Vorrede
Das hier erscheinende Werk besteht, was seinen
hauptsächlichsten und interessevollsten Inhalt betrifft, aus
einer Sammlung und Auswahl von Gedichten persischen Ursprungs
und Charakters, welche den Zweck hat, die auf dem Gipfel ihrer
Entwicklung stehende orientalische Poesie in unserem
heimathlichen Sprachelemente so treu, wahr und wesenhaft,
zugleich aber auch so zwanglos, verständlich und genießbar,
als möglich, abzuspiegeln, und welche, um das, was sie ist und
sein will, sogleich entschieden kund zu thun, den Namen des
großen Geistes, der die poetische Kunst und Weltanschauung des
Orientes bis zu jener bewundernswürdigen Höhe gesteigert, und
der nicht nur als Dichter im engeren Sinne des Wortes, sondern
auch als Denker und Polemiker von der größten Bedeutung ist,
an ihrer Spitze trägt. Keinem unserer Leser wird dieser Name
völlig unbekannt sein; da aber, wie jetzt noch die Sachen
stehen, eine nähere historische Bekanntschaft mit der in Rede
stehenden eminenten Erscheinung nur bei sehr wenigen vorhanden
sein dürfte, und eine solche in Beziehung auf Verständniß,
Genuß und Würdigung dieser Liedersammlung doch nicht wohl zu
entbehren ist, so werden folgende vorläufige Notizen nicht
überflüssig sein.
Mohammed Schemseddin, die Sonne des Glaubens, mit dem
Beinamen Hafis, der Bewahrer des Korans, weil er dies heilige
Buch von einem Ende zum andern auswendig wußte, war geboren zu
Schiras und lebte daselbst von den ersten bis zu den letzten
Decennien des 14ten Jahrhunderts hin, in Zeiten also, wo es
bei uns im Occidente noch tief nachtete und an einen Luther,
Voltaire, Göthe und ähnliche, ein neues Weltalter großartig
vorbereitende Genialitäten und Lichtaufgänge noch lange nicht
zu denken war. Er gehörte zu einer Gemeinschaft von Derwischen
und Sofis oder contemplativen Weisen und Mystikern,
beschäftigte sich mit theologischen und philologischen
Arbeiten, stimmte in seiner ascetischen Begeisterung die
erhabensten, alles Irdische und Sinnliche unter die Füße
tretenden Lieder an, wurde die mystische Zunge genannt, war
ein großer, berühmter, eine Menge von Schülern um sich
versammelnder Lehrer seiner Zeit, gab Unterricht am Hofe, und
stand so hoch in Gunst, daß ihm der Großwesir Hadschi
Kawameddin Mohammed Ali eine besondere Schule baute. Alle
diese Bestrebungen, Leistungen und Errungenschaften seines
Lebens, seine Weisheit und Wissenschaft, seinen Stand und
Beruf, seinen Glanz und Ruhm verhöhnt nun aber der einzige
Mann in seinen, einer späteren, im Alter eingeschlagenen
Richtung angehörigen Gedichten in der freiesten, kühnsten und
heitersten Manier, so wie sie nirgend ihres Gleichen hat; er
erscheint hier als der geschworene Feind aller Pfaffen,
Mönche, Mystiker und Schulpedanten, einer Classe von Menschen
also, deren Zunftgenoß und College er selber ist, zu der er
aber innerlich den totalsten Gegensatz bildet; er offenbart
eine so unendliche Fessellosigkeit nach jener Seite hin und
eine so reine, ungetrübte, göttliche Seligkeit und Sicherheit
in sich selbst; er entwickelt eine so herrliche, heitere,
objektive Weltanschauung und ist zugleich so außerordentlich
geistreich in Ausdruck und Form, daß man wohl sagen kann,
niemand in der Welt habe das tief wurzelnde Übel einer
abstrakten und negativen Denkart, so wie sie in Orient und
Occident ihre leidigen Repräsentationen hat und ihren
lebensfeindlichen Einfluß übt, vollständiger überwunden, und
den entgegengesetzten Standpunkt ingeniöser vertreten und
verfochten, als dieser mit wunderbarer Umkehrung des
gewöhnlichen Laufes der Dinge statt im Lenze des Lebens in
dessen Winter erblühende und in glänzender Jugend des Geistes
dastehende Dichtergreis. Gehaßt, doch nicht beschädigt von
Zeloten und Finsterlingen, geliebt und verehrt von den Edleren
und Verständigeren, entschlief der so zu hohen Jahren
Gekommene sanft und ruhig im Jahre 1389, und wurde, wiewohl es
