2. Meine Studentenjahre
Ich werde ein Doctor philosophiae.
Die Zeit war allmählich herangerückt, um mich für die
Prüfung zum Doktor der Philosophie an der Universität zu
Berlin vorzubereiten, und deshalb sah ich mich genötigt, meine
ägyptischen Arbeiten während mehrerer Monate bei Seite zu
legen und der Weltweisheit und den freien Künsten als
zukünftiger magister liberalium artium meine ganze
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ich beneidete fast A. von Humboldt,
der mich versicherte, niemals in seinem Leben eine Prüfung
bestanden und dennoch sein Fortkommen gefunden zu haben. Es
war ein schweres Stück Arbeit, mich in den einzelnen Fächern
zurechtzufinden, für welche ich die Prüfung zu bestehen hatte,
aber ich war im allgemeinen gut beschlagen, wie man zu sagen
pflegt, und nur die Philosophie gab mir vieles zu schaffen, da
ich den Verdacht nicht los werden konnte, daß, mit Ausnahme
der Logik, vor deren Kategorien ich einen besonderen Respekt
besaß, ein jedes System nur mehr oder weniger geschickt
angelegte Probestücke des Denkens nach der besonderen Qualität
seines Stifters enthalte. Die Hegelsche Philosophie, welche
ich versucht hatte unter Professors Michelet Leitung zu
erfassen, bereitete mir besondere Schwierigkeiten, wenn auch
ihr Geist mich unwillkürlich anzog. Ich verstand es, daß alles
ist und im nächsten Augenblick nicht ist, mit andern Worten
gesagt, daß alles wird oder der steten Veränderung unterworfen
ist, daß ferner das Werden der Bewegung im Raume entspricht,
daß die Zeit nur der gemessene Raum, daher für sich allein
undenkbar ist, aber es wirbelte mir in meinem Kopfe, als ich
die obersten Stufen auf der Leiter der Erkenntnis bestieg und
von schwindelnder Höhe aus in eine ungeheure Tiefe
hinabschaute. Ich wäre mein ganzes Leben lang kein Philosoph
geworden, und wenn ich auf Grund meines Diploms dennoch zum
Doctor philosophiae ernannt worden bin, so habe ich eigentlich
eine solche Auszeichnung wenig oder gar nicht verdient, was
ich an der Neige meines Daseins offen zu beichten keine Scheu
empfinde.
Und doch ist der Mensch ein recht eitles Wesen, das sich
gern mit falschen Federn schmückt. Als die schweren Stunden
der Prüfung hinter mir lagen und die Gesamtheit der Herren
Professoren, die als Examinatoren und Beisitzer mich bis auf
die Nieren erforscht hatten, mich für würdig des Titels eines
Doktors der Philosophie erklärte, da jubelte es in mir hell
auf, ich verneigte mich aufs tiefste und verließ die Halle der
Weisheit, um nach Hause zu eilen, meinen lieben Eltern das
ungeheure Ereignis mitzuteilen und spornstreichs von dannen zu
stürzen und bei einem Porzellanmaler in der Nähe ein
Thürschild mit der Aufschrift Dr. phil. H. Brugsch zur
baldmöglichsten Anfertigung zu bestellen. Ich war der Meinung,
daß die Welt nicht früh genug erfahren könne, daß hinter der
Flurthüre unserer Wohnung ein wirklicher Doktor der
Philosophie seine Werkstatt des Geistes aufgeschlagen habe.
Meine feierliche Promotion fand nach herkömmlicher Weise in
der Aula der Berliner Universität statt, ohne besonderen
Zudrang einer schaulustigen und wissensdurstigen Corona. Die
unvermeidliche öffentliche Disputation ließ an Beweiskraft der
von mir vorgeschlagenen Thesen nichts zu wünschen übrig, und
ich ging als Sieger im Streite glanzvoll hervor. Der Vorsicht
halber hatte ich es dennoch für gut befunden, mich einen Tag
früher mit meinen Gegnern zu verständigen und, ich bekenne es
ganz ehrlich, die Rollen waren ganz hübsch einstudiert und
verteilt worden. Ich erhielt meinen Doktorhut, leistete den
vorgeschriebenen Eid und gab in einem Restaurant, das damals
unmittelbar über der Kranzlerschen Konditorei gelegen war,
meinen Opponenten eine leckere Mahlzeit. Mein Freund Dr.
