Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter

Meine Berufung nach Kairo.

Kaum war ich in Göttingen warm geworden und hatte mich in die neuen Verhältnisse eingelebt, als mir ganz unerwartet von Ägypten aus eine briefliche Mitteilung zukam, die offiziellster Natur war und einer eingehenden Überlegung wert schien. Sie rührte weder von Mariette noch von einem anderen Europäer im Nilthale her, sondern trug die Unterschrift und den Titel Ali-Pacha Mubarek, Ministre de l'Instruction Publique.

Auf Befehl seines vizeköniglichen Herrn Ismaïl Pascha beehrte mich der »Wesir des Wissens« durch den Antrag, zunächst auf fünf Jahre nach Ägypten zu kommen, um in Kairo eine europäisch-orientalische Schule zu gründen, in welcher auserlesene Jünglinge von ägyptischem Stamme in die Gegenstände des höheren Unterrichts und in die Kenntnis der Hieroglyphenentzifferung eingeweiht werden sollten. Bei einer sehr anständigen Besoldung wurde mir eine Dienstwohnung inmitten eines schönen Gartens zu Gebote gestellt und mir sonst jede Art von Annehmlichkeit gewährt, wie ich sie mir icht besser wünschen konnte. Da es sich in dem gegebenen Falle nicht um meine Person allein, sondern um den Ruf des preußischen Unterrichtswesens handelte, den im Morgenlande zu vertreten mir die Aussicht eröffnet war, so teilte ich den Inhalt des Briefes der mir vorgesetzten Behörde mit, es derselben anheimstellend, ihre Entscheidung zu treffen. Es wurde mir auf Befehl des Königs ein fünfjähriger Urlaub bewilligt, den ich jedoch selber später in der Weise verkürzte, daß ich in der heißen Jahreszeit nach Göttingen zurückkehrte, um im »Sommertheater« meine öffentlichen Vorlesungen »Über Sitten und Gewohnheiten der Völker des Morgenlandes« in regelmäßiger Stunde fortzusetzen.

Bei meiner Ankunft in Ägypten wurden mir von allen Seiten die, Zeichen des größten Wohlwollens zu teil. Der Vizekönig dankte mir persönlich für meine Bereitwilligkeit, seinen Wünschen entsprochen zu haben, und der »Wesir des Wissens« bewillkommnete mich im geläufigsten Franz ösisch, wie man etwa einen alten lieben Freund empfängt. Er war damals ein angehender Vierziger, hager und hoch aufgeschossen, braun wie ein Fellach und von einer außerordentlichen Lebendigkeit im Gespräch, wobei er sich bemühte, die Klarheit eines Gedankens meist auf dem Umwege des arabischen Gleichnisses zum Ausdruck zu bringen. Sohn eines Fellachen aus Oberägypten und später den Regierungsschulen in Kairo über geben, hatte er durch seinen Fleiß und seine Leichtigkeit der Auffassung die Aufmerksamkeit seiner Lehrer auf sich gelenkt, so daß er schließlich einer Schülermission nach Paris zugeteilt wurde. Er trieb in dem großen modernen Babel die Wissenschaften nach ihrer französischen Form, erlangte in jedem Gegenstande das beste Zeugnis und wurde später als Artillerieoffizier der militärischen Schule in Metz überwiesen. Nach seiner Rückkehr in die Heimat erklomm er in schnellster Folge die Stufenleiter der ägyptischen Beamtenhierarchie, um zuletzt als strahlende Sonne am Himmel des Unterrichts in Kairo zu glänzen.