die Eiferer versuchten, ihn der Ehre des Begräbnisses zu
berauben, in Mosella, einer schönen Vorstadt von Schiras,
wohin noch heute seine Verehrer wallfahrten, zur Erde
bestattet. Da man es unmöglich fand, seine freisinnigen und
lebensfrohen Gesänge und ihre verführerischen Wirkungen auf
die Gemüther der Gläubigen durch äußere, brutale
Gewaltstreiche zu vernichten, so erklärte man sie für
geistliche Allegorien, die unter der Hülle des Sinnlichen und
Irdischen ganz nur von dessen Gegentheile, vom Übersinnlichen
und Himmlischen reden, ohngefähr, wie sich unsere Theologen
das hohe Lied, von dessen wundersamen Liebesgluthen in den
Zugaben einige metrische Proben zu finden, zurecht zu machen
gewußt. Die ascetische und ethische Abstraktion des
Übersinnlichen und Himmlischen ist es aber gerade, was Hafis,
wenigstens in dem größten Theile seiner Lieder und Äußerungen
entschieden verneint. Eine gewisse Mystik ist zwar allerdings
auch hier zu erkennen, aber eine ganz andere, als jene
mönchisch düstere, frömmlerische. Wenn er nämlich die
Nüchternheit verdammt und die Trunkenheit preist, so versteht
er unter jener die Zurückziehung der menschlichen Ichheit vom
natürlich Realen und Objektiven in sich, ein abstraktes,
subjektives Verhalten, das mit Recht als böse bestimmt und als
der Quell alles Übels bezeichnet wird, unter dieser aber kein
eigentliches, gemeines Berauschtsein durch Wein, sondern die
begeisterte Versenkung der Seele in Natur und Wirklichkeit,
eine Trunkenheit, die sehr wohl ohne allen Weingenuß denkbar
ist. Sprechen doch selbst wir von einer uns nicht behagenden
Nüchternheit, und fordern ein Gegentheil derselben, das uns in
etwas ganz Anderem, als in einem[4] durch starke Getränke
erzeugtem sinnlosen Taumel besteht! Um den persischen Dichter
nicht schief zu fassen, dazu gehört erstlich, daß man Scherz
verstehe und nicht Alles, wozu eine fröhliche, neckische Laune
in poetischer Darstellung fortzugehen reizt, für trocknen,
prosaischen Ernst nehme; dann aber auch, daß man den
gleichwohl vorhandenen, selbst hinter dem tollsten Muthwillen
versteckten, feineren Ernst bemerke, um dessen willen man
sagen kann, daß Hafis, trotz aller Verachtung, Verhöhnung und
Zermalmung der Theologie, Speculation und Moral ein Theolog,
Philosoph und Moralist in seiner Art ist. In einem Gedichte
von Hölderlin kommt folgende hieher zu ziehende Stelle vor:
Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste;
Hohe Tugend versteht, wer in die Welt geblickt,
Und es neigen die Weisen
Oft am Ende dem Schönen sich.
Es ist dies in Beziehung auf Sokrates gesagt; hier aber ist
mehr als Sokrates, der, gegen Hafis gehalten, nur ein
Philister ist.
Daß ein so unvergleichlicher Genius dem Publikum näher
gerückt zu werden verdiene, als bis jetzt geschehen ist,
werden Geist- und Geschmackvollere nicht in Abrede stellen,
und so sei denn der Wunsch gestattet, daß die hier gegebene
auszügliche Darstellung einige Wirkung thun, und daß ich es
nicht zu bereuen haben möchte, gewissen dringenden, selbst
öffentlich ergangenen Aufforderungen und Mahnungen zur
Herausgabe Folge geleistet zu haben. Es ist ein Werk der
innigsten Liebe und Hingebung, was man vor sich hat; ich habe
mich eine ziemliche Reihe von Jahren hindurch im Stillen damit
beschäftigt und die besten Momente meines Lebens darauf
verwandt, und das läßt mich hoffen, daß es wenigstens nicht
völlig mißlungen sei. Was meine Vorgänger auf diesem Felde
betrifft, so konnten mir diese, so hoch sie übrigens in
geistiger Kraft und poetischer Kunst gestellt sein mögen, im
Ganzen nicht zum Vorbilde dienen; kaum, daß hie und da in
einzelnen seltenen Fällen einiges ihnen Verdankte zu bemerken
sein möchte. Den häufig vorkommenden Namen Hafis und andere
solche habe ich überall mit der für Reim und Rhythmus so
vortheilhaften Betonung der letzten Sylbe in Anwendung
gebracht.
