Gulistan
 

Saadis Verse aus dem Gulistan

übersetzt von Friedrich Rückert

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VII. Von dem Einflusse der Erziehung

1

Hart ist es nach der Macht die Dienstbarkeit ertragen,
Gewöhnt an Fürstenpracht des Volks Roheit ertragen.

2

Willst du des Vaters Erb,
Lern des Vaters Erwerb!
Sonst kannst du in zehn Tagen
Des Vaters Gut durchschlagen.

3

Ein Umsturz war einmal in Scham
Wo jeder von seinem Platze kam.
Der verständige Bauernsohn
Kam als Wesir an den Fürstenthron;
Der Sohn des Wesirs, schwach von Vernunft,
Fand bei den Bauern Unterkunft.

4

Geh tausend mißgefälliges aus vom Derwisch,
Bemerken wird man eins von tausend kaum;
Ein Mißgefälliges geh' aus vom Sultan
Und tragen wird man es von Raum zu Raum.

5

Wer, wenn er klein ist, annimmt Zucht nicht,
Bringt, wenn er groß ward, gute Frucht nicht.
Grün Holz läßt sich beliebig biegen,
Das dürre kann nur Feuer schmiegen.

6

Wenn Schulmeister ist ein zu gelinder,
Spielen Blindkuh auf dem Markt die Kinder.

7

In die Schul' den Sohn ein Sultan gab,
Eine Silbertafel trug der Knab',
Auf der Tafel eine Schrift in Gold:
Lehrer streng geht über Vater hold.

8

Wo dir nichts eingeht, da gib langsam aus,
Denn eine Weise singen die Matrosen:
Wenn es ein Jahr nicht regnet im Gebirg,
So wird des Tigris Strom zum wasserlosen.

9

Ein Mann von gutem Glück und Wohlbehagen
Was sollt er plagen sich mit Furcht vor Plagen?
Geh trauter Freund und gönne dir die Freude!
Man kann nicht Leid von morgen essen heute!

10

Wer berühmt ist seiner Milde wegen,
Darf den Pfennig nicht in Fesseln legen.
Wenn dein Ruf ging in die Gassen aus,
Kannst du ihn nicht sperren mehr ins Haus.

11

Der lockre Schlemmer an des Rausches Grenze
Bedenkt nicht leerer Hände traurges Los,
Der Baum vergeudet all sein Laub im Lenze,
Darum im Winter steht er nackt und bloß.

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