Der Perlensticker
Hareth Ben Hemmam erzählt:
Ich hörte von Männern der Erfahrung,
das Reisen sei ein
Mittel der Geistesnahrung,
ein Spiegel der Gewahrung
und
Offenbarung.
Und ich säumte nicht, alles Beschwerliche zu
begehn
und Fährliche zu bestehn,
um in Nähen und Fernen
zu sehen und zu lernen.
Als ich nun kam nach Ramle,
dass
ich Erfahrungen sammle,
sah ich zum Kadi kommen einen Alten,
dessen Feuer war zum Erkalten,
und mit ihm ein schönes
junges Blut
von frischer Glut.
Da wollte der Alte das Wort
ergreifen
und das Schwert der Rede schleifen,
doch das
Weib fiel in die Zügel seinem Gaul
und verhielt seinem
Gebell das Maul,
dann schlug sie ohne Scheu zurück des
Schleiers Umfaltung
und trug vor ohne Zurückhaltung:
O Kadi Ramlas, der vereinigt
In seiner Hand hält Leid und Labe,
Dir klag' ich meines Mannes Frevel,
Der ganz versäumt den Dienst der Kaabe;
Der nie zur auferlegten Wallfahrt
Sich stellt mit Pilgersack und Stabe,
Noch seine Andacht pflichtgemäß
Verrichtet am Prophetengrabe:
Und dieses zwar, da den Gehorsam
Ich ihm noch nie gebrochen habe.
So heiß ihm denn, dass er erfülle,
Was ausspricht der Gesetzbuchstabe,
Wo nicht, dass er mich von sich lasse
Mit Wittum samt der Morgengabe.
Da sprach der Kadi: Du hörst, wes sie dich bezichtigt;
nimm dich zusammen, dass du nicht werdest berüchtigt.
Doch
der Alte setzte sich zurecht
und schickte so seine Worte ins
Gefecht:
Vernimm, o Richter, unsres Dings Entfaltung,
Und richte gnädig zwischen unsrer Spaltung,
Bei Gott, aus Hass nicht bin ich ihr entfremdet,
Ans Abgeneigtheit oder aus Erkaltung.
Allein aufs Haupt hat mir den Staub der Armut
Gesammelt des Geschicks feindsel'ge Waltung.
Und wie Korall' und Perl' an ihrem Halse,
Fehlt Salz und Schmalz in unsrer Haushaltung.
Sonst war ich beigezählt den Benu Odhra,
Von deren Brunst in Brand gerät die Waldung;
Doch seit mein Wohlstand stumpf ward, mahnt zu strenger
Enthaltsamkeit die Pflicht der Selbsterhaltung,
Und unbesät lass' ich mein Land, weil Mittel
Mir fehlen zu des Anflugs Unterhaltung.
Doch das Weib rief mit erglühtem Angesicht:
O Bösewicht!
so machst du Gottes Wort zunicht
und fürchtest seinen
Segen als ein Strafgericht!
Und doch weißt du, dass, wo ein
Häschen ist,
auch ein Gräschen ist,
dass die Luft Raum für
jeden Odem hat
und dass jedes Handwerk einen goldnen Boden
hat,
als nur deines, du Pfuscher,
du bunter Täuscher, du
falscher Tuscher.
Der Richter sprach: Kein ehrliches
Handwerk
ist ein Schandwerk:
wie steht es denn mit dem
seinigen?
Da rief das Weib: Das will ich dir bescheinigen:
Ich bin die Tochter unbescholtner Eltern,
Der Tau des Himmels mög' ihr Grab erquicken.
In Zucht und Eingezogenheit erzogen,
Wuchs ich versteckt vor Sonn' und Mondes Blicken.
Mein Vater pflegte, wann die Freier kamen,
Sie alle mit dem Vorwand heimzuschicken,
Er hab's gelobt, sein Eidam solle werden
Nur, wer ein Handwerk wisse zu beschicken;
Bis dieser Lugschmied, dieser falsche Münzer,
Kam, mit des Truges Garn ihn zu bestricken,
Der im versammelten Familienrate
Beschwor, es sei sein Handwerk Perlen sticken.
