Das alte Weib
Hareth Ben Hemmam erzählt:
Ich weilte in Bagdad in einem dichten Kreise
edler
Dichtergreise,
die, wo sie mit ihrer Kunst hervortraten,
es den Kunstreichsten zuvortaten,
so dass kein Gegner ihnen
den Vortritt abstritt,
und kein Überlegner auf der Bahn den
Vortritt abritt.
Wir ergingen uns, sitzend in der
Morgenluft,
unter Redeblüten und Geistesduft,
in des
Gesprächs verschlungener Windung,
Ernstes und Scherzes
Verbindung,
bis dass der Tag, der sich halbete,
Zu
seiner Hälfte, dem Mittag gelangte.
das frische Laub der Unterredung falbete
und die
muntern Augen mit Schläfrigkeit salbete.
Da sahn wir ein
altes Weib heranwanken wie im Schwindel,
hinter ihr ein
Kindergesindel,
jedes dünn wie eine Spinne und schmächtig
wie eine Spindel,
armselig wie ein unflügges Täubchen,
verlassen wie auf dem dürren Zweig ein Räupchen.
Und kaum
ward sie uns ansichtig,
so war es richtig,
dass sie uns
anlief
und anrief:
Gottes Gunst den Gönnern!
eine Kunde
sei den Kennern,
eine Mahnung der Menschlichkeit euch
Männern!
O ihr, landflüchtiger Hoffnungen Zuflucht,
schiffbrüchiger Wünsche Ruhebucht,
ihr, dem Troste der
Witwen und Waisen
gewidmeten Weisen!
wisset, dass der, die
hier sich beugt,
sich einst jedes Haupt und Knie gebeugt,
eh' das Unglück sie gebeugt;
dass sie war vom Reichtum
gezeugt,
von der Fülle gesäugt,
vom Überfluß ausgestattet,
nie vom Verdruß überschattet;
des Hauses Schlüssel
führend,
des Herdes Flammen schürend,
in Wohlhäbigkeit
und Freigebigkeit
vertrauend auf des Glückes Ewigkeit,
schaltend und waltend über die Frauen,
wie der Mann in der
Männer Gauen.
Denn mein einmal
war ein Gemahl,
der den
Vorsitz führte beim Mahl
und in der Schlacht sich türmte ein
Ehrenmal,
bis das Geschick uns ergriff bei den Armen
und
uns schleuderte zu den Armen,
uns trieb aus den offenen
Thoren
zum offenen Spotte der Thoren,
dass künftig im
heimischen Hause
das Unheimliche hause.
Es zerbrach den
Schlüssel und das Schlüsselbein
und wies uns von der
Schüssel zum Schüsselein;
es stieß um des Herdes Kessel,
es stürzte um der Herrschaft Sessel,
es zerbrach des
Dienstes Fessel
und warf die edle Rose unter die Nessel.
Es blies uns den Span aus
und zog uns den Zahn aus,
es
fegte die Bahn aus
und trieb uns den Wahn aus.
Es brach
die Krone dem Stamm ab
und nahm dem Huhne den Kamm ab,
die
Satteldecke dem Zelter,
den Inhalt aus dem Hälter
und den
Strom von der Kelter.
Es drängte und trieb,
es hetzte und
hieb,
es raffte und rieb, bis nichts uns blieb,
keine Au'
und keine Zeder,
keine Klau' und keine Feder
kein Schloß
und kein Riegel,
kein Roß und keine Striegel,
kein Dach
und keine Ziegel,
kein Gemach und kein Spiegel;
kein Halm
und keine Tenne,
kein Bogen und keine Senne,
kein Riemen
und kein Pfriemen,
kein Hammer und keine Klammer,
kein
Haken und kein Laken;
kein Stahl und kein Stein,
kein
Strahl und kein Schein,
keine Schal' und kein Schrein,
kein Thal und kein Hain,
kein Mahl und kein Wein,
als nur
Qual und Pein.
Leer ist die Hand
und unstet der Fuß,
gebeugt das Haupt
und gekrümmt der Rücken.
