Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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3. Meine Reise nach Ägypten

Baron von Pentz.

Der alte Baron von Pentz hatte zu seiner Zeit, wie gesagt, einen schweren Stand, um Preußens Ehre und Ruhm nach seiner kräftigen Art zu verteidigen und zu schützen, besonders dem harten Abbas gegenüber, der in der Person des Baron das verkörperte Preußentum erkennen zu müssen glaubte. Er hegte einen gründlichen Haß gegen ihn und liebte es, spitze Redensarten fallen zu lassen, die von der anderen Seite her nicht unerwidert blieben. Ich erinnere mich in dieser Beziehung eines Vorfalles, als sei er erst gestern geschehen, bei dem ich selber eine unglaublich klägliche Rolle gespielt haben muß, da es sich um meine eigene Vorstellung bei Abbas I. handelte.

Ich schicke voraus, daß der damalige Vizekönig fast niemals länger als ein paar Tage in demselben Palaste zu weilen pflegte, sondern jahraus jahrein planlos von einer Stelle zur andern wanderte, um sein bärtiges Haupt zur nächtlichen Ruhe niederzulegen. Er hatte eine Art von Reisefieber, wie man behauptete lediglich aus Furcht, durch Mörderhand ums Leben zu kommen. Thatsächlich war dies in dem Nilschlosse bei Benha der Fall; zwei seiner Leibmameluken überfielen ihn dort und erdrosselten ihn mit Hilfe einer umgelegten Schlinge. Da niemand eine Ahnung davon besaß, an welchem Platze er vielleicht schon in der nächsten Stunde weilen würde, so war sein Reisen eigentlich eine Art täglicher Flucht, über deren Richtung keiner eine genaue Auskunft zu geben vermochte. Für die Generalkonsulate, die geschäftlich mit dem Vizekönig zu verkehren hatten, blieb es stets eine schwere Aufgabe, sich über sein augenblickliches Quartier zu vergewissern, und es bedurfte aller Umsicht der eingeborenen konsularischen Dolmetscher, um eine nur einigermaßen zuverlässige Angabe zu erhalten. Ost mußte List gegen List gebraucht werden, wie sie thatsächlich der alte Baron bei einer gebotenen Gelegenheit mit vollem Erfolge in Anwendung brachte. Abbas hatte sich nach seinem kleinen Schlosse von Meks, am wüsten Meeresufer in der Nähe von Alexandrien, auf unbestimmte Zeit zurückgezogen. Plötzlich fuhr ein schwerer Wagen vor das Portal, dessen Insasse der preußische Vertreter war. »Wir bedauern Ew. Excellenz melden zu müssen, daß Seine Hoheit bereits das Schloß verlassen hat,« lispelte ein anwesender Beamter am vizeköniglichen Hofe. – »Schadet nichts«, versetzte Herr von Pentz, »ich habe mich darauf eingerichtet, mindestens eine ganze Woche an dieser angenehmen Stelle zu bleiben. Habe meine Betten einpacken lassen, auch für ausreichenden Proviant Sorge getragen, – dabei wies er auf Kisten und Kasten in und am Wagen, – und mir vorgenommen, durch Lektüre von Büchern die Zeit zu vertreiben.« Der also förmlich belagerte Abbas I. sah sich schließlich genötigt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und der Baron erhielt den gewünschten Empfang.

Ich war kaum vierzehn Tage in Kairo und im Hause des Generalkonsuls anwesend, als dieser eines Morgens unter Frohlocken in mein Zimmer mit den Worten trat: »Ich habe ihn glücklich abgefangen, er haust heute in der Abbasijeh. Sie kommen mit, denn ich habe die Absicht Sie vorzustellen.« In einer gemieteten Kutsche aus der Rokokozeit fuhren wir zum Thore hinaus nach der Wüste, in der Richtung von Heliopolis, wo sich der Vizekönig ein geschmackloses vielsenstriges Schloß mit hellblauem Anstrich hatte aufführen lassen, das rings herum von einer mächtigen hohen Mauer umgeben war. Es wurde nach seinem Namen Abbasijeh getauft, später in eine Kaserne umgewandelt und besteht noch heute als eine baufällige Ruine, in deren Nähe sich nach der sogenannten Schlacht von Tell el-Kebir und nach einem mit erstaunlicher Schnelligkeit zurückgelegten Marsche die indischen Reiter der englischen Armee aufgestellt hatten, um von den demütig sich verneigenden Schechs von Kairo als Retter aus den Krallen Arabi Paschas begrüßt zu werden.

