Makamen des Hariri
Die Makamen des Hariri

Aussprache: maqaama-tul-hariri
arabisch:
 ‏مقامة الحريري
persisch:
englisch: Maqams of al-Hariri

Mehr zum Thema siehe: Al-Hariri

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Die Vase

Hareth Ben Hemmam erzählt:

Ich zog ohne Gramm
mit der Karawane von Scham
Syrien
gegen die Stadt des Heils am großen Tiger,
Bagdad am Tigris
.
unterm Geleite der Söhne vom kleinen Panther,
Des Stamms Benu Numeir
in Gesellschaft Guter, Begüterter,
durch Eintracht in der Fremde Verbrüderter.
Und unser Trost im Leid,
unser Lustgeschmeid,
unser gemeinschaftliches Ehrenkleid,
unser wechselseitiger Neid
war der Seruger Abu Seid.
Als nun der Zug in Singar rastete,
traf es sich, daß ein Kaufherr des Ortes gastete,
der zu seinem Salz und Brot
ergehn ließ ein allgemeines Aufgebot,
ohn' Unterschied des Standes,
an das Volk der Stadt und des Landes;
sodaß sein Ruf auch an die Karawane kam
und sie mit Haupt und Gliedern in Anspruch nahm.
Als wir nun gefolgt seinen Boten
und betreten seinen gastlichen Boden;
ließ er auftragen Gerichte mancherhand,
wozu man langt mit einer Hand,
Z. B. die Suppe.
und wozu mit beiden,
Z. B. der Braten.
was Gaumen zu laben dient und Augen zu weiden.
Dann ließ er bringen eine Vase, wie aus Luft gesponnen,
oder aus Licht geronnen,
die, mit ihrem Geheimnis nicht karg,
durchsichtig, den Schatz im Innern nicht verbarg,
zeigend eine Fülle nasser
Konfekte, mit Zucker bestäubt und beträuft mit Rosenwasser.
Und als nun vom Anblick die Gaumen sich zu wässern
begannen den Süßessern;
als die Augen der Erwartung starrten
und die Zähne der Ungeduld knarrten
und harreten wie kampflustige Leute
des Losungsworts: Zum Angriff und zur Beute.
da ergriff den Abu Seid ein Koller,
daß er aufsprang wie ein Toller
und, als ob ihm ein Unheil träumte,
vor der Vase rückwärts bäumte
und weit das Feld vor ihr räumte.
Wir ermahnten ihn zur Vernunft
und baten ihn um Wiederkunft,
ihn beschwörend, er möge doch unter den Gläubigen
nicht allein vorstellen den Sträubigen.
Doch er vermaß sich: Bei dem, der das Gebein belebt, das verdorrt ist!
ich kehre nicht eh'r, bis die gläserne Vase fort ist.
Und wir mussten schon, um ihn zu stillen
und um seines Schwures willen,
den schönen Krystall wegräumen
samt allen unsern süßen Träumen.
Und als er nun, seines Eids entledigt
und eingetätigt,
zurückgekehrt war zu seiner Stelle,
befragten wir ihn in der Schnelle:
warum er denn also aufgesprungen
und auf die Hinwegnahme des Glases gedrungen?
Er sprach: Weil Glas ein Verräter ist,
obgleich sein Kleid von Äther ist,
ein Alleszeiger,
Nichtsverschweiger,
Allesoffenbarer,
Nichtsbewahrer,
dessen Schwatzsüchtigkeit
ist seine Durchsichtigkeit,
und dessen Untüchtigkeit
ist seine Undichtigkeit;
und ich habe mich vor Jahren vermessen,
mit keinem Ausschwätzer zu sitzen noch zu essen;
weil ich es noch nicht vergessen,
daß ich einst mit einem gesessen.
Wir sprachen: Berichte,
wie war die Geschichte? –Er sprach: Ich hatte einst einen Nachbar,
den ich achtete, weil er schien achtbar;
mit dem ich sorglos und arglos umging
und nicht dachte, dass er mit Arg bloß umging;
den ich erkieste und mit ihm koste
und dachte nicht, dass es mich meine Ruhe koste.
Ich vertraute auf seine Treue
und glaubte nicht, dass er mir Verderben dräue.
Ich wähnte nicht, noch argwohnte,
als ich mich an ihn gewöhnte und mit ihm wohnte.
Seine Mienen schienen mir zu verbürgen,
dass unter ihnen sich keine Minen verbürgen;
sein Lächeln war eine Himmelsmitgift,
doch sein Herz war geschwängert mit Gift;
sein Äussres war gar nicht arm an Anmut,
doch nur zum Bösen war sein Innres reich an Mut.
Sein Gefäß klang mit reinstem Tone,
doch war es geformt aus unreinem Thone.
Ich hielt sein Herz für einen lautern Palast,
doch es war ein Schiff mit lauter Ballast;
ich hielt seinen Sinn für eine Säule,
um die ich vertrauend schlang meines Zeltes Seile,
doch was ich mir dachte zum Heile,
schlug mir aus zum Geheule.
Aber in meinem Hause,
in meiner innersten Klause,
zu meiner Augen geheimstem Schmause,
hatte ich eine Dirne,
die mit dem Glanz ihrer Stirne
beschämte des Himmels Gestirne;
deren Augen Schwärzen
alle brennenden Herzen
füllten mit dunklen Schmerzen;
deren wallende Locken
dienten, die Morgenwinde zum Spiel zu locken.
Sie taute, wo sie lächelte,
und zertaute, wo ihr Odem fächelte.
Ihrer Zähne Blinken
und ihrer Lippen Winken
machte Milchperlen vor Scham Blutröte trinken
und Rubinen im Preise sinken.
Ihr Auge machte Sonn' und Mond zur Fabel
und zur Wahrheit die Sage vom Zauberbronnen zu Babel. [Fußnote] Der Zauberbronnen zu Babel, mit dem die dunkle Tiefe des Auges schön verglichen wird, ist der, worin die beiden gefallenen Engel Harut und Marut wohnen und diejenigen, die sie dort befragen, Zauberei lehren.

