Der gastfreie Wirt
Hareth Ben Hemmam erzählt.
Ich richtete in einer Nacht, kohlschwarz von Haar
und
pechschwarz von Talar,
meine Fahrt nach einem Feuer auf
einer Anhöh' entzündet,
von welchem Gastlichkeit ward
verkündet.
Es war eine Nacht von kalter Luft
und rauhem
Duft,
ihre Stirne verhangen
und ihre Gestirne gefangen.
Und mir war's kühler im Blut,
als einem Fisch in der Flut,
und luftiger um des Herzens Klause
als einem Vogel in der
Mause;
nur dass ich mich mit Entschlossenheit befeuerte
und
mein Kamel mit Unverdrossenheit steuerte,
bis der
Feuerschürer mich spürte
und sein Ohr mein Hufschlag rührte;
da rannt' er heran in vollem Lauf
und sang hell auf:
Gegrüßt, o Wandrer, der im Finstern schweift,
Dein Auge hat der Feuerglanz gestreift
Solch eines Manns, der sich auf Wohlstand steift,
Der mit den Zehrern seines Guts nicht keift,
Dem Kargheit nicht die Hand zusammenkneift,
Der mit Begier den Ärmel aufgestreift,
Nach Gästen, wie der Geiz nach Talern, greift;
Solch eines Manns, dem, wenn der Winter pfeift,
Des Winters Frucht in heller Halle
reift;
Der in dem Jahre, wo kein Brunnen läuft,
Und wo die Wolke keinen Segen träuft,
Für fette Gastkamele Messer schleift
Und auf den Herd den Aschenhaufen häuft.
Dann empfing er mich mit dem Gruß eines Demütigen
und
bewillkommte mich mit dem Handschlag eines Grundgütigen,
führte mich zu einem Hause, dessen Euter sprudelten
und
dessen Töpfe brudelten,
dessen Aufwärter flogen
und dessen
Tische sich bogen;
wo an den Wänden Gäste saßen, die mein
Fänger gefangen
und denen es wie mir ergangen,
die sich an
der Wintersonne wärmten
und wie junge Mücken in Wonne
schwärmten.
Doch ich fügte mich zu ihnen
und vergnügte
mich an ihren vergnügten Mienen.
Als nun aufgetaut war der
Frost
und aufgeschaut ward nach der Kost,
wurden die
Tische uns vorgesetzt, wie Monde rund,
von Gerichten wie
Frühlingsgärten bunt.
Da war uns bescheert die Gnüge,
unverwehrt von Tadel und Rüge.
Wir vergaßen, was gesagt wird
zur Empfehlung der Mäßigkeit,
und hielten für wohlanständig
die Geäßigkeit;
bis wir, folgend unsres Wirts Einladung,
nach eingenommener voller Ladung,
streiften an den Rand der
Überladung;
da ward uns gereicht das feine Tuch, an dem wir
uns reinigten vom Speisegeruch;
und nachdem das Geschäft des
Unterhalts war abgestellt,
saßen wir zur Nachunterhaltung
gesellt.
Worauf nun jeder seine Zunge rührte
und
hervorholte, was er im Sacke führte,– von Seltsamem, was er
gesehen,
und Wunderbarem, was geschehen;
bis auf einen
Alten, dessen Schläfe grau
und dessen Gewand war flau,
der
hielt sich in seiner Ecke
und zog sich vom Gespräche zurück
eine Strecke.
Uns verdroß seine unerklärte Sprödheit
und
tadelnswerte Schnödheit,
nur daß wir ihn nicht wollten hart
ansprechen,
aus Furcht, in das Wespennest zu stechen.
Doch
so oft wir ihn einluden, herauszurücken
und mit uns
gemeinsam den Strauß zu pflücken,
wandt' er sich ab mit
Hohn,
als spräch er: Diese Possen kenn' ich schon.
Dann
aber, als ob sich sein Gewissen rührte,
oder er eine
Anwandlung von Großmut spürte,
rückte er näher, neigte
seinen hohen Mut
und machte das Geschehene gut,
indem er
berauschte die Lauschenden,
Nachtgesprächtauschenden,
anschwellend gleich einem Strom, einem rauschenden:
Mein Volk! in meinem Munde sind Kunden wunderbar;
Was ich gesehn mit Augen, vernehmt und nehmet wahr.
Am Morgen sah ich einen sich schwer Bemühenden,
Der auf dem Felde allein war mit einer ganzen Schar.
Anmerkung: Schar, Pflugschar.
Dann sah ich auf dem Acker auch manchen faulen Knecht,
Der vor dem halben Morgen bereits am Abend war.
Anmerkung: D. i. eh er einen halben Morgen Landes umgepflügt,
war es Abend.
