Sechzehntes KapitelDer Weise von Adigion, das Dach der
Wittwe, und der Wettkampf der Weisheit
Nach der Eroberung des Paschaliks
Achalzich durch Paskjéwitsch verließen fast alle türkischen
Einwohner die Hauptstadt, und siedelten nach Anatolien über,
um nicht unter russischer Botmäßigkeit zu stehen.
Die türkischen Auswanderer wurden zu einem großen Theile
ersetzt durch armenische Einwanderer, welche als Christen
die Herrschaft des weißen Zaren der des Statthalters
Muhammeds vorzogen.
Unter den wenigen, in Achalzich zurückgebliebenen Türken,
war der hervorragendste Omar-Effendi, ein Schriftgelehrter,
den ein kleiner Grundbesitz in dem unweit der Hauptstadt
gelegenen Dorfe Adigion, sowie besondere Gunstbezeugungen
der russischen Regierung, an die Scholle fesselten.
Der aufmerksame Leser wird sich erinnern, daß
Mirza-Schaffy, gleich im Beginn unserer Bekanntschaft, der
Weisheit Omar-Effendi's rühmend gedachte, wie denn überhaupt
die gute Meinung des ehrwürdigen Mirza über die andern
Weisen des Morgenlandes sich bemessen ließ nach der
Entfernung, in welcher sie von ihm wohnten, oder der
Anerkennung, welche sie ihm zollten.
Es that seiner Schule der Weisheit keinen Eintrag,
Abbas-Kuli-Chan zu rühmen, der in Baku, am Kaspischen Meere
hauste, oder Omar-Effendi, der in der Wildniß von Adigion
Nachtigallen und Rosen besang.
Die Schriftgelehrten von Tiflis aber mußten gedemüthigt
werden, weil sie sich für weiser hielten als Mirza-Schaffy,
und weil hier der Gedanke der Konkurrenz zu nahe lag.
Als ich den Weisen von Gjändsha einmal fragte, wie er es
vereinbaren könne mit seinen Grundsätzen, in
freundschaftlichen Beziehungen zu so vielen gläubigen
Priestern und Schriftgelehrten zu stehen, wie von der Sekte
der Sunniten, so von der Sekte der Schiiten, antwortete er:
»Wie Du unweise redest, o Jünger! was gehen mich die
Sekten und Spaltungen der Kirche an? Jede Schafheerde will
ihren Hirten haben, und jede Gemeinde ihren Prediger; ein
Jeglicher treibt sein Geschäft auf seine Weise, denn der
Mensch will leben. Die Weisen müssen sich mehr nach den
Thoren richten, als die Thoren nach den Weisen, denn der
Thoren sind viele, und der Weisen sind wenige. Der Kaufmann
rühmt seine Waaren, und die Menschen kaufen davon nach ihrem
Bedürfniß; der Mullah rühmt die wasserreichen Gärten des
Paradieses, und die Menschen glauben daran nach ihrem
Bedürfniß.
»Wenn aber der Kaufmann sagen wollte: meine Waare ist
schlecht – so würde er zum Bettler werden und seine Kunden
verlieren. Die Kunden aber würden nicht nackt gehen deshalb,
sondern ihre Waaren von andern Kaufleuten nehmen.
»Und wenn der Mullah sagen wollte: meine Lehre ist falsch
– so würden die Thoren ihn steinigen, und einen andern an
seine Stelle setzen. Aber jemehr er sich ihrer Thorheit
anbequemt, für desto weiser werden sie ihn halten. Nur nach
und nach findet die Wahrheit Eingang bei den Menschen; nur
nach und nach keimt das Saatkorn und treibt Frucht.
»Aber soll man kein Licht anzünden, weil die Sonne nicht
scheint in der Nacht? Soll man den Verstand schelten, weil
er auf Kosten des Unverstandes leben muß? Was sagt Saadi: –
»Soll man das schöne Himmelslicht anklagen, weil die
Fledermäuse der Sonne Strahlen nicht ertragen können? Eher
mögen tausend Fledermausaugen geblendet werden, als daß die
Sonne sich deshalb verfinstere!« –
***
Mirza-Schaffy hatte schon in den ersten Monaten unsers
Beisammenseins an Omar-Effendi geschrieben: es hause jetzt
in Tiflis ein junger Alim aus dem Abendlande, der bei ihm
die Weisheit lerne, und der später auch eine Wallfahrt zu
Omar-Effendi unternehmen werde, um seine Sprüche der
Weisheit zu erforschen.
