Tausend und ...

Tausend und Ein Tag im Orient

Friedrich von Bodenstedt

Berlin, 1850 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Sechzehntes Kapitel

Der Weise von Adigion, das Dach der Wittwe, und der Wettkampf der Weisheit

Nach der Eroberung des Paschaliks Achalzich durch Paskjéwitsch verließen fast alle türkischen Einwohner die Hauptstadt, und siedelten nach Anatolien über, um nicht unter russischer Botmäßigkeit zu stehen.

Die türkischen Auswanderer wurden zu einem großen Theile ersetzt durch armenische Einwanderer, welche als Christen die Herrschaft des weißen Zaren der des Statthalters Muhammeds vorzogen.

Unter den wenigen, in Achalzich zurückgebliebenen Türken, war der hervorragendste Omar-Effendi, ein Schriftgelehrter, den ein kleiner Grundbesitz in dem unweit der Hauptstadt gelegenen Dorfe Adigion, sowie besondere Gunstbezeugungen der russischen Regierung, an die Scholle fesselten.

Der aufmerksame Leser wird sich erinnern, daß Mirza-Schaffy, gleich im Beginn unserer Bekanntschaft, der Weisheit Omar-Effendi's rühmend gedachte, wie denn überhaupt die gute Meinung des ehrwürdigen Mirza über die andern Weisen des Morgenlandes sich bemessen ließ nach der Entfernung, in welcher sie von ihm wohnten, oder der Anerkennung, welche sie ihm zollten.

Es that seiner Schule der Weisheit keinen Eintrag, Abbas-Kuli-Chan zu rühmen, der in Baku, am Kaspischen Meere hauste, oder Omar-Effendi, der in der Wildniß von Adigion Nachtigallen und Rosen besang.

Die Schriftgelehrten von Tiflis aber mußten gedemüthigt werden, weil sie sich für weiser hielten als Mirza-Schaffy, und weil hier der Gedanke der Konkurrenz zu nahe lag.

Als ich den Weisen von Gjändsha einmal fragte, wie er es vereinbaren könne mit seinen Grundsätzen, in freundschaftlichen Beziehungen zu so vielen gläubigen Priestern und Schriftgelehrten zu stehen, wie von der Sekte der Sunniten, so von der Sekte der Schiiten, antwortete er:

»Wie Du unweise redest, o Jünger! was gehen mich die Sekten und Spaltungen der Kirche an? Jede Schafheerde will ihren Hirten haben, und jede Gemeinde ihren Prediger; ein Jeglicher treibt sein Geschäft auf seine Weise, denn der Mensch will leben. Die Weisen müssen sich mehr nach den Thoren richten, als die Thoren nach den Weisen, denn der Thoren sind viele, und der Weisen sind wenige. Der Kaufmann rühmt seine Waaren, und die Menschen kaufen davon nach ihrem Bedürfniß; der Mullah rühmt die wasserreichen Gärten des Paradieses, und die Menschen glauben daran nach ihrem Bedürfniß.

»Wenn aber der Kaufmann sagen wollte: meine Waare ist schlecht – so würde er zum Bettler werden und seine Kunden verlieren. Die Kunden aber würden nicht nackt gehen deshalb, sondern ihre Waaren von andern Kaufleuten nehmen.

»Und wenn der Mullah sagen wollte: meine Lehre ist falsch – so würden die Thoren ihn steinigen, und einen andern an seine Stelle setzen. Aber jemehr er sich ihrer Thorheit anbequemt, für desto weiser werden sie ihn halten. Nur nach und nach findet die Wahrheit Eingang bei den Menschen; nur nach und nach keimt das Saatkorn und treibt Frucht.

»Aber soll man kein Licht anzünden, weil die Sonne nicht scheint in der Nacht? Soll man den Verstand schelten, weil er auf Kosten des Unverstandes leben muß? Was sagt Saadi: – »Soll man das schöne Himmelslicht anklagen, weil die Fledermäuse der Sonne Strahlen nicht ertragen können? Eher mögen tausend Fledermausaugen geblendet werden, als daß die Sonne sich deshalb verfinstere!« –

***

Mirza-Schaffy hatte schon in den ersten Monaten unsers Beisammenseins an Omar-Effendi geschrieben: es hause jetzt in Tiflis ein junger Alim aus dem Abendlande, der bei ihm die Weisheit lerne, und der später auch eine Wallfahrt zu Omar-Effendi unternehmen werde, um seine Sprüche der Weisheit zu erforschen.

