Vorwort
Das soeben im Druck vollendete Werk, welches ich unter dem
Titel: »Mein Leben und mein Wandern« in Buchform meinen Lesern
übergebe, sollte ich eigentlich als eine zweite, mehrfach
verbesserte Auflage bezeichnen. Es erschien nämlich zuerst in
der zweiten Hälfte des Sommers 1893 in einer der
meistgelesenen Zeitungen Berlins, der Vossischen, welche von
Nummer zu Nummer meine Handschrift zum Abdruck brachte.
Schriftliche und mündliche Äußerungen und Urteile
wohlwollender Leser beruhigten mich über das Waghalsige des
Versuches, mein Leben in die große Öffentlichkeit
hineinzutragen. Ehrlich gestanden hatte weder Eitelkeit noch
litterarische Ruhmbegierde mir den Beweggrund geliefert, die
Feder zu ergreifen und mich selber biographisch zu schildern.
Unter solcher Voraussetzung würde ich übel gefahren sein, den
reizvoll geschriebenen Lebensbildern, durch welche meine
ausgezeichneten Freunde Ebers, Fontane und Ludwig Pietsch in
neuester Zeit das deutsche Schriftentum bereichert haben,
ebenbürtig an die Seite treten zu wollen.
Die Veranlassung, welche mich dazu führte die
wechselreichen Schicksale in meinem vielbewegten Dasein in
ungeschminkten Worten dem Leser auszumalen, war traurigen
Ursprunges für mich selber, denn eine schwere, fast unheilbare
Krankheit war mitten in dem Vollgenuß meiner Gesundheit
urplötzlich auf mich eingestürmt und drohte meinen Lebensfaden
in Bälde abzuschneiden. Nur der sorgfältigsten Behandlung
meines vortrefflichen Arztes, des Herrn Doktor Fließ, dankte
ich meine schließliche Genesung. Obgleich ich mit aller
Seelenruhe den kommenden schlimmen Dingen entgegensah, so
quälte mich dennoch der eine Gedanke, aus diesem schönen
Jammerthale scheiden zu müssen, ohne eine Schuld abgetragen zu
haben, nämlich der Familie und meinen Freunden meinen
vielverschlungenen Lebenslauf in aller Wahrheit recht und
schlecht beschrieben zu haben. Ich fühlte mich dazu um so mehr
gedrungen, als die öffentliche Stimme, insoweit sie meine
bescheidene Person betrifft, mich für einen glücklichen
Menschen hält, dem die goldenen Äpfel gleichsam in den Schoß
gefallen sind. Im Gegenteil hatte ich von Anbeginn meiner
Laufbahn an mit ungewöhnlichen Schwierigkeiten und
Widerwärtigkeiten zu kämpfen, und wer in diesem Buche zwischen
den Zeilen zu lesen versteht, wird geradezu unbegreiflichen,
ja sogar verblüffenden Dingen begegnen. Ich gehörte durch
Geist und Verstand keinesweges zu den sogenannten
Wunderkindern, im Gegenteil litt ich an schwerer
Auffassungskraft, aber was mir an Anlage und Talent fehlte,
ersetzte ich durch eisernen Fleiß, der mir entgegenstehende
Hindernisse leicht überwinden half. Ihm verdanke ich das
Wenige, was ich geworden bin, wenn auch der Kampf um das
Dasein mit allen Waffen geführt werden mußte und mein
Lebensschifflein von den Sturmwinden nach allen Wassern hin
verschlagen wurde.
Daß mir das Schicksal so hold war mich in Berlin das Licht
der Welt erblicken zu lassen, kann ich mir selbstverständlich
nicht zum eigenen Verdienst anrechnen, aber diesem Zufalle
danke ich es vielleicht, daß die Erinnerungen an das alte
Berlin und seine Bewohner, wie sie gelegentlich in meinem
Buche zum Vorschein kommen, gerade bei meinen engeren
Landsleuten eine überaus freundliche Aufnahme fanden. Ich
selber habe mich stets mit einem gewissen Stolze als Berliner
gefühlt und sogar unter den morgenländischen Völkern, mit
denen ich lange Jahre zu verkehren das Glück hatte, meine
Berliner Seele und Gemütsstimmung niemals untergehen lassen.
Daß ich die innigste Freundschaft, dreißig Jahre hindurch
bis zu unserer Trennung, zu einem Franzosen fühlte, wird kein
Deutscher bedauern, der die August Mariette berührenden
Abschnitte gelesen hat. Selbst die kriegerischen Jahre 1870
und 1871 haben unsere Freundschaft nicht zu verwischen
vermocht, trotzdem sich unsere beiden Söhne im Felde feindlich
gegenüberstanden. Als Mariette aus dem belagerten Paris nach
Kairo zurückgekehrt war, schrieb er mir den nachfolgenden
Brief: »Mon cher ami, Votre lettre de ce matin m'a soulagé.
Vous n'êtes pas pour moi un Allemand; Vous êtes Brugsch. Aussi
Vous n'aviez pas besoin de tant Vous expliquer sur les
derniers événements. Ils ont pu affecter mon coeur de
Français; ils n'ont pu modifier mon coeur d'homme,
principalement vis-à-vis Vous. Je Vous aime en véritable ami
et Vous ai toujours aimé beaucoup par une sympathie naturelle
que rien n'a détruit ni ne détruira. Vous me connaissez assez
pour voir que je n'ai pas besoin de Vous en dire plus et
qu'aujourd'hui comme toujours Vous restez en France aussi bien
qu'en Allemagne et en Égypte la personne que j'affectionne le
plus. Là-dessus je Vous serre la main de tout mon coeur. Tout
à Vous. Auguste Mariette.«
Mit einer solchen Freundschaft ging es sich leicht durch
das Leben und ich darf behaupten, daß Mariette in den
schwierigsten Lagen meines Daseins meine einzige und wahre
Stütze und mein aufrichtigster Ratgeber gewesen ist. Gerade
darum fühle ich mich bewogen, ihm schon im Vorworte eine
auszeichnende Stelle der Erinnerung einzuräumen.
Und somit lasse ich »Mein Leben und mein Wandern« seine
zweite Reise in die Welt antreten, von dem Wunsche beseelt,
daß es freundliche Leser finden möge, welche den wechselvollen
Schicksalen eines zeitgenössischen Landsmannes mit Vergnügen
oder mit Bedauern folgen.
Berlin, den 20. Februar 1894.