Von Jerusalem zu Land nach Beirut
Die Grafen wollten den Weg von Jerusalem nach Beirut zu
Land, und zwar mit dem Umweg über Nazareth, Galiläa, Kanaan
usw., zurücklegen, um soviel wie möglich alle Stellen zu
besuchen, die für uns Christen gewiß die interessantesten
sind. Sie hatten die Güte, mich abermals in ihren Bund
aufzunehmen. Der 11. Juni ward zur Abreise festgesetzt.
11. Juni 1842
Um drei Uhr nachmittags verließen wir Jerusalem und zogen
durch das Damaskustor einer großen Hochebene entgegen. Obwohl
auch hier alles Stein und immer und ewig nur Stein ist, so sah
ich doch ziemlich viele Stoppelfelder und hin und wieder
spärliche Grashalme.
Die Aussicht ist sehr weit; in einer Entfernung von zwei
Stunden sahen wir noch Jerusalems Mauern, bis der Weg sich um
einen Berg wand und der Anblick dieser heiligen Stadt uns auf
ewig entzogen ward.
Um sechs Uhr abends kamen wir an das Dörfchen El-Bire.
Gleich außer demselben schlugen wir auf einem Stoppelfeld
unser Nachtlager auf. Ich hatte auf der ersten Landreise in
Syrien, nämlich von Jaffa nach Jerusalem, schon einen kleinen
Vorgeschmack bekommen, was es heißt, in diesen Gegenden zu
reisen. Wer nicht sehr abgehärtet, furchtlos und gegen Hunger,
Durst, Hitze und Kälte unempfindlich ist; wer nicht auf hartem
Boden, ja auf Steinen zu ruhen und sich den kalten Nächten
unter freiem Himmel auszusetzen vermag, der soll ja nicht
weiter als von Jaffa nach Jerusalem gehen, denn in der Folge
werden die Strapazen immer ermüdender und anhaltender, die
Wege immer gräßlicher, die Kost gerade nur, um nicht zu
verhungern, das Wasser lau und von den ledernen Schläuchen, in
welchen man es bei sich führt, übelriechend.
Wir ritten gewöhnlich sechs bis sieben Stunden in einem
fort, ohne auch nur auf Augenblicke vom Pferd zu steigen, oft
bei einer Hitze von dreißig bis vierzig Grad. Dann wurde
höchstens eine Stunde Rast gemacht, und das oft wieder auf
freiem Feld, wo kein schattiger Baum zu treffen war. Von
Nahrung war gar keine Rede, weder für den Menschen noch für
das arme Tier, oft sogar fehlte uns Wasser, um den quälenden
Durst zu stillen. Die Pferde mußten von Sonnenauf- bis
-untergang rastlos arbeiten, ohne Futter zu erhalten. Solche
Anstrengungen kann aber auch nur ein arabisches Pferd
aushalten. Des Abends wird den Lasttieren das Gepäck
abgenommen, die Sättel aber höchst selten; die Araber sagen,
es sei dem Tier weniger schädlich, die Sättel Tag und Nacht zu
behalten, als nach so großer Erhitzung der kalten Nachtluft
ohne Bedeckung preisgegeben zu sein. Riemenwerk, Sättel und
Sporen sind so überaus schlecht zusammengeflickt, daß man
stets in Gefahr ist, samt dem Sattel vom Pferd zu stürzen, was
sich in unserer Gesellschaft einigemal ereignete, jedoch
glücklicherweise immer ohne Beschädigung ablief.
12. Juni 1842
Die Nacht war sehr kühl; obwohl wir unter einem Zelt
schliefen, hätte der Mantel beinahe nicht ausgereicht, um
hinlänglich vor der Kälte zu schützen. Des Morgens hatten wir
so starken Nebel, daß man kaum dreißig Schritte weit sehen
konnte. Erst gegen acht Uhr verzog er sich, und einige Stunden
später fing die Sonne an, uns sehr lästig zu werden. Man weiß
kaum, wie man sich vor der Hitze verwahren soll; besonders muß
man sich den Kopf sorgfältig verhüllen, um den Sonnenstich
nicht zu bekommen. Ich hatte immer zwei weiße Sacktücher um
den Kopf geschlagen, darüber einen runden Strohhut und
außerdem noch einen Sonnenschirm.