Wir wurden vom Vizekönig empfangen, der mit seinem umfangreichen Leibe die linke Ecke eines langen Divans an der Fensterseite einnahm. Er trug die damals übliche arabische Tracht und sein schwarzbärtiges Vollgesicht glänzte nichts weniger als freundlich bei unserem Eintritt. In gebückter Stellung, die Hände als Zeichen unterwürfiger Gehorsamkeit über einander gelegt, stand ein junger Armenier Namens Nubar Effendi in seiner Eigenschaft als Hofdragoman in angemessener Entfernung von dem Allmächtigen und Gefürchteten, derselbe Nubar, der später als Ministerpräsident einen so hervorragenden Platz in der neuesten Geschichte der ägyptischen Vizekönige einnehmen sollte und es nicht ungern hörte, mit unserm Fürsten Bismarck verglichen zu werden. Abbas I. war keiner europäischen Sprache kundig und liebte es, die Unterhaltung auf türkisch zu führen, während Nubar die Aufgabe hatte, das türkisch Gesprochene in das Französische oder umgekehrt das Französische in das Türkische zu übertragen.

Wie schwer es ist, eine solche Aufgabe gewissenhaft zu erfüllen, das kann ich selber auf Grund meiner eigenen Erfahrungen als Dragoman im Dienste von Kaiser und Reich bestätigen, als mir die Ehre zu teil ward, während meines Aufenthaltes in Persien unserem Gesandten als Dolmetscher in seinen Unterhaltungen mit dem Schah der iranischen Königreiche zu dienen. Neben der Ruhe und Besonnenheit bedarf es der schnellsten Auffassung und des gewandten richtigen Ausdruckes, um jede Mitteilung sofort aus der einen Sprache in die andere mit aller Schärfe zu übertragen, jedes Mißverständnis zu vermeiden, nichts Eigenes hineinzulegen und nebenbei die Höflichkeitsformeln in den Anreden und Wendungen ohne Ülbertreibung dem orientalischen Geschmacke anzupassen. Ich kann versichern, daß eine halbstündige Unterredung meine Kräfte jedesmal auf das Äußerste angespannt hatte, so daß ich nach der Rückkehr in meine Wohnung mich auf mein Bett werfen mußte, um mich nur einigermaßen von der ausgestandenen Arbeit zu erholen. Selbst die sprachkundigsten, gewandtesten und geübtesten Dolmetscher sind nicht im stande, über eine halbe Stunde hinaus das Maß ihrer Kräfte zu erproben. Sie tragen dabei zum Schlusse ihre eigene Haut zu Markte, denn die Last aller Verantwortlichkeit für Rede und Gegenrede ruht auf ihren Schultern.

Doch um auf meine Erzählung zurückzukommen, so muß ich erwähnen, daß sich infolge eines Zwischenfalles Nubar Effendi in einer der schwierigsten Lagen befand. Kaum war ich dem Vizekönig vorgestellt worden, so trat nuangemeldet der englische Generalkonsul Murray, historisch bekannter als der Urheber des persisch englischen Krieges, in das Audienzzimmer, um von dem Vizekönig in auffallend liebenswürdiger Weise bewillkommnet und eingeladen zu werden, an der Unterhaltung teilzunehmen. Herr Murray besaß außerdem den Vorzug der Kenntnis des Türkischen, so daß wir übrigens von dem Inhalt der geführten Zwischengespräche in vollster Unkenntnis blieben.

Ich sah, wie sich die Wangen des Barons röteten, ein bedenkliches Zeichen von böser Vorbedeutung bei ihm. Er verlangte mit fester Stimme, daß sich Herr Murray zu entfernen habe, da er zuerst gekommen, offiziell angemeldet und empfangen sei. Auf die ablehnende Antwort des Vizekönigs entspann sich ein kaum glaublicher Wortkrieg, in welchem von Seiten des Vizekönigs Preußen und seine Barone ziemlich schlecht wegkamen. Den letzteren Trumpf spielte der aufs höchste gereizte Baron mit dem bedenklichen Zuruf aus: »Jetzt wissen Sie, was Preußen und ein Baron bedeutet. Ihnen aber will ich sagen, was Sie sind: Der Nachkomme eines mazedonischen Tabakshändlers!«

