Zivilisation und ...

Reise einer Wienerin in das Heilige Land

Ida Pfeiffer

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Aufenthalt in Beirut

Im Gasthof bei Battista fand ich abermals kein Kämmerchen, und diesmal war ich in einer noch viel größeren Verlegenheit, ein Unterkommen zu finden als das erstemal; denn die Frau des Wirtes war samt den Kindern auf dem Land, ihre Privatwohnung vermietet, und ich saß somit im vollen Sinn des Wortes auf der Gasse. Ein Geistlicher, den ich in Konstantinopel kennengelernt hatte und welcher jetzt gerade in Beirut war, erbarmte sich meiner und brachte mich gleich außerhalb der Stadt bei einer recht braven arabischen Familie unter. Nun war ich zwar unter Dach und Fach, allein ich konnte mich mit niemandem verständigen, denn keine Seele sprach Italienisch, und ich wußte keine andern Wörter Arabisch wie schön, Wasser, Milch, nichts.

Mit diesem Reichtum an Ausdrücken war natürlich nicht weit zu kommen, was ich gleich am folgenden Tag sehr schmerzhaft empfand. Ich ließ mich nämlich durch einen Knaben in die Kirche führen und bedeutete ihm, daß er auf mich warten solle, um mich wieder nach Hause zu begleiten. Als ich fort wollte, sah ich den Jungen nicht mehr. Ich wartete vergebens und mußte mich endlich entschließen, den Weg allein zu suchen.

Das Haus, wo ich wohnte, stand in einem Garten mit Maulbeerbäumen, allein die Häuser in der ganzen Gegend haben dieselbe Bauart, an jedes ist ein Turm angebaut, in welchem sich ein bewohnbares Zimmer befindet, und alle stehen in Gärten von Maulbeerpflanzungen, die entweder gar nicht abgeteilt oder nur durch kleine Sanderhöhungen voneinander getrennt sind. Blumen oder Gemüse sieht man nirgends, ebensowenig Straßen oder Wege, und so geriet ich in ein Labyrinth von Bäumen und Häusern ohne Ende. Ich begegnete lauter Arabern, die mich nicht verstanden und daher auch nicht zurechtweisen konnten. So lief ich nun kreuz und quer, bis ich endlich nach langem, ermüdendem Herumirren zufällig auf mein Haus stieß. Dergleichen Unannehmlichkeiten wollte ich mich nicht öfters aussetzen und lieber in der Stadt wohnen, wo ich ohnehin täglich sein mußte, um eine Gelegenheit zur Reise nach Alexandria zu suchen. Ich ließ mich daher von demselben Jungen in die Stadt zum österreichischen Generalkonsul Herrn v. A. führen. Leider war dieser Herr für mich unbedeutende Person nicht zu sprechen; er ließ mir sagen, ich möchte einige Stunden später kommen. Dies war für den Augenblick eine wahre Hiobspost. Die Hitze war groß, ich ohnehin schon zum zweitenmal in der Stadt, und nun sollte ich wieder hinaus in den glühenden Sand, um in einigen Stunden zurückzukehren. Wenn ich nicht übernatürliche Kraft gehabt hätte, wäre ich in dieser Lage halb untergegangen. Allein auch hier wußte ich mir glücklicherweise zu helfen.

Ich ließ mich durch meinen kleinen Führer in das Haus führen, wo ehemals die Frau des Wirtes Battista wohnte. Bei meinem ersten Aufenthalt in Beirut hatte ich zufällig erfahren, daß in demselben Haus eine Französin wohne, die sich mit dem Unterricht der Kinder beschäftige. Diese Französin suchte ich auf, fand sie glücklich, und nun war mir insoweit geholfen, daß ich doch mit jemandem reden und jemanden um Hilfe ansprechen konnte. Die Französin, ein Fräulein von ungefähr vierzig Jahren namens Pauline Kandis, war ein vortreffliches Geschöpf. Meine verhängnisvolle Lage ging ihr so zu Gemüt, daß sie mir zum einstweiligen Aufenthalt ihr eigenes Zimmer anbot. Ich sah freilich, daß auch hier noch sehr viel zu wünschen übrigblieb, denn ihre Wohnung bestand aus einem Zimmer, welches durch mehrere hohe Kästen in zwei Teile abgeteilt war; in der vorderen Abteilung stand ein großer Tisch, um welchen vier oder fünf Mädchen saßen oder standen, die lernen sollten. Das rückwärtige Gemach machte die eigentliche Rumpelkammer aus. Da gab es denn Kisten und Körbe und Töpfe, ein altes Faß, auf welchem ein Brett lag, diente statt eines Tisches, aber meine Lage war in diesem Augenblick zu verzweifelt, um nicht mit Freuden diese angebotene Rumpelkammer anzunehmen. Ich wanderte gleich mit meinem Jungen fort, und schon um Mittag war ich mit Sack und Pack bei meiner liebreichen Wirtin. Nun aber konnte ich für diesen Tag auch keinen Schritt mehr machen. Meine Kräfte waren teils noch von der Reise, teils von dem heutigen Herumlaufen so erschöpft, daß ich um nichts als um ein Lager bat, welches mir zwischen den alten Kisten und Körben auf dem Boden zuteil ward. Ich legte mich nieder, um der mir höchst nötigen Ruhe zu genießen.

