Der Deckmantel
Hareth Ben Hemmam erzählt:
Eine Schuld, die ich hatte einzutreiben,
zwang mich, über
den Winter in Kereg
Zwischen Aserbeidschan und Hamedan. zu bleiben,
wo ich von der Jahreszeit schneidendem
Ost
und des Landstrichs zähneklappendem Frost
Ungemach
litt, zu dessen Steuerung
kaum hinreichte die Feuerung.
Und ich verließ meinen Hinterhalt
mit seiner Wärmanstalt
nur, wenn ich ein Bedürfnis mußte beschwichten,
oder eine
Andacht wollte verrichten.
So war ich an einem Tage von
scharfer Luft
und rauhem Duft
hervorgekommen aus meiner
Schluft.
Siehe da einen Alten, wie ihn Gott erschaffen,
der mit dem Frost kämpfte ohne Waffen,
nackt an jeder Faser
und bloß an jeder Zaser,
nur um die Schläfe gewunden ein
kahles Schleifchen
und um die Hüfte gebunden ein schmales
Streifchen;
um ihn ein dichter Kreis von Leuten geschlossen,
er aber trug vor unverdrossen:
Mein Volk! die Nacktheit in der kalten Stunde
Gibt von der Armut euch die beste Kunde.
Zu schließen auf die innerste Empfindung,
Vermögt ihr aus dem äußeren Befunde.
Dies äußre Leid ist nur ein äußerst kleines
Vorm äußersten in meines Herzens Grunde.
O seht und führt euch zu Gemüt den Wechsel
Des Glücks! Denn es war einst mit mir im Bunde;
Als ich die Hülle und die Fülle hatte,
Und meine Feuer wärmten in die Runde;
Die Lanzen scharf, die Messer blank geschliffen
Zum Schmaus, zum Trunk die Schläuche ohne Spunde.
Fraß meiner Herden waren alle Triften,
Und alles Wild die Beute meiner Hunde.
Da ließ auf mich die Meute los das Unglück,
Als zu verdrießen es mein Glück begunde.
Es setzte mir das Messer an die Kehle
Und ließ mich gehn verblutend an der Wunde.
Mein Haus zerrüttet und mein Brunn' verschüttet,
Mein Schatz geschatzt, gepfändet meine Pfunde;
Mein Preis gefallen auf dem Markt der Menschen,
Befallen meine Füllen mit dem Schwunde,
Der nackte Nacken, den der Mangel magert,
Ist hart gelagert auf gefrornem Schrunde.
Mein Wärmestoff die Sonne, wenn nicht Wolken
Missgönnen, dass mein Fieberfrost gesunde.
Wohlan! wer gibt ein Kleid für einen Segen
Von Gott und einen Dank aus Bettlermunde?
Dann rief er: O ihr Herrn, die ihr wandelt,
vom
behaglichen Wohlstand ummantelt.
Ist hier einer, der ein
Wohlthatenmeer
trägt im weiten Ärmel umher?
so gieß' er
aus seinen reichen Falten
ein armes Tröpflein auf einen
armen Alten.
Denn, wer hat, soll geben;
wer in Freuden
lebt, soll mit Trost beleben;
weil die Welt ist vergänglich
und das Glück ist verfänglich,
der Besitz ein Morgentraum
und der Genuss ein zerrinnender Schaum.
Denn ich habe auch
mich einst gebrüstet
und war mit Gerät auf den Winter
gerüstet,
und jetzt bin ich verwest und verwaist und
verwüstet:
mein Kleid das Leid,
meine Kammer der Jammer,
mein Schlummer der Kummer
meine Kost der Frost,
mein Feuer
und Rauch
mein Seufzerhauch.
Beglückt aber ist, wer
fremdes Unglück sich lässet warnen
und zeitig sein Herz
zieht aus der Weltlust Garnen.
Da ward ihm gesagt: Deines
Wortes Art
hat deinen Wert uns offenbart;
nun ist es
recht.
dass du uns auch sagest dein Geschlecht.
Da rief er:
Wehe dem Stolze, der zur Stütz' erfordert
Gebein, das
vermodert;
des Mannes Stolz ist in seines Herzens Mitte,
seine Frömmigkeit und edle Sitte.
Dann sagt er her:
Wer du immer seist, o Mensch, du bist das Kind
Deines Heut allein, nicht deines Gestern.
Warum bist du lüstern nach erlauchtem Stamm,
Des Verdienst nur deine Laster lästern?
Hochgeboren ist, wer auch sein Vater sei,
Wer der Tugend Töchter hat zu Schwestern.
Dann duckte er sich kauernd
und druckte sich schauernd,
rufend: O Gott, der du die Nahrung bescherest
und bitten
heißest, auf dass du gewährest,
segne Mohammed
und alle,
die ihm entstammet,
und gib, dass ein Herz sich entflammet
mir zum Trost
gegen den tödlichen Frost;
dessen Milde
stumpfe meines Mangels Schärfe,
und sei es nur mit einem
Scherfe.
