelockt, dem jetzt
allenthalben nachgespäht wird.
Wochraméjewna.
Ei, was für ein Streich! . . . Eine Schöne aus dem Dorfe
Predißlawina zu entführen! . . . Nun! es scheint, der Bursche
muß ein tolles Köpfchen haben! . . .
Wuischatta. Ist
es nicht ausfindig zu machen, Mütterchen, wo er sich jetzt mit
der Entlaufenen aufhält?
Wochraméjewna.
Aber, wie heißt sie denn, Bojar?
Wuischatta.
Nadjéshda.
. Nadjéshda? . . . So ist sie nicht unseres Glaubens?
Wuischatta.
Nein, sie bekennt sich zur griechischen Kirche . . .
Wochraméjewna.
Ach, das ist schlecht!
Wuischatta. Was
denn, Mütterchen?
Wochraméjewna.
Siehst Du, eine Christin, das ist übel! Da kann man schon
nicht auf Wasser zaubern, da muß man beim Aeltesten Hülfe
suchen! Aber die Stunde ist nicht immer gleich. Wenn er an zu
brummen fängt . . . Wehe . . . Wehe! –
Wuischatta. Was
für ein Aeltester?
Wochraméjewna.
Nicht Deine Sache, Väterchen! Und dann ist noch zu sagen –
zweimal kommt nicht der Tod, einmal bleibt er nicht aus . . .
Nun, komme es wie es wolle! . . . Ich werde versuchen! . . .
(Nimmt eine Kohle vom Tische und zieht
damit einen Kreis auf dem Fußboden.) Stell Dich in
diesen Kreis, Bojar! . . . So, so! Aber hüt' Dich, daß Dich
nicht Furcht anwandelt, und tritt nicht aus dem Kreise!
Wuischatta
(fängt an sich zu fürchten). Ach,
Wochraméjewna! Mir ist etwas bange zu Muthe!
Wochraméjewna.
Fürchte Dich nicht, Bojar! Wenn Du hübsch stille stehst, Dich
nicht regst, und nach Nichts frägst, so wird Dir Nichts
geschehen. Der Aelteste thut Dir kein Leides; und alle seine
kleinen Diener sind unter meiner Hand.
Wuischatta. Aber
sieh da, Mütterchen, sieh!
Wochraméjewna.
Fürchte Dich nicht, sag' ich Dir!
Wuischatta. Aber
wird's mit der Hexerei nicht bald zu Ende sein? . . .
Wochraméjewna.
Still! . . .
O, grauser Gott, den wir den schwarzen nennen!
Gewalt'ger Herrscher Du der ew'gen Nacht!
Den Niemand ohne Zittern in der Stille
Der öden Nacht bei Namen nennen kann!
Mir neigst Du Dich, wenn mein Gebet ich flüstre . . .
Erhör' mich! Offenbar' uns Deine Macht:
Daß sich der Sonne Strahlenglanz verdüstre,
Und statt des Tagslichts werde finstre Nacht!
(Schweigen. Auf der Bühne fängt es
an dunkel zu werden.)
Durch Wolken laß den Sturm verkünden,
Daß Du Dein Schloß verließt auf mein Gebot,
In Deinem Kreise laß uns Wahrheit finden . . .
O eile, eile, grauser schwarzer Gott!
(Ein Donnerschlag. Sanfte harmonische Musik.)
Chor der unsichtbaren Geister.
Ihr verschwindet, öde Mauern!
Ferne, zeige Dich dem Blick!
Unschätzbare Worte wehe
Uns des Sturmwind's Flügel zu!
Die Hintermauer der Hütte verschwindet,
und durch einen Flor erschließt sich dem Blicke eine wilde
Gegend am Ufer des Dnjepr's. In der Ferne Kiew. Am Fuße eines
hohen Felsens stehen Wßeßlaw und Nadjéshda.)
Wuischatta. Ha,
was seh' ich!
