Dritter Teil
Freitag, 11. Mai
Als wir uns bei Aufgang einer strahlenden Sonne zur
Weiterreise rüsten, ist es so kalt, daß die Fingerspitzen
erfrieren. Wir befinden uns auf einem Platz, von wo aus man
die tausend kleinen rosenroten Lehmkuppeln mit ihren Minaretts
und ihren Trümmern, von wo aus man die herben violetten Berge
sich im Halbkreis aufreihen sieht.
Die Stadt, die gestern von dem Geschrei, den Klagerufen
widerhallte, ruht jetzt in dem frischen Schweigen des Morgens.
Ein verzückter Derwisch predigt noch an irgendeiner
Straßenecke und bemüht sich, einige Arbeiter, die gefolgt von
ihren Eseln, die Hacke über der Schulter, nach dem Felde
hinausgehen, heranzuziehen, aber vergebens, niemand bleibt
stehen: Jedes zu seiner Zeit, und heute ist das Fest vorüber.
Die schönen Frauen von Koumichah sind wirkliche
Frühaufsteher, schon kommen einige sehr elegante zum
Vorschein, jede reitet eine weiße Eselin, jede hat rittlings
vor sich auf dem Sattel ein Baby, das sie in ihren schwarzen
Schleier einhüllt, und das nur seine Nasenspitze dem lustigen
Morgenwind zeigt. Es ist Freitag, und man will außerhalb der
Stadt, zwischen dem jungen Grün der Gärten, hinter den hohen,
alles verbergenden Mauern den Maientau genießen.
Unsere Pferde sind erschöpft, obgleich man ihnen während
der ganzen Nacht die Füße gerieben, die Ohren gestrichen hat –
was scheinbar das allerstärkendste Mittel ist. Deshalb reiten
wir jetzt ganz langsam an den verschlossenen Gärten entlang,
deren Lehmmauern an allen Ecken mit kleinen Türmen aus blauer
Glasur verziert sind. An der Grenze der Einsamkeiten spiegelt
eine sehr heilige Moschee ihre wunderbare Kuppel in einem
Teich wider, nach den vielen Lehmgebäuden erscheint sie uns
wie ein Stück feiner Juwelenkunst; sie leuchtet in der Sonne
mit dem Glanz eines geschliffenen Achats; die Glasur, mit der
sie bekleidet ist, zeigt ein Gewirr von blauen Arabesken,
durch das sich einige gelbe Blumen mit schwarzen Kelchen
hindurchziehen.
Und dann verschwindet plötzlich, hinter einem ausgedörrten
Hügel, das große, aus Lehm erbaute Werk, das sich Koumichah
nennt. Es verschwindet mit seinen Türmen, seinen fünfzig
Minaretts, seinen tausend kleinen, höckerigen Kuppeln; vor uns
liegt wieder der leere Raum, der Teppich, mit seinen unendlich
vielen, farblosen Blümchen, die wir zermalmen, die noch im
Sterben ihre süßen Düfte ausströmen. Wir glaubten, die
traurige wohlriechende Wüste für immer verlassen zu haben,
aber während unseres sieben- bis achtstündigen Rittes dehnt
sie sich eintöniger denn je, unter einer sich steigernden
Hitze, mit ihren ewigen Luftspiegelungen vor uns aus.
Hätten wir den Ritt ein wenig beschleunigt, so würden wir
noch vor Sonnenuntergang Ispahan erreicht haben; aber es
schien uns ein ungünstiger Augenblick, bei Hereinbruch der
Nacht in eine Stadt einzuziehen, deren Gastfreundschaft nur
zweifelhaft ist, und deshalb beschlossen wir, in einer
Karawanserei drei Meilen vor den Mauern abzusteigen.
Luftspiegelungen, Luftspiegelungen wohin man sieht: man
könnte glauben, sich in den einsamen Ebenen Arabiens zu
befinden. Ein unaufhörliches Zittern bewegt den Horizont, der
in stetem Wechsel begriffen ist, beständig neue Formen
annimmt. Von verschiedenen Seiten spiegeln sich kleine,
wunderbar blaue Seen, Felsen oder Ruinen wider, sie locken uns
an, verschwinden alsbald, erscheinen in einer anderen
Richtung, und verbergen sich abermals vor uns . . . Eine
Karawane mit seltsamen Kamelen schreitet auf uns zu, die
Kamele haben zwei Köpfe, aber keine Beine, sie verdoppeln sich
in der Mitte wie die Könige und die Königinnen der
Kartenspiele . . . In der Nähe gesehen, werden es plötzlich
ganz natürliche Tiere, ganz gewöhnliche, brave Kamele, die
schon weit hinter uns den Weg nach Chiraz verfolgen. In den
verschnürten Ballen, die an ihren Seiten herabhängen, tragen
sie Opium; nach dem äußersten Osten wird es geschafft; ein
großer Vorrat von Traum und Tod, in den Feldern Persiens hat
er als weiße Blume geblüht, jetzt schickt man ihn zu den
schlitzäugigen Leuten des himmlischen Reiches.
