6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter
Meine Berufung nach Kairo.
Kaum war ich in Göttingen warm geworden und hatte mich in
die neuen Verhältnisse eingelebt, als mir ganz unerwartet von
Ägypten aus eine briefliche Mitteilung zukam, die
offiziellster Natur war und einer eingehenden Überlegung wert
schien. Sie rührte weder von Mariette noch von einem anderen
Europäer im Nilthale her, sondern trug die Unterschrift und
den Titel Ali-Pacha Mubarek, Ministre de l'Instruction
Publique.
Auf Befehl seines vizeköniglichen Herrn Ismaïl Pascha
beehrte mich der »Wesir des Wissens« durch den Antrag,
zunächst auf fünf Jahre nach Ägypten zu kommen, um in Kairo
eine europäisch-orientalische Schule zu gründen, in welcher
auserlesene Jünglinge von ägyptischem Stamme in die
Gegenstände des höheren Unterrichts und in die Kenntnis der
Hieroglyphenentzifferung eingeweiht werden sollten. Bei einer
sehr anständigen Besoldung wurde mir eine Dienstwohnung
inmitten eines schönen Gartens zu Gebote gestellt und mir
sonst jede Art von Annehmlichkeit gewährt, wie ich sie mir
icht besser wünschen konnte. Da es sich in dem gegebenen Falle
nicht um meine Person allein, sondern um den Ruf des
preußischen Unterrichtswesens handelte, den im Morgenlande zu
vertreten mir die Aussicht eröffnet war, so teilte ich den
Inhalt des Briefes der mir vorgesetzten Behörde mit, es
derselben anheimstellend, ihre Entscheidung zu treffen. Es
wurde mir auf Befehl des Königs ein fünfjähriger Urlaub
bewilligt, den ich jedoch selber später in der Weise
verkürzte, daß ich in der heißen Jahreszeit nach Göttingen
zurückkehrte, um im »Sommertheater« meine öffentlichen
Vorlesungen »Über Sitten und Gewohnheiten der Völker des
Morgenlandes« in regelmäßiger Stunde fortzusetzen.
Bei meiner Ankunft in Ägypten wurden mir von allen Seiten
die, Zeichen des größten Wohlwollens zu teil. Der Vizekönig
dankte mir persönlich für meine Bereitwilligkeit, seinen
Wünschen entsprochen zu haben, und der »Wesir des Wissens«
bewillkommnete mich im geläufigsten Franz ösisch, wie man etwa
einen alten lieben Freund empfängt. Er war damals ein
angehender Vierziger, hager und hoch aufgeschossen, braun wie
ein Fellach und von einer außerordentlichen Lebendigkeit im
Gespräch, wobei er sich bemühte, die Klarheit eines Gedankens
meist auf dem Umwege des arabischen Gleichnisses zum Ausdruck
zu bringen. Sohn eines Fellachen aus Oberägypten und später
den Regierungsschulen in Kairo über geben, hatte er durch
seinen Fleiß und seine Leichtigkeit der Auffassung die
Aufmerksamkeit seiner Lehrer auf sich gelenkt, so daß er
schließlich einer Schülermission nach Paris zugeteilt wurde.
Er trieb in dem großen modernen Babel die Wissenschaften nach
ihrer französischen Form, erlangte in jedem Gegenstande das
beste Zeugnis und wurde später als Artillerieoffizier der
militärischen Schule in Metz überwiesen. Nach seiner Rückkehr
in die Heimat erklomm er in schnellster Folge die Stufenleiter
der ägyptischen Beamtenhierarchie, um zuletzt als strahlende
Sonne am Himmel des Unterrichts in Kairo zu glänzen.