Ein Perlensticker sei er und ein Sticker
(Hätt' er gemußt an seiner Lüg' ersticken!),
Der Gold auf Seide stick' und seine Arbeit
In ferne Gegend pflege zu verschicken,
Wo Leute von Geschmack darum sich rissen,
Mit ihrem Gold den Beutel ihm zu spicken.
Und als er mich nun heimgeführt, die Blume
Der Jugend mir durch Not und Gram zu knicken,
Sah ich aus dem zerrissnen Jungfraunschleier
Des Schicksals Wolken sich ob mir verdicken.
Er war ein Müßiggänger, Winkelschläfer,
Ein Tagedieb, einer von den faulen Stricken;
Der mein Vermögen niederschlug und schluckte,
Bis nichts mehr blieb zu schlecken und zu schlicken.
Als nun geblieben in des Hauses Kehricht
Kein Körnlein, das ein Hühnlein wollte picken,
Sprach ich zu ihm, aus seiner Trägheit Schlummer
Ihn rüttelnd: Auf! nicht Zeit mehr ist's zu nicken.
Nun hol hervor dein Handwerk, unsres schadhaft
Gewordnen Glücksstands Blößen auszuflicken.
Er aber sprach, sein Handwerk sei verfallen,
Und niemand kaufe Perlen mehr um Wicken.
Herb sei's dem Manne von Verdienst, zu darben,
Doch nicht zu hadern sei mit den Geschicken.
Der Richter sprach: Wie wohl hast du gesprochen
und wie
schwer hat er an dir verbrochen!
Oder (indem er sich wandte
zu dem Alten)
was hast du ihr entgegenzuhalten?
Der Alte
sprach:
Höre meine Kunde, sie ist staunenswert,
Kann zugleich mit Lust und Weh durchdringen.
Solch ein Mann bin ich, zu dessen Würdigkeit
Tadel nicht noch Zweifel sich erschwingen.
Von Serug geboren rühm' ich mich zu sein,
Und von Ghassans Kön'gen zu entspringen.
Mein Geschäft ist Wissenschaft und mein Beruf
Forschung; Ehre sei den edlen Dingen!
In die Meeresstrudel der Wohlredenheit
Tauch' ich, Perlenfüll' hervorzubringen.
Alle grünen Redezweige brech' ich ab,
Andre mögen dürre Reiser bringen.
Worte kommen mir zu Hand als Silber und
Werden Gold, wie sie hindurch mir gingen.
Und so melkte Wohlstand mir und Überfluss
Einst die Kunst herbei mit Wohlgelingen,
Und den Tritt von meiner Ferse ließ ich stolz
Auf des Ruhmes höchsten Scheiteln klingen.
Die Geschenke zogen in mein Haus, und nicht
Jedem gönnt' ich es, Geschenk zu bringen.
Aber jetzt ist Kunst von dem verschmäht, an dem
Ihrer Hoffnung letzte Blicke hingen;
Eine Leiche liegt sie im verlassnen Haus,
Deren Anhauch fliehn auch die Geringen.
Unterging da die Besinnung mir im Gram,
Den die Nächte über mich verhingen.
Ausgegangen fand ich aus der leeren Hand
Alle Gulden samt den Silberlingen.
Mich zu betten, blieb der Pfühl des Mangels nur
Und der eigne Hunger zum Verschlingen.
Da verkauft' ich erst, was mein war, häufte dann
Schulden, bis sie übers Haupt mir gingen.
Meine hohlen Eingeweide schnürt' ich ein;
Und als sich die Flamme nicht ließ zwingen,
Griff ich meiner Frauen Eingebrachtes an,
Während mir die Augen übergingen.
