Der Kadi von Saade
Hareth Ben Hemmam erzählt:
Als meine Jugend stand im Saft,
mein Wuchs war wie der
Lanze Schaft
und antilopengleich meiner Läufe Kraft;
führten die wechselnden Wanderpfade
mich einst nach Saade.
Elsada,
eine Hauptstadt in Jemen, 60 Parasangen von Sana.
– Und als ich mich ergötzt an ihrer Au
und mich geletzt
an ihrem Tau,
erkundigte ich mich bei den kundigen Kennern
nach irgend einem Ausbund von Männern,
der ein Edelstein
wäre von reiner Glut
und ein Schacht von Edelmut,
daß er
mir in Bedrängnis dienen möchte zum Horte
und gegen
drohendes Verhängnis zum Porte.
Da ward mir gepriesen
und
angewiesen
ein Kadi des Orts, dessen Erbschaft Adel
und
dessen Erwerbschaft war Untadel,
ein Temimer
Temim,
ein edler und um seinen Edelmut gepriesener Volksstamm.
wie von Geblüte
so von Gemüte.
Da säumte ich nicht,
mich mit ihm zu verbinden;
und versäumte nichts, um ihn mir
zu verbinden;
und so durch meiner Dienste Emsigkeit,
wie durch meiner Besuche Seltenheit
Den Freund nicht so
oft zu besuchen, ist eine den Arabern sehr geläufige
Klugheitsmaxime.
– sucht' ich ihm mich zu machen so unentbehrlich
als
unbeschwerlich;
bis ich ward der Schatten seiner Säle
und
das Echo seiner Seele,
der Gesellmann seines Schmauses
und
der Selman seines Hauses.
Selmanu beitihi, der Selman
seines Hauses, eine sprichwörtliche Bezeichnung für
vertrautester Freund. Selman, der Perser, von Ramahormus, kam
zu Mohammed und bekehrte sich zum Islam, im ersten Jahre der
Hedschra. In der Überlieferung heißt es: Der Prophet sprach:
Ich bin der Vorgänger der Araber zum Paradies, und Selman der
Vorgänger der Perser. Desgleichen: Gott geruht bei Selmans
Geruhn und zürnt bei seinem Zürnen. Und wieder: das Paradies
ist sehnsüchtiger nach Selman, als Selman nach dem Paradies.
Er starb in Madain, im Jahre 36 der Hedschra.
Während nun mein Gaumen süß war von seinem Bienenstock
und mein Geruch gewürzt von seinem Blumenstock,
pflegte ich
beizuwohnen den Parteienzwisten
und zu vermitteln zwischen
Moslemen, Juden und Christen.
Als der Kadi nun saß und der
Geschäfte pflag
an einem drangvollen, gedrängvollen
Gerichtstag,
trat auf ein Scheich mit dürftigem Gefieder,
dem zu zittern schienen die Glieder;
der, nachdem er die
gedrängten Haufen
hatte mit Wechslerblicken
Prüfend, ob, wo und wie für ihn hier ein Geschäft zu machen
sei.
durchlaufen,
äußerte gegen den Kadi, es folg' ihm ein
Gegner,
ein verstockter, verwegner.
Und es währte keinen
Augenblick,
keinen Wimpernick,
da trat herein mit stolzem
Genick
ein Bürschchen gleich einem Hirsche,
zart von Flaum
wie eine Pfirsche.
Und der Scheich sprach: Gottes Macht
stütze
den Richter, daß er das Recht schütze.
Hier, mein
Pflegesohn, ist ein stöckiges Pferd,
ein eingestocktes
Schwert,
ein Bogen, ein unbiegsamer,
ein Zögling, ein
unfügsamer,
ein Schreibekiel, ein knarriger
und scharriger,
ein störriger Bursch und starriger,
starrsinniger,
trotzköpfiger, hartnäckiger, halsstarriger,
mir unwillfährig
und fahrig,
widerspenstig und widerhaarig.
All seine Art
ist Unart
und jede seine Fahrt eine Unfahrt;
Widerwart ist
sein Kleid
und Widerpart sein Geschmeid,
mein Verdruß ist
sein Genuß und meine Lust sein Leid.
Wenn ich vor will,
hüfet er,
wenn ich befehle, prüfet er;
Den Befehl,
statt ihm zu gehorchen.
was ich eingebe, stößt er aus,
was ich anblase, bläst
er aus;
was ich rate, steckt er in die löcherichte Tasche,
was ich brate, wirft er mir in die Asche.
Und ich hab' ihn
gezogen und gepflogen doch,
von dem an, da er auf den vieren
kroch,
bis nun er fliegt in den Lüften hoch,
und war ihm
mit früher und spater
Vorsorg' und Fürsorg' ein Rater und
ein Vater.
Dem Kadi schien die Klage schwer,
er blickt' im
Kreise seiner Leut'
Der Amtsgehilfen und
Gerichtsdiener, die den Kadi umgeben.
umher,
und sie zeigten sich erstaunt wie er.
