Gulistan
 

Saadis Verse aus dem Gulistan

übersetzt von Friedrich Rückert

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Kampflied

4

Ich will nicht der sein, der am Tage des Kampfs euch zeigt den Rücken;
Der bin ich, dessen Haupt ihr mögt in Blut und Staub erblicken.
Denn nur sein eignes Leben setzt aufs Spiel, wer kämpft entschlossen,
Doch wer am Tag der Wahlstatt flieht, das Leben der Genossen.

5

Weißt du was der Vater Sal zu Rostem sprach?
Achten darf man keinen Feind gering und schwach.
Oftmal sahn wir: eine kleine Quelle rann,
Bis sie groß ward, und verschlang dann Roß und Mann.

6

Vermeiden kann ich irgendwen zu kränken;
Was hilfts dem Neider, der sich selber kränkt?
Stirb Neider, um vom Übel zu genesen!
Denn nur der Tod ists der dir Heilung schenkt.

7

Unselige gönnen einem Glücklichern
An Gut und Ansehn jeden Schaden gern.
Doch wenn die Fledermaus nicht sieht am Tage,
Betrifft den Sonnenquell darum die Klage?
Ein tausend solcher Augen darf erblinden
Ehr als der Glanz im Sonnenauge schwinden.

8

O satter, gut nicht findest du das Gerstenbrot;
Das Liebchen nennst du häßlich, das als schön ich pries.
Für Paradiesgäst ist der Limbus höllengleich
Frag Höllengäst ob er nicht ist ein Paradies?

9

Es ist ein großer Unterschied,
Ob man sein Liebchen hält im Arm,
Ob, es erwartend, nach der Türe sieht.

10

Vor einem solchen magst du beben,
O Weiser, welcher bebt vor dir.
Ob auch mit hundert seinesgleichen
Du es im Kampf aufnehmen kannst.
O siehst du nicht, wie selbst die Katze,
Die sich nicht mehr zu helfen weiß,
In Todesangst ins Tigerauge
Die Kralle schlägt? Die Schlange sticht den
Fuß des Hirten, weil sie fürchtet,
Er treff' ihr mit dem Stein den Kopf.

11

Die Hand des Todes schlägt des Aufbruchs Pauke;
Ihr Augen nehmt Abschied vom Haupte nun!
Ihr meine beiden Hände, beiden Arme
Verabschiedet euch von einander nun!
Der Feind des Lebens hat mich überfallen
Ihr Freunde, geht nur auseinander nun!
Das Leben ist in Unverstand verstrichen,
Ich nahm es nicht, o nehmt in Acht es nun!

12

O ihr Gebornen Eines Weibes
Seid ihr nicht Glieder Eines Leibes?
Kann auch ein Glied dem Weh verfallen,
Daß es nicht wird gefühlt von allen?
Du den nicht Menschenleiden rühren
Kannst auch den Namen Mensch nicht führen.

13

In Mittagschlummer sah ich einen Frevler ruhn,
Und sagte: besser weckt man nicht des Volkes Not,
Ja, dessen Schlafen besser als sein Wachen ist,
Ein solcher Übellebender ist besser tot.

14

Keinen Bestand hat Gut in freigebiger Hand,
Geduld im Herzen der Liebe oder Wasser im Siebe.
Der Tor der jetzt die Kampherkerz aufsteckt am hellen Tage,
Bald wirst du sehn daß er bei Nacht kein Öl hat in der Lampe.

16

Man soll nicht dem Begehrenden zu sich die Pfort' erschließen;
Und wenn man aufgeschlossen hat, soll man nicht barsch verschließen.

17

Wer sieht wohl jemals um ein brakisch Wasser
Die Durstigen der Reise sich versammeln?
Nur wo die süße Quelle fließt, da werden Mensch,
Vogel und Ameise sich versammeln.

18

Die in dem Winkel des Heils sich gefunden
Stopfte das Maul den Menschen und Hunden,
Das Papierblatt zerrissen sie
Und wurden frei
Von Silbenstecher-Wortklauberei.

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