Verdorrt ist
die Lust, die grüne,
und fort ist das Gold, das gelbe;
geschwärzt ist der Tag, der weiße,
und geweißt das Haar, das
schwarze;
für das Auge, das rote,
ist willkommen der Tod,
der blasse.
Doch hier das verlassene Trüppchen,
wie
zitternde Flämmchen am trockenen Lampenschnüppchen,
der
Umfang ihres Wunsches ist ein Süppchen,
der Gipfel ihrer
Sehnsucht ein altes Jüppchen;
etwas leicht Entbehrtes,
halb Verzehrtes,
etwas Abgelegtes
aus dem Hause Gefegtes;
Man hält auf des Bräutigams Gruft
nicht zu Rate
Salbenduft [Fußnote] Sprichwörtlich, für: zur Unzeit oder in
der Not soll man sich nicht zieren oder schämen,
meiner armen Brut Entfiederung
zwingt mich zu der
Erniederung.
Doch ich habe geschworen
bei dem Adel, der
mit uns ist geboren,
bei der Ehre, die uns nie ging
verloren,
eh'r zu sterben mit ihnen,
als mit demütigen
Mienen
Ungroßmütigen zum Spott zu dienen.
Aber mir sagte
das Herz,
eueres sei nicht von Erz,
und mir flüsterte die
Seele,
dass euch eine nicht fehle.
Gott schenke dem Manne
seine Schuld,
der mir Glauben schenkt und Huld.
Und sie
wandte zu mir sich mit einer Gebärde,
als ob Gewährung sie
aufrichten werde
und Weigerung sie niederschlagen zur Erde.
Hareth Ben Hemmam erzählt: Wir raunten
unsere Verwunderung
uns zu und staunten
über ihres Ausdrucks Blümlichkeit,
ihres Vortrags Eigentümlichkeit
und sprachen: Wenn du also
die Rede stickest,
wie erst, wenn du Verse strickest?
Sie
sprach dreister:
Ja, es beschämt die Meister.
Wir
sprachen: Mach uns zu deinen Lehrlingen,
so wollen wir dich
samt deinen Zehrlingen
dafür machen zu unseren Nährlingen.
Sie sprach: Seht erst meines Gewandes Undichten,
und dann
meine Gewandtheit im Dichten!
Worauf sie uns ihre Lumpen
hinhielt,
nun einen Augenblick schweigend inhielt
und dann
vortrug, was sie im Sinn hielt:
Ich klag' es Gott, des Schicksals falsche Kerze
Versengt zum Scherz die Flügel armer Motten.
Mein Volk! ich war einst zugezählt den Reichen
Des Lands und schöpfte Füll' aus vollen Botten;
Bottich oder Bütte.
Im Wege stand nichts unserm Stolz auf Erden,
Kein Fels im Meer entgegen unsern Flotten;
Im dürren Hungerjahre grün der Garten
Und unterm Sonnenbrande kühl die Grotten,
Am Herde, dessen Flammen fröhlich blühten,
War frisches Fleisch den Gästen stets gesotten.
Da kam das Unglück und verschlang die Füllen
Des Meers, das der Versiegung schien zu spotten.
Die erzbeherzten Leu'n des Kampfs, die Ärzte
Der Kranken, sind ein Raub der Würm' und Motten.
Der rauhe Boden ist nun meine Sänfte,
Da schreit' ich, wo ich sonst mein Tier ließ trotten.
Und meine Kleinen, im Gedräng des Elends,
Von dem ein jeder Tag führt neue Rotten,
Flehn in der Stunde, wo nur Andacht wachet, In
der Mitternacht.
Indes die Thränen fließen, fluten, flotten:
Herr, der du nährst im Nest die Brut der Raben,
Die hungrigen und von Gott gespeisten Raben kennt der Araber
so gut wie wir. Er hat aber dazu folgende Mythe: Wenn der
junge Rabe, der Na'ab, d. i. der Kreischer, heißt, aus dem Ei
kriecht und ihn seine Eltern sehen wie ein Fleisch (d. i.
nackt und unbefiedert), so fliehen sie vor ihm aus Furcht,
denn der Rabe ist der vorsichtigste Vogel. Da sendet nun Gott
dem Jungen die Fliege, die stürzt auf ihn, öffnet ihm den Mund
und kriecht hinein, dass er sie verschlucke. Und in diesem
Zustand bleibt er vierzig Tage, bis ihm die Federn wachsen und
er schwarz wird, dann kehren die Alten zu ihm zurück. Sie
haben sich also nur vor ihm gefürchtet, weil er nicht schwarz
wie sie.