Zürnt sie drum, dass sie mein Schicksal mit ergriff
Und zwei Herzen einen Streich empfingen,
Oder grollt sie in des Handwerks Anbetreff,
Dass ich nicht entsprochen den Bedingen?
Nein, bei jenem schwör' ich's, dessen Hause zu
Pilgernde Kamele sich beschwingen:
Frauen zu verhöhnen, ist nicht meine Art,
Noch mein Werk, zu legen Truges Schlingen;
Doch von Jugend auf nie anders lernt' ich als
Verse schreiben oder Lieder singen.
Solche Perlenohrgehänge sind mein Werk,
Nicht die Schnüre, die den Hals umringen.
Sprach's, und der Kadi, als er vernommen die Verse,
war
Rührung von dem Scheitel bis zur Ferse;
dann wandt' er sich
vom edlen Stier zur jungen Färse,
sprechend: Es ist
ausgemacht bei allen Kennern
und bekannt bei allen
unterrichteten Männern,
dass in des Eigennutzes Brodem und
des Geizes Dunst
verkommen ist auf der Welt die Achtung für
Kunst
und verglommen für das Schöne die Liebesbrunst,
dass
abgenommen hat nicht die Kunst ihrer Könner,
sondern die
Gunst ihrer Gönner,
und das Verdienst muss dienen
und
findet nichts zu verdienen.
Dein Mann aber hat bewiesen
seinen Adel,
und es trifft nicht ihn, sondern die Zeit der
Tadel,
dass ohne Einfuhr ist sein Stadel.
Wenn leer ist
sein Köcher und kalt seine Küche,
so ist doch sein Mund voll
kräftiger Sprüche
und seines Geistes Garten voll guter
Gerüche.
So mögest du denn ihn entschuldigen
und dich
finden lassen unter den Geduldigen,
nicht unter den
Begehrlichen,
ihren Gatten Beschwerlichen.
Geh und sei
deines Mannes Hausehre
und ihn als Herrn im Haus ehre.
Sittsamkeit sei deine Zierde
und Enthaltsamkeit deine
Begierde.
Und hast du an den Mann ein Anliegen,
so
schmeichl' es ihm ab durch Anschmiegen
und meide das
öffentliche Ankriegen.
Da schlug das Weib die Augen nieder
beschämt,
und ihre Zunge war gelähmt.
Sie nahm den
Schleier vor und weinte dahinter,
und der Alte stand daneben
wie der Winter,
geschüttelt von des Kummers Frösten,
und
suchte umsonst sie zu trösten.
Da gab ihnen der Kadi einige
Gulden
und sprach: Nehmt und vertrauet auf Gottes Hulden
und erlasset einander eure Schulden.
Sie empfingen dankbar
den Freudenschein
und gingen, verträglich wie Wasser und
Wein.
Als sie nun waren aus der Augen Kreis,
sprach der
Kadi noch viel zu ihrem Preis
und fragte: Ist keiner, der
mehr von ihnen weiß?
Da sprach der oberste seiner
dienstbaren Geister,
den die Gunst seines Herrn machte
dreister:
Der Alte, der sich selbst den Seruger nannte,
ist Abu Seid der weltbekannte,
und des Weibes Klag' ist wohl
ein Netz, das er spannte,
in welches die Großmut des Kadi
rannte.
Da verdross den Kadi, dass er gefoppt sich sah,
er
sprach zum Berichtgeber: Geh und fah!
hole sie ein und
bringe sie nah!
Da schoss dieser fort mit verhängten Zügeln
und kehrte drauf zurück mit hängenden Flügeln,
Der Kadi
sprach: Nun, was hast du ausgespürt
und ausgeführt?
oder
wie bist du an- und abgeführt?
Er sprach: Ich verfolgte sie
durch Gassen und Straßen,
doch sie wollten sich nicht fassen
lassen;
sie liefen, nicht einzuholen,
wie mit Flügeln an
den Sohlen,
als hätten sie gestohlen,
oder gingen über
Kohlen.