Manch armen Schlucker sah ich und hört' ihn schlucken auch;
Der doch bei seinem Schlucken blieb hungrig wie ein Aar.
Anmerkung: Ich schlucke, ich habe den Schlucken.
Ich sah, wie mancher Brave zu Feigen Zuflucht nahm,
Die schirmten ihm das Leben, als Not im Lande war.
Anmerkung: Feigen, die Früchte.
Auch manchen Edlen sah ich, der wollt' ein Gastgebot
Anrichten, dazu lud er zuerst ein Eselpaar.
Anmerkung: Er lud, er belud mit den zum Gastgebot
herbeizuschaffenden Bedürfnissen.
Auch manche Hausfrau sah ich, die Wellen schüttete
In ihres Herdes Feuer, das brannte davon klar.
Anmerkung: Wellen, Reisholz.
Auch sah ich eine Schöne, die eine Rose trug,
Die dient' ihr, statt zur Zierde, zur Unzier offenbar.
Anmerkung: Die Rose, der Rotlauf.
Ich sah von einem Schützen die rechte Scheibe so
Getroffen, dass er lahm ward, am rechten Fuße zwar.
Anmerkung: Die Scheibe, die Kniescheibe, die rechte, die
des rechten Fußes. Von einem Schützen die Scheibe. d. i. die
Scheibe eines Schützen.
Auch einen Fischer, welchem vom schweren Zug das Netz
Zerriss, darauf erklärt' ihn der Arzt für unheilbar.
Anmerkung: Das Netz des Unterleibs.
Ich sah den Fuchs ausschlagen, der ab den Reiter warf,
Doch, wenn zu ihm den Schimmel man spannte, ruhig war.
Anmerkung: Wein und Wasser.
Dann sah ich Tiere säumen, die hatten keine Rast,
Und Weiber sah ich säumen, die wirkten immerdar.
Anmerkung: Ich säume mein Tier, ich lege ihm den Saum, den
Saumsattel oder die Saumlast auf. Ich säume, ich ziehe nähend
einen Saum.
Mit Sporen sah ich einen, der doch zu Fuße ging,
Der einen Kamm auch führte und hatte doch kein Haar.
Anmerkung: Der Hahn.
Auch einen mit zwei Hörnern, die wuchsen über Nacht
So lang, bis eine Scheibe daraus geworden war.
Anmerkung: Der Mond.
Und eine, die, je früher sie auf am Morgen stand,
Am Abend um so später zur Ruh' ging, sonderbar.
Anmerkung: Die Sonne.
Dann sah ich auch den Müden, der auf den Matten lag
Und dachte, drunter liegen sei besser noch fürwahr.
Anmerkung: Die Matte, die Wiese, der Rasen.
Wie manchen sah ich schleppen ein ausgeweidet Schaf,
In dem kein Tropfen Blutes und nur Kamelmilch war.
Anmerkung: Ein Schlauch aus der Haut eines Schafes, zur
Aufbewahrung von Kamelmilch.
Auch einen Schlanken sah ich, der auf dem Haupt zum Schmuck
Gewichte trug, die einmal er ab nur legt' im Jahr.
Anmerkung: Der Hirsch. Gewichte, Geweihe.
Ich sah auf einer Heide den hohlen vollen Stock,
In welchem tausend Stachel und eine Süße war.
Und hört' in Zellen singen die fleiß'gen Mönche, die
Zu ihrem Abte hatten ein Weib, das stets gebar.
Und sah die Waffenträger, die ernteten im Feld
Am Tag, wovon im Hause die Nächte wurden klar.
Anmerkung: Bienenstock, Bienen, Wachs.
Ich sah in mancher Ecke manch runzeliges Weib,
Das spann aus seinem Nabel den Fliegen zur Gefahr.
Anmerkung: Die Spinne.
Ich sah ein Heer gepanzert, das schamlos rückwärts ging:
Gefangen drauf und sterbend errötete die Schar.
Anmerkung: Die Krebse.
Ich sah den Weggefährten, der, als ich westwärts zog,
Am Morgen weit voran mir, weit nach am Abend war.
Er bebte vor der Sonne, vor deren Glanz er floh;
Und als er war verschwunden, verschwand er unsichtbar.
Anmerkung: Der Schatten.
Dumpf hört' ich einen schelten, weil einer grell gelacht;
Darob, die's nicht hörten, weinten zur Lust der grünen
Schar.
Den Schoß der feuchten Mutter zerriss der hitz'ge Sohn;
Eh deren Schmerz ward Segen, war seine Lust Gefahr.
Anmerkung: Donner und Blitz und Wolken.