Mein bescheidenes Dasein war also nicht nur dem Weisen von Adigion längst bekannt, sondern durch diesen auch zur Kenntniß der ganzen Nachbarschaft gekommen, wo Omar-Effendi nicht wenig an Ansehen gewonnen hatte bei der Nachricht, daß sein Mund der Born sei, dazu die Weisen des Abendlandes gepilgert kämen, um daraus zu schöpfen.

Es blieb nur übrig, das Verheißene in Erfüllung zu bringen. Bei meiner Ankunft in Achalzich erfuhr ich, daß Omar-Effendi bereits vor einigen Wochen die Stadt verlassen,. und seine Sommerwohnung in Adigion bezogen habe.

Ehe ich meine Ausflüge in's Innere des Paschaliks antrat, entsandte ich Botschaft an den Weisen, daß ich den Stab der Pilgerfahrt ergreifen und demnächst bei ihm eintreffen werde.

Nach meiner Rückkehr von Abbas-Tuman fand ich eine Antwort von Omar-Effendi vor, worin er mir sein Herz und seinen Verstand zu Füßen legte und sagte, daß die Schwelle seines Hauses nach dem Glücke seufze, von meinen Füßen berührt zu werden.

Ein russischer Offizier, der eine Dienstreise in das Innere des Landes zu machen hatte, bot mir seine Begleitung bis Adigion an; Giorgi bat mich um die Erlaubniß, Jussuf, unsern Wirth, und noch einige Verwandte mitnehmen zu dürfen, so daß die Gesellschaft, mit der Kosaken-Eskorte, einen ganz stattlichen Reiterzug bildete.

Von den vielen Dörfern, welche wir auf der Reise passirten, verdient nur das seiner Größe und seiner schönen Moschee wegen bemerkenswerthe Suchilis besonderer Erwähnung. Wir machten hier eine Stunde Halt, um die Pferde etwas verschnaufen zu lassen.

Vorüberreitende Türken mußten inzwischen die Nachricht nach Adigion gebracht haben, daß eine Karawane im Anzuge sei, denn noch ehe wir einritten in das Dorf, kamen uns Botschafter von Omar-Effendi entgegen, welche Teppiche vor uns ausbreiteten, und uns mit Milch und süßen Früchten bewirtheten.

Trotz der Untiefen der schmutzigen Gassen von Adigion, und trotz der von furchtbarem Bellen begleiteten Angriffe der schaarenweis auf uns losstürzenden Hunde des Ortes, kamen wir mit einbrechender Dämmerung glücklich vor dem Hause Omar-Effendi's an.

Das ganze Dach, sowie der Balkon, waren mit Menschen angefüllt, und Sänger waren aufgestellt, uns mit Saitenspiel und Gesang zu begrüßen.

Nach dem für Alle geltenden, landesüblichen Gruße, die Hand an Herz und Stirn zu legen, wandte sich Omar-Effendi zu mir und sprach: »Möge Deinen Fußstapfen Glück folgen! Mein Haus ist Dein Haus! Deine Wünsche sind mir Befehle!«

Darauf wurden noch eine Menge der schmeichelhaftesten Phrasen gewechselt.

»Was sagt Togrul-Ben-Arslan! – rief der Weise, – »Das Angesicht meines Gastes entzückte mich, also, daß mein Herz überquoll vor Freude!«

»Was sagt Fisuli! – entgegnete ich – »So bin ich armer Wanderer zu Dir gekommen, wie ein Tropfen Wasser, der zum Ozean geschwommen!«

Inzwischen dauerte der Gesang und das Saitenspiel ohne Unterbrechung fort.

Ich lasse hier beispielshalber einige Verse von einem mir zu Ehren gedichteten Liede folgen, welches ich wenigstens zwanzig Mal unter dem furchtbarsten Akkompagnement hören mußte:

»Den jungen Fremdling aus dem Abendland
                  Besingen wir;
Ihn, der den Pfad zum Born der Weisheit fand,
                  Besingen wir.