Wenn sie rührte das Tambur,
oder führte das Sambur,
Zwei musikalische Instrumente.
war es wie das Lautenspiel Anahids
Anahid oder Sore, der weibliche Genius des Abendsterns.
und wie das Saitenspiel Davids.
Sie war Nachtigall, wenn sie flötete,
und Rose, wenn sie errötete.
Wenn sie tanzte, zog sie die Seelen in den Wirbel
und riß dem Ernste den Turban des Anstands vom Wirbel;
und über ihren Tanz vergaß der Zecher
selbst den Tanz der Perlen im Becher.
Sie beseelte mich
und entseelte mich,
sie beseligte mich
und befehligte mich;
ich achtete zu ihrem Befehle
gering, wie meine Seele,
mein rotes Gold und meine roten Kamele.
Ich verschleierte sie vor Mond und Sonne;
ich missgönnte der Welt ihres Anblicks Wonne,
ja die Lust, ihren Namen zu hören,
oder sie zu ahnden hinter ihren Flören.
Nicht der Traum eines Wahrsagers
lüpfte den Vorhang ihres Lagers,
noch ein verräterischer Blitz
erspähte sie durch einen Ritz.
Doch an einem Tag, als mein Heil im Versiegen war,
als mein Glückstern vom Himmel gestiegen war,
machte Rausch mich zu meines Schweigens Verletzer
gegen meinen Nachbar, den Schwätzer.
Und als der Pfeil vom Bogen war,
das Wort dem Käfig entflogen war,
kam die Besinnung nach dem Wahn
und ließ mich sehn, wie übel ich getan,
die Heimlichkeit meiner Liebe
einzugießen einem Siebe.
Doch ich nahm vom Nachbar ein heiliges Versprechen,
an meinem Vertrauen nicht zu verbrechen;
und er gelobte, mein Geheimnis so zu sparen,
wie Geizige ihren Schatz verwahren.
So ging vorbei
ein Tag oder zwei;
da ward der Emir jener Gegend,
der Fürst, jenes Landes pflegend,
Sinnes, zur Pforte des Königes
zu führen sein Heervolk, sein fröniges,
um zu gehorchen des Gebieters Winken
und seiner Gnade Regen zu trinken;
und er sah sich um nach rarem,
ausgesucht klarem
Geschenk für dessen Harem,
Lohn verheißend dem, der ihm könne deuten,
wo er ein solches möcht' erbeuten.
Da spitzte mein schlechter Nachbar die Ohren,
die Lohnverheißung gab seiner Gier die Sporen,
daß sie, von der Scham umsonst beschworen,
mit ihm rannte davon zu der Schande Thoren.
Er veruntreute, weh mir,
mein anvertrautes Geheimnis an den Emir.
Und als ich umsah, war der Harm mir da,
des Emirs Dienerschwarm mir nah.
Ich war betreten,
wie ich mich von ihm sah angetreten,
ihm mein Kleinod abzutreten.
Ich sollte das Unschätzbare schätzen,
einen Preis auf das Unersetzbare setzen.
Da bedeckte mich so viel Gram, als Meer
einst bedeckte Pharao und sein Heer.
Ich bat vor, und es nützte nicht;
ich schützte vor, und es schützte nicht.
Doch wie er sah meine Beharrlichkeit,
meiner Weigerung Halsstarrigkeit,
loderte er und brauste,
knirschte 
Die Zähne
.
er und krauste.
Die Augenbrauen
.
Aber ich wollte meinen Mund von meinem Mond nicht scheiden,
und nicht mein Herz aus meinem Busen schneiden,
bis endlich niederschmetterte,
was lange mich umwetterte
und ein Schlag den Ausschlag gab:
da zog ich mit dem Leben ab
und gab meines Auges Schwärze
hin für seine gelben Erze.
Doch ich gelobte des Tags beim Hochgelobten,
nach meinem Schaden, dem erprobten,
nie künftig mit einem Verschwätzer mich einzulassen
noch mit einem Geheimnisverletzer mich zu befassen.
Das Glas ist aber als solcher bekannt
und sprichwörtlich so genannt;
und weil eben seine Treue so schwächlich,
ist sein Glück so zerbrechlich.