Mein bescheidenes Dasein war also nicht nur dem Weisen
von Adigion längst bekannt, sondern durch diesen auch zur
Kenntniß der ganzen Nachbarschaft gekommen, wo Omar-Effendi
nicht wenig an Ansehen gewonnen hatte bei der Nachricht, daß
sein Mund der Born sei, dazu die Weisen des Abendlandes
gepilgert kämen, um daraus zu schöpfen.
Es blieb nur übrig, das Verheißene in Erfüllung zu
bringen. Bei meiner Ankunft in Achalzich erfuhr ich, daß
Omar-Effendi bereits vor einigen Wochen die Stadt
verlassen,. und seine Sommerwohnung in Adigion bezogen habe.
Ehe ich meine Ausflüge in's Innere des Paschaliks antrat,
entsandte ich Botschaft an den Weisen, daß ich den Stab der
Pilgerfahrt ergreifen und demnächst bei ihm eintreffen
werde.
Nach meiner Rückkehr von Abbas-Tuman fand ich eine
Antwort von Omar-Effendi vor, worin er mir sein Herz und
seinen Verstand zu Füßen legte und sagte, daß die Schwelle
seines Hauses nach dem Glücke seufze, von meinen Füßen
berührt zu werden.
Ein russischer Offizier, der eine Dienstreise in das
Innere des Landes zu machen hatte, bot mir seine Begleitung
bis Adigion an; Giorgi bat mich um die Erlaubniß, Jussuf,
unsern Wirth, und noch einige Verwandte mitnehmen zu dürfen,
so daß die Gesellschaft, mit der Kosaken-Eskorte, einen ganz
stattlichen Reiterzug bildete.
Von den vielen Dörfern, welche wir auf der Reise
passirten, verdient nur das seiner Größe und seiner schönen
Moschee wegen bemerkenswerthe Suchilis besonderer Erwähnung.
Wir machten hier eine Stunde Halt, um die Pferde etwas
verschnaufen zu lassen.
Vorüberreitende Türken mußten inzwischen die Nachricht
nach Adigion gebracht haben, daß eine Karawane im Anzuge
sei, denn noch ehe wir einritten in das Dorf, kamen uns
Botschafter von Omar-Effendi entgegen, welche Teppiche vor
uns ausbreiteten, und uns mit Milch und süßen Früchten
bewirtheten.
Trotz der Untiefen der schmutzigen Gassen von Adigion,
und trotz der von furchtbarem Bellen begleiteten Angriffe
der schaarenweis auf uns losstürzenden Hunde des Ortes,
kamen wir mit einbrechender Dämmerung glücklich vor dem
Hause Omar-Effendi's an.
Das ganze Dach, sowie der Balkon, waren mit Menschen
angefüllt, und Sänger waren aufgestellt, uns mit Saitenspiel
und Gesang zu begrüßen.
Nach dem für Alle geltenden, landesüblichen Gruße, die
Hand an Herz und Stirn zu legen, wandte sich Omar-Effendi zu
mir und sprach: »Möge Deinen Fußstapfen Glück folgen! Mein
Haus ist Dein Haus! Deine Wünsche sind mir Befehle!«
Darauf wurden noch eine Menge der schmeichelhaftesten
Phrasen gewechselt.
»Was sagt Togrul-Ben-Arslan! – rief der Weise, – »Das
Angesicht meines Gastes entzückte mich, also, daß mein Herz
überquoll vor Freude!«
»Was sagt Fisuli! – entgegnete ich – »So bin ich armer
Wanderer zu Dir gekommen, wie ein Tropfen Wasser, der zum
Ozean geschwommen!«
Inzwischen dauerte der Gesang und das Saitenspiel ohne
Unterbrechung fort.
Ich lasse hier beispielshalber einige Verse von einem mir
zu Ehren gedichteten Liede folgen, welches ich wenigstens
zwanzig Mal unter dem furchtbarsten Akkompagnement hören
mußte:
»Den jungen Fremdling aus dem Abendland
Besingen wir;
Ihn, der den Pfad zum Born der Weisheit fand,
Besingen wir.
Wir preisen seinen Muth, sein kühnes Wagen –
Sein gutes Roß, sein faltenreich Gewand
Besingen wir.
