3. Meine Reise nach Ägypten
Unter würdigen Thebanern.
An meine beiden Führer in Theben, den alten Graubart
Timsach (sein Name bezeichnet in der arabischen Sprache soviel
als Krokodil) auf der östlichen Seite der gewaltigen
Ruinenstätte und den ehrwürdigen 80jährigen Greis Anad auf der
westlichen, denke ich noch heute mit dankbaren Gefühlen.
Timsach, damals etwa 65 Jahre alt, war in seinem
Mannesalter der Führer Champollions des Jüngeren gewesen, als
dieser in Theben weilte, und deshalb in der Lage, mir vieles
von dem großen Meister zu erzählen, den er auf allen seinen
Wegen begleitet hatte. Die französische Regierung hatte ihm
als Belohnung für seine treu geleisteten Dienste das
französische Bürgerrecht verliehen, so daß er von allen
Abgaben und Steuern befreit war und mit sämtlichen Mitgliedern
seiner eigenen Familie von den thebanischen Behörden in keiner
Art belästigt werden durfte. Die Bevölkerung von Karnak, der
er angehörte, verehrte ihn wie einen berühmten Schech und gab
ihm in der Anrede den Titel »unseres Vaters«. Obgleich mein
alter Timsach die Fellachentracht seiner Landsleute anlegte
und sein Haupt ein achtungswerter Turban schmückte, so war er
dennoch auf sein Franzosentum stolz und bemühte sich, soviel
es anging, französischen Sitten und Anschauungen seinen vollen
Beifall zu spenden.
Sein Kollege Anad, drüben auf der anderen Seite Thebens,
die hauptsächlich die Totentempel und die Gräberregion aus dem
Altertume umfaßte, war ein ebenso würdevoller Mann als das
östliche »Krokodil«. Wie dieser in Champollion den eigenen
Ruhm erblickte, so jener in Lepsius, dem er sich während
dessen längeren Aufenthaltes in Theben zu Dienste gestellt
hatte. Er empfand deshalb eine doppelte Genugthuung, in mir
einen Landsmann des großen Gelehrten zu erkennen, und ich bin
meinerseits in der glücklichen Lage gewesen, dem ehrwürdigen
Greise für alle seine Bemühungen meine herzlichste Dankbarkeit
zu beweisen. Er besaß hüben, wie Timsach drüben, eine
ausgezeichnete Kenntnis der Denkmäler bis zu den Nummern der
einzelnen Gräber und Katakomben hin, so daß ich mich unter
seiner Führung niemals in der Irre befand.
Während meines mehrmonatigen Aufenthaltes in Theben hatte
ich auf der Ostseite der alten Stadt im kleinen Tempel der
Ortsgöttin Ape meine Wohnstätte aufgeschlagen, und wenn ich
des Morgens in aller Frühe erwachte, so empfand ich es stets
mit großem Vergnügen, an den stummen Wänden gegenüber meinem
Bett die großen und kleinen Götter des altägyptischen Olympes
an meinen Augen vorüberziehen zu sehen. Ape stand an der
Spitze aller, wenn auch in einer für eine hehre Göttin wenig
anmutigen Gestalt. Sie zeigte sich unter dem Bilde eines
scheußlichen schwarzen Nilpferdes mit aufgesperrtem Rachen und
nur die Krone und Szepter und sonstige Attribute an ihrem
Leibe ließen vergessen, daß sie nicht bloß einem
mythologischen Tiergarten angehörte. Nie habe ich die Freude
der Arbeit so empfunden, als gerade in dieser meiner
thebanischen Wohnung, die an Dauer nichts zu wünschen übrig
ließ, keiner Feuersgefahr ausgesetzt war und außerdem deu
angenehmen Vorzug hatte, daß ich ihr von Miete und Steuer
befreiter Insasse war. Ein von mir nicht bewohntes Gemach
besaß eine merkwürdige Eigentümlichkeit, die ihm bei den
Arabern die Bezeichnung »die Kammer der Totenuhr« verschafft
hatte. Wurde die steinerne Außenwand von den Strahlen der
Morgensonne beleuchtet, so ließ sich ein leise klingender Ton
hören, der annähernd dem langgedehnten metallenen Klang einer
schlagenden Uhr glich. Die berühmte Memnonssäule bot nach den
übereinstimmenden Zeugnissen des Altertums zu derselben
Beobachtung Veranlassung. Über die physikalischen Ursachen des
klingenden Tones einer geborstenen und von der Sonne erwärmten
Steinmasse ist man längst im reinen.