Wir preisen seinen Muth, sein kühnes Wagen –
Sein gutes Roß, sein faltenreich Gewand
                  Besingen wir.

Wir streuen Blumen vor des Pilgrims Füße,
Und seines Hauptes Weisheit und Verstand
                  Besingen wir.

Willkommen sei der Fremdling unserm Hause!
Ihn, der des Weges Mühsal überwand,
                  Besingen wir.

Trotz der dunkel hereinbrechenden Nacht blieben wir auf dem Balkon, der durch ein halb Dutzend riesig langer, aus geöltem Papier bestehender Laternen erleuchtet wurde.

Fortwährend wurden Früchte, Milchspeisen verschiedener Art und süßes Backwerk herumgereicht.

Meinem russischen Freunde, dem die ganze Scene so komisch erschien, daß er nur mit Mühe durch fortwährenden Genuß der dicken Milch das Lachen unterdrücken konnte, war etwas unwohl geworden. Er klagte mir seine Noth, denn es war kein Ausweg zu finden, ohne eine allgemeine Störung herbeizuführen.

Der Balkon führte in das Selamlik (Begrüßungszimmer), welches wiederum mit den andern Gemächern des Hauses in Verbindung stand. Allein dort hinzugehen, wäre gegen alle Sitte des Landes gewesen; es blieb sonach nichts übrig, als vom Balkon herab auf die Dächer der angrenzenden Häuser zu steigen, was aber wegen der vielen Hunde sehr gefährlich war.

Ich wendete mich an Omar-Effendi und sagte: O Weiser! löse mir dies Räthsel: es steht geschrieben, der Geist sei gewaltiger als der Körper, – und doch hat dieser mehr Gewalt über jenen, als jener über diesen. Wenn der Geist sich zum Himmel emporschwingt, so kann er den Körper nicht mitnehmen – wenn aber der Körper seine gewöhnlichsten Bedürfnisse hat, so muß die unsterbliche Seele ihm folgen!

Omar-Effendi lächelte, winkte einigen Leuten und befahl ihnen, Laternen zu bereiten, um zu leuchten, und Knittel, zur Abwehr der Hunde.

In wenigen Minuten erschienen acht dickbeturbante Türken, und stiegen mit meinem russischen Freunde den Balkon hinab, auf die angrenzenden, terrassenförmig gebauten Häuser.

Ein riesiger Türke, in blutrothem Gewande, führte den Zug, in der Hand eine lange Laterne tragend; der zweite Laternenträger ging hinterher, während die übrigen Begleiter, mit furchtbaren Knitteln bewaffnet, den Russen in die Mitte nahmen, um ihn vor den wolfähnlichen, von allen Seiten heranstürzenden Hunden zu schützen.

Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen, um zu erforschen, ob der richtige Anhaltpunkt gefunden sei.

»Wessen Dach ist dieses?« fragte der erste Laternenträger.

»Abdullah's, des Kaufmanns!« erwiederte der zweite.

»Das ist gefährlich; hier können wir nicht bleiben.«

Und sie stiegen weiter hinab auf ein ganz niedriges Haus.

»Wessen Dach ist dieses?«

»Das Dach der Wittwe Ibrahim's, des Schneiders!«

Und sie ließen sich nieder auf dem Dache der Wittwe.

Am folgenden Tage reiste der Offizier weiter, Jussuf und seine Verwandten kehrten nach Achalzich zurück, und ich blieb mit Giorgi allein bei Omar-Effendi.

Wir besuchten gemeinschaftlich die in der Nachbarschaft von Adigion, hart an der türkischen Grenze belegenen, ziemlich wohlerhaltenen, aber ebenfalls in einen Kuhstall umgewandelten Ruinen einer alten georgischen Kirche, welche, nach Bauart und Inschriften zu schließen, aus der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung datirt.

Nachdem ich eine Zeichnung von der Kirche entworfen und die Inschriften kopirt hatte, kehrten wir nach Adigion zurück, wo ich mit Omar-Effendi noch einige fröhliche Tage verlebte.