Wochraméjewna.
Still!
Wßeßlaw (hinter dem Flor).
Nein, nicht Rettung wird uns Armen,
Von dem Unglück, das uns droht!
Nadjéshda.
Fürcht' nicht, Gott wird sich erbarmen,
Und uns helfen in der Noth!
Wßeßlaw (zugleich mit Nadjéshda).
Trüb seh' ich die Zukunft grauen –
Hin ist unsrer Hoffnung Stern!
Nadjéshda (zugleich mit Wßeßlaw).
Nur auf Gott laß uns vertrauen –
Er hilft seinen Kindern gern!
(Ein Donnerschlag, die
Erscheinung verschwindet. Der Donner fährt fort zu rollen und
der Sturm wird von Minute zu Minute stärker.)
Wochraméjewna.
Nun wie, Bojar? Sind sie's?
Wuischatta. Ja,
Mütterchen, sie sind's!
Wochraméjewna.
Hast Du den Platz auch genau gemerkt?
Wuischatta. Ganz
genau, Mütterchen! die Gegend ist mir bekannt; ganz nah' bei
Askold's Grabe.
Wochraméjewna.
So geh' schnell, Krieger zu holen; aber zaudre nicht, Bojar,
sonst werden sie Dir entwischen.
Wuischatta. Ich
gehe, ich gehe! Hu, wie grausig es ist, Mütterchen! Das
Mondlicht ist nicht zu sehen!
Wochraméjewna.
Hab' ich Dir nicht gesagt: Du mußt den Aeltesten beunruhigen,
aber wenn er einmal anfängt zu brummen, so sieh' Dich vor!
Wuischatta. Aber
bis zum Dorfe Predißlawina ist's nicht nahe.
Wochraméjewna.
Wart' Väterchen! Folge mir, ich werde Dir einen Pfad zeigen,
der Dich in einem Augenblicke nach Predißlawina bringt.
Wuischatta. Komm
Mütterchen, komm!
Dritter Auftritt.
(Völlige Verwandlung. Das Theater stellt
eine wilde Gegend am Ufer des Dnjepr dar, wovon ein Theil
schon durch den Flor sichtbar war. Wßeßlaw und Nadjéshda
stehen am Fuße des Felsens, auf dessen Gipfel Taropka steht.)
Wßeßlaw. Nun,
wie wird's, Taropka?
Taropka. Es
geht, es geht! da sind wir schon am Ufer . . . es geht!
Wßeßlaw. Gelobt
sei der Schöpfer! Wir sind gerettet!
Nadjéshda. Aber
mein Vater . . .
Wßeßlaw. O! wir
werden ihn wiedersehen. Nadjéshda! Er wird unsern Zufluchtsort
finden und dann auf immer bei uns bleiben.
Vierter Auftritt.
Dieselben
und der Unbekannte (hinter dem
Felsen hervorkommend).
Der Unbekannte.
Geschwind, Wßeßlaw, geschwind! Am Dnjepr erwartet uns eine
treue Schaar, und in wenigen Tagen werden wir im
petschenägischen Lager sein.
Wßeßlaw. Mach
schnell, Nadjéshda!
Der Unbekannte.
Halt! Erst mußt Du schwören, daß Du aufstehen wirst gegen
Sswjätoßlaw, und Deinen Glauben änderst, welcher Dich, den
kühnen Krieger, in ein Kind der Sklaverei verwandelt hat.
Nadjéshda.
Barmherziger Gott!
Wßeßlaw. Wie! .
. . Ich soll das Schwert erheben gegen meinen Wohlthäter und
Fürsten . . . Ich den Herrn verläugnen! . . .
Der Unbekannte.
Du mußt dem Christenthum entsagen,
Und Sswjätoßlaw entreiß' sein Land.
Wßeßlaw
Soll ich der Russen Scepter tragen?
Wozu? bleib' es in seiner Hand!