Abends um sieben Uhr wurde die Schule geschlossen, da empfahl sich Fräulein K. und überließ mir beide Gemächer, indem sie hier nur Schule hält und bei ihrem Bruder, dem Dr. K., wohnt.

Der Aufenthalt bei Fräulein K. war das Ärgste, was mich auf der Reise traf.

Von acht Uhr morgens bis sieben Uhr abends waren vier oder fünf Mädchen da, die aber eher alles taten, als lernen. Das war den ganzen Tag ein Laufen und Springen, Lärmen und Schreien, daß man sein eigenes Wort nicht hörte. Nebstdem befanden sich in den höheren Regionen dieses Hörsaales acht Taubennester, da flatterten die Alten, die so zahm waren, daß sie einem den Bissen nicht nur vom Teller, sondern sogar vom Mund wegstahlen, beständig im Zimmer herum, so daß man sich nirgends setzen konnte, ohne vorher den Platz zu besichtigen und zu reinigen. Auf dem ebenerdigen Terrain balgte sich ein Hahn mit drei Gemahlinnen, und eine Frau Mutter Henne mit elf hoffnungsvollen Jungen gackerte stets dazwischen. Mich wundert, daß ich nicht schielend wurde, denn ein Auge mußte stets in die Höhe und das andere in die Tiefe gerichtet sein, um nirgends Unheil zu leiden oder anzurichten. Des Nachts war eine Hitze und ein Gestank, kaum zum Ertragen, und der Hahn fing nach Mitternacht zu krähen an, als ob er dafür bezahlt würde. Ich öffnete bei Nacht das Fenster, um der Hitze und dem Geruch einen Ausweg zu verschaffen, und legte mich, wie einst der Mameluck vor Napoleons Tür, vor das Fenster, um die mir anvertrauten Pfänder vor jedem nächtlichen Überfall zu schützen. Allein schon in der zweiten Nacht mußte ein Paar wandernde Katzen meine Gesellschaft erlauert haben; ohne viel zu deliberieren, stiegen sie ganz leise und behutsam über mich in das Gemach und fingen da einen Mordsspektakel an. Ich sprang auf und verscheuchte die Mörder und mußte mich von nun an wieder in das Innere zurückziehen, die Fenster mit Balken verschanzen und mutig alle Leiden tragen.

Die Kost war ebenfalls sehr erquicklich. Die Schwägerin der guten Pauline sandte täglich das Mittagessen; da kam dann an einem Tag ein Fingerhut voll safrangelb gefärbtem Pilaw und den andern ein halbes Kopfstückchen von einem Fisch. Fünf Tage in der Woche sollte ich fasten und an den beiden andern hätte ich nichts zu essen bekommen. Ich kündigte also die Kost gleich auf und kochte mir täglich selbst ein gutes deutsches Gericht. Des Morgens ließ ich mir Milch bringen, um ebenfalls nach deutscher Art Milch und Kaffee zu trinken. Leider aber müssen unsere Milchpanscherinnen schon bis Syrien gedrungen sein, denn hier bekam ich ebensowenig echte Ziegenmilch wie in Wien unverfälschte Kuhmilch.

Meine Bettstatt war eine alte Kiste, meine Unterhaltung und Beschäftigung Nichtstun. Ich hatte kein Buch zum Lesen, keinen Tisch zum Schreiben, und erhielt ich wirklich einmal etwas zum Lesen oder versuchte ich zu schreiben, so kam der ganze Schwarm der holden Jugend und sah in mein Buch oder auf meine Feder; da hieß es dann wohl:

Geduld, Geduld! wenn's Herz auch bricht,
Mit Gott im Himmel hadre nicht.