Unsere Mahlzeiten hielten wir gewöhnlich in den obstreichen Gärten des Dorfes, welche, wie das ganze Land, künstlich durch Kanäle bewässert waren. Auf den dunklen Rasen wurde ein Teppich gelegt, darüber eine kaum sechs Zoll hohe Tischscheibe gestellt, und rund umher saßen wir mit untergeschlagenen Beinen. Ein paar der angeseheneren Einwohner des Dorfes befanden sich gewöhnlich in unserer Gesellschaft, während andere in großer Zahl sich freiwillig zu unserer Bedienung anboten.

Wein wurde an der sonst reichlich besetzten Tafel nicht getrunken; schlechte Musik, mittelmäßiger Gesang und gute Laune mußten Ersatz dafür bieten.

Ich konnte nicht genau ermitteln, ob Omar-Effendi aus Rücksicht für seine strenggläubige Umgebung, oder aus eigenem Festhalten an den Satzungen des Koran sich den Genuß des Weines versagte.

Ich glaube, daß das Erstere der Fall war, da die Lieder, welche er mir vorsang, sämmtlich überflossen vom Ruhme des Weines. Gewohnt, mich überall streng der Sitte des Hauses meiner Gastfreunde anzubequemen, wagte ich nicht, Omar-Effendi um Aufklärung des kitzlichen Punktes zu bitten.

Ich mußte meinem Wirthe alle Lieder und Sprüche der Weisheit sagen, die ich von Mirza-Schaffy gelernt hatte, und der Weise von Adigion sang mir dafür die seinigen vor. Ich fand darin eben so viel Anmaßung und Selbstgefühl, aber bei Weitem nicht die Frische und Originalität, wie in den Gesängen Mirza-Schaffy's.

Wir schrieben gemeinschaftlich Briefe an Mirza-Schaffy; mein Wirth, um seine Freude über meinen Besuch auszudrücken, und ich, um ihm nach langer Trennung wieder einen Bericht von meinen Erlebnissen zu geben.

Wir rühmten gegenseitig unsere Handschrift, denn auf das Schönschreiben wird im Orient ein ungemein großer Werth gelegt; ja, es wird als ein wesentlicher Bestandtheil der Weisheit betrachtet. Darum kommt es hier nicht selten vor, daß ein Schriftgelehrter den andern auffordert, ihm einen Beweis seiner Schreibekunst zu geben, und ihn verhöhnt, wenn die Probe schlecht ausfällt.

Die Artigkeiten, welche Omar-Effendi mir über meinen Brief sagte, – den ich ihm zeigte, wie er mir den seinigen, – schrieb ich alle auf Rechnung Mirza-Schaffy's.

»Du thust wohl – entgegnete er – Deinen Lehrer zu preisen; aber die Weisheit läßt sich nicht ganz so verschenken, wie ein anderes Ding; nur halb kann sie gegeben, halb muß sie gewonnen werden. Es läßt sich kein Baum pflanzen auf Steinen, und keine Weisheit im Kopfe eines Thoren. Was sagt Hafis:

Nie wirst Du den Juwel Deiner Wünsche erlangen
                    Durch eigene Mühe –
Und doch nie, o Hafis! wird er zu Dir gelangen
                    Ohne eigene Mühe!«

Ich zitirte ihm zur Entgegnung die Stelle aus der Bibel, wo es heißt: »Wer da hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird noch genommen was er hat.«

Er nickte einverständlich mit dem Kopfe, und ich fuhr fort: »Es geht mit den Sprüchen der Weisheit im Kopfe eines Thoren, wie mit dem Gelde in der Hand eines Bettlers, davon Saadi geredet: »In der Hand eines Bettlers bleibt das Geld so beständig, wie die Geduld im Kopfe eines Verliebten, und das Wasser im Siebe!«

»Aber eben so schwer – rief Omar-Effendi – wie es ist, die Weisheit in die Köpfe der Thoren zu bringen, eben so schwer ist es auch, die Thorheit ganz zu vertreiben aus den Köpfen der Weisen!«

»Weil auf dem fruchtbarsten Acker – entgegnete ich – auch das Unkraut am besten gedeiht. Es genügt, wenn der guten Früchte mehr sind als des Unkrauts, und dazu bedarf es schon großer Pflege und großen Kampfes. Ein Gleiches gilt von den Anlagen und Eigenschaften der Menschen. Was ist die Reinlichkeit? Ein Kampf gegen den Schmutz; – was ist die Tugend? ein Kampf gegen das Laster; – denn jedes gute Ding hat seinen schlimmen Gegensatz, und je beständiger der Kampf, desto größer der Werth des Menschen, weil seine Kräfte nicht ermatten, sondern gestärkt werden in solchem Kampfe.«

