.Bücher
zu islamischen Themen finden Sie im Verlag Eslamica.
Offenbarung
Unerträglich wird mir der Anblick der Menschen, die Lüge
ihres Mundes, das Prahlerische ihres Gesichtes. Sie sind wie
Schnecken aus sich herausgekrochen, ihr Haus und Hort aber
liegt weit hinter ihnen, ihre schleimige Spur ist verwischt,
und niemand findet mehr zur Burg der Behütung. Ich selber, o
Gott, was bin ich für ein schlimmer Gauch! Gefallener Engel!
Liebloser Liebender! Wie der Gärtner das Wasser in den Mund
nimmt, die Blumen zu besprengen, habe ich schöne Worte im
Munde und lasse sie über die dürre Wiese regnen. Was nützt dem
Grashalm der Regen von Worten, das edle Geplätscher, wenn ihm
die Sonne, die Tat des Lichts, nicht folgt? Ich bin mir
widerlich wie eine tote Ratte. Ich stinke von der Verwesung
der Untat. Ich bin ein Gespött: der spinnenden Spinne, dem
jagenden Wolf, der emsigen Ameise, der turtelnden Taube, dem
hurtigen Hecht. Nichts tue ich als träumen. Nichts will ich
als Wünsche. Nichts kann ich, als dich ehren, Erde, dich
lieben, Tier, dich preisen, Geist – mich aber, ziellosen
Wanderer in Listen und Lüsten, tatenlosen Trunkenbold, muß
ich: ja: unausdenkbar und unaussprechlich verachten.
Mohammed stürzte sich in die Einsamkeit, brandend und
brüllend, daß sie wie ein Meer über ihm zusammenschlug.
Niemand durfte sich mit seinem zerbrechlichen Kahn auf die von
der Geißel Gottes gepeitschten Wogen wagen, sie hätten ihn
zerschmettert und als wertloses Strandgut an die Küste
geworfen. Nicht Chadidjeh, die schillernde Schlange, kroch die
besonnten Felsen zur Einsiedelei empor. Nicht Maria, dem
singenden Vogel, glückte der schmerzliche Flug durch das
Dornengebüsch und an den Leimruten und Netzen der Vogelsteller
vorbei.
Mohammed jubelte: sein Lachen brauste in den Lüften: seine
Stirn stürmte zu den Wolken:
Ich bin allein! Niemandes Folgsamer und meiner endlich
gewiß! Die Sonne ist meine Sonne, ich wandle meinen Schritt.
Ich sehe mich im Spiegel des Baches und bin betroffen. Ich
falle nieder am Ufer und trinke durstig mein Antlitz. Nachts
fallen die Sterne auf meinen Weg und sind Kiesel, die im
Mondlicht glänzen. Ich hebe sie in meine Hand und betrachte
sie willig. Die Eidechse, meine kleine Schwester, hält an der
Mauer meinen Blicken stand, und zärtlich sehe ich sie in
dunkler Höhle entschwinden. Der ich in der Gemeinschaft und
Gemeinheit der Menschen mich hassen lernte – ich wage mich zum
erstenmal zu lieben und weine mich wie ein Kind in seligen
Schlaf ...
Mohammed rannte bis in die tiefsten Täler Mekkas.
Die Wildnis entwirrte sich vor ihm. Schlinggewächse
entschlangen sich. Sumpf ward Erde. Silberne Quelle Labsal.
Die Steine ebneten sich unter seinem fröhlichen Fuß. Die
Fichten verneigten sich. Und die Felsen warfen sich Echo auf
Echo zu wie einen klingenden Ball: Heil dir, Mohammed,
Gesandter Gottes!
Es war der heißeste Ramadhan seit vielen Jahrzehnten. In
den Straßen der Städte fielen die Maultiere tot um. Kamele
verdursteten. Hunde wurden tollwütig. An den Karawanenstraßen
schimmerten wie Meilensteine eines qualvollen Weges die
Leichen der von der Sonne erschlagenen Araber. – Chadidjeh und
Maria lagen im steinernen Schatten des Hauses, im kühlsten
innersten Gemache, auf Bastdecken. Sie hatten die Kleider von
sich gestreift, die, zu einem Knäuel geschichtet, wie ein
bunter Götze aus der Dämmerung glotzten. Ihre schönen Brüste
leuchteten wie weiße Ampeln. Sie tranken Fruchtwasser,
naschten an Zuckergebäck und spielten Mühle. Ein zahmer
chinesischer Zeisig mit einem sonderbaren hahnähnlichen
feuerroten Schöpf sprang auf den Feldern des Spielbrettes
zirpend zwischen den Steinen.
Plötzlich warf Ali, der Knabe, den Vorhang zurück und
meldete:
»Ein Bettler, Herrin, steht am Tor und läßt sich nicht
abweisen. Ich bot ihm Datteln. Er wies sie zurück. Ich bot ihm
Münze. Er schlug sie mir aus der Hand. Sein Bart und sein Haar
ist verwildert wie ein Wald aus Knieholz. Er stinkt wie ein
Schakal. Sein Leib ist mit schwarzen Krusten bedeckt. Er
ähnelt einem Taschenkrebs. Die Arme schlägt er wie
Mühlenflügel. Aus seinem Mund tropft heißer Speichel wie
gesiedetes Blei. Seine Augen sind groß wie die Augen von
Irren. Er wünscht Euch zu sprechen, Herrin ...«
Maria zitterte.
Ein Spielstein fiel aus ihren Fingern und klirrte aufs
Brett.
Der Zeisig kreischte.
