Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil

Sonntag, 29. April.

Der frühe Morgen schon sieht mich mit Hadji-Abbas auf dem Lande, wir wollen noch vor der großen Mittagshitze das Grab des Dichters Saadi und das Grab des Dichters Hafiz besuchen.

Zuerst folgen wir der Landstraße nach Ispahan, auf der ich zweifellos in zwei oder drei Tagen dahinwandern werde, um nie wieder zurückzukehren; sie ist groß und breit und läuft zwischen Moscheen, zwischen friedlichen, von Zypressen beschatteten Kirchhöfen, zwischen Orangengärten dahin, deren lange Lehmmauern mit ungezählten Spitzbogen verziert sind; viele Bäche und Gräben durchschneiden sie, aber diese wirken nicht störend, denn hier fahren keine Fuhrwerke. Die Vögel verkünden den Frühling, und wie immer ist die Landschaft unter diesem merkwürdig klaren Himmel wunderbar schön. Am Fuße der großen Berge, die von allen Seiten die Aussicht versperren, sieht man auf den nächstgelegenen Hügeln ein leichtes, grünes Gewebe sich ausbreiten; es sind die Weinberge, denen wir den berühmten Wein von Chiraz verdanken, – und man sagt auch, daß die Iraner im Verborgenen gegen das Gesetz des Korans diesem Wein zusprechen. Die Landstraße des Nordens ist weit mehr besucht als der Weg nach Bouchir, den wir benutzten: so sehen wir auch hier in den Feldern Hunderte von angepflöckten Kamelen, die, umgeben von ungezählten Warenballen, stehen oder knien. Sie ersetzen in dem Lande des glücklichen Stillstandes die Eisenwerke und Kohlenhaufen unserer großen Vorstädte.

Schließlich steigen wir auf Querpfaden zu dem Friedhof an, wo seit bald sechshundert Jahren der anmutige Dichter Persiens ruht. Das Geschick dieses Hafiz ist bekannt, bescheiden begann er im vierzehnten Jahrhundert in irgendeiner Lehmruine Chiraz' Brot zu kneten, aber er sang mit den Vögeln um die Wette, bald wurde er berühmt, wurde der Freund der Vezire und Prinzen, entzückte sogar den wilden Tamerlan. Die Zeit hat keine Asche auf ihn gestreut; noch heutigen Tages sind seine Sonette ebenso bekannt wie die des Saadi, entzücken in gleichem Maße die Gelehrten Irans, wie die unbekannten Tcharvadare, die sich an ihnen erfreuen, wenn sie ihre Karawanen führen.

Der Dichter schläft unter einem Achatgewölbe, umgeben von dem herrlichsten Gehege, wo blühende Orangenalleen, Rosenbeete und kühle Springbrunnen stehen. Und dieser Garten wuchs im Laufe der Jahrhunderte zu einem vollendet schönen Friedhof an; denn allen vornehmen Bewunderern des Dichters wurde einem nach dem andern auf ihre Bitten gestattet, neben ihm zu schlafen. Überall ragen jetzt ihre weißen Gräber zwischen den Blumen hervor. Die Nachtigallen wohnen hier zu Tausenden, allabendlich werden sie ihre kleinen kristallhellen Stimmen zu Ehren der glücklichen Toten erheben, die, aus verschiedenen Zeitaltern stammend, in gemeinsamer Bewunderung des harmonischen Hafiz in seiner Nähe schlafen.

In diesem Garten liegen auch kleine von Kuppeln überdachte Lusthäuser, in denen man beten oder träumen kann. Die Wände sind ganz mit Glasur bekleidet, sie schimmern in den verschiedensten blauen Tönen, vom dunklen Indigo bis zum blassen Türkis, sie sind alle mit denselben Zeichnungen geschmückt, wie man sie von den alten Stickereien kennt. Kostbare Teppiche liegen auf der Erde, und die Decke, die in tausend Fazetten, tausend kleine geometrische Flächen zerlegt ist, gleicht dem Werk vieler fleißiger Bienen. Zahllose Vasen stehen hier, immer sind sie mit großen Sträußen gefüllt, und heute morgen sind fromme Menschen damit beschäftigt, diese zu erneuern: Rosen, Löwenzahn, Lilien, alles Blumen, wie sie in unseren Ländern auch schon unsere Väter kannten, aber die Rosen herrschen vor, riesenhaft große Rosensträuße.