Wir streuen Blumen vor des Pilgrims Füße,
Und seines Hauptes Weisheit und Verstand
Besingen wir.
Willkommen sei der Fremdling unserm Hause!
Ihn, der des Weges Mühsal überwand,
Besingen wir.
Trotz der dunkel hereinbrechenden Nacht blieben wir auf
dem Balkon, der durch ein halb Dutzend riesig langer, aus
geöltem Papier bestehender Laternen erleuchtet wurde.
Fortwährend wurden Früchte, Milchspeisen verschiedener
Art und süßes Backwerk herumgereicht.
Meinem russischen Freunde, dem die ganze Scene so komisch
erschien, daß er nur mit Mühe durch fortwährenden Genuß der
dicken Milch das Lachen unterdrücken konnte, war etwas
unwohl geworden. Er klagte mir seine Noth, denn es war kein
Ausweg zu finden, ohne eine allgemeine Störung
herbeizuführen.
Der Balkon führte in das Selamlik (Begrüßungszimmer),
welches wiederum mit den andern Gemächern des Hauses in
Verbindung stand. Allein dort hinzugehen, wäre gegen alle
Sitte des Landes gewesen; es blieb sonach nichts übrig, als
vom Balkon herab auf die Dächer der angrenzenden Häuser zu
steigen, was aber wegen der vielen Hunde sehr gefährlich
war.
Ich wendete mich an Omar-Effendi und sagte: O Weiser!
löse mir dies Räthsel: es steht geschrieben, der Geist sei
gewaltiger als der Körper, – und doch hat dieser mehr Gewalt
über jenen, als jener über diesen. Wenn der Geist sich zum
Himmel emporschwingt, so kann er den Körper nicht mitnehmen
– wenn aber der Körper seine gewöhnlichsten Bedürfnisse hat,
so muß die unsterbliche Seele ihm folgen!
Omar-Effendi lächelte, winkte einigen Leuten und befahl
ihnen, Laternen zu bereiten, um zu leuchten, und Knittel,
zur Abwehr der Hunde.
In wenigen Minuten erschienen acht dickbeturbante Türken,
und stiegen mit meinem russischen Freunde den Balkon hinab,
auf die angrenzenden, terrassenförmig gebauten Häuser.
Ein riesiger Türke, in blutrothem Gewande, führte den
Zug, in der Hand eine lange Laterne tragend; der zweite
Laternenträger ging hinterher, während die übrigen
Begleiter, mit furchtbaren Knitteln bewaffnet, den Russen in
die Mitte nahmen, um ihn vor den wolfähnlichen, von allen
Seiten heranstürzenden Hunden zu schützen.
Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen, um zu erforschen, ob
der richtige Anhaltpunkt gefunden sei.
»Wessen Dach ist dieses?« fragte der erste
Laternenträger.
»Abdullah's, des Kaufmanns!« erwiederte der zweite.
»Das ist gefährlich; hier können wir nicht bleiben.«
Und sie stiegen weiter hinab auf ein ganz niedriges Haus.
»Wessen Dach ist dieses?«
»Das Dach der Wittwe Ibrahim's, des Schneiders!«
Und sie ließen sich nieder auf dem Dache der Wittwe.
Am folgenden Tage reiste der Offizier weiter, Jussuf und
seine Verwandten kehrten nach Achalzich zurück, und ich
blieb mit Giorgi allein bei Omar-Effendi.
Wir besuchten gemeinschaftlich die in der Nachbarschaft
von Adigion, hart an der türkischen Grenze belegenen,
ziemlich wohlerhaltenen, aber ebenfalls in einen Kuhstall
umgewandelten Ruinen einer alten georgischen Kirche, welche,
nach Bauart und Inschriften zu schließen, aus der ersten
Hälfte des vierten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung
datirt.
Nachdem ich eine Zeichnung von der Kirche entworfen und
die Inschriften kopirt hatte, kehrten wir nach Adigion
zurück, wo ich mit Omar-Effendi noch einige fröhliche Tage
verlebte.
Unsere Mahlzeiten hielten wir gewöhnlich in den
obstreichen Gärten des Dorfes, welche, wie das ganze Land,
künstlich durch Kanäle bewässert waren. Auf den dunklen
Rasen wurde ein Teppich gelegt, darüber eine kaum sechs Zoll
hohe Tischscheibe gestellt, und rund umher saßen wir mit
untergeschlagenen Beinen. Ein paar der angeseheneren
Einwohner des Dorfes befanden sich gewöhnlich in unserer
Gesellschaft, während andere in großer Zahl sich freiwillig
zu unserer Bedienung anboten.