Der Unbekannte
O Schand'!
Wßeßlaw
Und könnt' ich je des Guten
Vergessen, das er mir gethan? . . .
Der Unbekannte
Wer Blut vergießt, muß wieder bluten –
Du sollst Dich rächen, sei ein Mann!
Nadjéshda (zu Wßeßlaw).
O, Lieber, laß Dich nicht verblinden! . . .
O, glaub' ihm nicht, er meint es schlimm!
Sieh, seine Lippen uns verkünden
Des Herren und der Menschen Grimm!
Der Unbekannte
Ihr werdet zufluchtslos verderben,
Nie wird Euch wieder Freude blühn.
Du fällst! und Deine Braut wird sterben,
In niedrer Knechtschaft welkt sie hin. –
Doch wirst als Herrscher Du regieren
Im Land, wenn Du nach Rache strebst!
Nadjéshda
O, Wßeßlaw, laß Dich nicht verführen!
Bedenk' – daß Du nicht ewig lebst!
Der Unbekannte (zugleich mit Nadjéshda und Wßeßlaw)
Du wirst des Unglücks Schläge spüren –
Wßeßlaw, Du bist Dein eigner Feind!
Nadjéshda (zugleich mit dem Unbekannten und Wßeßlaw)
Dem Bösen gleich will er verführen –
Glaub' ihm nicht, er ist unser Feind!
Wßeßlaw (zugleich mit dem Unbekannten und Nadjéshda)
Die Guten nennen Gott den Ihren,
Sind ihnen auch die Menschen Feind.
Taropka (hinter den Koulissen hervorkommend)
Auf! Rettet Euch Kinder, geschwinde!
Wuischatta naht mit seiner Schaar!
Wßeßlaw und Nadjéshda
O, wehe uns!
Taropka
Enteilet!
Wßeßlaw und Nadjéshda
Komm, folge mir!
Der Unbekannte
Wohin?
Euch bleibt nicht Hoffnung, weilet!
Hier wird Euch Unglück droh'n!
Taropka (in die Ferne blickend).
O, eilt! . . . Dort kommt er schon!
Der Unbekannte
Ein Augenblick noch länger –
So nahen Eure Dränger!
Wßeßlaw und Nadjéshda
Ein Augenblick noch länger –
So nahen unsre Dränger!
Der Unbekannte
Zum letzten Mal: Tod oder Thron?
Stehst Du auf gegen Sswjätoßlaw,
Verläßt Deine Religion?
Nadjéshda
Mein Gott! o stärke Du Wßeßlaw!
Chor (hinter den Koulissen)
Hier, Kameraden! Folgt mir, hier!
Wir sind bald bei Askoldens Grabe!
Der Unbekannte
Hörst Du, Wßeßlaw?
Taropka
O! Wehe mir!
Der Unbekannte
Schnell, daß ich Deine Antwort habe . . .
Du hörst schon die Verfolger dräu'n:
Sag', willst Du mit mir gehen?
Wßeßlaw
Nein!
Es ist der Himmel, den ich wähle,
Ich folge treu des Herrn Gebot.
Der Unbekannte
So sei verflucht, Du! . . . niedre Seele!
Und stirb! – Dein harrt der sich're Tod! (Geht ab.)
Chor (hinter den Koulissen).
Hier, Kameraden! Folgt mir hier!
Wir sind bald bei Askoldens Grabe!
Nadjéshda. Wir
sind verloren! Aber Du hast ausgehalten, Wßeßlaw – Dank sei
dem Allerhöchsten!
Wßeßlaw. Eilen
wir auf diesen Felsen, und wenn uns gar keine Hoffnung bleibt,
so stürzen wir uns in den Dnjepr: vielleicht daß der Herr uns
rettet; vielleicht daß ich Dich rette, Nadjéshda!
Nadjéshda. Aber
wenn nicht . . . Was denn, meine Augenweide? . . . Lieber Tod
als Gram und Trennung von Dir!