Theodor Stamm, der vor kurzem erst von einer Reise nach dem
Orient zurückgekehrt war, um die Lebenskraft des Wassers und
die Religion der That an ihrer ältesten Wiege genauer kennen
zu lernen, war von seinen Erfahrungen nichts weniger als
befriedigt und äußerte sich bitter in der Unterhaltung bei
Tische über den zunehmenden Verfall der Menschheit, die nur
von Selbstsucht und Verfolgungsgier beseelt sei. Das zweite
Thema, das er anschlug, paßte zwar wenig zu den mit Wein
gefüllten Gläsern neben unseren Tellern, aber es war dennoch
für uns lehrreich, weil der junge Redner den Beweis führte,
daß Pindar, der griechische Dichter, ganz recht hatte, das
Wasser als das Beste in der Welt zu preisen. Seitdem man im
Morgenlande es versäumt habe, vielleicht Ägypten teilweise
ausgenommen, sich um das Wasser zu kümmern, sei alles in
Verfall geraten und das Elend an die Stelle des Reichtums
getreten. Wir konnten ihm von ganzem Herzen nur Beifall zu
seiner Behauptung spenden, und so schieden schließlich meine
Freunde von mir mit ihren besten Wünschen für mein Wohlergehen
in der Zukunft.
Was nun? Das war die große Frage, die an mich nach
absolviertem Doctor herantrat. Das königliche Stipendium, das
bis dahin mich über dem Wasser gehalten hatte, war nach dem
vollendeten dritten Jahre abgelaufen und ich somit genötigt,
für mich in Zukunft selber zu sorgen. Meine wissenschaftlichen
Arbeiten, die ich von Zeit zu Zeit veröffentlichte, brachten
wenig ein, und es wäre mir peinlich gewesen, von meinen Eltern
das liebe Brot empfangen zu müssen. Da fügte es Schicksal und
Zufall, daß sich mir plötzlich eine Gelegenheit darbot, die
allen Bekümmernissen ein Ende bereitete, wenn ich nur
zugreifen wollte. Mehrere vornehme moldauische Familien, deren
Namen: Ghika, Dobreann, Skelitti u.a. mir noch heute geläufig
sind, suchten für ihre im Alter von 12 bis 14 Jahren stehenden
Söhne eine Pension, in der die französische Sprache als
Umgangssprache diente und die Wissenschaften nach deutscher
Methode gelehrt wurden. Als Hauptbedingung setzten die Eltern
voraus, daß der Pensionsvater ein verheirateter Mann wäre. Im
übrigen stellten sich die Gegenleistungen an barem Gelde so
günstig heraus, daß sie auf mehrere Jahre hinaus den
Betreffenden nicht nur jeder Sorge um das materielle Dasein
enthoben, sondern ihm gestatteten, sogar ein vornehmes Leben
im eigenen Heim zu führen. Nach reiflicher Überlegung übernahm
ich die Verpflichtung, die Söhne der Moldavia in Pension und
Unterricht bei mir aufzunehmen, freilich wilde, urkräftige
Knaben, die sich jedoch später zu tüchtigen, kenntnisreichen
Jünglingen und Männern entwickelten und sämtlich ihrem
Vaterlande die besten Dienste leisteten.
Die Hauptbedingung blieb aber meinerseits zu erfüllen
übrig: ich mußte mich verheiraten, und gerade das erschien mir
als das geringste unter den zu überwindenden Hindernissen.
Noch in meinen Studentenjahren hatte ich während eines
Besuches auf dem Gute eines reichen Grundbesitzers in der Nähe
von Berlin die Bekanntschaft einer jungen Waise gemacht, sie
war damals 17 Jahre alt, deren liebes, natürliches Wesen und
blühende Gesundheitsfrische mein Herz und meine Sinne nicht
bloß vorübergehend fesselten. Es kam sehr bald zu einer
Erklärung, die zu meinen Gunsten ausfiel, und Pauline war in
gleicher Weise entzückt, daß sie so unerwartet schnell die
Meinige für das Leben werden und als ehrsame Hausfrau an
meiner Seite walten sollte. Sie war die jüngste von drei
Schwestern, die nach dem frühen Tode der Eltern in der
Steinstraße ein Haus ihr eigen nannten. Die älteste war
bereits die Gattin eines Kaufmanns geworden, der gegenwärtig
die Stelle eines würdigen Bezirksvorstehers in Berlin
bekleidet, nachdem er sich von seinem früheren Geschäfte
zurückgezogen hatte. Er ist der Vater des talentvollen
Bildhauers und Malers Richard Neumann, allen schaulustigen
Berlinern als erfindungsreicher Dirigent des Panopticums Unter
den Linden wohl bekannt. Die zweite Schwester verwaltete als
Wirtin das Haus und leitete die Erziehung meiner späteren
Frau. Sie starb als würdige Matrone, ohne unsere Verheiratung
zu erleben, die im Jahre 1851 in der Dorotheenstädtischen
Kirche vom Prediger Vater eingesegnet wurde. Alexander von
Humboldt hatte es nicht abgelehnt, uns die Ehre seiner
Gegenwart als Trauzeuge zu erweisen, und unter den sonstigen
eingeladenen Gästen hatte ich die Freude, den Direktor
Passalacqua und meinen berühmten Freund, den Landschaftsmaler
Eduard Hildebrandt, begrüßen zu dürfen.