Gegen Abend, nachdem wir durch die gefurchten Schlünde
zwischen den spitzen, schwarzen Bergen, die Beduinenzelten
gleichen, hindurchgedrungen sind, erreichen wir ein
glücklicheres Persien; überall erscheinen in der Ferne die
grünen Flecke der Kornfelder und der Pappeln.
Als Nachtquartier dient uns diesmal aber ein ziemlich
wüstes, kleines befestigtes Schloß, das mitten in einem
fruchtbaren Landstrich liegt. In der Abendröte der
untergehenden Sonne langen wir dort an, und sehen, daß die
Karawanserei von ungezählten Warenballen, von einigen hundert
knienden Kamelen umgeben ist. Wir haben hier eine jener großen
Karawanen vor uns, die, langsamer als Züge der Maultiere oder
der Esel, die ganz schweren Frachtladungen befördern und
fünfzig bis fünfundfünfzig Tage gebrauchen, um von Teheran
nach Chiraz zu gelangen. Wie gewöhnlich bewohnen wir die
Ehrenzimmer, oberhalb des spitzbogigen Eingangstores: ein
hochgelegener Raum mit Lehmwänden, mit einer Wandelbahn, die
über die Dächer, über den krenelierten Rücken des Walles
führt. – Ispahan, das Ziel unserer Sehnsucht, liegt nur drei
Stunden Weges von hier entfernt, aber der hügelige Boden
verbirgt die Stadt vor unseren Augen.
Sobald die Sonne untergegangen ist, gerät die Karawane
unter den Mauern in Bewegung, bei dem hellen Mondschein, bei
dem Licht der funkelnden Sterne will sie durch die Nacht
dahinziehen. Der Wind trägt uns den Moschusgestank der Kamele,
ihre lauten Wut- oder Leidensschreie zu, die sie jedesmal dann
ausstoßen, wenn man sie beladen will; wir stehen mitten in
einer wütenden Menagerie und man versteht nicht mehr sein
eigenes Wort.
Das rötlich goldene Licht verschwindet bei Sonnenuntergang
vor dem runden Mond, der die Schatten unserer krenelierten
Mauern und unserer Türme auf den Erdboden wirft. Allmählich
werden die zahllosen Ballen, die verstreut umherlagen, auf die
Rücken der Kamele gepackt und verteilt; die Tiere sind jetzt,
wo sie stehen, wieder gefügig und bewegen leise ihre
Glöckchen. Die Karawane bricht auf.
Die Kamele schreien nicht mehr, und jetzt entfernen sie
sich im Gänsemarsch unter dem süßen Klang ihres Glockenspiels.
Nach den Ländern des Südens, aus denen wir kommen, kehren sie
langsam zurück; alle Spalten, alle Schlünde, die wir
überwunden haben, müssen sie durchschreiten. Von einer Etappe
zur anderen, von einem Stein zum anderen führt sie der mühsame
Weg. Und immer von neuem werden sie wieder aufbrechen, bis sie
schließlich zu Boden stürzen und den Geiern zum Opfer fallen.
Der Wind trägt uns nicht mehr ihren Gestank, sondern den süßen
Duft der Gräser zu. In einer langen Reihe entfernen sie sich,
sind jetzt nur noch ein winziges Pünktchen, das sich durch die
dunkle Ebene dahinschleppt; der Ton ihrer Glöckchen ist bald
verklungen. – Von unseren Mauern herab sehen wir, wie die
Burgherren des Mittelalters, in die vor uns liegende Ebene
hinein. – Seitdem die Karawane verschwunden ist, kehrt das
große Schweigen zu den weiten uns umgebenden Steppen zurück.
Alle Zacken unseres kleinen Walles werfen jetzt ihre hellen,
bestimmten scharfen Schatten auf den Boden. Unter uns schließt
man mit großem Gepolter die eisenbeschlagene Tür, die uns vor
nächtlichen Überraschungen schützen soll. Bei dem Lied der
Heimchen senkt sich die Nacht immer tiefer auf uns herab, aber
sie ist so durchsichtig, daß man unendlich weit, nach allen
Seiten hin sehen kann; Von Zeit zu Zeit fühlen wir einen
heißen Hauch, der uns den Duft des Quendels und der
Königskräuter zuträgt. Und dann streicht unter dem
gespenstischen Licht des Mondes ein Frösteln dahin, und
plötzlich ist es kalt.