(Steigen auf den Felsen;
der Sturm nimmt zu.)
Fünfter Auftritt.
Dieselben.
Wuischatta und
Krieger.
Wuischatta.
Halt, Kinder! Da sind sie!
Nadjéshda.
Schnell, mein Freund! schnell! . . . Dort
(auf den Dnjepr zeigend) werden wir getraut, und der
Dnjepr wird unser Hochzeitsbett!
Wuischatta.
Ergieb Dich, Räuber!
Sechster Auftritt.
Dieselben.
Stemid, ihm folgen
Alexéi,
Fischer und alle Christen
und Christinnen.
Stemid
(zu Wuischatta und den Kriegern).
Im Namen des Großfürsten – haltet ein!
Alexéi.
Nadjéshda! meine Tochter!
Stemid. Wßeßlaw!
Dir ist verziehen!
Wßeßlaw mit
Nadjéshda
(vom Felsen kommend). Ist das möglich!
Stemid. Und
unser Herr, der Großfürst, erlaubt Dir, Deine Braut zu
heirathen.
Wuischatta. Wie?
. . . Was? . . .
Stemid. Ganz
einfach so, Bojar: ich habe mich dem Großfürsten zu Füßen
geworfen, und ihm Alles erzählt. Er wurde gerührt von meinen
Thränen, verzieh Wßeßlaw und trat ihm Nadjéshda ab.
Wuischatta. Was
zum Teufel! . . . Aber ist das auch Alles wahr?
Stemid. Ich
stecke nicht in Deiner Haut, Bojar; Lügen sind nicht meine
Sache.
Wuischatta. Nun,
wenn es so ist, so haben wir hier nichts zu thun; und seht
Ihr, auch das Wetter hat sich aufgeklärt! Zu Hause! Kinder!
(Wuischatta und Krieger
gehen ab.)
Alexéi
(Nadjéshda und Wßeßlaw umarmend).
Nadjéshda! Wßeßlaw! wir sind wieder vereint! . . . wieder
glücklich! . . .
(Der Unbekannte
erscheint im Kahne auf der Mitte des Stromes. Ungeheurer
Sturm.)
Erster Fischer.
Schaut, wer ist da auf dem Dnjepr?
Zweiter Fischer.
Dort scheint Jemand im Kahne zu sein! Sieh nur, wie das
schaukelt! . . . Da wird Unglück geschehen!
Erster Fischer.
Das ist doch nicht gar derselbe . . . erinnerst Du Dich noch,
was er uns Alles von Askold erzählte?
Zweiter Fischer.
Ja, ja! es ist derselbe! . . . Nun Bruder, der wird's nicht
besser machen! . . .
Taropka. Ach,
sieh! das ist mein Bojar!
Wßeßlaw und
Nadjéshda. Er ist es!
O, Vater!
Erbarmen,
Halt ab das Gericht!
Chor und
Alle
O seht, wie das Wasser
Aufsprudelt und bäumt!
Wie grausig die Woge
Das Kähnchen umschäumt!
Umsonst alle Mühe –
Es schaukelt und sinkt.
(Der Blitz schlägt in den Kahn;
er verschwindet in den Wogen.)
Seht, seht! er geht unter!
Der Arme ertrinkt!
Nadjéshda
(zu Wßeßlaw)
Er sank hin, doch wir sind glücklich!
O, mein Wßeßlaw! Großer Gott!
Alexéi
Er ist groß – Dank ihm ohn' Ende!
Daß er seines Glaubens Licht
Unsern künft'gen Fürsten sende –
Und, bewahrt in Christenpflicht
Schmückt das Scepter ihre Hände!
Allgemeiner Chor.
Hilf Herr! bewahre uns in Gnaden
Den Zar sammt seinem Herrscherthume,
Und laß der Feinde Macht nicht schaden
Dem Russenland und unserm Ruhme.
Ende.