Meine junge Frau, eine geborene Berlinerin und
Bürgerstochter, die mir leider später durch den Tod entrissen
wurde, beglückte mich durch die Reinheit ihrer Gesinnungen und
die liebenswürdigste Heiterkeit in ihrer ganzen Erscheinung.
Sie hob mir den oft sinkenden Mut und flößte mir die
Begeisterung für meine ausdauernden und schwierigen Arbeiten
auf dem Gebiete der ägyptischen Schriftentzifferung ein, wobei
sie an meiner eigenen Freude über irgend eine glückliche
Entdeckung den lebhaftesten Anteil nahm, obgleich sie
blutwenig davon verstand. Daneben besaß sie die vorzügliche
Eigenschaft, nicht vergnügungssüchtig zu sein und die
Bescheidenheit des Daseins eines jungen angehenden Gelehrten
mit wahrer Genugthuung zu empfinden.
Wir hatten eine Wohnung in der Friedrichstraße 99 gemietet,
gegenüber dem großen Zirkus von Renz und Dejazet, dessen
ehemalige Lage der heutige Zentralbahnhof bezeichnet. Unser
erstes Heim war geräumig und für damalige Verhältnisse sogar
glänzend zu nennen, denn meine reichen Moldauer rückten ein
und es durfte nicht an Platz fehlen, um den geforderten
Ansprüchen zu genügen. Meine junge Frau war freilich entsetzt,
als die verschiedenen Mütter mit brennender Cigarette zwischen
den zarten Lippen erschienen, um die hoffnungsvollen Söhne dem
jungen Ehepaar zur Pflege und Erziehung zu überliefern. Aber
ihre Heimat lag ja nicht weit von der Türkei und die
Haremssitte des Rauchens hatte die trennende Grenze
überschritten und unter den Damen der Moldau und Wallachei
willigen Eingang gefunden.
Eine große Verantwortlichkeit hatte ich durch die
Verpflichtung übernommen, einer Fünfzahl von ausländischen
Knaben, die außer ihrer Muttersprache nur das Französische
parlierten, eine gründliche deutsche Erziehung und deutsche
Bildung angedeihen zu lassen. Meine Zeit war vollauf dadurch
in Anspruch genommen, und nur die Nacht, bisher meine treueste
Freundin, blieb auch für die Zukunft mir für meine stillen,
friedlichen Arbeiten übrig.
Ein ganzes Jahr lang hatte ich die schwere Bürde eines
jungen Pensionsvaters getragen, dem die ihm anvertraute Jugend
mit ihren verwöhnten Sitten so manche saure Stunde bereitete,
als ich dessen überdrüssig wurde und nach kurzer Überlegung zu
dem Entschlusse gelangte, das mühselige Geschäft aufzugeben
und meine ganze Zeit der Wissenschaft allein zu widmen. Der
Klang der moldauischen güldenen Dukaten besaß la viel
Verführerisches, aber er entschädigte mich keineswegs für die
geistige Unruhe, von der ich mich bei Tage und bei Nacht
bedrängt fühlte. Denn selbst aus dem Schlafe rüttelte sie mich
wach, nachdem mir ein Zufall die wenig erbauliche Entdeckung
verschafft hatte, daß die ältere Generation meiner
Pflegesöhne, mit Thür- und Hausschlüssel versehen, regelmäßig
noch um ein Uhr nachts die Wohnung verließ, um mit der
französischen Kunstreitergesellschaft des Zirkus Dejazet ein
paar lustige Stunden zu verleben. Ohne daß ich eine Ahnung
davon besessen hatte, war die gesamte Dienerschaft meines
Hauses von den jungen Bären durch Geldspenden bestochen worden
und ein jedes Mitglied derselben gewissenlos genug gewesen,
die heimlichen Ausbrüche der goldenen Jugend kräftigst zu
unterstützen.