Ich darf mich rühmen seine Freundschaft in ausgedehntestem Maße genossen zu haben, die ihn seinerseits zu der Bitte bewog, für ihn in französischer Sprache während meiner Mußestunden einen Überblick der Geschichte Ägyptens in den Zeiten der Ptolemäer und Römer, ferner die Numismatik des Nilthales in denselben Epochen, die alte Geographie des Landes u.s.w. in möglichst kurzer Zeit ausarbeiten zu wollen. Er beabsichtigte, so versicherte er mich, zum Nutzen der eingeborenen Jugend, – auch den Erwachsenen würde dies nicht schaden können, – ein encyklopädisches Werk in arabischer Sprache niederzuschreiben, das Ägyptens Stellung in der Weltgeschichte, seine Weisheit, seine Künste, seine Erfindungen, seine Sitten und Gewohnheiten, mit einem Worte alles und alles, wie es sich im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende entwickelt habe, dem Leser in verständlicher Sprache vorführe. Mein Wesir war ein hochgebildeter Mann, aber er litt an einem Fehler, welcher nicht ihm, sondern seinem ganzen Volksstamme angehört, nämlich in der mündlichen und schriftlichen Darstellung die Dinge kunterbunt und heillos untereinander zu werfen. Selbst Ismaïl Pascha kannte diesen Erbfehler seines Volkes sehr genau, und mit Bezug auf seinen Wesir bemerkte er mir einst: »Sehen Sie, ich und er, wir waren beide zusammen auf der Schule in Paris und wurden in denselben Lehrgegenständen unterrichtet, nur mit dem Unterschiede des Erfolges, daß er die besten und ich die schlechtesten Nummern in den Zeugnissen erhielt. Aber trotz seiner erlangten Kenntnisse verhinderte ihn seine Konfusion, wirklich Gutes zu leisten, während ich selber, der schlechtere Schüler, zwar weniger Kenntnisse besitze als er, mir aber wenigstens meinen gesunden Verstand bewahrt habe. Ich sehe klar und beurteile die Dinge nicht schief.«

Die Hochschule, für die ich als Generaldirektor ausersehen war, befand sich außerhalb der Stadt Kairo und in der Nähe der Vorstadt Bulak. Das dazu gehörige Gebäude mit den Anbauten und einem Vorgarten, alles von einer hohen weißen Mauer umgeben, zeigte alttürkischen Baustil, wobei selbst die Haremsfenster mit ihrem Gitterwerke nicht fehlten. Das Haus rührte offenbar noch aus der Mamelukenzeit her. Regellos angelegt, hatte jedes der Zimmer eine verschiedene Höhe, und eine Menge von Treppen und Gängen vermittelte die Verbindung der einzelnen mit einander. Für meinen Einzug war alles geweißt und gestrichen worden, wobei man es nicht vermied, unter der Tünche den alten Schmutz liegen zu lassen. Fledermäuse in den Zimmern, Mäuse und Ratten in den Kellern und Küchen gehörten zu den Mitbewohnern des türkischen Palastes, von dessen Dache aus, mit seinen chinesischen schirmartigen Vorsprüngen, ich täglicher Zeuge der herrlichsten Sonnenuntergänge war. Der Vorgarten reizte durch seinen tropischen Anblick: fruchttragende hohe Dattelpalmen und blütenreiche Maulbeerbäume bildeten durchsichtige kleine Gruppen, die Wege zeigten sich von riesig hohen dunklen Cypressen eingefaßt, auf den Beeten wurden buntfarbige Zierpflanzen oder häusliches Gemüse gezogen, und ein Regierungsbüffel, wie immer mit verbundenen Augen, drehte von früher Morgenstunde an bis zum Scheiden der Sonne das knarrende Wasserrad in der Ecke. Meine Frau war ganz entzückt von dem echt morgenländischen Gartenidyll unter dem stets blauen Himmel des Ostens; als sie jedoch an einem schönen Morgen den Kampf unseres ägyptischen Hauskaters mit einer anderthalb Meter langen Schlange vom Balkon aus mit eigenen Augen zu verfolgen die Gelegenheit hatte, da war es aus bei ihr mit aller Gartenpoesie, sie gab ihre täglichen Spaziergänge zwischen den Beeten auf und begnügte sich damit, hinter den Haremsgittern des breiten Empfangssaales stehend, einen Blick auf das verlorene Paradies in der Tiefe zu werfen. »Es ist wirklich wahr,« äußerte sie zu mir, »daß niemand unter Palmen ungestraft wandelt.«