Und schließlich gelangen wir an dem Punkt an, wo man die schönste Aussicht auf Chiraz hat, »die Königin von Iran« ist ein großer nach allen Seiten hin geöffneter Saal, er wurde in alten Zeiten erbaut, um den beschaulichen Besuchern als Schutz gegen die Sonne zu dienen, eigentlich besteht er nur aus einem flachen, sehr bunt gestrichenen Dach, das von vier persischen Säulen getragen, in einer beträchtlichen Höhe liegt, diese Säulen sind ungewöhnlich schlank, ungewöhnlich hoch, und ihr Kapital gleicht auch der fleißigen Arbeit der Bienen oder der Wespen. Auf den Gebetsteppichen sitzen zwei oder drei Greise. Wie sie dort am Fuße der seltsamen Säulen lehnen, ähneln sie Vignetten aus alten Zeiten; ihre Astrachanhüte sind so hoch wie Bischofsmützen, sie rauchen ihre Kalyan, und der ziselierte Wasserbehälter steht auf einem metallenen Dreifuß. Vor ihnen liegt glänzend in der Morgensonne das nimmer wechselnde Land, das Land, das Hafiz besungen hat. Zwischen den dunklen Stämmen der nahen Zypressen, hinter den Feldern von weißem Mohn, den Feldern von lila Mohn, deren Tinten sich zu einer weichen Marmorierung verschmelzen, weit hinten in der klaren Ferne grüßt uns die Stadt des trockenen Staubes; wir sehen ihre zarten grau und rosa Töne, sehen die Fayence-Moscheen in der Sonne leuchten, sehen die turbanähnlich aufgebauchten Kuppeln mit ihrem unvergleichbaren, vielfarbigen Blau. Alles dies ist wunderbar orientalisch, die Gärten, die glasierten Lusthäuser, die Säulen des Vordergrundes, die Greise, deren Silhouetten den Magiern gleichen, und dort in der Ferne hinter den schwarzen Zypressen, diese Stadt, von deren Art es auch keine zweite mehr gibt. Man befindet sich gleichsam in dem Rahmen eines alten persischen Miniaturbildes, das bis ins Unermeßliche gestiegen und fast zur Wahrheit geworden ist. – Die Orangenbäume, die Rosen strahlen einen süßen Duft aus, der Stunde haftet etwas Abgeschlossenes, etwas Unbewegliches an, die Zeit scheint nicht mehr zu fliehen . . . Ach, welch ein Gefühl an einem solchen Morgen hierhergekommen zu sein, dies alles gesehen zu haben! . . . Man vergißt die vielen Leiden, die man während der Reise zu erdulden hatte, vergißt die nächtlichen Aufstiege, vergißt den Staub und das Ungeziefer, man fühlt sich für alle Strapazen reichlich belohnt. Über diesem Chiraz liegt wirklich ein Zauber, etwas Geheimnisvolles, das wir nicht in Worte zu kleiden vermögen, das zwischen unserem westlichen Phrasenreichtum hindurchschlüpft. Ich verstehe in diesem Augenblick die Begeisterung der persischen Dichter, die Überschwenglichkeit ihrer Bilder, die allein die geschauten Wunder auszudrücken vermochten, weil sie genügend Verschwommenheit, genügend Farbe besaßen.

Weiterhin liegt das Grab des Saadi, der nach unserer Zeitrechnung ungefähr 1194 zu Chiraz geboren wurde, also zwei Jahrhunderte vor Hafiz. Er kämpfte in Palästina gegen die Kreuzfahrer. Weit einfacher, mit größerer Natürlichkeit, mit weniger Übertreibung als sein Nachfolger, wird bei uns im Westen mehr gelesen als jener. Ich erinnere mich noch meines Entzückens, als ich in frühester Jugend irgendeine übersetzte Stelle aus seinem »Land der Rosen« las. Hier sagen sogar die kleinen Kinder noch seine Gedichte auf. – Alle Dichter können dies Land beneiden, dies Persien, wo weder Formen, noch Gedanken, noch die Sprache sich ändert, wo nichts in Vergessenheit gerät! Wer entsinnt sich bei uns, mit Ausnahme der Gelehrten, noch unserer Minnesänger, der Zeitgenossen des Saadi; wer entsinnt sich nur noch des einen, des wunderbaren Ronsard?

Trotzdem hat der Scheik Saadi nur ein einfaches Grab; er liegt nicht wie Hafiz unter einem Achatgewölbe, sondern nur unter einem weißen Stein in einem bescheidenen Leichenhäuschen, und obgleich diese Stätte erst vor einem Jahrhundert ausgebessert wurde, erzählt sie doch schon jetzt von Verfall und Verlassenheit. Aber in dem das Grab einschließenden Hain wachsen so viele Rosen, stehen so viele Rosensträucher! Und neben den echten Rosen, die man dem Dichter pflanzte, sprießen auch wilde Rosen aus der Erde hervor, sie bilden eine lange Hecke und führen in der Richtung des einsamen Weges ganz bis zu ihm. Und die Bäume seines kleinen Waldes sind voll von Nestern der Nachtigallen.