Daß die Araber aus diesen und ähnlichen Erscheinungen
inmitten der großartigen Denkmälerwelt Thebens einen ganzen
Legendenkreis bildeten, kann nicht in Erstaunen setzen. Ihre
Erzählungen und Sagen stehen auf gleicher Stufe mit unserer
Ahnfrau oder weißen Frau in verrufenen Gängen alter Schlösser
und Burgen. Immerhin hatten ihre Geschichten für mich einen
besonderen Wert, da sie nicht ohne Zusammenhang mit
wirklichen, durch die Inschriften der Tempel verbürgten
Überlieferungen standen, die sich Jahrtausende hindurch von
Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzten.
Meine Wohnung auf der gegenüberliegenden Seite Thebens
bildete das ehemalige Grab eines vornehmen Ägypters, das in
einiger Höhe in den Felsen von Abd-el-Kurnah gemeißelt und mit
Bildern und Inschriften geschmückt war und mir den Vorteil
einer kühlen und verhältnismäßig sauberen Aufenthaltsstätte
verschaffte. Trat ich des Morgens aus meinem Grabe heraus, so
entzückte mich die wundervolle Beleuchtung und das zu meinen
Füßen ausgebreitete Panorama, wie es nicht herrlicher, nicht
großartiger gedacht werden konnte. Die Ruinenstätte der
einstigen »Königin der Städte« breitete sich in mächtiger
Ausdehnung zu meinen Füßen aus, durchschnitten von den Wässern
und Sandinseln des Nilstroms, der ihr Gebiet in zwei große
Hälften trennte. Die massigen Überreste des Reichstempels von
Kurnah und die vom blauen Lichtglanze des Himmels
durchbrochenen Säulenhallen des großen Heiligtums von Luxor
versetzten mich in eine wahre Zauberwelt.
Die Eindrücke, die ich in solchen Augenblicken in innerster
Seele empfand, ließen mich die Not vergessen, in der ich mich
in den letzten Monaten meiner Wanderschaft befand. Das
Reisegeld war bis zum letzten Heller aufgezehrt und ich
genötigt, wie der ärmste Thebaner mein Leben zu fristen.
Linsen, Bohnen, Zwiebeln, Durrabrot und nur selten einmal ein
mageres Huhn sind keine Speisen, die auf die Dauer einen
Europäer zu kräftigen vermögen. Dazu eine trostlose Einsamkeit
in weiter Ferne von der Familie, der Mangel aller Nachrichten
»von draußen«, die Entbehrung aller geistig auffrischenden
Genüsse, wie sie Europa dem gebildeten Manne in
unerschöpflicher Fülle darbietet, und nicht am letzten die
fehlende Sicherheit und schnelle Beförderung aller brieflichen
Mitteilungen. Und doch war ich dem Schicksal dafür dankbar,
als ich auf der Höhe meines trostlosen Zustandes in den Besitz
eines Briefes gelangte, dessen Adresse mich die zitternde
Handschrift meines Beschützers Alexander von Humboldt sofort
erkennen ließ. Ich jubelte auf, als ich die folgenden Zeilen
auf den beiden eng beschriebenen Seiten mit aller gebotenen
Andacht las:
»Mein teurer Brugsch! Ich habe mir bittere Vorwürfe zu
machen, daß ich Ihnen nicht öfter und früher Zeichen des
Lebens, der innigsten Freundschaft und des Dankes für so
überaus wichtige und liebevolle Briefe gegeben habe. Aber der
Gedanke, daß Sie auch nur einen Augenblick an meiner innigen
Anhänglichkeit, an meiner immer zunehmenden Achtung für Ihr
schönes Talent und Ihre beispiellose und doch so geregelte
Thätigkeit zweifeln könnten, kann mir nicht in den Sinn
kommen. Fast jeder Ihrer Briefe, auch die an mich gerichteten,
ist dem Könige vorgelegt und von Ihm mit dem Wohlwollen, das
Er Ihnen so unabänderlich geschenkt, angehört worden.
