Tausend und ...

Tausend und Ein Tag im Orient

Friedrich von Bodenstedt

Berlin, 1850 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel

Guria

Noch einmal – bevor wir unsere letzte Küstenfahrt antreten zu den kriegerischen Stämmen der Dshigeth und Schapßuch – führe ich Euch zurück in den Schatten der Wälder von Kolchis.

Einen passenden Vergleich zur Veranschaulichung dieser majestätischen Pflanzenwelt wüßte ich nicht zu machen, denn weder vor- noch nachher habe ich eine ähnliche Größe, Fülle und Frische vegetabilischer Gestaltungen gesehen.

Riesige Eichen, Buchen und Erlen rauschen heimathliche Erinnerungen in uns wach, wie grüne Moscheenkuppeln wölben sich über uns die großblättrigen Kastanienbäume, und wie Kirchthürme steigen die glänzenden Silberpappeln aus dem Waldheiligthume hervor. Der Kirschlorbeer, die Myrthe und förmliche Wände von Buchsbaum und Mispelgesträuch drängen sich bis dicht ans Meer. Bis zu den Gipfeln der höchsten Bäume klettert die wilde Rebe empor und läßt ihre Ranken lang herabhängen, wie losgerissene Maschen des grünen Netzes welches den ganzen Urwald umspannt. Lianen, Hopfen, Epheu – kurz Schling- und Schmarotzerpflanzen aller Art, die Diplomaten des Waldes, kriechen von Baum zu Baum, von Zweig zu Zweig, den Boden seiner besten Kräfte beraubend, blos um Alles zu verwirren und zu umstricken. Weder die starke Eiche noch die mächtige Hagebuche, weder der ernste Lorbeer noch die keusche Myrthe kann sich den Umarmungen dieser üppigen Parasiten entwinden.

Es herrscht hier ein wirres Durcheinander, ein gegenseitiges Drängen und Unterdrücken, ein nutzloses Vergeuden der edelsten Kräfte, daß, wie Naturforscher behaupten, viele Bäume schon vor der Zeit hinsterben, getödtet durch ihre schmarotzende Umgebung.

Nur selten betritt eines Menschen Fuß das Innere dieser unwegsamen Waldungen, wo man am Tage nichts hört als das Zwitschern und Singen der Vögel, während zur Nachtzeit eine zahllose Menge von Schakalen ihr unheimliches Gewimmer erhebt.

Die Natur ist hier zur Verschwenderin geworden, aber Keiner zieht Nutzen davon und nur Wenige haben Freude daran. Nirgends mehr als hier finden die sinnigen Verse Young's ihre Bestätigung, wo er von der Natur sagt:

»In distant wilds, by human eye unseen,
She rears her flowers and spreads her velvet green;
Pure gurgling rills the lonely desert trace
And waste their music on the savage race.«

Lebendig gedachte ich oft inmitten dieser strotzenden Pflanzenwelt des fernen Nordens, wo man in verkrüppelten Exemplaren mühsam zieht, was hier, ungepflegt durch Menschenhand, in so übermüthiger Fülle gedeiht.

Und doch preise ich glücklicher jene Länder, wo der Mensch im Schweiße seines Angesichts der Natur mühsam abringt, was ihm Nutzen und Freude bringt, als dieses kolchische Wunderland mit seinen immergrünen Hainen, wo keiner des Segens genießt den die Erde ihm bietet. Denn dieses Land ist, trotz seiner Naturwunder, eine Wüste – und die Menschen die hier hausen, sind, trotz ihrer Körperschöne, ein verkommenes Geschlecht.

***

Dort, wo die kolchische Vegetation sich in wildester Pracht und Fülle entfaltet, zwischen dem Rion und Tscholok, liegt Guria, ein mit allen Reizen der Natur geschmücktes Ländchen, dessen Bewohner seit Alters als der schönste Stamm kartwel'scher Race [Fußnote]

  1. die Georgier.
  2. die Imerier.
  3. die Gurier.
  4. die Mingrelier.
  5. die Suanen (Suaneten).