Chadidjeh stützte das Kinn in die Hand.
»Bring uns Decken, Ali.«
Der Knabe huschte maushaft durch den Raum.
Die weißen Ampeln erloschen unter Tüchern.
»Der Mann soll kommen.«
Mit klappernden Gliedern tanzte ein gebrechlicher Greis
durch die Tür.
Unreiner Atem erfüllte die Luft.
Häßlichkeit mißhandelte die Blicke, die ihn beschauten.
Grauweißes Haar wuchs pilzig aus dem Kopf.
Der Burnus, der ihn wie mit Krähenflügeln beschirmte, stob
schmutzig und zerrissen von seinen Lenden.
Lallend fiel er zwischen den Frauen nieder.
»Mohammed!« schrien die Frauen.
Wie Bambus schössen sie steil in die Höhe. Die Decken
fielen von ihren Hüften. Ihre weißen Brüste funkelten.
Mohammed gesundete.
Die Frauen pflegten ihn wie ein Kind: mit Hühnerfleisch und
Eselsmilch. Sie wuschen und kämmten ihn des Morgens. Sie
trugen ihn im Sessel nachts, wenn Kühlung wehte, auf das Dach.
Da saß er im Sessel und sah mit leeren Augen in die Sterne.
»Liebes Licht!« sagte er und winkte den goldenen Brüdern.
Als Mohammed eines Tages zu sich kam, sah er Chadidjeh in
Unterhandlung mit einem Reisenden, der von Medina eingetroffen
war und gute Geschäfte in Essenzen und Ölen für sie gemacht
hatte.
»Während du fiebrig plappertest, Mohammed,« Chadidjeh sah
ihn an, »habe ich gehandelt.«
»O Weib,« sprach Mohammed, »dem Worte werden Füße wachsen,
und es wird schreiten. Es wird ein Leib sein und eine Stirne
haben. Seine harten Hände werden das Schwert schwingen und das
Wort wird töten, welche an die Macht des Wortes nicht
glaubten.«
Der Herbst, der die Blätter rötete und bräunte, färbte auch
Mohammeds Haar und Bart wieder braun. Seine Glieder dehnten,
seine Muskeln füllten sich. Ohne Stab vermochte er kraftvoll
wie einst zu schreiten.
Leicht, und nur aus Zärtlichkeit auf Maria gestützt, ging
er in den glitzernden Abend.
»Erzähle mir, Mohammed,« sprach Maria, »was sich ereignete,
seit du uns im Ramadhan verlassen. Sofern es dich nicht
schmerzt. Wenn es die Erinnerung belastet: wirf es von dir und
auf mich. Ich will alle deine Lasten gern und heiter bis ans
Ende aller Zeiten tragen. Peinigen dich aber meine Worte wie
Mücken oder stechen sie wie giftige Kakteen: so laß uns
schweigen und wie dunkle Palmen schweigsam im blauen Himmel
stehn.«
Mohammed haschte nach einem fliegenden Käfer.
»Jahrhunderte, so schien es mir, raste ich einsam durch die
Welt. Der einzige Mensch. Kein Bruder und keine Schwester,
keine Gattin und keine Geliebte waren mir zugetan. Ich nährte
mich von den Früchten der Wildnis und stillte meinen Durst an
den springenden Bächen. Einst hatte ich Hunger nach Fleisch.
Ich schnitzte mir einen Bogen und eine Lanze und jagte einer
Hindin nach. Ich richtete den Bogen, der Pfeil schwirrte von
der Sehne – ich fiel in mich zusammen. Blut rann aus meiner
Brust. Der Pfeil hatte mich selbst durchbohrt. Niemals mehr
stellte ich einem Tiere nach. Gazelle und Löwe folgten
freundlich meinen Schritten. Taube und Geier begrüßten mich
schnäbelnd aus den Lüften. Bart und Haar sprossen lang aus
Haupt und Brust und Beinen. Wild ward ich und alt und hatte
keine Gedanken, kein Wissen und keine Vernunft. Da kam ich an
den Berg Hira und erstieg ihn stöhnend. Und als ich den Gipfel
erklommen hatte – ich stieg aber Monate und Jahre –, fiel ich
in einen tiefen Schlaf. Dem enttauchte wie aus dunklen Fluten
ein schöner Jüngling. Er hielt ein beschriebenes seidenes Tuch
vor sein Gesicht. Nicht sah ich sein Gesicht, nur seine
elfenbeinerne Gestalt. Und der Jüngling sprach: ,Lies!' Ich
aber lallte unwirsch kaum verständliche Laute – ich hatte in
den Jahren und Jahrhunderten der Einsamkeit die Sprache
vergessen und verloren. Da stülpte der Jüngling das Tuch mir
über den Kopf, daß ich zu ersticken meinte, und donnerte:
Mohammed! Dich ruft Gott! Ich bin Gabriel, sein Gesandter!«
Mohammeds Stimme wuchs und schlug wie der Donner von der
felsigen Bläue des Himmels zurück.
»Der Engel aber riß das Tuch zurück und mit dem Tuch mein
Haupt, das wie ein Bildnis blutend auf der Seide schwebte. Als
ich das Bewußtsein wiedererlangte, lag ich in deinen Armen,
Maria, und in den Armen von Chadidjeh. Ich sah vergehend noch
den braunen Rücken eines Jünglings, der in das Abendrot
schritt. In weiter Ferne unkörperlich sich entfaltete und in
einer goldenen Wolke entschwand.«
Maria breitete die Arme.
Sie sank der Nacht an die schwesterlichen Brüste.