Ich darf mich rühmen seine Freundschaft in ausgedehntestem
Maße genossen zu haben, die ihn seinerseits zu der Bitte
bewog, für ihn in französischer Sprache während meiner
Mußestunden einen Überblick der Geschichte Ägyptens in den
Zeiten der Ptolemäer und Römer, ferner die Numismatik des
Nilthales in denselben Epochen, die alte Geographie des Landes
u.s.w. in möglichst kurzer Zeit ausarbeiten zu wollen. Er
beabsichtigte, so versicherte er mich, zum Nutzen der
eingeborenen Jugend, – auch den Erwachsenen würde dies nicht
schaden können, – ein encyklopädisches Werk in arabischer
Sprache niederzuschreiben, das Ägyptens Stellung in der
Weltgeschichte, seine Weisheit, seine Künste, seine
Erfindungen, seine Sitten und Gewohnheiten, mit einem Worte
alles und alles, wie es sich im Laufe der Jahrhunderte und
Jahrtausende entwickelt habe, dem Leser in verständlicher
Sprache vorführe. Mein Wesir war ein hochgebildeter Mann, aber
er litt an einem Fehler, welcher nicht ihm, sondern seinem
ganzen Volksstamme angehört, nämlich in der mündlichen und
schriftlichen Darstellung die Dinge kunterbunt und heillos
untereinander zu werfen. Selbst Ismaïl Pascha kannte diesen
Erbfehler seines Volkes sehr genau, und mit Bezug auf seinen
Wesir bemerkte er mir einst: »Sehen Sie, ich und er, wir waren
beide zusammen auf der Schule in Paris und wurden in denselben
Lehrgegenständen unterrichtet, nur mit dem Unterschiede des
Erfolges, daß er die besten und ich die schlechtesten Nummern
in den Zeugnissen erhielt. Aber trotz seiner erlangten
Kenntnisse verhinderte ihn seine Konfusion, wirklich Gutes zu
leisten, während ich selber, der schlechtere Schüler, zwar
weniger Kenntnisse besitze als er, mir aber wenigstens meinen
gesunden Verstand bewahrt habe. Ich sehe klar und beurteile
die Dinge nicht schief.«
Die Hochschule, für die ich als Generaldirektor ausersehen
war, befand sich außerhalb der Stadt Kairo und in der Nähe der
Vorstadt Bulak. Das dazu gehörige Gebäude mit den Anbauten und
einem Vorgarten, alles von einer hohen weißen Mauer umgeben,
zeigte alttürkischen Baustil, wobei selbst die Haremsfenster
mit ihrem Gitterwerke nicht fehlten. Das Haus rührte offenbar
noch aus der Mamelukenzeit her. Regellos angelegt, hatte jedes
der Zimmer eine verschiedene Höhe, und eine Menge von Treppen
und Gängen vermittelte die Verbindung der einzelnen mit
einander. Für meinen Einzug war alles geweißt und gestrichen
worden, wobei man es nicht vermied, unter der Tünche den alten
Schmutz liegen zu lassen. Fledermäuse in den Zimmern, Mäuse
und Ratten in den Kellern und Küchen gehörten zu den
Mitbewohnern des türkischen Palastes, von dessen Dache aus,
mit seinen chinesischen schirmartigen Vorsprüngen, ich
täglicher Zeuge der herrlichsten Sonnenuntergänge war. Der
Vorgarten reizte durch seinen tropischen Anblick:
fruchttragende hohe Dattelpalmen und blütenreiche
Maulbeerbäume bildeten durchsichtige kleine Gruppen, die Wege
zeigten sich von riesig hohen dunklen Cypressen eingefaßt, auf
den Beeten wurden buntfarbige Zierpflanzen oder häusliches
Gemüse gezogen, und ein Regierungsbüffel, wie immer mit
verbundenen Augen, drehte von früher Morgenstunde an bis zum
Scheiden der Sonne das knarrende Wasserrad in der Ecke. Meine
Frau war ganz entzückt von dem echt morgenländischen
Gartenidyll unter dem stets blauen Himmel des Ostens; als sie
jedoch an einem schönen Morgen den Kampf unseres ägyptischen
Hauskaters mit einer anderthalb Meter langen Schlange vom
Balkon aus mit eigenen Augen zu verfolgen die Gelegenheit
hatte, da war es aus bei ihr mit aller Gartenpoesie, sie gab
ihre täglichen Spaziergänge zwischen den Beeten auf und
begnügte sich damit, hinter den Haremsgittern des breiten
Empfangssaales stehend, einen Blick auf das verlorene Paradies
in der Tiefe zu werfen. »Es ist wirklich wahr,« äußerte sie zu
mir, »daß niemand unter Palmen ungestraft wandelt.«
Meine Zöglinge bestanden wie die Apostel aus einer
Zwölfzahl, sämtlich Eingeborene, die sich in der Farbe nur
dadurch von einander unterschieden, daß die Söhne von
türkischen Müttern eine hellere, die von ägyptischen eine
dunklere Haut erkennen ließen. Man hatte mir angeblich eine
Auslese der fähigsten Schüler zu Gebote gestellt, allein eine
nähere Prüfung ihrer Kenntnisse verschaffte mir bald die
Überzeugung, daß es eigentlich nur die Lahmen und die Blinden
in der Erkenntnis waren, die »der hohe Diwan« mir aus der
Stadt des Wissens nach dem Schech-Golali gesendet hatte. So
hieß nämlich amtlich und im Volksmunde mein Haus, in dessen
Nähe sich das Grabmal eines Heiligen dieses Namens befand, an
welchem die vorüberziehenden Söhne des Landes ein kurzes
Stoßgebet zu verrichten pflegten. Zu spät erfuhr ich, daß die
Lehrer der Regierungsschule sich weislich gehütet hatten, von
den Besten ihres lernenden Volkes sich zu trennen und mir
dagegen nur den schalen Abhub ihrer lebendigen Ware in das
Haus befördert hatten.