Als er so nun gemacht seinen Stolz und seinen
Mangel
zu der Herzen Doppelangel,
suchte ich mit meiner
Blicke Pfeilen
die umgebende Menge zu teilen.
Und meine
ausgesandten Kundschafter
kamen mir zurück mit grundhafter
Kunde, dass es sei Abu Seid,
und seine Nacktheit ein
Verstellungskleid.
Als mein fester Blick es ihm nun
bestärkte,
dass er nicht unbemerkt wirkte und werkte;
rief
er: Beim Feuerschürer des Firmaments!
beim Steuerführer des
Regiments!
dem Erleuchter des Orients
und Befeuchter des
Occidents!
des Menschen Seelengröße
ist, dass er zudecke
die Blöße und nicht aufdecke das Böse.
Da verstand ich,
worauf er deute,
obgleich es nicht verstanden die Leute.
Mich dauerte,
wie er schauerte;
und ich gab ihm, worauf er
lauerte:
einen Mantel, der am Tage mein Putz
und zu Nacht
war mein Schutz,
warf ich ihm hin
und sprach: Nimm hin,
dass du nicht erfrierest die Glieder;
bist du warm, so gib
mir ihn wieder!
Da säumte er nicht, ihn umzuschlagen
und
in Versen Dank zu sagen:
Der die Hüll' um meine Lenden mir verliehn,
Die ihr Zittern hemmt; Gott mög' ihm lohnen!
Wie mein Leben er gesichert, sicher sei
Seines vor dem Bösen aller Zonen.
Hier bekleidet ihn mein Ruhm, und drüben das
Kleid der Seligen, die in Gärten wohnen.
Als die Herzen nun hatte angestochen
die Kunst, mit der
er sie angesprochen,
und auch mein Beispiel die Bahn
gebrochen,
da war sein Erntetag angebrochen.
Sie warfen
ihm zu von Mantel und Kragen
mehr, als seine Schultern
konnten tragen;
und unter seiner Bürde wankend,
schritt er
von dannen dankend,
empfehlend dem ewigen Belohner
Kereg
und dessen Bewohner.
Ich folgt' ihm, bis wo das Feld von
Spähern rein war
und nicht länger zu wahren der Schein war;
da sprach ich, als ich mit ihm allein war:
Der Frost hat
dich hart gezwackt,
stelle dich künftig lieber nicht mehr
nackt.
Er sprach: Wen beschirmen Gottes Gnaden,
dem kann
die Hitz' und der Frost nicht schaden.
Fastet man doch zu
Gottes Preise,
dass einem besser munde die Speise,
so
verlohnt es sich wohl auch nackt zu gehn,
um sich so mit
Kleidern bepackt zu sehn.
Dann erhob er zur Flucht den Fuß
und rief mit Verdruss:
Du weißt, meine Art ist, zu wandern
aus einem Jagdrevier zum andern; was hältst du mich auf
und
stellst meinen Lauf
und vergällst meinen Kauf?
du tust
meinem Handel mehr Abbruch,
als dein Mantel mir eintrug.
Doch ich hielt ihn herzhaft
und versetzte scherzhaft:
Hab'
ich dir nicht gedeckt den Rücken
und gedient zum Deckmantel
deinen Tücken?
Und wäre nicht mein Mantel vorangeschwommen,
was wäre dir wohl ins Netz gekommen?
Du wärest noch
nackter als eine Spindel,
und bist jetzt reicher an Häuten
als eine Zwiebel.
Weil ich denn so edel an dir gehandelt,
dich bemäntelt und dich bemantelt;
so gib als entbehrliches
Stück von deinem Gefieder
und höchste Notdurft meiner
Glieder
mir meinen geliehenen Mantel wieder.
Doch er
blickte mit Staunen
und sprach mit gefurchten Augenbraunen:
Was man dem Grab,
und was man in fromme Stiftung gab,
nimmt man beiden nicht wieder ab.
Schlage dir den Mantel aus
dem Sinn;
er ist wie das Gestern, das heute ist dahin.
Ich
sprach: Und soll ich leer gehn vom Feste?
Er sprach: Nein,
ich gebe dir zum besten das Beste,
die Verse, berühmt im Ost
und Weste,
von den Winterwehn und Winterwonnen;
daran
mögest du dich diesen Winter sonnen:
Wenn die wüsten Winterwinde wütend wehn,
Weißt du, was zur Wehre wählt ein Weiser?
Warme Wohnung, weiche Watt und wollnes Wams,
Weiter: würz'gen Wein und will'ge Weiber.
Dann sprach er: Vier Verse für einen Mantel
ist ein guter
Handel;
geh mit Gott, und dein Glück sei ohne Wandel.
Drauf ging er mit meinem Mantel ohne Bedauern,
und ich hatte
dafür den ganzen Winter zu schauern.