Meine Zöglinge bestanden wie die Apostel aus einer Zwölfzahl, sämtlich Eingeborene, die sich in der Farbe nur dadurch von einander unterschieden, daß die Söhne von türkischen Müttern eine hellere, die von ägyptischen eine dunklere Haut erkennen ließen. Man hatte mir angeblich eine Auslese der fähigsten Schüler zu Gebote gestellt, allein eine nähere Prüfung ihrer Kenntnisse verschaffte mir bald die Überzeugung, daß es eigentlich nur die Lahmen und die Blinden in der Erkenntnis waren, die »der hohe Diwan« mir aus der Stadt des Wissens nach dem Schech-Golali gesendet hatte. So hieß nämlich amtlich und im Volksmunde mein Haus, in dessen Nähe sich das Grabmal eines Heiligen dieses Namens befand, an welchem die vorüberziehenden Söhne des Landes ein kurzes Stoßgebet zu verrichten pflegten. Zu spät erfuhr ich, daß die Lehrer der Regierungsschule sich weislich gehütet hatten, von den Besten ihres lernenden Volkes sich zu trennen und mir dagegen nur den schalen Abhub ihrer lebendigen Ware in das Haus befördert hatten.

Ich kann es leicht verstehen, daß der Unterricht morgenländischer Schüler, den sie von europäischen Lehrern empfangen, immer nur zu mäßigen Erfolgen führt, da den Lehrern das Mittel meist vollständig abgeht, sich den Schülern so verständlich zu machen, um von ihnen begriffen zu werden. Die meisten Europäer, die nicht einmal in ihrem Lande eine Schulprüfung bestanden haben, sind darauf angewiesen, sich beim Unterricht der Dolmetscher zu bedienen, denen selber wiederum die Fähigkeit abgeht, die technischen Ausdrücke in den verschiedenen Unterrichtszweigen ihrer Bedeutung nach zu verstehen und für die arabische Sprache eine Wortbildung eintreten zu lassen, die sich begrifflich einigermaßen mit dem fremden Ausdruck deckt. Die französische Sprache, welche damals den Schülern gelehrt wurde, kannten sie auch nur halbwegs, so daß auch nach dieser Richtung hin sich dem Unterricht Schwierigkeiten aller Art entgegenstellten.

Meine Aufgabe, die ich zu lösen hatte, war unter so be wandten Umständen keine leichte, und ich weiß bis zur Stunde noch nicht, wie es mir gelungen ist, mit Hilfe deutscher Lehrer und eines abessinischen Lektors, meinen Schülern die deutsche, französische, englische und abessinische Sprache beizubringen, sie in das Verständnis der Hieroglyphen einzuführen und sie die Elemente der Hilfswissenschaften zu lehren. Der Vizekönig schien von meiner Kunst im höchsten Maße befriedigt, der »Wesir des Wissens« entzückt, und die Direktoren der Regierungsschulen wollten vor Neid beinahe bersten. Um es nicht zu vergessen, sogar mein alter Freund Mariette fing an sich mit dem Gedanken zu qnälen, als führe der Vizekönig den Plan im Schilde, in seinem Museum eingeborene, mit den Hieroglyphenstudien vertraute Beamte anzustellen. So viel ich ihn darüber zu beruhigen bemüht war, so mißtrauisch blieb er in seinem Gemüte, so daß er selbst den Museumsdienern den Befehl erteilen ließ, keinem Eingeborenen das Abschreiben hieroglyphischer Inschriften zu gestatten. Die Betreffenden wurden einfach aus dem Tempel hinausgedrängt.

Bevor ich von meinen späteren Schulerfolgen den Schluß erzählen werde, muß ich eines Ereignisses gedenken, das in der damaligen Zeit ganz Europa auf das lebhafteste beschäftigte und die Zeitungen wie mit Engelszungen von sich reden ließ. Ich meine die feierliche Eröffnung des Kanales von Sues, an der ich selber im dienstlichen Auftrage als ägyptischer Kommissar teilgenommen hatte. Seitdem ich meine Stellung als Direktor einer morgenländischen Hochschule in Kairo angetreten hatte, galt ich nun einmal als ein »Diener« der Regierung und ich mußte mich deshalb dazu bequemen, den schwarzen »Stambulin«-Rock anzulegen und den roten Tarbusch auf mein Haupt zu setzen. Da ich schon damals der arabischen Sprache insoweit mächtig war, um bei meinem hieroglyphischen Unterricht mich ihrer zu bedienen und sogar öffentlich arabische Vorträge zu halten, so sahen mich die meisten Ägypter als einen Beamten an, der schon lange Jahre seines Lebens an den Ufern des Nils zugebracht hatte.

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