Wir ritten von El-Bire bis Jabrud, wo wir ein wenig
ausruhten, sechs Stunden lang durch eine einförmige, nur wenig
fruchtbare Gegend. Nach Nablus, unserer Nachtstation, hatten
wir noch volle vier Stunden.
Die Wege sind so über alle Beschreibung schlecht, daß man
glaubt, selbe weder zu Fuß noch zu Pferd zurücklegen zu
können. Oft geht es bergauf und -ab über die größten
Felsstücke, und man muß die Geschicklichkeit und die Kräfte
der armen Pferde bewundern, wenn man sieht, mit welcher
Sorgfalt sie den kleinen Raum zu finden wissen, auf welchem
sie allein ihre Füße stellen können, um von einem Felsen zum
andern zu klettern. Oft geht es über Steinplatten, wo das Tier
jeden Augenblick der Gefahr ausgesetzt ist, auszugleiten; dann
wieder an erschrecklichen Tiefen vorüber, deren Anblick allein
schon Schwindel erregt. Ich hatte schon manches über diese
Reitpartien gelesen und war auf vieles gefaßt; dennoch fand
ich es in der Wirklichkeit viel ärger. Man muß sich in Gottes
Namen dem Schicksal und den geübten Pferden überlassen.
Anderthalb Stunden früher als wir unsere Nachtstation
erreichten, kamen wir am Grabmal des Patriarchen Jakob
vorüber. Hätte man uns aber nicht aufmerksam gemacht, so wären
wir vorbeigezogen, ohne es zu bemerken, denn nichts liegt da
als einige Felsstücke. Unweit von dieser Stelle beginnt das
Gebiet Samaria, auch ist in ihrer Nähe der »Jakobsbrunnen«, an
welchem Jesus die Unterredung mit dem samaritischen Weib
hatte. Von dem Brunnen sahen wir keine Spur, die Quelle
sprudelt noch jetzt bescheiden aus einem Fels.
Die Stadt Nablus, der Hauptort in Samaria, mit viertausend
Einwohnern, soll eine der ältesten Städte Palästinas sein. Sie
ist mit einer Festungsmauer umgeben und besteht aus einer sehr
langen, höchst schmutzigen Gasse. Wir ritten von einem Ende
zum andern, über den ärmlichen Bazar, wo mir nichts auffiel
als in so früher Jahreszeit frische Feigen, die natürlich
gleich von uns aufgekauft wurden, aber noch sehr unschmackhaft
waren.
In den Städten liegt überall viel Militär, lauter Arnauten,
ein roher, verwilderter Menschenschlag, vor welchem sich die
Einwohner mehr zu fürchten scheinen als vor den
herumstreifenden Horden, gegen welche jene sie schützen
sollen.
Gleich außerhalb der Stadt schlugen wir auf einem kleinen
Hügel unsere Zelte auf. Man kann sich nicht leicht etwas
Unangenehmeres denken, als so in der Nähe einer Stadt oder
eines Dorfes zu biwakieren. Alle Einwohner, groß und klein,
alt und jung, strömen herbei, um eine europäische Karawane,
die für diese Menschen ein höchst seltener Anblick ist, von
allen Seiten zu betrachten. Sie drängen sich oft bis in die
Zelte, so daß man genötigt ist, sie beinahe mit Gewalt
zurückzutreiben. Dieses Angaffen ist nicht nur höchst lästig,
sondern auch mit der Gefahr des Bestohlenwerdens verbunden.