Alle diese Völker sind Zweige Eines Stammes und bildeten einst, nebst vielen andern, einen großen Staatskörper, dessen Haupt Georgien war. Ebenso sind die Sprachen, die sie reden, Töchter einer Mutter, der georgischen Sprache, deren Herrschaft sich während der kurzen Blüthezeit Georgiens vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meere, vom Terek bis zum Araxes erstreckte. Die Unterschiede, welche sich im Laufe der Jahrhunderte unter den Völkern kartwel'scher Race in Sprache, Physiognomie und Sitte erzeugt haben, sind das natürliche Resultat ihrer geographischen Lage, so wie des Einflusses, welchen sie bei ihrer steten Berührung mit den kriegerischen Nachbarvölkern ausgesetzt waren. S. darüber: Bodenstedt, die Völker des Kaukasus. (Frankfurt a. M.)p. 43. gelten.

Die Geschichte dieses Ländchens knüpft sich nur an die Namen der fremden Eroberer, denen es, soweit unsere Kunde zurückreicht, immer unterworfen gewesen. Daher konnte die Bevölkerung, trotz der glücklichsten Naturanlagen, nie zu einer selbstständigen Kraftentwickelung kommen. Denn wo die politische Selbstständigkeit und die Sicherheit des Eigenthums fehlt, ist Kultur und Wohlstand unmöglich.

Die jetzt unter Türken und Russen getheilte Ländermasse, welcher Gurien ursprünglich angehört, war im grauen Alterthume bekannt unter dem Namen Aethiopia, wurde später nach der dort herrschenden Priesterkaste Kolchis und zuletzt nach dem lasischen Volksstamme Lazia oder Lazica genannt. [Fußnote]

Fallmerayer, Geschichte des Kaiserthums von Trapezunt. (München 1827.) p. 3.

Lange Zeit wahrten die Herrscher des Landes, welche, zu ohnmächtig Guria vor fremden Einfällen zu schützen, nur dazu dienten das Volk mit aussaugen zu helfen, eine gewisse Schein-Souverainität, bis im Jahre 1810 der letzte Guriel, Mamia, nothgedrungen sich den Russen unterwarf. Seine ehrgeizige Gemahlin Sophie machte später einige fruchtlose Versuche, mit Hülfe der Türken wieder in den unabhängigen Besitz ihres Ländchens zu gelangen. Diese Bestrebungen dienten jedoch nur dazu die russische Herrschaft zu befestigen. Durch den für die Türken so unglücklichen Ausgang des Krieges zwischen Rußland und der Pforte wurde Guria dauernd dem Zaren unterworfen.

Das ganze Land zählt, auf einem Flächen-Inhalte von 1800 □Werst nur 18,000 männliche Einwohner; die Gesammtzahl seiner Bevölkerung (d. h. Frauen und Kinder eingerechnet, welche bei den russischen Zählungen bekanntlich nicht mitbegriffen werden), würde also die Einwohnerzahl einer Stadt wie Braunschweig nicht übersteigen.

Die im Lande zerstreuten Ruinen aus der Perser- und Römerzeit bieten den Archäologen mannichfaltigen Stoff zu interessanten Forschungen, welche jedoch, bei längerm Aufenthalte immer mit Lebensgefahr verbunden sind, da in keinem Theile des Kaukasus tödliche Fieber und Leberkrankheiten in solcher Furchtbarkeit hausen wie hier.