Ob diese Zeilen sicher in Ihre Hände kommen, mein teurer
Doktor, scheint mir sehr ungewiß. Ihr Hauptzweck ist der,
Ihnen die frohe Nachricht zu geben, daß der Wunsch, den Sie
mir in Ihrem Brief an Bord der Barke »Serapis« äußerten,
vollkommen befriedigt worden ist. Sie meldeten, daß Sie vom
November ab ohne Fonds sein würden und im Februar zurückkommen
würden. Es ist mir leicht gewesen, vom König für Sie wieder
auf ein ganzes Jahr fünfzehn Hundert Thaler zu erlangen; damit
ist nicht gesagt, daß Sie noch ein volles Jahr bleiben müssen,
es wird Ihnen nur die Möglichkeit eröffnet, bis zu Ihrer
Ankunft in Berlin noch über 1500 Thlr., nämlich jeden Monat
über 125 Thlr., zu disponieren. Vielleicht gehen Sie noch in
das Sinaïland, wo so alte Inschriften sind, vielleicht machen
Sie die Rückreise über Malta und London, wo Sie ganz auf
Bunsens Freundlichkeit rechnen können. In London ist viel,
sehr viel zu lesen, und ein Aufenthalt in London wäre
vielleicht in die ägyptische Reise einzurechnen, wenn die 1500
Thlr. Sie über London nach Berlin zurückführten. London werden
Sie doch besuchen müssen, um Ihre Arbeiten zu
vervollständigen, und von Berlin aus, nach der ägyptischen
Reise, wieder Geld zu einer Londoner Reise zu erlangen, möchte
nicht so leicht sein. Es wäre besser, daß Ägypten und London
eins würden und daß Sie mit den neuen letzt bewilligten 1500
Thalern bis August über Malta und London nach Berlin auskämen.
Ich glaube gern an Frieden, aber auf die Zukunft ist in dieser
Hinsicht doch nicht mit Sicherheit zu rechnen. Ich bin mit
Geh. Kab. -Rat Illaire, der Ihnen sehr gewogen ist,
übereingekommen, daß Ihnen bei Herrn Kammerherrn und
General-Konsul in Kairo Baron von Pentz ein Kredit von 1500
Thalern auf die Legationskasse eröffnet werde. Des Königs und
Illaires Abwesenheit in Warschau und die jetzige Anwesenheit
des russischen Kaisers in Potsdam haben (der bewegten Zeit
wegen) die Sache noch nicht in alle Förmlichkeit gebracht,
aber die freundlichste Bewilligung des Königs ist ganz gewiß.
Ich denke selbst noch vor Geh. Kab.-Rat Illaire deshalb an
Herrn Baron von Pentz zu schreiben.
Für alles Detail der Reise, die ich vorher berührte,
handeln Sie ja ganz frei, nach eigenem Willen. Lepsius fährt
fort, sehr freundlich von Ihnen zu reden. Ihren Brief an
Bunsen habe ich mit einem sehr warmen begleitet. Ich billige
sehr, daß Sie sich nicht mit der Böckh in der Akademie
versprochenen Arbeit übereilen. Auf einer Reise, wo es an
allem Bücherapparat fehlt, ist nie etwas Vollendetes zu geben,
auch nicht zu fordern, aber ehe Sie zurückkommen, ist eine
Arbeit für die Akademie allerdings nötig, da ich Ihre schönen
Berichte an den König, die andere Zwecke der Unterhaltung
haben mußten, immer geradezu Ihrem vortrefflichen Vater
wiedergegeben habe. Ihren sehr gelehrten und ausgezeichneten
Freund G. Weiß, Verfasser eines sehr merkwürdigen Buches,
hatte ich schon sehr ehrenvoll empfangen, da ich Ihren Brief
erhielt.