Aus dem reinen Licht und dem großen Frieden des Landes in die Stadt zurückgekehrt, legt sich die Dunkelheit und der unterirdische Lärm schwer auf uns, der Geruch von Schimmel, Unrat, von toten Mäusen folgt gar zu unmittelbar auf den Duft der Gärten, und da die Augen noch durch die Sonne verwöhnt sind, fällt es im ersten Augenblick schwer, den Pferden und Maultieren auszuweichen:

Wir erreichen den Basar der Sattler, der der prächtigste der ganzen Stadt ist, und der einem unendlich langen Kirchenschiff gleicht. – Er wurde um die Mitte des 18. Jahrhunderts zur letzten Glanzzeit Chiraz' von dem Regenten Persiens, Kerim-Khan erbaut. Damals war Chiraz sogar Hauptstadt, und ihr Herrscher brachte ehemaligen Pomp und Wohlfahrt in das Innere der alten Mauern. – Der Basar bildet eine lange Allee, die aus schiefergrauen Steinen besteht, sie ist sehr hoch gewölbt und zeigt eine endlos lange Reihe kleiner Kuppeln; ein wenig Licht dringt durch die durchlöcherten Spitzbogen, zuweilen fällt auch ein Sonnenstrahl, gleich einem goldenen Pfeil, auf einen seidenen, seltenen Teppich, auf einen kostbar gestickten Sattel, oder auf eine Gruppe von Frauen – immer dieselben schwarzen Schatten mit der kleinen weißen Maske –, die mit leiser Stimme Rosensträuße feilbieten.

Nachmittags wird mir als besondere Gunst gestattet, in den Hof der Moschee Kerim-Khans einzudringen. Von Tag zu Tag sehe ich das Mißtrauen um mich her fallen, und so liebenswürdig und gutmütig erscheinen mir die Leute, daß, bliebe ich noch länger hier, mir sicher erlaubt würde, auch die allerverbotensten Plätze aufzusuchen.

Von einem Ende Chiraz' bis zum anderen ist die Auffassung der Portale aller Moscheen und Schulen immer dieselbe, stets ein gewaltiger Spitzbogen, den eine Mauerquader in seiner ganzen Höhe durchbricht, kein Gesims, kein Fries stört die einfachen strengen Linien, aber die gleichmäßige Oberfläche ist von oben bis unten mit einer wunderbaren bunten Glasur gekleidet, ist gemustert wie ein kostbarer Brokatstoff.

Das große Portal des Kerim-Khan zeigt denselben Stil. Es scheint über ein hohes Alter zu klagen, und doch zählt es noch kaum zwei Jahrhunderte, seine Glasurbekleidung, deren Glanz sich fast ganz erhalten hat, fällt stellenweise ab, und macht den wilden Blümchen und dem grünen Gras Platz. Einige Chirazianer wollen es verantworten, mich vor die ehrwürdige Schwelle zu führen, aber sie zittern ein wenig, als ich sie überschreite. Ihr Zögern und das Schweigen der Moschee zu der verlassenen Stunde, die sie gewählt haben, lassen diesen glänzenden, ruhigen Ort, diesen heiligen Hof noch reizvoller erscheinen . . .

Die architektonischen Linien sind von seltener Erhabenheit und absoluter Ruhe, aber überall herrscht eine wahnsinnige Verschwendung in blauer und roter Glasur, kein Teilchen der Mauer, das nicht glasiert wäre; man befindet sich in einem melancholischen aus Lapislazuli und Türkisen erbauten Palast, nur zuweilen belebt eine Füllung von blühenden Rosen die traurige Umgebung. Der ungeheure Hof liegt fast ganz verlassen da, an seine geraden, glatten Wände lehnen sich vollendet schön geformte Spitzbogen, – sie bilden Gewölbe, Kreuzgänge, in deren Schatten die reiche Glasur leuchtet und strahlt; und dort im Hintergrunde, uns Eintretenden gerade gegenüber, erhebt sich ein großartiger Quaderbau, der alles andere überragt und in dessen Mitte ein einzelner, gewaltiger Spitzbogen eingehauen ist: die Tür des Heiligtums, in das man mich nicht hineinzuführen wagt.