Der treffliche Dubois de Montpéreux hat das Verdienst, den ausführlichsten Bericht über die Alterthümer von Guria gegeben zu haben. Dieser, von allen Ausländern den Russen am meisten freundlich gesinnte Reisende, kann sich doch nicht enthalten, der Regierung bittere Vorwürfe darüber zu machen, daß sie hier alljährlich so viele Menschen den klimatischen Zerstörungen zum Opfer bringt. »Nie, sagt Dubois, indem er von der Besatzung von Poti spricht – hatte eine Garnison ein so höllenmäßiges Klima zu bekämpfen. Die Soldaten, in das feuchte Delta zwischen dem Rion und dem stagnirenden See Paleastom eingeschlossen, in der Nähe des verpesteten Kanals Nadorta, und der noch mehr verpesteten Wälder, die sich zwischen dem Meere und dem See ausbreiten, auf allen Seiten von den stehenden Morästen der Nabada und Pitschora-Moltawska, umringt, durch eine fiebererzeugende, verdorbene Luft, von welcher Seite der Wind immer wehete, angesteckt, fielen wie die Blätter, welche der Winterwind mit sich fortweht. Typhische Fieber rissen mit erschreckender Schnelligkeit große Lücken in die Reihen dieser unglücklichen Menschen. Trotzdem hat man den Muth gehabt, eine Kompagnie verheiratheter Soldaten als Kolonie gerade längs des aus dem See Paleastom kommenden Kanals anzusiedeln – längs jenes Kanals, dessen Wasser so faul und stinkend ist, daß Alles, was sich in ihm befindet, Fische wie Krebse, darin sterben und die Ufer bedecken. Ich werde nie den Eindruck vergessen, den jene Militairkolonie auf mich hervorbrachte, als ich um die Mitte Oktober durch dieselbe kam. Ich und mein Diener wendeten die Augen hinweg, um jene Grabgestalten, jene blassen, bleichen Weiber und Kinder nicht zu sehen, so sehr preßte uns dieser Anblick das Herz zusammen« . . .

Mein Aufenthalt in Guria war von sehr kurzer Dauer, aber nach Allem was ich von den Zerstörungen des Klima's gesehen und gehört habe, kann ich Dubois' Bericht nur bestätigen, der eben so gut auf die übrigen Ortschaften des Landes paßte. In Osurgethi, dem Hauptorte und Sitz der Verwaltung von Guria, wo der Naturforscher Ssowitsch sich die Keime zu seinem frühen Tode holte, lag ich selbst am Gallenfieber danieder . . .

Wenn der Kaiser von Rußland eine gleiche Anzahl von Menschen, wie alljährlich durch den nutzlosen Krieg in den Schluchten des Kaukasus ihren Tod finden, dazu verwenden wollte, diese Sümpfe und Moräste zu entwässern, diese Wälder zu lichten und die überall hier verborgenen Naturschätze auszubeuten, so könnten in wenigen Jahren diese Küstenländer in ein Paradies ungewandelt und die Bewohner dem Moskowiterlande enger und dauernder verbündet werden, als das Schwert und die rohe Gewalt es je zu erzwingen vermögen.

Den größten Theil meines Aufenthalts in Osurgethi verbrachte ich im Verkehr mit einem seit 13 Jahren in der Verbannung lebenden Polen, den das Schicksal, in der Gestalt eines russischen Obersten, damals auf kurze Zeit in Dienstangelegenheiten nach Guria geführt hatte.

Unsere Unterhaltung drehete sich hauptsächlich um die russischen Zustände, und L. wußte mir aus seiner reichen Erfahrung eine Menge Züge zu erzählen, die mir manche neue Aufschlüsse über das riesige Land gaben, das ich selbst vor Jahren von einem Ende bis zum andern durchstreift hatte.

Ich machte bei meinem neuen polnischen Bekannten wiederholt eine Bemerkung, die sich mir schon häufig in früherem Verkehr mit seinen Landsleuten aufgedrungen hatte: daß die Polen, selbst solche, die in Rußland nichts als Unglück und Elend gefunden hatten, immer mit einer gewissen Sympathie und Anerkennung von der Masse des russischen Volkes sprachen, während die Ausdrücke ihres Hasses und ihrer Rache nur dem Kaiser und seinen Rathgebern galten.

Und als meine feste Ueberzeugung muß ich es aussprechen – eine Ueberzeugung die sich auf langjährige Beobachtungen gründet – daß, wenn es einmal zum Kampfe zwischen Rußland und Deutschland kommen sollte, die Polen, selbst bei voller Freiheit der Wahl, unbedingt mit Rußland und gegen Deutschland kämpfen würden . . . .

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