Dann
sprach er: Ich bezeuge beim höchsten Throne,
Söhne sind des
Vaters Ehrenkrone;
aber Kinderlosigkeit ist minder
und
Kinderverlust gelinder
als Ungehorsam der Kinder.
Kühleres Auges
Das kühle Auge ist eine Bezeichnung für Lust,
Befriedigung, Wohlbehagen; sein Gegensatz ist das heiße Auge,
das von Krankheit oder Begierde entzündete.
ist Unfrüchtigkeit
Mangel an Leibesfrucht.
als der Leibesfrucht Untüchtigkeit.
Da sprach der
Jüngling, von dem Worte verletzt:
Bei dem, der die Richter
eingesetzt
und sie zu Fug und Macht hat befugt und
ermächtigt.
zu welcher Klag' ist er berechtigt?
Wenn er
betete, sprach ich Amen;
wo er säte, trug ich Samen;
er
streute kein Körnlein, das mein Vogel nicht klaubte,
Das Herz ist ein wilder oder freier Vogel, dem man Körner
streut, um ihn zu kirren oder zu fangen.
und sagte kein Wörtlein, das mein Herz nicht glaubte.
Wo er verwehrte, war ich nicht schwierig,
wo er begehrte,
war ich begierig;
er deutete keinen Weg, den ich nicht ging,
und schlug keinen Funken, der bei mir nicht fing.
Nur daß
er gleich den Unzufriednen
sich nicht bescheidet mit dem
Beschiednen;
er sucht vom Hahne Eier
und am Kamele Flügel
wie am Reiher.
Der Kadi sprach: Womit hat er dich gedrängt
und deinen Dienstgehorsam überangestrengt?
Der Jüngling
sprach: Seit die Hand ihm leer ist
und der Kasten ihm nicht
mehr schwer ist,
mutet er mir zu, mich auf den Bettel zu
legen,
bei des Reichtums Wolken zu flehn um Regen,
um
seine Vertrocknung zu wässern
und seinen Schaden zu bessern.
Und doch, als er einst mich in die Lehre nahm
und mir
einflößte die Grundsätze der Sitt' und Scham,
prägte er mir
ein, daß Begehrlichkeit
sei für das Gemüt eine Fährlichkeit,
das Heischen eine Beschwerlichkeit
und das Betteln eine
Unehrlichkeit.
Damals gab er aus diesem seinem Munde
mit
seinen Reimen mir diese Kunde:
Begnüge dich mit Kleinem und sei dankbar;
Genügsamkeit vergrößert kleine Späne.
Vermeide Gier. Der Geier ist verachtet,
Unedel ist die fräßige Hyäne.
Bewahr' des Mundes Anstand, dem es wohlsteht,
Dass er sich schließ', und übel, daß er gähne;
Sich aufsperre, schnappe; hiare, inhiare.
Nicht schänd' um Großmutstau von fremden Händen
Mit des Verlangens Wasser deine Zähne.
Sich den
Mund wässern lassen vor Begierde.
Erniedrigst du, dass dich erheb' Erhörung,
Dich erst zur Bitt'?
O bleib in deiner Pläne!
In der Mitte zwischen Erhöhung und Erniedrigung.
Verteid'gend deine Ehre mit des Stolzes
Gefühl, als wie der Löwe seine Mähne.
Drück zu dein Auge, wenn dich drin was drücket,
Dass selbst dein Augenkind
Die Pupille des Auges.
nicht seh' die Thräne.
Dein Kleid, zerrissen sei's, nur deine Ehre
Sei fleckenlos wie das Gewand der Schwäne.
Er sprach's, doch der Alte murrte,
fuhr den Sohn an und
knurrte:
Schweig, Ungeratner. Du harte Stirn und steifer
Rücken,
du Vaters Halswürgen und Herzdrücken.
Was? willst
du deine Mutter das Gebären
und deine Amme das Säugen
lehren?
Wahrlich, das Schlängelchen will an den Drachen
und das Fohlen an den Hengst sich machen.
Dann, als ob ihn
gereute sein Wüten
und seine Liebe ihn triebe zu vergüten,
sah er ihn an mit dem Blicke der Zärtlichkeit
und neigte ihm
zu den Fittich der Väterlichkeit,
sprechend: O weh, mein
Söhnlein! Wem Genügsamkeit ist empfohlen
und Bewahrung der
Ehre befohlen,
das sind die Herren vom reichen Erbe,
die
Besitzer von Gewerb und Erwerbe.
Aber die nichts haben zu
speisen,
denen erlauben alle Weisen,
in der Not zu brechen
das Eisen.
Und wie hast du nun diese Lehre vergessen,
da
du selbst einst, vom Geiste besessen,
deinem Vater zu Gemüt
führtest dein Ermessen?
oder wessen sind diese Verse,
wessen?
Kannst du leugnen, dass sie von dir sind?