Omar-Effendi sah eine Zeitlang schweigend vor sich hin, klopfte seine Tschibuq aus, rückte an seinem Turban, und dann wandte er sich zu mir und sagte mit ernstem Gesichte: »Ich möchte wissen, wer von uns Beiden der Weiseste ist!«

Ich hatte Mühe, bei dieser seltsamen Frage das Lachen zu unterdrücken, aber ich bezwang mich und erwiederte: »Wie kannst Du solche Frage thun? Was ist ein Wassertropfen im Vergleich zur Perle? Was ist ein Staubkorn im Vergleich zum Diamanten? Was bin ich im Vergleich zu Dir?«

Er lächelte zufrieden über meine Antwort, aber bestand nichts destoweniger darauf, zu erforschen, wer von uns Beiden der Weiseste wäre.

Ich war neugierig, wie er seine Forschungen anstellen würde. Er ging in's Haus, holte ein paar gleiche Stücke Papier, gab mir eines davon, legte das andere vor sich auf's Knie zum Schreiben, und sagte: »Nun schreib', ich werde zu gleicher Zeit mit Dir anfangen!«

Da ich noch immer nicht fassen konnte, wo er hinaus wollte, fragte ich ihn: »Sag' mir, o Omar-Effendi! was ist Dein Rath und Begehren?«

Er bedeutete mich, ich solle ihn in Versen besingen, und er werde mich besingen, und wer von uns am ehesten das Blatt Papier ausfüllte, der sollte der Weiseste sein.

Ich hatte Mühe, ihm klar zu machen, daß es ein großer Unterschied sei, sich nothdürftig in einer fremden Sprache ausdrücken zu können, oder Gasels darin zu schmieden. »Und wenn ich noch zwanzig Jahre Türkisch lernte – schloß ich – so würde ich doch nimmer so schöne Verse drin schreiben können wie Du!«

»So schreib' Du in Deiner Sprache – entgegnete er – und ich werde in meiner schreiben. Nachher aber sagst Du mir, so gut Du kannst, was Du geschrieben.«

Ich mußte mich fügen; wir setzten uns nieder, und der Wettkampf der Weisheit begann.

Es war mir natürlich leichter, eine Seite deutscher Knüppelverse zu schreiben, als es ihm sein konnte, eine Seite mit seinen türkischen Hieroglyphen anzufüllen.

Ich schrieb was mir eben durch den Kopf fuhr, und als er bemerkte, wie ich meine Feder rührig handhabte, während er kaum ein Dutzend Buchstaben gemalt hatte, rief er mir zu, ja aufmerksam zu schreiben, denn er werde das Blatt bewahren, und zeigen, wenn einmal wieder ein Weiser aus dem Abendlande zu ihm gepilgert käme.

Ich schrieb langsam weiter; da ich aber ein schlechter Gelegenheitsdichter bin, so konnt' ich nichts Besseres thun, als die Knüppelverse zu vollenden in der Weise wie ich sie begonnen hatte.

Ich war fertig, ehe er noch die Hälfte seines Blattes beschrieben hatte, aber ich schwieg, und zog unbemerkt mein Notizbuch aus der Tasche, um die Verse abzuschreiben, zum Andenken an den seltsamen Kampf der Weisheit in Adigion.

Doch selbst nachdem ich die Abschrift genommen hatte, war Omar-Effendi noch immer nicht fertig.

»Hast Du Dein Gedicht vollendet?« fragte er nach einer Weile.

Ich antwortete »Ja.«

»Zeige was Du geschrieben!«

Ich suchte ihm die Knüppelverse zu verdolmetschen, so gut es gehen wollte.

Und da vielleicht auch mancher Leser neugierig ist, den Inhalt jenes Blattes zu kennen, so lasse ich den Urtext hier folgen, ungefeilt und unverfälscht, in treuer Abschrift aus meinem Tagebuche, um der Wahrheit getreu zu bleiben, so sehr auch die Verse darunter leiden mögen.

