Zivilisation und ...

Reise einer Wienerin in das Heilige Land

Ida Pfeiffer

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Reise von Konstantinopel über Beirut nach Jerusalem

Gallipoli - Ägäis

Des folgenden Tages, am

18. Mai 1842

erreichten wir sehr zeitig das Städtchen Gallipoli, welches an den Dardanellen oder dem Hellespont auf einer Anhöhe liegt. Einige Reste von beinahe ganz verfallenen Ruinen geben dem Vorübereilenden Stoff genug, an die ehemals blühende Vorzeit zu denken. Wir hielten hier nur ein Viertelstündchen, um durch neue Ankömmlinge das Verdeck noch belebter zu machen.

Das Meer ist nun in einer Länge von fünfundzwanzig Seemeilen bis Seddülbahir in ein so schmales Bett eingeengt, daß es einem Kanal gleicht, der gegraben wurde, das Meer von Marmara mit dem Archipel zu verbinden, und führt daher mit Recht den Namen: die Straße der Dardanellen. Links hat man stets das Festland Asiens und rechts eine Erdzunge Europas, die bei Seddülbahir ihr Ende findet. Die beiderseitigen Ufer sind kahl und öde. Es ist ein gewaltiger Kontrast, der jeden fühlenden Reisenden ergreift, welcher vom Bosporus auf einmal hierherversetzt wird. Ach, was bot dieser Boden einst? Welche Heldentaten bewahrt uns die Geschichte von diesen Gegenden? Mit jeder Minute näherten wir uns dem klassischen Boden mehr und mehr. Ach, daß es uns nicht vergönnt war, manche der griechischen Inseln, an welchen wir so nah vorüberfuhren, zu betreten. Ich mußte mich mit dem Gedanken an die Vergangenheit, an die Geschichte der Vorzeit Griechenlands und seiner Helden begnügen, ohne die Schauplätze dieser Taten sehen zu können. Und was soll ich erst von meinen Empfindungen sagen, als wir den Gefilden Trojas nahten?

Ich war stets auf dem Verdeck, um ja nichts zu übersehen, und getraute mir kaum zu atmen, als ich die Ebene Trojas erblickte.

Da mag diese berühmte Stadt gestanden sein, jene Erhöhungen sind vielleicht die Ruhestätten eines Achill, Patroklus, Ajax, Hektor und noch vieler anderer Helden, welche ähnliche Verdienste um ihr Vaterland sich erworben hatten, aber nicht so glücklich waren, der Nachwelt bekannt zu werden. Wie gern hätte ich an Ort und Stelle der Geschichte nachgeträumt, die mir in der Jugend so viel Verehrung und Interesse eingeflößt und damals schon den Wunsch in mir rege gemacht hatte, einst diese Länder zu besuchen, ein Wunsch, der nun teilweise in Erfüllung ging. Aber zu schnell flogen wir vorüber. Öde und verlassen ist die ganze Gegend. Ich sah weder Feld noch Dorf. Trauern die Menschen oder die Natur? Die Menschen könnten es mit Recht, denn nimmer werden sie, was sie einst waren.

Im Lauf des Tages kamen wir an mehreren Inseln vorüber. Im Vordergrund ragte die Spitze von Hydra empor, nun tauchte Samothrake auf, und bald segelten wir auch ganz nahe an Tenedos vorüber. Diese Insel gewährt anfangs keinen schönen Anblick, aber kaum hatten wir einen kleinen Vorsprung umfahren, so erblickten wir die schöne Festung, welche wie zum Schutz der hinter ihr liegenden Stadt bestimmt zu sein scheint, ausgebreitet an der Meeresküste.

Nachdem wir Tenedos verlassen hatten, verloren wir rechts (links behält man immer das Festland Asiens im Angesicht) auf kurze Zeit alle Inseln aus dem Gesichtskreis, erreichten aber dann die schönste unter ihnen, Mytilene, die mit Recht von den Dichtern als das feenartigste Eiland besungen wurde. Wir fuhren über sieben Stunden lang an ihrer Küste. Sie gleicht einem Garten von Oliven-, Orangen-, Granatbäumen usw. Der Hintergrund ist durch eine doppelte Reihe gezackter Berge geschlossen, und die Stadt selbst liegt ungefähr auf dem halben Weg. Sie zieht sich rings um einen Hügel, auf welchem Festungswerke angebracht sind, während vorne ein schöner Hafen, eine tiefe Bucht die Stadt zur Hälfte umgürtet. Einzelne Masten blickten herüber und bezeichneten uns, wie weit die Bucht reiche. Von diesem Punkt an sahen wir ein Dorf gereiht an das andere, freundlich hervorblickend aus dem Schatten üppig blühender Bäume.

Auf dieser Insel einen Frühling zu durchleben müßte ein großer Genuß sein.

Bis spät in die Nacht blieb ich auf dem Verdeck; so reich, so abwechselnd in den Bildern vorübergleitender Inseln ist diese Fahrt auf dem Ägäischen Meer. Hätte ich zaubern können, ich würde die Sonne so lange an den Horizont gebannt haben, bis wir im Hafen von Smyrna eingelaufen wären. Leider verbarg uns die Nacht manche schöne Insel, die wir am folgenden Morgen nur auf der Karte sehen konnten.

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