Unser Koch war so glücklich, ein kaum drei oder vier Tage
altes Zicklein zu erhandeln, welches gleich geschlachtet und
brühwarm mit Reis gekocht wurde. Es war ein schwelgerisches
Mahl, denn so gut erging es uns selten.
13. Juni 1842
Die Morgensonne traf uns bereits zu Pferd, wir durchzogen
das ganze herrliche Tal, an dessen Eingang Nablus liegt. Die
Lage dieser Stadt ist sehr schön. Das Tal ist nicht sehr
breit, höchstens drei viertel Stunden lang, von allen Seiten
mit mäßig hohen Bergen umgeben. Der Berg rechts heißt Ebal,
jener links Garizim, berühmt durch die Versammlung der zwölf
israelitischen Stämme unter Josua, die da beratschlagten, wie
das Land Kanaan zu erobern sei.
Das ganze Tal ist ziemlich fruchtbar, selbst die Berge sind
mitunter bis an die Spitzen mit Oliven-, Feigen-, Zitronen-
und Orangenbäumen bepflanzt. Einige Bächelchen durchziehen das
liebliche Tal gleich Silberströmen. Wir mußten öfters durch
das Wasser reiten, das aber kaum den Huf des Pferdes bedeckte,
so niedrig ist zur Sommerszeit hier der Wasserstand.
Hat man die Höhe des nächsten Berges erreicht und blickt
zurück, so wird man sich ungern von diesem Tal trennen, denn
nicht leicht kann man ein lieblicheres, frischeres Bild sehen
als diesen Zauberhain.
In zwei Stunden kamen wir nach Sebastiye, dem alten Samaria,
welches ebenfalls auf einem schönen Hügel liegt, aber mit der
Lage und Üppigkeit von Nablus nicht zu vergleichen ist.
Sebastiye ist ein erbärmliches Dorf. Man wies uns die Ruinen
des Klosters, das an der Stelle steht, wo einst Johannes der
Täufer enthauptet wurde, aber selbst von den Ruinen ist sehr
wenig mehr zu sehen.
Jenin erreichten wir in weiteren fünf Stunden und befanden
uns nun im Gebiet von Galiläa. Wenn diese Gegenden auch gerade
nicht so üppig sind, wie sie vielleicht einst waren, so stehen
sie auf jeden Fall in starkem Kontrast zu Judäa. Hier sieht
man wieder Hecken von indianischen Feigen, Palmen und große
Strecken Felder, nur keine Wiesen und keine Blumen, diese
fehlen überall.
Die Tracht der Samariterinnen und Galiläerinnen usw. ist
überall gleich arm, schmutzig und einförmig; sie tragen nichts
als dunkelblaue lange Hemden. Der Unterschied besteht nur
darin, daß sie in manchen Orten mit bedecktem und in andern
mit unbedecktem Gesicht gehen. Übrigens könnten sich alle
vermummen, denn von schönen, reizenden Mädchen und Frauen ist
wahrlich so wenig zu sehen, daß man sie wohl mit der Laterne
suchen könnte. Sie haben alle eine braune, garstige Haut,
struppige Haare und nicht so volle Gestalten wie die
Türkinnen. An beiden Teilen des Kopfes, vom Scheitel bis unter
das Kinn, tragen sie eingefaßte Silbermünzen; jene, welche mit
unbedecktem Gesicht gehen, haben gewöhnlich den Kopf in ein
blauleinenes Tuch gewickelt.
Jenin ist eine schmutzige kleine Stadt, die wir in
Augenschein nahmen, um uns den Platz zeigen zu lassen, wo die
Königin Jezabel vom Fenster hinabgestürzt und von den Hunden
zerrissen wurde. Palast und Fenster sind so ziemlich
verschwunden; allein Hunde, die vielleicht auch heute noch
bereit wären, einen so köstlichen Königsbissen mit wahrer
Begierde zu verschlingen, liegen überall in den Gassen. Nicht
allein in Konstantinopel, auch in allen Städtchen Syriens
fanden wir diese herrenlosen Hunde, nur in verhältnismäßig
kleinerer Anzahl.
