Reise von Konstantinopel über Beirut nach Jerusalem
Jaffa
27. Mai 1842
In der Nacht kamen wir nach Cäsarea. Mit wahrer
demosthenischer Beredsamkeit suchte uns der Schiffspatron von
dem Vorsatz, hier zu landen, abzubringen; er stellte uns die
Gefahren vor, denen wir ausgesetzt wären und was wir alles von
den Beduinen und den Schlangen zu befürchten hätten; erstere
pflegen hordenweise sich in den Ruinen aufzuhalten, um die
Reisenden von ihren Effekten und ihrer Barschaft zu befreien;
sie wissen aus Erfahrung, daß solche Orte nur von neugierigen,
wohlhabenden Franken besucht werden, darum sind sie hier
beständig auf der Lauer gleich den einstmaligen gemütlichen
Raubrittern des guten alten Deutschen Reiches. Ein ebenso
gefährlicher Feind sind die vielen Schlangen, die in dem alten
Gemäuer und auf dem wild bewachsenen Boden den darüber
Schreitenden bei jedem Tritte lebensgefährlich werden können.
Wir wußten dies alles sehr genau, teils aus
Reisebeschreibungen, teils aus mündlichen Überlieferungen,
allein es tat unserer Neugierde keinen Einhalt.
Dem Kapitän selbst war es weniger um unsere Gefahr als um
den Zeitverlust zu tun, darum suchte er uns von dieser
Exkursion abzuhalten; doch es half ihm alles nichts, er mußte
Anker werfen, den Tag erwarten und uns dann auf dem Boot ans
Land setzen.
Unsere Waffen bestanden aus Sonnenschirmen und Stöcken
(letztere trugen wir, um das Gesträuch zu sondieren); unsere
Begleitung aus dem Kapitän, dem Diener und zwei Matrosen.
Wir trafen richtig zwischen den Ruinen einige verdächtige
Gestalten, herumstreifende Beduinen. Zum Fliehen war es zu
spät; wir gingen ihnen daher herzhaft entgegen, sahen sie
furchtlos und freundlich an, sie uns desgleichen, und damit
war alles abgetan. Wir stiegen von einer Ruine zur andern und
hielten uns gewiß über zwei Stunden auf, ohne von diesen
Leuten und noch weniger von Schlangen beunruhigt zu werden.
Von den letzteren sahen wir nicht einmal eine einzige.
Ruinen sind da im Überfluß vorhanden. Ganze Seitenwände und
Mauern, die wohl Privathäusern, aber keinen Tempeln oder
Prachtgebäuden angehört haben mögen, stehen noch beinahe
unversehrt da. Stücke von Säulen liegen in Menge zerstreut
herum, aber ohne Fries, Kapitelle und Fußgestelle.
Ein ganz eigenes, nie gekanntes Gefühl erweckte es in mir,
auch da zu gehen, wo Christus ging. Jeden Fleck, jedes Gebäude
betrachtete ich mit doppeltem Interesse. Vielleicht, dachte
ich, betrete ich dieselbe Stelle, dasselbe Haus, das einst von
Jesus besucht wurde. Glücklich und selig kehrte ich auf unsere
Barke zurück.
Um drei Uhr nachmittags befanden wir uns hart unter Jaffas
Mauern. Das Einlaufen in den Hafen, der sehr versandet ist,
wird als gefährlich geschildert. Man sagte uns, wir würden
manche Trümmer gestrandeter Schiffe und Barken sehen; doch
sosehr ich meine Augen anstrengte, ich gewahrte nicht das
geringste. Wir liefen glücklich ein, und somit war diese
kleine Reise beendet, auf der ich viel Interessantes und Neues
an Gegenständen gesehen und auch das Leben der Matrosen
kennengelernt hatte. Oft, wenn Windstille eintrat, lagerten
sich unsere Araber auf den Boden, bildeten einen Kreis, sangen
Lieder, die aber so eintönig und harmonielos klangen, als man
es sich nur denken kann; dazu klatschten sie in die Hände und
erhoben zeitweise ein hölzernes Gelächter dazu. Ich fand nicht
nur nichts Anziehendes an dieser Unterhaltung, im Gegenteil,
es machte auf mich einen melancholischen Eindruck, zu sehen,
wie weit diese guten Menschen noch in allem zurück sind.