Ich kann es leicht verstehen, daß der Unterricht
morgenländischer Schüler, den sie von europäischen Lehrern
empfangen, immer nur zu mäßigen Erfolgen führt, da den Lehrern
das Mittel meist vollständig abgeht, sich den Schülern so
verständlich zu machen, um von ihnen begriffen zu werden. Die
meisten Europäer, die nicht einmal in ihrem Lande eine
Schulprüfung bestanden haben, sind darauf angewiesen, sich
beim Unterricht der Dolmetscher zu bedienen, denen selber
wiederum die Fähigkeit abgeht, die technischen Ausdrücke in
den verschiedenen Unterrichtszweigen ihrer Bedeutung nach zu
verstehen und für die arabische Sprache eine Wortbildung
eintreten zu lassen, die sich begrifflich einigermaßen mit dem
fremden Ausdruck deckt. Die französische Sprache, welche
damals den Schülern gelehrt wurde, kannten sie auch nur
halbwegs, so daß auch nach dieser Richtung hin sich dem
Unterricht Schwierigkeiten aller Art entgegenstellten.
Meine Aufgabe, die ich zu lösen hatte, war unter so be
wandten Umständen keine leichte, und ich weiß bis zur Stunde
noch nicht, wie es mir gelungen ist, mit Hilfe deutscher
Lehrer und eines abessinischen Lektors, meinen Schülern die
deutsche, französische, englische und abessinische Sprache
beizubringen, sie in das Verständnis der Hieroglyphen
einzuführen und sie die Elemente der Hilfswissenschaften zu
lehren. Der Vizekönig schien von meiner Kunst im höchsten Maße
befriedigt, der »Wesir des Wissens« entzückt, und die
Direktoren der Regierungsschulen wollten vor Neid beinahe
bersten. Um es nicht zu vergessen, sogar mein alter Freund
Mariette fing an sich mit dem Gedanken zu qnälen, als führe
der Vizekönig den Plan im Schilde, in seinem Museum
eingeborene, mit den Hieroglyphenstudien vertraute Beamte
anzustellen. So viel ich ihn darüber zu beruhigen bemüht war,
so mißtrauisch blieb er in seinem Gemüte, so daß er selbst den
Museumsdienern den Befehl erteilen ließ, keinem Eingeborenen
das Abschreiben hieroglyphischer Inschriften zu gestatten. Die
Betreffenden wurden einfach aus dem Tempel hinausgedrängt.
Bevor ich von meinen späteren Schulerfolgen den Schluß
erzählen werde, muß ich eines Ereignisses gedenken, das in der
damaligen Zeit ganz Europa auf das lebhafteste beschäftigte
und die Zeitungen wie mit Engelszungen von sich reden ließ.
Ich meine die feierliche Eröffnung des Kanales von Sues, an
der ich selber im dienstlichen Auftrage als ägyptischer
Kommissar teilgenommen hatte. Seitdem ich meine Stellung als
Direktor einer morgenländischen Hochschule in Kairo angetreten
hatte, galt ich nun einmal als ein »Diener« der Regierung und
ich mußte mich deshalb dazu bequemen, den schwarzen »Stambulin«-Rock
anzulegen und den roten Tarbusch auf mein Haupt zu setzen. Da
ich schon damals der arabischen Sprache insoweit mächtig war,
um bei meinem hieroglyphischen Unterricht mich ihrer zu
bedienen und sogar öffentlich arabische Vorträge zu halten, so
sahen mich die meisten Ägypter als einen Beamten an, der schon
lange Jahre seines Lebens an den Ufern des Nils zugebracht
hatte.