Wein wurde an der sonst reichlich besetzten Tafel nicht
getrunken; schlechte Musik, mittelmäßiger Gesang und gute
Laune mußten Ersatz dafür bieten.
Ich konnte nicht genau ermitteln, ob Omar-Effendi aus
Rücksicht für seine strenggläubige Umgebung, oder aus
eigenem Festhalten an den Satzungen des Koran sich den Genuß
des Weines versagte.
Ich glaube, daß das Erstere der Fall war, da die Lieder,
welche er mir vorsang, sämmtlich überflossen vom Ruhme des
Weines. Gewohnt, mich überall streng der Sitte des Hauses
meiner Gastfreunde anzubequemen, wagte ich nicht,
Omar-Effendi um Aufklärung des kitzlichen Punktes zu bitten.
Ich mußte meinem Wirthe alle Lieder und Sprüche der
Weisheit sagen, die ich von Mirza-Schaffy gelernt hatte, und
der Weise von Adigion sang mir dafür die seinigen vor. Ich
fand darin eben so viel Anmaßung und Selbstgefühl, aber bei
Weitem nicht die Frische und Originalität, wie in den
Gesängen Mirza-Schaffy's.
Wir schrieben gemeinschaftlich Briefe an Mirza-Schaffy;
mein Wirth, um seine Freude über meinen Besuch auszudrücken,
und ich, um ihm nach langer Trennung wieder einen Bericht
von meinen Erlebnissen zu geben.
Wir rühmten gegenseitig unsere Handschrift, denn auf das
Schönschreiben wird im Orient ein ungemein großer Werth
gelegt; ja, es wird als ein wesentlicher Bestandtheil der
Weisheit betrachtet. Darum kommt es hier nicht selten vor,
daß ein Schriftgelehrter den andern auffordert, ihm einen
Beweis seiner Schreibekunst zu geben, und ihn verhöhnt, wenn
die Probe schlecht ausfällt.
Die Artigkeiten, welche Omar-Effendi mir über meinen
Brief sagte, – den ich ihm zeigte, wie er mir den seinigen,
– schrieb ich alle auf Rechnung Mirza-Schaffy's.
»Du thust wohl – entgegnete er – Deinen Lehrer zu
preisen; aber die Weisheit läßt sich nicht ganz so
verschenken, wie ein anderes Ding; nur halb kann sie
gegeben, halb muß sie gewonnen werden. Es läßt sich kein
Baum pflanzen auf Steinen, und keine Weisheit im Kopfe eines
Thoren. Was sagt Hafis:
Nie wirst Du den Juwel Deiner Wünsche erlangen
Durch eigene Mühe –
Und doch nie, o Hafis! wird er zu Dir gelangen
Ohne eigene Mühe!«
Ich zitirte ihm zur Entgegnung die Stelle aus der Bibel,
wo es heißt: »Wer da hat, dem wird gegeben, wer aber nicht
hat, dem wird noch genommen was er hat.«
Er nickte einverständlich mit dem Kopfe, und ich fuhr
fort: »Es geht mit den Sprüchen der Weisheit im Kopfe eines
Thoren, wie mit dem Gelde in der Hand eines Bettlers, davon
Saadi geredet: »In der Hand eines Bettlers bleibt das Geld
so beständig, wie die Geduld im Kopfe eines Verliebten, und
das Wasser im Siebe!«
»Aber eben so schwer – rief Omar-Effendi – wie es ist,
die Weisheit in die Köpfe der Thoren zu bringen, eben so
schwer ist es auch, die Thorheit ganz zu vertreiben aus den
Köpfen der Weisen!«
»Weil auf dem fruchtbarsten Acker – entgegnete ich – auch
das Unkraut am besten gedeiht. Es genügt, wenn der guten
Früchte mehr sind als des Unkrauts, und dazu bedarf es schon
großer Pflege und großen Kampfes. Ein Gleiches gilt von den
Anlagen und Eigenschaften der Menschen. Was ist die
Reinlichkeit? Ein Kampf gegen den Schmutz; – was ist die
Tugend? ein Kampf gegen das Laster; – denn jedes gute Ding
hat seinen schlimmen Gegensatz, und je beständiger der
Kampf, desto größer der Werth des Menschen, weil seine
Kräfte nicht ermatten, sondern gestärkt werden in solchem
Kampfe.«
Omar-Effendi sah eine Zeitlang schweigend vor sich hin,
klopfte seine Tschibuq aus, rückte an seinem Turban, und
dann wandte er sich zu mir und sagte mit ernstem Gesichte:
»Ich möchte wissen, wer von uns Beiden der Weiseste ist!«
Ich hatte Mühe, bei dieser seltsamen Frage das Lachen zu
unterdrücken, aber ich bezwang mich und erwiederte: »Wie
kannst Du solche Frage thun? Was ist ein Wassertropfen im
Vergleich zur Perle? Was ist ein Staubkorn im Vergleich zum
Diamanten? Was bin ich im Vergleich zu Dir?«
Er lächelte zufrieden über meine Antwort, aber bestand
nichts destoweniger darauf, zu erforschen, wer von uns
Beiden der Weiseste wäre.
