Gulistan
 

Saadis Verse aus dem Gulistan

übersetzt von Friedrich Rückert

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III. Von dem Werte der Genügsamkeit

1

Genügsamkeit, o mache du mich reich,
Denn außer dir ist Reichtum nicht zu finden.
Entsagung ist was Lokman wählt, denn nur
Mit Weisheit kann Entsagung sich verbinden.

2

Ich Ameis die sie treten mit den Füßen,
Nicht Wesp' um deren Stich sie klagen müssen,
Wie kann ich Dank genug der Gnade sagen,
Daß mir die Macht nicht ward die Welt zu plagen.

3

Trocknes Brot soll mir genügen und geflicktes Lappenkleid
Leichter ist die Last der Armut als die Last der Dankbarkeit.

4

Des Kleides Lappen flicken und im Armutwinkel bleiben
Ist besser als um ein Gewand an reiche Lappen schreiben.
In Wahrheit scheint mit Höllenpein mir gleich zu stellen dieses:
Durch Nachbars Beistand einzugehn zur Lust des Paradieses.

5

Dann wird seine Zung ein Weiser rühren
Oder seine Hand zum Bissen führen
Wenn aus seinem Schweigen Schaden käme,
Und er durch sein Fasten Schaden nähme;
Also wird sein Reden bringen Zucht
Und sein Essen der Gesundheit Frucht.

6

Das Wölflein zu füttern ein Mann sich befliß,
Da ward es ein Wolf der den Mann zerriß.

7.

Wir essen um zu leben und nicht Gottes zu vergessen,
Du aber bist des Glaubens daß du lebest um zu essen.

8

Iß nicht soviel daß dirs im Schlund aufsteht
Und nicht sowenig, daß die Seel' im Mund ausgeht.

9

Iß, wenn du ein Mensch bist, mit Mäßigkeit,
In Schmach bringt den Hund seine Fräßigkeit

10

Besser nicht beim großen Herren betteln
Als daß von der Tür dich stößt sein Wächter;
Besser ohne Fleisch im Topfe sterben
Als daß an die Schuld dich mahn' ein Schlächter.

11

Hätt' er als seinen Brotlaib
Im Tischkasten die Sonnenscheib',
So bekäme bis zum jüngsten Tag
Die Sonne zu sehn weder Mann noch Weib.

12

Was du von Niedern erbitten mußt
Ist Gewinn an Leib, an der Seele Verlust.

Oder:

Was du verdankst fremden Gnaden
Ist dem Leib ein Gewinn, der Seel ein Schaden.

13

Von Holden laß dir Kolokynthen spenden,
Nicht Honig von des Sauertopfes Händen.

14

Trag ein Anliegen nicht mit finstrer Braune
Zum Freunde, du verdirbst auch ihm die Laune.
Trag es mit frischem Blicke lächelnd vor,
Der offnen Stirne schließt sich nicht das Tor.

15

Trag zu keinem Mürr'schen deine Bitte,
Der dir übel macht durch sein Gesicht.
Willst du Herzweh klagen, klag es einem
Dessen Blick dir bare Lust verspricht.

16

Der Löw ißt nicht was übrig ließ ein Hund
Und stürb er Hungers in der Höhle Grund.
Der Not, dem Mangel sei dein Leib erlegen,
Nur streck die Hand nicht einem Wicht entgegen!

17

Wer sein Brot durch Arbeit hat gefunden
Ist dem Hatem Tai nicht dankverbunden.

18

Der die sieben Zonen regiert
Hat jedem gegeben was ihm gebührt;
Wären der Katze Flügel gegeben,
Ließe sie keinen Sperling am Leben.

19

Wenn der Niedrige wird vornehm groß und reich,
Fordert er vom Schicksal einen Backenstreich.
Ist es nicht ein Ausspruch den ein Weiser tat?
Besser wenn die Ameis keine Flügel hat.

20

Der Vater hat wohl Honig im Schrank,
Aber der Sohn ist fieberkrank.
Der dir nicht hat Reichtum verliehn,
Weiß besser als du, was zum Heil dir dien'.

21

In dürrer Wüst' im Flugsand gilt dem Munde
Des Durstgen Perle gleich und Muschelschal:
Gleichgültig ist im Gurte Gold und Scherbe
Dem vorratlosen in des Hungers Qual.

22

Lied des durstigen Arabers
O daß mir vor dem letzten Hauch
Noch würd ein Wunsch gewähret auch:
Ein Fluß der mir ging an den Bauch,
Aus dem ich füllte meinen Schlauch!

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