Die Tracht dieser Leute war höchst einfach: ein Hemd deckte
notdürftig ihre Blöße, und ein Tuch, um den Kopf geschlagen,
schützte sie vor dem Sonnenstich. Der Kapitän zeichnete sich
nur durch den Turban aus, der gar komisch zur übrigen
halbnackten Gestalt paßte. Ihre Kost bestand aus einem
einzigen warmen Gericht, das sie abends aßen, entweder Pilaw
oder Hülsenfrüchte. Während des Tages begnügten sie sich mit
Brot und manchmal einer Gurke dazu. Ihr Getränk war Wasser.
Die Stadt Jaffa hat ein ganz eigentümliches Aussehen. Sie
erstreckt sich vom Strand des Meeres bis an die Spitze eines
ziemlich bedeutenden, ganz einzeln stehenden Hügels. Die
untere Straße, von einer Mauer umgeben, scheint breit zu sein,
die übrigen laufen auf den Höhen und scheinen auf den unter
ihnen liegenden Häusern zu ruhen. Von der Barke aus gesehen,
hätte man behaupten können, daß die Menschen auf den platten
Dächern herumwandelten.
Da in Jaffa weder ein Gasthof noch ein Kloster, das
Reisende beherbergt, ist, so ging ich zum k. k.
österreichischen Konsul, Herrn Da., der mich recht herzlich
aufnahm und bei seiner Familie einführte, die nebst der Frau
aus drei Töchtern und ebenso vielen Söhnen besteht. Ihre
Tracht war türkisch. Die Töchter, worunter zwei ausgezeichnet
schön waren, trugen weite Beinkleider, eine Binde um die Mitte
und einen Kaftan darüber. Auf dem Kopf hatten sie einen
kleinen Fez, die Haare waren in fünfzehn bis zwanzig kleine
Flechten geteilt und mit kleinen Goldmünzen durchzogen. Am
Ende jedes Zöpfchens war eine etwas größere befestigt. Den
Hals schmückte ein Kollier von Goldmünzen. Ebenso war auch der
Anzug der Mutter. Wenn ältere Frauen wenig oder keine Haare
haben, so ersetzen sie durch künstliche Seidenzöpfchen, was
die Natur nicht mehr gewährt.
Das Anheften der Münzen ist in Syrien so gebräuchlich, daß
das ärmste Weib, Mädchen oder Kind soviel als möglich davon an
sich trägt. Wenn es keine Goldmünzen sein können, so begnügen
sie sich mit Silbergeld, und wenn sogar dieses mangelt, mit
Kupfer- oder sonstigen kleinen Scheidemünzen.
Der Konsul und seine Söhne waren ebenfalls türkisch
gekleidet, nur hatte der Vater statt des Turbans einen alten
dreieckigen Hut auf dem Kopf, was über alle Beschreibung
lächerlich aussah. Eine Tochter und ein Sohn dieses guten,
halb türkisch und halb europäisch gekleideten Mannes waren
einäugig, ein Gebrechen, welches in Syrien ziemlich häufig
vorkommt. Man schreibt es der trocknen Hitze, dem feinen
Sandstaub und dem grellen Licht der nackten Kalkgebirge zu.
Da ich in Jaffa zeitig ankam, so ging ich in Begleitung
eines Sohnes des Herrn Konsuls in der Stadt und deren Umgebung
umher. Die Stadt gleicht an Schmutz, Unebenheiten und
dergleichen allen bisher gesehenen. Nur die untere Straße am
Meer ist breit und belebt und wird immer von vielen beladenen
und unbeladenen Kamelen durchzogen. Der Bazar besteht aus
jämmerlichen hölzernen Buden.
Die Umgebung ist schön und äußerst fruchtbar. Große und
viele Gärten mit Obstbäumen von allen Gattungen südlicher
Früchte und mit der undurchdringlichen Hecke des indianischen
Feigenbaumes umpflanzt, bilden einen Halbkreis um den unteren
Teil der Stadt.
Der indianische Feigenbaum, den ich hier zum erstenmal
erblickte, sieht sonderbar aus. Aus dem Stamm, welcher sehr
niedrig ist, sprossen einen Schuh lange, einen halben Schuh
breite und einen halben Zoll dicke Blätter hervor. Selten
bildet der Baum Äste, sondern ein Blatt entsprießt dem andern,
und auf den äußeren Blättern setzt sich die Frucht an, die
zwei bis drei Zoll lang sein mag. Oft setzen sich zehn bis
zwanzig solcher Feigen an ein Blatt an.