Bleich und zitternd stand Nubar da, Murray lächelte in sonderbarer Weise, Abbas schleuderte die Pfeife von sich, daß ein Funkenmeer über den kostbaren Teppich auf den Boden flutete, sprang wie von der Tarantel gestochen von seinem Sitze auf und verschwand schleunigst durch eine geöffnete Thür aus dem Saale. Das war eine seltsame Audienz, wie ich sie niemals mehr erleben möchte, aber ganz im Stile jener Zeit, in welcher die seine türkische Artigkeit noch nicht ihre gewinnenden Formen von heute im diplomatischen Verkehr gewonnen hatte.

»Dem habe ich es einmal ordentlich gesagt«, schnaufte mein hochverehrter Gastfreund, als er die letzte Treppenstufe hinter sich hatte, »aber es war notwendig, ihm diese Lektion in Gegenwart des englischen Kollegen zu erteilen.«

So viel ich mich erinnere, wurde einige Monate später Nubar Effendi in Mission nach Berlin gesandt und bald darauf Baron von Pentz von seinem Posten abberufen. Er nahm seinen Abschied, siedelte nach Brandis, einem Rittergute in der Nähe von Leipzig, über, wurde als Sohn von der Besitzerin desselben, einer achtzigjährigen Tante, adoptiert und starb bald darauf, nachdem er einen Familienprozeß verloren hatte, der, wie ich glaube, sich über 100 Jahre in die Länge gezogen und ihm sein ganzes Vermögen gekostet hatte. Er war ein durch und durch ehrenwerter Charakter, ein Original, wenn man will, aber im besten Sinne des Wortes, mit dem ich niemals in Streit geraten bin, einmal weil es sich für mich, den jungen gastfreundschaftlich aufgenommenen Mann, nicht schickte, hauptsächlich aber darum, weil ich wußte, daß die höchsten Tugenden des Menschen, Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit, seine angeborenen Eigenschaften waren.

Auf seinen Adel bildete er sich nichts besonderes ein, dennoch aber bedauerte er mir gegenüber eines Tages ganz offen, daß wir uns leider nach unserem Tode nicht wiedersehen würden, da auch im Himmel der Unterschied zwischen Adligen und Bürgerlichen fortbestehen würde, weil für jene ein schönerer Aufenthalt als für diese nach Gottes unerforschlichem Willen reserviert sei.

Ich lachte hell auf und fragte nach den Beweisen seiner Behauptung. Er setzte mir daraufhin es auseinander, daß schon in der Bibel sich eine Andeutung des großen Unterschiedes zwischen edlem und bürgerlichem Blute vorfände. Es stehe nämlich geschrieben (1. Buch Mos. 6, 1 fl.), daß nach der Vermehrung der Menschen auf Erden die Kinder Gottes nach den Töchtern der Menschen sahen, wie sie schön waren und zu Weibern nahmen, welche sie wollten. Das sei doch das älteste Beispiel einer wirklichen Mesalliance zwischen dem Adel und den Bürgerlichen und niemand in der Welt sei im stande, seine Auslegung zu bestreiten, weil sie nur in diesem Sinne das allein richtige Verständnis erhalte. Ich möge spotten, wie ich wolle, er sei der Überzeugung, daß selbst das Blut des Adligen, wenn unvermischt, sich von dem des Bürgerlichen durch größere Reinheit ganz wesentlich auszeichne. Es sei das die Bläue, von der so häufig die Rede sei. »Aber darum«, fügte er hinzu, »bleiben wir immer die besten Freunde. Auch mir sind die Töchter der Menschen, wenn sie jung, hübsch und gescheit sind, eine angenehme Erscheinung und für den Anblick eines heiteren und lustigen Mägdelein überlasse ich Ihnen hundert Ramsesbilder, ein jedes von 4000 jährigem Alter.« Seelensvergnügt rieb er sich dabei die Hände, als habe er einen großen wissenschaftlichen Sieg über mich davon getragen. Gott hab' ihn selig meinen lieben dahingeschiedenen Gönner, der sich durch seine thatkräftige Unterstützung meiner ersten Studien in Ägypten ein Denkmal dauernder Dankbarkeit in meinem Herzen gesetzt hat.

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