Und ich erreichte sie erst im freien Feld,
wo
ihnen offen stand die weite Welt.
Da versucht' ich sie
zurückzulocken
mit Hoffnungsbrocken
und
Verheißungsglocken,
doch der Alte sprach trocken und heiter:
Wer den Schlauch gefüllt hat, geht weiter.
Das Weib war
schon geneigter, sich versuchen zu lassen,
sie sprach: Was
sich darbietet, soll man fassen,
und »besser als der erste
Gang ist der zweite,« hat Chedasch gesagt, als er freite.
Das Sprichwort heißt eigentlich: die Wiederkehr ist
geehrter; und seine Geschichte ist folgende: »Der, von dem
sich das Sprichwort herschreibt, ist Chedasch Ben Habis, der
Temimer, der zuerst um ein Mädchen vom Stamme der Benu Duhl
gefreit, dann um eines vom Stamme der Benu Sedus, Namens Rebab,
die er eine Zeitlang liebte; dann kam er und warb um sie. Doch
ihre Eltern weigerten sich wegen ihrer vorzüglichen Schönheit
und wiesen den Chedasch ab.
Da ließ er von ihr eine Zeitlang,
dann kam er in einer Nacht geritten und sang:
Ach, dass ich wüsste, o Rebab, wann endlich
Mir werden soll gelingen oder Heil?
Lang hast du mich gekränkt und weggestoßen,
Doch du allein bist mein erwähltes Teil.
Die Seele schelte Gott, die strebt nach Gute
Und beut den unbefleckten Adel feil,
Die nimmt den reichen Knecht und lässt den Mann stehn,
Wie keiner einem Mädchen ward zu teil.
Doch da der Alte sah, wie es stand in ihrem Kopf,
fasste
er sie beim Schopf
und sprach: Vernimm du Tropf!
Willst du, dass dich niemals treff' ein Schade,
So missbrauche nie des Himmels Gnade.
Zweimal erntet man nicht einen Acker,
Zweimal sitzt man nicht im selben Bade.
Wenn der Vogel sich im Dattelgarten
Satt gepickt, such' er die luft'gen Pfade,
Hüte sich, dahin zurückzukehren,
Ob der Hüter selbst dazu ihn lade.
Dann sprach er zu mir: Danke deinem Herrn für seine Güte
und vergieb ihm, dass er dich umsonst bemühte;
doch, dass du
ganz leer nicht gehst, so hüte
in deinem Geiste diese Verse
und führe sie ihm zu Gemüte:
Gemach! und schicke nie der Wohltat auf dem Fuß
Die Übeltat nach; solches bringt nicht Frieden.
Wenn dir ein Teil des Deinigen entzogen wird,
So danke Gott, der dir viel mehr beschieden;
Und zürne nicht, wenn dich ein Flehender betrog;
So mancher log, der's nicht gebraucht hienieden.
Ist dir die Täuschung bitter? Denke, bittrer noch
War, die erfuhr der Scheich der Eschariden.
D. i.
Abu Musa Abdallah Eleschari, der aus der Geschichte bekannte
Anhänger Alis, der, nach der Schlacht von Saffein einer der
beiden Schiedsrichter zwischen Ali und Moawia war; der andre,
für Moawia, war Amru Ben Elas. Und jener ließ sich von diesem
bethören durch den Vorschlag, beide Gegenherrscher der Würde
zu entkleiden und dann zu neuer Wahl zu schreiten. Das tat
nun zuerst Abu Musa mit Ali, aber Amru that es ihm nicht nach
mit Moawia, sondern bestätigte diesen in der Würde.
Da rief der Kadi: Bei Gott, er hat recht;
Herr, vergieb
deinem sündigen Knecht!
Jetzt hat er solch einen Vorsprung
genommen,
dass mein Dank ihm nicht nach kann kommen;
doch
erscheint er jemals wieder in diesen Thalen,
so will ich ihm
mit Gold seine Lehre bezahlen.