Ich konnte nicht begreifen, wie alle Bäume in diesen heißen
Ländern ohne erquickenden Regen so frisch und schön aussehen
können. Hier fand ich die Erklärung in den vielen Kanälen,
welche die Gärten durchschneiden und künstlich bewässern. Auch
der starke Tau und die kühlen Nächte erfrischen die bei Tag
hinwelkende Natur. Aber eine Hauptzierde unserer Gärten fehlt
jenen ganz, nämlich ein schöner Rasen mit Feldblumen. Hier
wächst der Baum und das Gemüse aus rein sandigem oder
steinigem Boden hervor, was der Schönheit der Ansicht wohl von
ferne nicht schadet, aber in der Nähe eine etwas unangenehme
Überraschung bietet. Von Blumen sah ich gar nichts.
Um Jaffa ist alles dergestalt mit tiefem Sand umgeben, daß
man bei jedem Schritt bis über die Knöchel einsinkt.
Herr Konsul Da. versieht zwei Konsulate, das
österreichische und das französische, hat aber von beiden
nichts als die Ehre. Für manche ist dies viel, für die meisten
aber ein wirkliches Nichts. Doch diese Familie scheint viel
auf Ehre zu halten, denn stets vererbte sich diese Stelle vom
Vater auf den Sohn. Auch der jetzige aspiriert schon auf dies
Amt.
Abends wohnte ich bei meinen freundlichen Wirten einem echt
orientalischen Gastmahl bei.
Auf der Terrasse des Hauses wurden Matten, Teppiche und
Polster ausgebreitet und in die Mitte ein ganz niedriges
Tischchen gestellt. Um dieses lagerte oder setzte sich die
Familie mit untergeschlagenen Beinen herum. Mir gab man einen
Stuhl, der aber höher war als das Tischchen. Auch legte man
für mich und den Herrn Konsul alte Eßbestecke, aus irgendeiner
Rumpelkammer hervorgesucht, neben die Teller; die übrigen
hatten Messer und Gabel an der Hand, nämlich die Finger.
Die Gerichte sagten mir gar nicht zu. Ich war noch zu sehr
Europäerin und zu wenig bei Eßlust, um nur erträglich zu
finden, was diesen guten Leuten ein Hochgenuß schien.
Das erste Gericht bestand aus einem leckeren Pilaw,
zusammengesetzt aus Schöpsenfleisch, Gurken und viel Gewürz,
wodurch es für meinen Gaumen viel unschmackhafter war als der
gewöhnliche Pilaw. Dann folgten aufgeschnittene Gurken mit
etwas Salz, jedoch Essig und Öl, die Hauptsache, erwartete ich
vergebens, ich mußte sie so hinabschlucken. Hierauf kam Reis
in Milch gekocht und mit einer solchen Portion Rosenöl
gewürzt, daß mich schon der Geruch allein übersättigte.
Endlich erschien der Nachtisch, bestehend aus kleinen
ungeschälten Gurken, die meine Tischgenossen mit Haut und Haar
gar säuberlich verspeisten, einem alten Schafkäse und
gebrannten Haselnußkernen. Das Brot ist flach wie Pfannkuchen
und wird nicht in Öfen, sondern auf Platten oder heiße Steine
gelegt, und wenn es unten gebacken ist, auf die andere Seite
gewendet. Übrigens schmeckt es dennoch besser, als man
vermutet.
Unser Tischgespräch war höchst interessant. Einige der
Familie sprachen etwas Italienisch, und selbst dies mit so
viel griechischem Dialekt, daß ich mehr erraten mußte, was man
sagen wollte. Gewiß ging es ihnen ebenso mit mir. Der Herr
Konsul behauptete zwar, sehr gut Französisch zu können, allein
für diesen Abend schien es seinem Gedächtnis so ziemlich
entfallen zu sein. Gesprochen wurde viel, verstanden wenig.
Eine Sache, die sich oft in gelehrten Zirkeln ereignen soll,
wie man sagt; desto weniger hatte es also bei uns zu bedeuten.
Gurken hat man in Syrien eine Menge Sorten, sie sind eine
Lieblingsspeise der Armen und Reichen. Ich fand jedoch keine
Gattung schmackhafter als unsere heimische Gurke. Die zweite
Lieblingsfrucht ist die Wassermelone, die ich auch nicht
größer und schmackhafter wie jene im südlichen Ungarn fand.
Das Haus des Konsuls sieht sehr groß aus, die Bauart
desselben ist so regellos, daß man in dem großen Raum sehr
wenig Bequemlichkeit und nur wenige Gemächer findet. Die
Zimmer sind groß und hoch, äußerst notdürftig eingerichtet und
etwas unordentlich gehalten.
Ich schlief in dem Zimmer der verheirateten Tochter, wären
aber nicht Betten darin gestanden, ich würde dieses Gemach
eher für ein altes Magazin als für ein Schlafzimmer angesehen
haben.