Meine Gesundheit ist im ganzen dieselbe d.h. Arbeit
geradezu nicht hindernd geblieben, nur in der letzten Zeit
habe ich die gewöhnlichen Leiden: Verstopfung wie Schnupfen
und Husten mehr gehabt.
Aragos Tod hat mich tief geschmerzt, so sehr er
herbeizuwünschen war. Des armen Passalacquas Schuldenfache,
durch die thörichte und verfehlte Gemäldespekulation
herbeigeführt, beschäftigt mich noch immer. Ich hoffe ihm wird
geholfen werden können, obgleich die Minister alle Vorschüsse
verweigern. Hr. von Olfers hat gegen Vermutung sich sehr
wohlwollend gezeigt. Die Seifertsche Familie grüßt Sie
herzlich.
Empfangen Sie, teuerster Brugsch, die erneuerte
Versicherung meiner unverbrüchlichsten Anhänglichkeit.
Herrn Dr. Pfundts Meteorologische Beobachtungen (doch
Réaumursche Skala), dieser Zusatz kann nicht oft genug wieder
holt werden!!, sind sehr rühmlich, aber die einzelnen Monate
gehen verloren. Er sollte ja immer sechs Monate zusammen
schicken, am sichersten an Professor Dove (wegen der
geographischen Gesellschaft), adressiert. Suchen Sie selbst
doch recht ernstlichst zu ergründen 1) was die größte Hitze
des Sommers ist mit Angabe der Skala und 2) was die größte
Lufttemperatur im Schatten, fern von Nähe der Felsen, frei in
der Luft, nicht in Zelten, nicht in mit Staub gefüllter Luft,
in der Höhe von sechs bis sieben Fuß über dem Boden im
Schatten ist. Sie wissen doch, daß Physiker nicht an 36 bis 37
Grad Réaumur glauben. Beobachtungen in der Sonne helfen zu
garnichts. Potsdam, den 9. Oktober 1853. Ihr A. v. Humboldt.«
Die Worte des vorstehenden Briefes, den der damals
84jährige Greis mit zitternder Hand niedergeschrieben hatte,
klangen wie Sphärenmusik in meine Ohren. Ich war mit einem
Schlage aus aller Not und Sorge erlöst worden und fand den
beinahe ganz verlorenen Mut wieder, mich mit frischer Kraft
meinen Forschungen auf dem Gebiete der thebanischen Totenstadt
zu widmen. Doch ließ ich es mir nicht nehmen, nach dem Nile
hin meinen Weg zu richten, mich über den Strom setzen zu
lassen und in dem »französischen Schlosse« in Luxor einen
wahren Festtag zu feiern. Ich kam gerade zur rechten Zeit an,
um ein höchst wertvolles astronomisches Denkmal aus der
Kaiserzeit vor seinem Untergange zu retten. Ein braunfarbiger
Diener des Schlosses war gerade damit beschäftigt, das Beil zu
erheben, einen alten buntbemalten Sargkasten mit Sternbildern
in Kleinholz zum Brennen zu verwandeln, als ich eintrat und
das Unglück verhinderte. Das »französische Schloß« bestand
durchweg aus mehreren aus allen Nilziegeln aufgeführten
Zimmern, die in lustiger Höhe auf den steinernen Tragebalken
und Säulen der hintersten Kammern des Amonstempels von Luxor
ruhten. Eine stufenreihige, ebenfalls aus Nilziegeln
aufgeführte Treppe führte zu der halb europäisch, halb
arabisch eingerichteten Wohnstätte, deren Besitzer, ein
Franzose Namens Mannier, hier mit seiner Gattin, einer nicht