Ich war neugierig, wie er seine Forschungen anstellen
würde. Er ging in's Haus, holte ein paar gleiche Stücke
Papier, gab mir eines davon, legte das andere vor sich auf's
Knie zum Schreiben, und sagte: »Nun schreib', ich werde zu
gleicher Zeit mit Dir anfangen!«
Da ich noch immer nicht fassen konnte, wo er hinaus
wollte, fragte ich ihn: »Sag' mir, o Omar-Effendi! was ist
Dein Rath und Begehren?«
Er bedeutete mich, ich solle ihn in Versen besingen, und
er werde mich besingen, und wer von uns am ehesten das Blatt
Papier ausfüllte, der sollte der Weiseste sein.
Ich hatte Mühe, ihm klar zu machen, daß es ein großer
Unterschied sei, sich nothdürftig in einer fremden Sprache
ausdrücken zu können, oder Gasels darin zu schmieden. »Und
wenn ich noch zwanzig Jahre Türkisch lernte – schloß ich –
so würde ich doch nimmer so schöne Verse drin schreiben
können wie Du!«
»So schreib' Du in Deiner Sprache – entgegnete er – und
ich werde in meiner schreiben. Nachher aber sagst Du mir, so
gut Du kannst, was Du geschrieben.«
Ich mußte mich fügen; wir setzten uns nieder, und der
Wettkampf der Weisheit begann.
Es war mir natürlich leichter, eine Seite deutscher
Knüppelverse zu schreiben, als es ihm sein konnte, eine
Seite mit seinen türkischen Hieroglyphen anzufüllen.
Ich schrieb was mir eben durch den Kopf fuhr, und als er
bemerkte, wie ich meine Feder rührig handhabte, während er
kaum ein Dutzend Buchstaben gemalt hatte, rief er mir zu, ja
aufmerksam zu schreiben, denn er werde das Blatt bewahren,
und zeigen, wenn einmal wieder ein Weiser aus dem Abendlande
zu ihm gepilgert käme.
Ich schrieb langsam weiter; da ich aber ein schlechter
Gelegenheitsdichter bin, so konnt' ich nichts Besseres thun,
als die Knüppelverse zu vollenden in der Weise wie ich sie
begonnen hatte.
Ich war fertig, ehe er noch die Hälfte seines Blattes
beschrieben hatte, aber ich schwieg, und zog unbemerkt mein
Notizbuch aus der Tasche, um die Verse abzuschreiben, zum
Andenken an den seltsamen Kampf der Weisheit in Adigion.
Doch selbst nachdem ich die Abschrift genommen hatte, war
Omar-Effendi noch immer nicht fertig.
»Hast Du Dein Gedicht vollendet?« fragte er nach einer
Weile.
Ich antwortete »Ja.«
»Zeige was Du geschrieben!«
Ich suchte ihm die Knüppelverse zu verdolmetschen, so gut
es gehen wollte.
Und da vielleicht auch mancher Leser neugierig ist, den
Inhalt jenes Blattes zu kennen, so lasse ich den Urtext hier
folgen, ungefeilt und unverfälscht, in treuer Abschrift aus
meinem Tagebuche, um der Wahrheit getreu zu bleiben, so sehr
auch die Verse darunter leiden mögen.