Wehr' auch dem Mangel, der uns aus will rotten,
Weis' einen Milden uns, der unsre Blöße
Verhüll', und sei es auch mit rauhen Zotten,
Und der das Feuer unsres Hungers dämpfe,
Und sei es nur mit saurer Milch und Schotten.
Der Erzähler spricht: Und bei Gott!
sie sprengte mit ihren
Versen der Herzen Deckel
und zog die Verborgenheiten aus
Sack und Seckel,
so zwar, dass nicht nur gab, wer seines
Glaubens ein Geber war,
sondern auch der sich mild bezeigte,
der sonst spröder Leber war.
Und als ihr das Gefäß nun
überschwoll
und jeder ihr hatte gemessen übervoll,
zog sie
ab mit ihrem Geleit,
und von Dank war der Mund ihr weit.
Doch es fühlte nach ihrer Flucht
die Gesellschaft sich, sie
zu versuchen, versucht,
um zu wissen, in welche Hände
gefallen sei der Wohlthat Frucht.
Und ich verbürgte mich
ihnen, es auszuforschen,
und schritt von ferne nach der
Altermorschen;
bis sie nun kam in die Straßen voll
Menschenmenge
und in die Enggassen voll Gedränge,
da
tauchte sie in den Strudel
und machte sich los von ihrem
Kinderrudel.
Dann hüpfte sie froh wie ein Reh
und
schlüpfte in eine leere Moschee.
Ich blickte durch der Thüre
Spalten
und sah sie sich wickeln aus ihren Falten
und, o
Wunder, sich umgestalten
aus einer Alten in unsern Alten.
Da überlegt' ich, ob ich sollt' auf ihn einbrechen
und ihn
züchtigen für sein Erfrechen.
Doch er streckte sich nieder
und reckte den Nacken
und weckte den Wiederhall mit vollen
Backen,
singend:
O dass ich wüßt', ob auch die Welt,
Nach meiner Müh', so tausendfacher,
Mich nun nach meinem Wert erkennt
Als Haupt der Ränk- und Schwänkemacher!
Wie manchen Streich hab' ich geführt,
Und unter allen war kein flacher.
In welchem Forst ich je gejagt,
Entging kein Raub, kein stark' noch schwacher.
Bald rüttl' ich Schläfer wach, und bald
Umnebl' ich die Besinnung Wacher;
Bald für die Weiner predigend,
Bald Lieder singend für die Lacher:
Im Weiberrock und Manneskleid,
Jetzt Chansa, dann ihr Bruder Sacher.
Elchansa. d.
i. die Stumpfnasige, eine Dichterin aus den letzten Zeiten des
Heidentums, die noch den Islam erlebte, berühmt durch ihre
zahlreichen Trauergedichte auf den Tod ihres Bruders Sachr,
der an einer im Kampf empfangenen Wunde starb.
Wenn ich bedenklich wollte sein,
So stockte bald mein Lebensschacher.
Was immer sei das Baugerät,
Besser bebauter Grund, als bracher.
Ein jeder treibt, was er versteht;
Das sage meinem Widersacher!
Hareth Ben Hemmam spricht: Wie ich also hörte sein edles
Selbstgeständnis
und vernahm sein offenes
Glaubensbekenntnis,
sah ich, dass in ihm ein Teufel steckte,
den keine Beschwörung schreckte.
So zog ich ab, ohne ihn
zu stören,
und gab, was ich gesehn, der Gesellschaft zu
hören.
Sie bereuten, was sie ausgegeben, vergebens,
und
vermaßen sich, nie mehr zeitlebens
mit alten Weibern zu
machen so viel Aufhebens.