mehr ganz jugendlichen Italienerin, ein einsames Dasein
verlebte, lediglich um in geeigneter Weise ein kleines
Vermögen zu erringen. Er stellte Photographien her, die er an
reisende Europäer, meist Engländer und Franzosen, absetzte,
oder er kaufte und verkaufte Altertümer, sogar beschriebene
Steine der Tempelmauern waren nicht vor ihm sicher. Außerdem
verlieh er Geld gegen hohen Zinsfuß, wobei er die besten
Geschäfte mit arabischen Kaufleuten machte, die durch die
Wüste ihre Karawane bis nach Dongola und Kordofan abgehen
ließen. Herr Maunier war deshalb eine allen Thebanern
wohlbekannte Erscheinung, denn sein jahrelanger Aufenthalt,
seine rührige Geschäftigkeit und nicht am letzten seine
ärztliche Hilfe hatte ihn mit aller Welt zusammengeführt, und
kein Nilreisender landete in Theben, fast am Fuße seiner
luftigen sonderbaren Tempelwohnung, ohne ihm und seiner
schönen, nur etwas melancholischen Gattin einen Besuch
abzustatten, freilich nur in den kurzen Wintermonaten, denn in
der heißen Jahreszeit vermied man damals, wie noch heute, den
Aufenthalt in der Hölle Ägyptens.
Ich verlebte manche fröhliche Stunde im französischen
Schlosse, schon weil mir die Freude zu teil wurde, mit zwei
europäischen Seelen verkehren zu können und von Zeit zu Zeit
Nachrichten »von drüben«, d.h. Frängistan zu erhalten.
Freilich brauchten damals die Zeitungen mindestens einen
Monat, um von Paris und London aus das Schloß zu erreichen.
Das letztere hatte übrigens ein trauriges Schicksal, vor dem
nur ein glücklicher Zufall die zur Zeit abwesenden Insassen
bewahrt hatte. In nächtlicher Zeit brach der Fußboden, d.h.
die quer über die Tempelmauern gelegten Palmbaumstämme durch
und ein großer Teil des Hauses mit seinen Möbeln stürzte in
die Tiefe des darunter liegenden Heiligtums. Herr Mannier
verließ bald darauf Luxor, um nach Kairo zurückzukehren und in
den Dienst eines ägyptischen Prinzen als Güterverwalter zu
treten. So viel ich später hörte, siedelte er als reicher Mann
nach Frankreich über.
Meine Felsenwohnung auf der westlichen Seite Thebens hatte
sich im Winter manches europäischen Besuches zu erfreuen, ja
ich habe sie einmal mit einem landsmännischen Reisenden teilen
müssen, der sich später als Forscher auf geographischem und
ethnographischem Gebiete einen Namen errungen hat. Es war der
Baron v. Maltzahn, den ich gleich nach seiner Ankunft in
Theben aus den Kla uen seines maltesischen Dragoman befreite.
Der letztere, der sich verpflichtet hatte, meinen La ndsmann
auf einem Nilboote durch Oberägypten zu führen, mißhandelte
den armen Baron in unerhörtester Weise, plünderte ihn aus und
vergaß sich so sehr, ihn selbst mit Schlägen zu traktieren.
Wie gesagt trat ich als rettender Engel ein, befreite den
Unglücklichen aus seiner gefährlichen Lage und beherbergte ihn
sechs Wochen hindurch in meinem bescheidenen Felsengrabe.