Mein ferneres Leben in Berlin wurde mit Bezug auf die
gewählte Wohnstätte zu einem wahren Nomadendasein. Die
vereinigte Familie wechselte sie, sobald die Einnahmen
zunahmen und sich eine passende Gelegenheit zu einem besseren
Heim darbot. Im allgemeinen blieben wir am Südwesten hängen,
wo damals der Mietspreis im Durchschnitt fünfzig Thaler für
einen jeden bewohnbaren Zimmerraum betrug. Nachdem ich die
stattliche Wohnung in der Großen Friedrichstraße
seelenvergnügt aufgegeben hatte, bezog ich mein neues Quartier
in der Johannistraße 3a, freilich ein drei Treppen hoch
gelegener Bau, aber mir angenehm durch di Nähe meines Gönners
Alexander von Humboldt, in dessen Garten ich von meinem
Fenster aus hinein sehen konnte. Daneben erhob sich eine
soeben vollendete jüdische Synagoge, deren Besucher an den
jüdischen Fest- und Feiertagen der sonst stillen Gegend ein
gewisses Leben und ein sonntagsähnliches Aussehen verliehen.
An meine damalige Wohnung knüpfen sich viele liebe
Erinnernugen, die ich später Gelegenheit haben werde
aufzufrischen. Es war nicht der bloße Zufall, der mich hier
mit berühmten Zeitgenossen auf den Gebieten der Kunst und
Wissenschaft zusammenführte, die jedoch in der Mehrzahl dem
Auslande angehörten, denn Berlin war als die Residenz des für
alles Schöne und Gute begeisterten Königs Friedrich Wilhelm
IV. zu einem Stelldichein erleuchteter Geister geworden, die
aus allen Teilen der Welt herbeiströmten, um an der Stätte, an
der die Musen und Minerva ihren Lieblingssitz aufgeschlagen
hatten, für längere oder kürzere Zeit zu weilen. Die
Liebenswürdigkeit des königlichen Schutzherrn, der in allen
Zweigen des Wissens und Könnens wohl bewandert war und in
seinem »großen Alexandros« einen bewährten Freund und Ratgeber
besaß, bezauberte alle Besucher, welche die Ehre hatten, dem
hohen Herrn vorgestellt zu werden und seine geistvollen
Unterhaltungen zu bewundern. Besonders waren es französische
Gelehrte, die es sich nicht nehmen ließen, dem Könige ihre
Huldigungen darzubringen und in den Museen wie in den Kreisen
der Gesellschaft Berlins ihre höchste Befriedigung
auszusprechen. Selbst meiner drei Treppen hoch gelegenen
Klause in der Johannisstraße ward die Auszeichnung zu teil,
von den berühmtesten Leuten betreten zu werden. Die
französischen Akademiker Renan, E. de Rougé, Maurice, Vognë,
der französische Afrikareisende Marquis d'Escayrac de Lauture
u.a. gehörten zu ihrer Zahl, und ich empfand mit ganzer Seele
den Stolz, meinen königlichen Herrn in allen Zungen und
Tonarten von ihnen gepriesen zu hören.
Mit dem Namen des vorher genannten französischen Marquis,
welcher im Jahre 1856 auf Befehl des Vizekönigs von Ägypten
eine Reise in das Herz des Sudan zur Entdeckung der Nilquellen
unternahm, ist eine seltsame Erinnerung in meinem Leben aus
jener Zeit verbunden. Der Marquis hatte die Reise nach Berlin
unternommen, um mich zu bewegen, an der Expedition
teilzunehmen. Ich war drauf und dran, auf seinen Vorschlag
einzugehen und den vorgelegten Kontrakt zu unterzeichnen, wenn
nicht Alexander von Humboldt in letzter Stunde sein
entscheidendes Veto ausgesprochen hätte.
In Berlin selbst fand ich damals in der gelehrten Welt nur
eine geringe Beachtung und Anerkennung. Meine Studien und
Entdeckungen lagen abseits von der großen Straße, welche von
der Mehrzahl der Sprachforscher eingeschlagen wurde, so daß
niemand in der Lage war, ein richtiges und unparteiisches
Urteil zu fällen. Kann es Wunder nehmen, daß damals die
absprechenden Äußerungen des offiziellen Ägyptologen mir die
gelehrte Teilnahme im eigenen Vaterlande verschloß?
Diejenigen, welche für mich eintraten, waren keine
Ägyptologen, aber noch heute danke ich ihnen die Ermutigung,
welche ihr Vertrauen zu meinen bezweifelten Leistungen mir zur
Fortsetzung meiner Arbeiten einflößte. Dankbar erkenne ich
noch heute die liebenswürdige Aufnahme an, die mir im Hause
meines damaligen Gönners, des Geheimrat Dieterici, Direktors
des Statistischen Amtes in der Lindenstraße, zu teil wurde.
Die Bekanntschaft mit seinem vortrefflichen Sohn, dem
Arabisten Fritz Dieterici, hat mir bis zur Stunde die
Erinnerung an eine Zeit bewahrt, in welcher nur der Zuspruch
und die Teilnahme wirklich guter Menschen unter meinen eigenen
Landsleuten meinen sinkenden Mut zu heben imstande waren.