Wir lagerten uns auf eine oder zwei Stunden vor der Stadt
an einer Kaffeeschenke unter freiem Himmel, unter welchem
großen Naturdach auch eine gemauerte Feuerstelle errichtet
war, auf welcher stets heißes Wasser bereitstand. Unweit davon
waren einige Erderhöhungen aufgeworfen, welche als Diwane
dienten. Ein in Lumpen gehüllter Bub war mit Kaffeestoßen und
sein Vater, der Herr des Kaffeehauses, mit Kaffeebereiten und
dem Bedienen der Gäste beschäftigt. Uns wurden Strohmatten auf
die Erddiwane gelegt und, ohne viel zu fragen, Kaffee und
Nargileh gebracht. Im Hintergrund stand ein großer, hoher,
sehr schön gemauerter Stall, der mich ganz an die europäischen
in großen Gasthäusern erinnerte.
Nachdem wir uns hier ein bißchen erholt hatten, brachen wir
auf, um unsere Tagesreise zu endigen. Gleich außerhalb des
Ortes hat man eine wunderschöne Fernsicht über die ungeheure
Hochebene Esdrelon bis zu dem großartigen Zirkel von Gebirgen,
welcher dies unermeßliche Tal umfängt. In weiter Ferne wies
man uns den Berg Karmel, etwas näher den Berg Tabor. Die
Gebirge sind auch hier ziemlich kahl, bestehen aber doch nicht
mehr aus ganz nackten Felsen; besonders schön macht sich der
ganz abgesondert stehende, reichbewachsene Berg Tabor.
Wir ritten gegen drei Stunden über die Ebene Esdrelon und
hatten Muße genug, der hier vorgefallenen Begebenheiten zu
gedenken. Man kann nicht leicht ein großartigeres Schlachtfeld
sehen als dieses und begreift recht gut, wie sich hier ganze
Völker bekriegen konnten. Von den Zeiten Nebukadnezars bis zu
den Zeiten der Kreuzzüge und von diesen bis zu Napoleon sah
man hier die Heere aller Nationen versammelt, um ihre wahren
oder eingebildeten Rechte zu erkämpfen oder Eroberungen zu
machen.
Das Erdreich auf dieser Hochebene war durch die große
anhaltende Hitze so schrecklich zerspalten und zerrissen, daß
wir bei jedem Schritt unserer Pferde in Angst schwebten, sie
möchten mit den Füßen zwischen die Spalten und Risse geraten
und sich selbe verstauchen oder wohl gar brechen. Der Boden
besteht aus schöner Erde ohne Steine, scheint aber
meistenteils brachzuliegen, denn er war reich mit Unkraut und
wildwachsenden Artischocken bedeckt. Die Dörfer liegen in
weiter Ferne an den Gebirgen.
Wir schlugen unser Nachtquartier außerhalb des elenden
Dorfes Lagun an einer kleinen Zisterne auf und schliefen die
dritte Nacht auf harter Erde.
14. Juni 1842
Heute ging es noch eine Stunde in dieser Ebene fort, auf
welcher wir wieder einmal von den kleinen, schrecklich
lästigen Mücken, die wir das erstemal auf der Reise von Jaffa
gegen Ramle trafen, sehr viel zu leiden hatten. Sie verließen
uns erst, als wir schon eine gute Strecke auf fürchterlichen
Wegen die die Ebene begrenzenden Berge erstiegen hatten, von
deren Spitze wir Nazareth erblickten, am Ende eines ziemlich
fruchtbaren Tales freundlich an einem Hügel erbaut. Im
Hintergrund sieht man den schön gelegenen Berg Tabor.
Von dem Punkt, wo man Nazareth zuerst ansichtig wird, hat
man noch anderthalb Stunden zu reiten, folglich von Lagun bis
Nazareth vierthalb Stunden und von Jerusalem sechs- bis
siebenundzwanzig Stunden.