An Omar-Effendi
Ein Jeder hat sein Schicksal hier im
Leben,
Wie's Allah ihm, der Einige, gegeben.
Erfüllt der Mensch, was ihm das Herz bewegt,
Thut er, was Allah ihm in's Herz gelegt.
Mir ward der Hang, durch alle Welt zu wandern,
Daß ich der Menschen Thun und Treiben lerne –
So zog' ich fort, von einem Land zum andern,
Und ließ die Heimath und die Meinen ferne.
Wohl oft fand ich, was Aug' und Herz ergötzte,
Doch nie, was meine Heimath mir ersetzte!
Ob trüb, ob heiter meines Schicksals Sterne,
Die Blicke schweiften heimwärts in die Ferne.
Bei Dir, o Omar! nur, sah ich und hört' ich
Das Ferne nicht, und nur was gegenwärtig
Erfüllte mich: so freudebringend ward
In Deinem Hause mir die Gegenwart!
Ich wiegte mich auf Deiner Gärten Matten,
Ich ward gekühlt von Deiner Bäume Schatten,
Zum Klang der Tschengjir schollen Lustgesänge,
Es harrte meines Winks der Diener Menge;
Ich labte mich an Deiner Weisheit Wort,
Du scheuchtest Sorgen, Gram und Zweifel fort;
Ich ward gesonnt von Deiner Freundschaft Blick,
Omar, bei Dir Nichts fehlte meinem Glück!
Gelobt sei Allah, daß er mir im Leben
Durch Dich solch' schönen Augenblick gegeben!
Lob, Preis ihm, daß er Dir mich ließ begegnen,
Und mög' er Dich und alles Deine segnen!
Der Weise schien sehr erfreut zu sein über das Bild,
welches ich von dem Genuß seiner Gastfreundschaft
gezeichnet; aber er weigerte sich, mir das von ihm
beschriebene Blatt zu geben. Er sagte, es sei ihm nicht
gelungen wie er es wünschte, und er wolle mir etwas Besseres
dafür aufschreiben.
Da ich aber zuerst fertig geworden war, so entschied er
den Kampf der Weisheit folgendermaßen: »In Deinem Stamme
bist Du der Weiseste – in meinem Stamme bin ich der
Weiseste!«
Darauf drückte er kräftig meine Hand, und ging in sein
Harem, mit dem Versprechen, bald zurückzukommen.
Nach einer Viertelstunde erschien er wieder und sagte, er
habe seiner Fatima erzählt von den Redeblumen, womit ich
sein Haus überschüttet, und sie habe mir dafür ein Geschenk
zugedacht, einen prächtig gestickten Tabaksbeutel.
»Es ist eigentlich nicht schicklich für den Mann – fuhr
er fort – von seinen Frauen zu sprechen, aber ich mache eine
Ausnahme, um Dich zu ehren. Und hier – sagte er, indem er
ein altes Buch aus seinem Gewande zog – hast Du ein Andenken
von mir. Es ist das Beste, was ich Dir anbieten kann, denn
es sind meine, meines Vaters und meines Großvaters Gedichte
darin! Nimm es und behalte es als Preis für den Sieg im
Kampfe der Weisheit!«
Noch nicht zufrieden mit diesen reichen Gunstbezeugungen,
setzte er sich nieder und schrieb mir das Gedicht auf,
wodurch er das Herz seiner Fatima gewonnen. Es lautet in der
Uebersetzung wie folgt:
»Welchen Werth, sprich, kann die Rose haben,
Wenn im Garten keine Nachtigallen?
Welchen Werth, sprich, kann Dein Haupthaar haben,
Wenn die Locken nicht vom Nacken wallen?
Mögst Du noch so schönen Wuchses prangen,
Mög' auch Rosenröthe Deine Wangen,
Nachtigallensang den Mund durchzieh'n:
Welchen Werth, sprich, hat Dein Leib, wenn ihn
Des Geliebten Arme nicht umfangen?
O, Fatima! stille mein Verlangen!
***
Der schöne Tabaksbeutel wurde mir später in
Konstantinopel gestohlen; das kostbare Buch aber besitze ich
noch unversehrt; dasselbe befindet sich in diesem
Augenblicke in den Händen des Herrn Professor Petermann, dem
ich es geliehen habe mit dem Wunsche es herauszugeben, wozu
mir selbst leider Zeit und Gelehrsamkeit mangelt.