Nun verzeiht, dass euch mein Schwur entzieht, worauf
Stand gerichtet eures Appetits Affekt.
Was ihr hört, entschuldigt mich; und gerne soll
Euch mein ganz Vermögen decken den Defekt.
Doch ich gab dafür zum besten euch den Scherz,
Der Verständ'gen süßer mundet als Konfekt.

Hareth Ben Hemmam erzählt: Wir verziehn ihm aus Herzensgrund
und küßten seinen süßredenden Mund,
sprechend: Litt doch der Beste der Sterblichen
Muhammad

auch von der Verschwätzerei, der verderblichen;
daher ihn Gott in seinem heiligen Buch
hat aussprechen lassen den Fluch
gegen die falsche Klägerin,
die Höllenbrennholzzuträgerin.
Gegen Abuleheb, Mohammeds heftigsten Widersacher und nächsten Verwandten (er war sein väterlicher Oheim, einer von den zwölf Söhnen des Abd Elmutallib), und gegen dessen Weib, Mohammeds Verleumderin, ist eine eigene von den letzen kleinen Suren des Korans gerichtet; sie lautet:
Verdorben Abulehebs Hand, und er verdorben!
Nicht hilft ihm sein Gut und was er erworben.
Hinab in die Flamme des Feuers geht sein Stolz,
Und sein Weib ihm nach mit dem Holz,
Einen Strick von Palmenbast um den Hals.
Sie trägt hier das Holzbündel, um die Hölle für ihren Mann zu heizen, weil sie dessen Haß gegen Mohammed gehetzt, oder auch: sie trägt ein Bündel Dörner, weil sie ein solches einst nächtlicher Weile dem Propheten soll in den Weg gelegt haben.
Dann fragten wir ihn: Und was that nun dein Nachbar, die Schlange?
Er sprach: Er wand sich in Demut und Wehmut lange,
versuchte mich mit Windung und Wendung
und nachgesuchter Freundesverwendung;
doch ich war geheilt von meiner Verblendung.
Ich beharrte bei meiner Spröde
und wies den Schnöden von mir schnöde.
Doch seine Entblödung war nicht zu beschämen,
seine Erdreistung nicht zu lähmen.
Und nichts befreite mich von seinem Zudrang
und sperrte zu mir ihm endlich den Zugang,
als einige Verse, die mein Unmut hauchte
und mein Schmerz in Bitterkeit tauchte;
die zwangen ihn, sich zu verbergen vor seiner Schmach,
seufzend weh und ach,
verzweifelnd an meiner Liebe Zurückerflehung,
wie Gottesleugner an Totenauferstehung.
Da bestürmten wir ihn, daß er ohne Weile
uns mit dem Genuss der Verse heile;
doch er sprach mit Lächeln: »Ja. der Mensch ist erschaffen aus Eile.«
Dann trug er vor Zeil' um Zeile:

Auch einen Nachbar hatt' ich, den mit Stetigkeit
Ich liebt' als Freund, weil er mir schien ein steter.
Doch abgesattelt jetzo steht und abgedankt
Der Gaul der Freundschaft, denn es war ein steter.
Ich war ihm zugetan mit Treue spät und früh;
Es war zu früh, drum kam die Reue später.
Ich spähte nur nach seines Auges Wunsch, das büßt
Mein Schatz nun, mein vom Diebesaug' erspähter.
Er war mir Auf- und Aushub aller Trefflichkeit,
Jetzt ist er mir ein Auswurf, ein verschmähter.
Was ich für einen Acker guter Saat ansprach,
War ein von Satans Unkraut angesäter.
Ein Vetter, der von fetter Weide mich vertreibt
Und mir das Haus verödet meiner Väter;
Ein Unheilbrüter unter Brüdern, der mein Brot
Vergiftet und mir bohnt die schwarzen Breter;
Der Bett und Bäder mir verleidet, gegen den
Geboten sei zu beten jedem Beter.
Er hat des Morgens Aufgang mir verhasst gemacht,
Weil ein Verräter ist der klare Äther;
Und hat die Nacht mir lieb gemacht, weil sie verschweigt,
Weil selbst ihr Dunkel nicht verrät Verräter.
Nicht wohl tut, wer auch den verrät, der übel tut;
Doch Unschuld nur verrät ein Übeltäter.

Hareth Ben Hemmam spricht:
Als nun der Herr des Hauses
und der Wirt unsres Schmauses
erkannte seines Gastes verborgenen Adel,
die Feinheit und die Spitze seiner Nadel;
ließ er den Schöpfer vom nie leeren Witze
sitzen zu oberst auf dem Ehrensitze.
Dann ließ er, gefüllt mit süßen Dingen,
vor ihn eine silberne Vase bringen
und sprach: Nicht gleich ist das Los der Seligen und der Verdammten,
der treuen und der ungetreuen Beamten.
Dieses Gefäßes verschwiegnes Metall
ist nicht wie der verrätrische Krystall;
du wirst dich nicht seines Umgangs schämen
und gern aus seiner Fülle nehmen.
Da hielt jener das Silber mit dem süßen Kern
empor und zeigt' es uns von fern,
sprechend: Aller Augen warten auf den Stern.
Danket Gott, der euch vor Schaden behütet
und euch jeden Verlust vergütet;
der eurer Sehnsucht Wunde heilet
und eurem Munde die Füll' erteilet.
Der Mensch klagt über ein Übel so leicht
und denkt nicht, daß es ihm zum Besten gereicht.
Doch schnell dachte er sich ein andres aus
und sprach zum Herrn vom Haus:
Gepriesen ist der Wirt, von dessen Schmause
der satte Gast trägt sein Gefäß mit nach Hause.
Der Herr sprach: Nimm und frage nicht!
Geh in Gottes Namen und klage nicht.
Und Abu Seid zog ab mit seinem Volke
stumm dankend wie ein Garten der Regenwolke.
Dann versammelte er uns ohne Verweilen
und sprach: Nun lasset uns wie Brüder teilen.
Und dem gemäß
langt' er ins Gefäß
und verteilte den Inhalt, Stück für Stück;
das Gefäß behielt er für sich zurück.
Dann sprach er: Kein Unfall mög' eure Weiterfahrt hindern!
Ich kehre jetzt um und sehe nach meinen Kindern.
Er bestieg sein Tier und verschwand,
die Silbervas' in der Hand,
und wir blieben zurück erblindet,
wie eine Nacht, deren Mond verschwindet.

 

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