Eine andere Begegnung ist mir gleichfalls im Gedächtnis
geblieben, da sie mir ganz unvermutet die persönliche
Bekanntschaft des katholischen Paters Ignatius Knoblecher,
eines geborenen Österreichers, verschaffte, der durch sein
Missionswerk am weißen Nil, 10 Grad nördl. Br., später zu
einer gewissen Berühmtheit gelangte und als Bischof in Rom
sein thatenreiches Leben abschloß. Abnna Soliman, »unser Vater
Salomo«, wie die Araber ihn nannten, damals ein Dreißiger,
kannte die oberen Nilgegenden wie seine eigene Heimat. Zur
Zeit unserer ersten Begegnung befand er sich in Begleitung von
zwölf Handwerkern österreichischer Abstammung, die sich dem
praktischen Missionswerke zu widmen hatten, um die Neger in
das europäische Handwerk einzuführen und ihren Sinn für die
Segnungen unserer Kutur zu erwecken. Wie ich mehrere Jahre
später aus dem Munde des Paters vernahm, ist keiner von ihnen
mit dem Leben davon gekommen. Sie erlagen nach Jahresfrist dem
Klima und dem Fieber, vielleicht infolge ihrer nüchternen
Lebensweise und ihrer Enthaltung aller geistigen Getränke. In
Begleitung der Expedition befand sich ein junger Bari-Neger,
der erste, der überhaupt in Ägypten gesehen wurde und
besonders durch eine eigentümliche Federkrone auf dem Kopfe
die allgemeinste Aufmerksamkeit erregte. Der Pater vermochte
sich nur teilweise mit ihm zu verständigen in seiner
Landessprache, in welcher der s-Laut unbekannt sein soll. Der
Bari wenigstens sprach das Wort Soliman nie anders als Toliman
aus. Pater Ignatius erzählte mir von dem tragischen Ende des
österreichischen Konsuls Dr. Reitz (eines der Teilnehmer der
Müllerschen Expedition nach dem Innern des Sudan), von welchem
er kurz zuvor briefliche Nachricht aus Chartum erhalten hatte.
Der Konsul erlegte auf einem Jagdzuge außerhalb dieser Stadt
und gegen die Warnungen der Eingeborenen eine Hyäne mit seiner
Kugel. Kurz darauf verfiel er in Wahnsinn und starb
elendiglich, wahrscheinlich durch Gift, das ihm seitens der
Warner beigebracht worden war. Das Tier gilt dort als
geheiligt und niemand wagt ihm etwas zu Leide zu thun.
Knoblecher kannte diesen Glauben und erzählte mir von einem
türkischen Beamten, der ihm die Versicherung gab, auch er habe
einst auf eine Hyäne geschossen, sie an der Schulter getroffen
und plötzlich, nachdem sich der Pulverdampf verzogen hatte, an
Stelle des Tiers ein Mädchen vor sich gesehen, dem das rote
Blut aus einer Wunde an der Schulter herausfloß. Wie man sich
daraus überzeugt, fehlt es auch dem Sudan nicht an Dichtungen
und Jägergeschichten.
Abenteuer, am allerwenigsten gefährliche, habe ich auf
meiner ganze ersten Reise in Ägypten nicht erlebt und mich
überall der besten Aufnahme bei den Eingeborenen, hohen und
niedrigen, erfreut. La douceur de mon caractère, wie es Alex.
von Humboldt in seiner liebenswürdigen Güte von mir
behauptete, öffnete mir überall die Herzen und Thüren, und
wenn bei manchen Gelegenheiten meine Linke nicht wußte, was
die Rechte gab, so empfand ich doch mit einer gewissen
Genugthuung die Ehre des Namens, der mir seitdem von den
Ägyptern beigelegt wurde: Abulmaaruf, d.i. »Der Vater der
Güte«.
Von den Segenswünschen meiner Diener und Freunde
überschüttet, kehrte ich glücklich nach der Heimat zurück, um
den Kampf ums Dasein mit den Waffen des Geistes zu wagen.
Ägypten hatte mir den Stahl dazu geliefert, und es lag an mir,
ihn zur Abwehr zu schärfen; denn für die Defensive hatte ich
mich gründlich vorzubereiten, das war mir klar geworden.