Zwei oder drei Greise, die sich in einer der Nischen zum Gebet niedergeworfen hatten, erheben den Kopf und sehen den Eindringling prüfend an, aber da sie mich in guter muselmännischer Begleitung finden, kehren sie alsbald, ohne ein Wort zu sagen, zu ihrem Gebet zurück. Bettler sitzen in der Sonne, sie nähern sich uns bei unserem Eintritt, um sich unter Segenswünschen wieder zurückzuziehen, nachdem ich ihnen, wie man mir geheißen hat, große Almosen in die Hand drückte. Alles geht gut, und wir können uns auf den alten gerissenen, zerspaltenen Fliesen, zwischen denen das Gras wächst, weiter vorwagen, können bis zu dem Abwaschungsbecken mitten im Hofe vordringen. Die tausend verschiedenen komplizierten und trotzdem so harmonischen, beruhigenden Muster, die die Perser schon seit Jahrhunderten für ihren Sammet, ihre Seide und Wolle entwerfen, sind auch hier unter der unverwüstlichen Glasur der Fayencen überall zu sehen; sie decken die Mauern von oben bis unten. Von einer wunderbaren Farbenstimmung, von einer naiven Anmut ist aber jede einzelne der großen Blumenfüllungen, die stellenweise die Eintönigkeit der Arabesken verdrängen. Man könnte fast sagen, daß alle Mauern der großen Umzäumung mit den verschiedenartigsten persischen Teppichen behangen sind. Und die Erdbeben, von denen die alte Moschee heimgesucht wurde, haben tiefe Spalten hinterlassen, die den Rissen in den kostbaren Geweben ähnlich sehen.

Nachdem die betenden Greise wieder in das Land ihrer Träume untergetaucht sind, nachdem die Bettler von neuem auf den Fliesen kauern, kehrt das Schweigen, der erhabene Friede in den Palast des Lapislazuli und der Türkisen zurück. Die rötlichen Strahlen der Abendsonne fallen schon schräg auf den großen Reichtum der bläulich wiederscheinenden Glasur herab, unwillkürlich stelle ich mir vor, daß eine sehr alte Sonne, deren ungezählte Jahre sich ihrem Ende zuneigen, eine ähnliche Farbenwirkung hervorzurufen vermag, und in vollen Zügen genieße ich den Reiz, zu einer so stimmungsvollen Stunde mich an einem weltfernen, geheimnisvollen, verbotenen Ort befinden zu dürfen . . .

Ich glaube nicht, daß viele Europäer vor mir in Chiraz den Hof einer Moschee betreten haben.

Unsere Abreise war auf morgen festgesetzt, aber es scheint, daß niemand Wort hält; der Tcharvadar hat nach einer genaueren Prüfung meines Gepäcks erklärt, daß es zu viele Stücke seien und zieht sich deshalb zurück. So muß ich wieder von vorne anfangen.

Ich werde allmählich ganz heimisch in dieser Stadt; ich gehe allein aus und finde mich sehr gut in dem Labyrinth der dunklen Gäßchen zurecht. Dort unten auf dem Platz, zwischen der rosaroten Moschee und den baufälligen Wällen empfängt man mich in dem kleinen Café, wohin ich allabendlich pilgere, schon ganz vertraulich; man bringt mir »meine« Kalyan, und parfümiert das klare Wasser des Behälters mit Orangenblüten und einigen roten Rosen. Aber sobald der Aprilabend hereinbricht, kehre ich in meine Wohnung zurück, denn immer macht sich in diesem hochgelegenen Lande eine empfindliche Kälte fühlbar, und immer ist die Dämmerung trotz der jauchzenden Schreie der Segler, die sich mit dem Gesang der Gebetsrufer in den Lüften verschmelzen, unendlich traurig.

Heute abend, während ich einsam heimwärts wandere, entdecke ich an dem perlmutterfarbenen Himmel zwischen zwei hohen Giebeln eine schmale, zunehmende Mondsichel; Neumond, der erste Mond der persischen Fastenzeit. Unterwegs begegne ich einer ungewöhnlichen Menge schwarzer, undurchdringlicher verhüllter Schatten, die in der Dunkelheit an mir vorüberschweben; man muß in den streng mohammedanischen Städten gewohnt haben, um verstehen zu können, wie sehr das Leben dadurch getrübt wird, nie, niemals das Gesicht, niemals das Lächeln einer jungen Frau oder eines Mädchens zu sehen. . . . In dem kleinen, meiner Wohnung gegenüberliegenden israelitischen Basar sind die dreiarmigen Lampen schon angezündet. Sie brennen in den Buden der Kaufleute. Die Jüdinnen haben nicht das Recht, die kleine weiße Maske der Mohammedaner zu tragen, aber da sie trotzdem ihr Gesicht nicht zeigen dürfen, schließen sie bei meinem Anblick ihren schwarzen Schleier noch fester; und so sind auch mir alle ganz unbekannt. Endlich finde ich meine Tür, sie ist ebenso versteckt, ebenso baufällig, ebenso eisenbeschlagen wie alle anderen der Umgegend, aber der Klang ihres Klopfers, der in der Dunkelheit und dem Schweigen widerhallt, ist mir schon ein vertrautes Geräusch.

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