Manch Stolze, Schlanke sah ich, die jung war, kühl für
mich;
Geknickt im Alter, starb sie für mich in Flammen gar.
Anmerkung: Eine Palme.
Auch manchen sah ich geizen: da sprachen, die es sahn:
Es müssen seine Bäume dafür gedeihn aufs Jahr!
Anmerkung: Geizen, den Geiz, d. i. den Auswuchs der Bäume
abbrechen.
Und manchen, der mit Liedern sein täglich Brot erwarb,
Der konnte weder schreiben noch singen, das ist wahr.
Anmerkung: Liedern, Leder zubereiten, gerben.
Ich sah auf einem Baume ein Schiff behende gehn,
Von Frauenhand gesteuert, das Segel stets gebar.
Anmerkung: Der Weberbaum und das Webeschiff.
Ich sah ein Haus, das schwankte und fest blieb, wo der
Grund
Ihm fehlte; wo es Grund fand, ging es zu Grunde gar.
Anmerkung: Das Schiff.
Dann hört' ich welche beten: Gib, Herr, in unser Haus
Das Mehl, auf unsre Fluren den Tau uns immerdar;
Doch gib die zwei zu einem verbunden unserm Feind,
Dass er von beiden keines in Haus und Flur erfahr'.
Anmerkung: Mehl und Tau, Mehltau.
Hareth Ben Hemmam erzählt: Da versuchten wir unsre
Gescheitigkeit
an seiner Sprüche Zweideutigkeit
und
vertieften uns mit Innigkeit
in seiner Rätsel
Doppelsinnigkeit.
Doch er lachte uns aus, wie ein Gesunder
den Kranken,
und sprach: Zieh die Hand ab, zu hoch sind die
Ranken.
Als wir nun im Kampfe mit Phantomen uns müde
gefochten
und umsonst an die verschlossenen Thüren pochten;
da senkten wir ihm die Flügel
und gaben ihm hin die Zügel,
ihn bittend um die Erklärung,
doch hielt er uns schwebend
zwischen Versagung und Gewährung,
sprechend: Man macht sich
erst mit dem Kamel bekannt,
eh man es zu melken ausstreckt
die Hand.
Da merkten wir, dass er einer sei, der aufs
Empfangen ist geil,
und dem seine Weisheit nicht umsonst ist
feil.
Doch unsern Gastvater verdroß es, daß unter seinem
Zelt
wir sollten gefoppt werden oder geprellt,
und er
stellte ihm zu ein Kamel, ein idisches,
und ein Gewand, ein
sa'idisches,
sprechend: Nimm dieses mit gutem Gewissen,
und meinen Gästen hier sei nichts entrissen.
Da rief er: Ich
schwör' es, diese Sinnesart ist die achsemische
und diese
Großmut die hatemische.
Dann wandt' er sich zu uns mit einem
Angesicht,
durchsichtig von der Freude Licht,
und sprach:
Mein Volk! die Nacht ist schon vorgerannt,
und die
Schläfrigkeit hat übermannt;
so verfügt euch nun an eure
Statt ohne Kummer
und genießt den labenden Schlummer,
auf
dass ihr Munterkeit einsauget
und aufstehet hell geauget,
dann vernehmet, was ich erkläre,
dass leicht euch werde das
Schwere.
Da ward sein Vorschlag von allen gebilliget,
und
dem Schlafe ward sein Recht bewilliget.
Als nun das Thor der
Wimpern schloss der Augen Feste
und die Gäste schnarchten
aufs beste,
ging er zu seinem Kamel und zäumte,
bestieg es
und sang, indem er reimte:
Wohlauf, mein Kamel, nach Serug mich zu tragen!
Nicht raste mir, stampfend den Boden zu schlagen,
Zu trotten, zu traben, zu laufen, zu jagen.
Nicht lass es an deinem Gewissen dich nagen,
Dass hier nun dein Herr bis zu künftigen Tagen
Blieb schuldig die Antwort auf einige Fragen.
Ich trage, so magst du dem Fragenden sagen,
Das lebende Rätsel, an welchem verzagen,
Die klüger als ich sich zu dünken behagen.
Der Erzähler spricht: Da wußt' ich klar,
daß es der
Seruger gewesen war,
der, wo er geerntet, sich entfernt,
und wegwirft, was er ausgekernt.
Als nun der Tag sich
aufmachte,
und die Gesellschaft der Schläfer aufwachte,
unterrichtet' ich sie, was sie in der Nacht verloren
und wie
sie der Alte gehabt zu Thoren.
Da gedachten sie sein voll
Grimmes
und vergaßen sein Gutes über sein Schlimmes.
Dann
zogen wir weiter, jeder auf seine Verrichtung,
und
zerstreuend nach jeder Himmelsrichtung.