Hadern, nun das hätte so nichts genützt, allein den Ärger konnte ich nicht ganz unterdrücken.

Meine Freunde werden mir vergeben, daß ich meine Leiden so genau beschreibe, allein es geschieht nur, um alle jene abzuschrecken, die etwa Lust zu solch einer Reise hätten und nicht reich, vornehm oder doch recht abgehärtet sind, denn ohne den Besitz wenigstens einer dieser Eigenschaften möge jeder lieber zu Hause bleiben.

Weil ich nicht vornehm oder reich war, empfing mich der Herr Konsul das erstemal gar nicht, obwohl gerade vor mir der Kapitän eines Dampfschiffes seine Aufwartung abstattete. Als ich nach einigen Tagen wieder kam, ihm meine Not klagte und sehr deutlich zu verstehen gab, wie glücklich ich mich schätzen würde, wenn sich meiner jemand annähme und die Gefälligkeit hätte, mir gegen Bezahlung eine anständige Wohnung zu verschaffen, bis ich eine Gelegenheit nach Alexandria fände; da war der Herr Konsul so gütig, zu all meinem Elend nur den Kopf zu schütteln und die trostreichen Worte zu sagen: »Ich bedaure, es ist wirklich traurig«, usw. Der gute Herr muß sein Gefühl beim Übersiedeln vergessen haben, sonst hätte er mich unmöglich mit ein paar so herzlosen Floskeln abfertigen können, um so mehr, da ich ihm ausdrücklich sagte, daß ich hinlänglich mit Geld versehen sei, um die Kosten zu tragen, daß es aber oft Lagen gebe, wo man nebst Geld auch noch anderer Hilfe bedürfe. Kurz, er erkundigte sich während meiner langen Anwesenheit in Beirut kein einziges Mal nach mir.

Während meines Aufenthaltes machte ich einen Ausflug nach der Grotte, in welcher der heilige Georg den Drachen erlegt haben soll, sie liegt rechts unweit der Quarantäneanstalt. Der Ritt dahin ist wegen der schönen Ansichten sehr lohnend, an der Grotte selbst ist nichts Sehenswertes.

Abends ging ich öfters zu einer arabischen Familie, setzte mich auf die Terrasse des Turmes und erfreute mich an dem herrlichen Sonnenuntergang.

In Beirut lag sehr viel Militär, ebenfalls lauter Arnauten. Sie hatten ihre Zelte vor der Stadt aufgeschlagen, die dadurch ganz das Aussehen eines Feldlagers erhielt. In vielen Städten sind keine Kasernen, und da die Soldaten in Privathäusern nicht einquartiert werden, so müssen sie auf dem Feld unter Zelten biwakieren.

Der Bazar ist sehr groß und ausgedehnt. Ich hatte einmal das Unglück, mich in diesen vielen Gassen zu verirren, und brauchte längere Zeit, mich wieder herauszufinden; dabei sah ich die Menge der Handelsartikel und die Unzahl der Kramläden; an beiden ist nichts Merkwürdiges. Zugleich überzeugte ich mich hier abermals, daß an dem Gerede der Menschen die Hälfte unwahr ist. Man hatte mich nämlich gewarnt, nicht allein auf die Gasse, noch viel weniger aber in den Bazar zu gehen. Ich versuchte beides, nicht etwa einmal, sondern während meines Aufenthaltes täglich ein-, auch zweimal, und nie begegnete mir das Geringste.

Zehn ewig lange Tage saß ich schon in Beirut, und noch fand sich keine Gelegenheit nach Alexandria. Da kam Ende Juni der geschätzte Maler S., dessen Bekanntschaft ich in Konstantinopel gemacht, hier an, suchte mich auf und machte mir den Vorschlag, mit ihm, dem Grafen B. und einem Franzosen D. nach Damaskus zu reisen, statt hier zu sitzen. Dieser Vorschlag war mir höchst willkommen. Ich sehnte mich nach Erlösung aus meinem Hühnerstall. Meine Anstalten waren gleich getroffen, ich nahm nichts mit als etwas Wäsche und einen Polster, die auf mein Pferd gepackt wurden.

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