Sitze nicht im Hunger und im Kummer still,
Daß die Welt sag': o welch edler Weiser!
Sieh doch selber, ob ein baumentblößtes Land
Besser sei als eins voll grüner Reiser!
Achte die Bedenklichkeit der Thoren nicht;
Dürrer Fruchtbaum ist ein kahler Speiser.
Treibe dein Kamel von da, wo Durst dich plagt,
Hin, wo's regnet lauter oder leiser.
Flehe von der Wolken Füll', und wenn der Mund
Feucht dir ward, sei er des Segens Preiser;
Und versagt man, nicht entehrt Versagung dich;
Alles ist gewährt selbst nicht dem Kaiser.
Als nun der Kadi sah des Jünglings ungebührliche Zwiefalt,
zwischen seinen Worten und seinen Werken die Zwiespalt;
sah er ihn an mit Blicken vom Zorne heiß
und rief: Wie? bist
du hüben schwarz und drüben weiß?
hier von Temim und dort
von Keiß?
Keiß Ailan, der Stammgegensatz zu Temim.
Beide Stämme sind meist miteinander in Streit und
Feindseligkeit. Das Sprichwort sagt also: Auf beiden Achseln
tragen.
Pfui dem Manne, der eidechselt,
Chamäleonisiert.
nach der Sonne Stand die Farben wechselt.
Wie
zerbrichst du die Worte, die du gedrechselt.
Da sprach der
Jüngling: Bei dessen Macht,
der dich den Menschen zum
Schlüssel des Rechts gemacht.
mein Gedächtnis verging in der
Not,
und mein Geist ward stumpf vom Mangel an Brot.
Übrigens, wo ist auch noch ein offenes Thor,
aus dem sich
streckt eine offene Hand hervor?
wo lebt noch jetzt,
wen
es ergötzt, wenn er letzt,
und wer sich glücklich schätzt,
wann er vorsetzt?
Nämlich Speise einem Gaste.
Der Kadi sprach: Gemach!
dein Wind geht zu jach.
Unter der Spreu ist wohl ein Korn,
oder eine Rose ist am
Dorn.
Nicht alle Sommerwolken trügen,
und nicht alle
Blitze der Hoffnung lügen.
Du musst lernen unterscheiden
und nicht absprechen unbescheiden.
Als der Scheich nun sah,
was dem edlen Kadi geschah,
wie er der Wohlthätigkeit
Sache mit Eifer verteidigte
und der Angriff auf sie ihn sehr
beleidigte,
dachte er sofort, wie es ihm möchte gelingen,
die temimische Großmut zu zwingen,
das Wort des Mundes mit
der That der Hand zu unterstützen,
und verfehlte nicht die
Zeit zu nützen,
daß er, weil es Flut war, sein Netz
ausspannte
und seinen Fisch briet, weil das Feuer brannte.
So hub er an:
O Kadi, dessen Edelmut und Adel
Fest gleich dem Berge Radhwa
Ein Berg bei Medina.
steht gegründet!
In seinem Unverstand behauptet dieser,
Kein Milder sei, so weit die Welt sich ründet;
Und weiß nicht, dass du bist von jenem Stamme,
Des Gabenfüll' als Manna sich verkündet.
So gieb, dass mit dem Spunde der Beschämung
Der Lügenmund des Leugners sei verspündet!
Gieb, dass ich froh von deinem Antlitz gehe,
Zum Loblied deiner Hilf' und Huld entzündet.
Sprach's, und den Kadi freute sein Wort,
und er spendete
ihm aus seinem Hort;
wandte sich dann zum Sohne
und sprach
mit verweisendem Tone:
Siehst du nun, wie dein Vorwurf war
unrecht
und deine Beschuldigung unecht?
Sei künftig nicht
vorschnell zu richten und zu bezüchten,
und verwirf keinen
Baum als nach geprüften Früchten.
Und hüte dich vor
Widersetzlichkeit
gegen deines Vaters Unverletzlichkeit.
Wo du noch einmal wirst widerstreben,
so werd' ich, was du
verdienst, dir geben.
Da schickte sich der Jüngling zur Buße
und fiel seinem Vater zu Fuße,
dann hüpfte er auf und
entsprang,
und der Alte folgte ihm und sang:
Wen irgend betroffen ein Leid und ein Schade,
Der möge nur kommen zum Kadi von Saade!
Durch Weisheit vernichtet er alle Gewesnen,
Die Künftigen alle beschämt er durch Gnade.
Der Erzähler spricht: Mein Sinn lag in Zweifelsfalten
über den Jungen und den Alten,
so lang' ich sie hörte ihre
Reden halten;
doch wie sie weg waren, ward mir's klar,
dass
es der Seruger und sein Sprößling war.
Obgleich mir nun ging
das Licht auf,
doch steckt' ich dem Temimer es nicht auf,
und bis zu unserer Bekanntschaft Ende
verdarb ich ihm nicht
die Freude an seiner Spende.