Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Vierter Teil

Mittwoch, 16. Mai

Nachmittags gehe ich unter sicherer Führung auf die Suche nach seltenen Nippsachen, die nicht in den Schaufenstern aufgestellt werden, sondern die man in den Häusern, in Truhen verborgen hält und nur den bevorzugten Käufern zeigt. Auf alten, engen Treppen, deren Stufen so weit voneinander entfernt sind wie die Sprossen einer Leiter, durch dunkle, winkelige Gäßchen dringen wir in, ich weiß nicht wie viele, altertümliche, mißtrauisch, heimlich dreinblickende Wohnungen ein. Die Zimmer, wo man uns Kissen zum Sitzen anbietet, sind klein, ihre Wände sind mit zellenartigen Geweben und Arabesken bedeckt; sie werden nur spärlich beleuchtet durch die dunklen Höfe, deren kachelausgelegte Mauern seltsam mit menschlichen Figuren, Tieren und Blumen bekleckst sind. Zuerst trinken wir eine kleine Tasse Tee, denn es gehört zum guten Ton, daß man uns sofort eine Tasse anbietet. Dann werden die Zedernläden, die mit ungeahnten Altertümern angefüllt sind, langsam vor uns geöffnet, und man zieht einen Verkaufsgegenstand nach dem andern hervor, den man aus altem Plunder und Flitterkram herausschälen muß. Dies alles stammt aus dem großen Jahrhundert des Schah-Abbas, oder wenigstens aus der Zeit der Sophis-Könige, seinen Nachfolgern, und diese Ausgrabung, diese Aufstellung in dem Staub und dem Schatten, zeigt uns, wie zart, wie vornehm, wie anmutig die geduldige Kunst der Perser war. Hier sieht man Kästchen in allen Formen aus Martin-Lack, ihr wunderbares Kolorit hat der Zeit widerstanden, sie sind mit den Bildern vornehmer Perser bemalt, und zwar ist ihre Zeichnung von ungekünstelter Anmut, von seltener Genauigkeit, die kleinsten Einzelheiten ihrer Wappen, ihrer Edelsteine können eine Prüfung durch die Lupe bestehen; jener Teil der iranischen Bevölkerung, der mir zu sehen versagt ist, wird hier mit einer Art verliebten Anbetung zur Darstellung gebracht: schöne Frauen aus früheren Jahrhunderten, ihre Schönheit ist sichtbar übertrieben, Sultaninnen mit runden, rotgeschminkten Wangen, mit gar zu langen, von schwarzen Ringen umgebenen Augen, sie neigen den Kopf in gezierter Anmut und halten eine Rose in ihren zu kleinen Händen . . . Und manchmal begegnet man neben den echt persischen Bildern einem anderen, das plötzlich an die holländische Renaissance erinnert: das Werk eines westlichen Künstlers, der große Kaiser Ispahans hatte ihn zu sich entboten, und in seiner Abenteuerlust ist er dem Ruf gefolgt.

Man zeigt uns feine Emaillearbeiten, die auf Silber oder Gold gelegt sind, Waffen Aladins, golddurchwirkte Brokatstoffe, die die Schultern der Sultaninnen umhüllten, Schmuckgegenstände, Stickereien, Teppiche, wie man sie nur in Persien findet, einst wurden diese von den Nomaden angefertigt, und ihre Arbeit erforderte zehn volle Jahre eines Menschenlebens; Teppiche, seidiger als Seide, samtartiger als Samt, die engen, engen Zeichnungen erscheinen uns so rätselhaft wie die Schönschreibekunst des Koran. Und schließlich sehen wir Fayencen, die heute kaum mehr aufzufinden sind, ihre Glasurkleidung hat im Laufe der Jahrhunderte einen Zersetzungsprozeß durchgemacht und zeigt deshalb jene seltenen goldenen oder kupferroten Töne.

Nachdem wir die verfallenen Häuser verlassen haben, wo die Überreste der toten Herrlichkeiten uns mit dem Wunsch nach Frieden, mit einem Heimweh nach der Vergangenheit erfüllen, kehre ich, heute ohne Begleitung, nach der »Schule der Mutter des Schahs« zurück, um mich im Schatten der hundertjährigen Platanen, in dem alten, von Fayencemauern eingeschlossenen Garten auszuruhen. Und hier finde ich eine noch größere Stille, eine noch größere Abgeschiedenheit als am Vorabend. Vor dem wunderbaren Eingang bettelt ein Derwisch, ein in Lumpen gehüllter Greis, er sitzt, den Kopf gegen die silber und hochrot leuchtende Schmiedearbeit gelehnt, ganz winzig am Fuß dieser gewaltigen Tür da, fast nackend, halbtot, mit Erde und Staub bedeckt, schreckeneinflößend hebt er sich von diesem Hintergrund der höhnischen Herrlichkeiten ab. Auf das große glasierte Tor folgt die grüne Nacht des Gartens, und die leise Musik, die diesem Platz eigen ist; ganz oben, dem Himmel und dem Licht nah, singen die Schwalben und die Meisen; unten hört man das leise Gurgeln der ausgestreckten Raucher und das Geplätscher des Wasserstrahls in dem Springbrunnen. Die Leute haben mich schon gesehen und beunruhigen sich nicht, ohne Widerspruch zu begegnen, setze ich mich, wohin ich will auf die grünlichen Fliesen. Vor mir sehe ich in die Verschlingungen, in die Büsche, in das Geriesel der weißen Heckenrosen hinein, sehe die Heckenrosen sich an den Platanen hinaufschlängeln, deren gewaltige Stämme, fast so weiß wie die Blüten selbst, den Säulen eines Tempels gleichen. Und dort oben, wo die Vögel wohnen, durch die Spalte des Blätterdaches hindurch, leuchtet die Glasur auf und erinnert an die Minaretts, an die Kuppeln, an die ganze Herrlichkeit, die sich unter den Sonnenstrahlen ausbreitet. In Ispahan, in der Stadt der blauen Ruinen, kenne ich keinen Zufluchtsort, der anziehender wäre als dieser alte Garten.

Als ich nach dem Hause des Fürsten zurückkehre, ist es gerade die Hauptstunde des Muezzin, die unbestimmte, die scheidende Stunde, wo man zum letztenmal am Tage den Aufruf zum Gebet vernimmt. Das Abendlied zittert durch die Luft, und gleichzeitig kreisen die Segler am Himmel; sehr deutlich unterscheidet man den immer wiederkehrenden Namen: Allah; aber die schönen wohlklingenden Stimmen, die Eintönigkeit des Vortrags erinnern fast an Glockengeläute, man könnte glauben, es sei der Ruf eines frommen Glockenspiels, der über diesen alten Terrassen, über den alten Mauern Ispahans ertönt.

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