An Omar-Effendi

Ein Jeder hat sein Schicksal hier im Leben,
Wie's Allah ihm, der Einige, gegeben.
Erfüllt der Mensch, was ihm das Herz bewegt,
Thut er, was Allah ihm in's Herz gelegt.
Mir ward der Hang, durch alle Welt zu wandern,
Daß ich der Menschen Thun und Treiben lerne –
So zog' ich fort, von einem Land zum andern,
Und ließ die Heimath und die Meinen ferne.
Wohl oft fand ich, was Aug' und Herz ergötzte,
Doch nie, was meine Heimath mir ersetzte!
Ob trüb, ob heiter meines Schicksals Sterne,
Die Blicke schweiften heimwärts in die Ferne.
Bei Dir, o Omar! nur, sah ich und hört' ich
Das Ferne nicht, und nur was gegenwärtig
Erfüllte mich: so freudebringend ward
In Deinem Hause mir die Gegenwart!
Ich wiegte mich auf Deiner Gärten Matten,
Ich ward gekühlt von Deiner Bäume Schatten,
Zum Klang der Tschengjir schollen Lustgesänge,
Es harrte meines Winks der Diener Menge;
Ich labte mich an Deiner Weisheit Wort,
Du scheuchtest Sorgen, Gram und Zweifel fort;
Ich ward gesonnt von Deiner Freundschaft Blick,
Omar, bei Dir Nichts fehlte meinem Glück!
Gelobt sei Allah, daß er mir im Leben
Durch Dich solch' schönen Augenblick gegeben!
Lob, Preis ihm, daß er Dir mich ließ begegnen,
Und mög' er Dich und alles Deine segnen!

Der Weise schien sehr erfreut zu sein über das Bild, welches ich von dem Genuß seiner Gastfreundschaft gezeichnet; aber er weigerte sich, mir das von ihm beschriebene Blatt zu geben. Er sagte, es sei ihm nicht gelungen wie er es wünschte, und er wolle mir etwas Besseres dafür aufschreiben.

Da ich aber zuerst fertig geworden war, so entschied er den Kampf der Weisheit folgendermaßen: »In Deinem Stamme bist Du der Weiseste – in meinem Stamme bin ich der Weiseste!«

Darauf drückte er kräftig meine Hand, und ging in sein Harem, mit dem Versprechen, bald zurückzukommen.

Nach einer Viertelstunde erschien er wieder und sagte, er habe seiner Fatima erzählt von den Redeblumen, womit ich sein Haus überschüttet, und sie habe mir dafür ein Geschenk zugedacht, einen prächtig gestickten Tabaksbeutel.

»Es ist eigentlich nicht schicklich für den Mann – fuhr er fort – von seinen Frauen zu sprechen, aber ich mache eine Ausnahme, um Dich zu ehren. Und hier – sagte er, indem er ein altes Buch aus seinem Gewande zog – hast Du ein Andenken von mir. Es ist das Beste, was ich Dir anbieten kann, denn es sind meine, meines Vaters und meines Großvaters Gedichte darin! Nimm es und behalte es als Preis für den Sieg im Kampfe der Weisheit!«

Noch nicht zufrieden mit diesen reichen Gunstbezeugungen, setzte er sich nieder und schrieb mir das Gedicht auf, wodurch er das Herz seiner Fatima gewonnen. Es lautet in der Uebersetzung wie folgt:

»Welchen Werth, sprich, kann die Rose haben,
Wenn im Garten keine Nachtigallen?
Welchen Werth, sprich, kann Dein Haupthaar haben,
Wenn die Locken nicht vom Nacken wallen?

Mögst Du noch so schönen Wuchses prangen,
Mög' auch Rosenröthe Deine Wangen,
Nachtigallensang den Mund durchzieh'n:
Welchen Werth, sprich, hat Dein Leib, wenn ihn
Des Geliebten Arme nicht umfangen?
O, Fatima! stille mein Verlangen!

***

Der schöne Tabaksbeutel wurde mir später in Konstantinopel gestohlen; das kostbare Buch aber besitze ich noch unversehrt; dasselbe befindet sich in diesem Augenblicke in den Händen des Herrn Professor Petermann, dem ich es geliehen habe mit dem Wunsche es herauszugeben, wozu mir selbst leider Zeit und Gelehrsamkeit mangelt.

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