So viel speciell über den persischen Dichterfürsten und den
aus seinem poetischen Zaubergarten in diesen Blumenhain
verpflanzten Rosenflor. Kürzer kann ich über die Zugaben sein.
Sie bestehen aus einer Reihe von kleineren Sammlungen und
Proben der Art, die in Betreff der ihnen zu Grunde liegenden
Originalgedichte ebenfalls Produkte der Fremde und Ferne sind,
und die der Ehre, mit Hafisens hochpoetischen Gesängen
zusammen ein Buch zu bilden, sämmtlich wenigstens einigermaßen
würdig scheinen. Namentlich sind die lettisch-litthauischen
Volkslieder von einer Schönheit, Zartheit und Lieblichkeit,
die Staunen erregt. Man wird da zum Theil einer Mythologie
begegnen, die in einer wunderlichen, aber höchst anmuthigen
Mischung heidnischer und christlicher Vorstellungen besteht.
Die Sonne hat Töchter, Gott aber Söhne, wobei sich erotische
Beziehungen ergeben; die Söhne Gottes lieben, voll
jugendlichen Feuers, die schönen, herrlichen Sonnentöchter,
nähern sich ihnen bei jeder Gelegenheit, erweisen ihnen
Gefälligkeiten, fahren sie im Schlitten und werfen sie, zu
rasch und wild hiebei zu Werke gehend, in den Schnee; die
Sonne zürnt darüber, ist unzufrieden mit dem lieben Gott, der
seine Kinder nicht besser im Zaume hält, blickt finster und es
giebt einen trüben Tag u.s.w. Tiefer geht das Übrige; es
findet sich hier manches, was jeden, der nur noch einigen Sinn
für Poesie und menschliche Dinge im edleren Sinne des Wortes
hat, im Innersten ergreifen muß. Zu denen, die solche Dinge in
ihrem ganzen Werthe zu empfinden und zu erkennen vermögen, hat
unser großer Lessing gehört, in dessen Literaturbriefen sich
folgende Stelle findet: »Es ist nicht lange, daß ich in
Ruhig's litthauischem Wörterbuch blätterte und am Ende der
vorläufigen Betrachtungen über diese Sprache eine hieher
gehörige Seltenheit antraf, die mich unendlich vergnügte,
einige litthauische Dainos oder Liederchen nämlich, wie sie
daselbst die gemeinen Mägdlein singen. Welch ein naiver Witz,
welche reizende Einfalt! Man kann hieraus lernen, daß unter
jedem Himmelsstriche Dichter geboren werden, und daß lebhafte
Empfindungen kein Vorrecht gebildeter Menschen sind.« Möchte
sich unsere lettisch- litthauische Blüthenlese einiger
ähnlicher Leser und Beurtheiler zu erfreuen haben, wie jener
Unsterbliche war!
Es bleibt nun noch übrig, ein Paar Worte über die in diesem
Werke zur Anwendung gekommenen fremdartig metrischen Formen zu
sagen. Hier ist erstlich die des Gasels und der Vierzeile
bekannt genug, nur vielleicht der von uns gewählten
Darstellung für's Auge wegen nicht jedem sogleich erkennbar
und vertraut. Sie besteht, wie man weiß, aus Distichen oder
Doppelversen, die alle durch den nämlichen Reim verbunden
sind, so daß derselbe in dem ersten, dem sogenannten
Königsdistichon, zweimal nacheinander, in den folgenden aber
nur einmal anschlägt. Wenn nun die Einzelverse in sich selbst
wieder in zwei oder mehrere Theile zerfallen, so werden sie
füglich auch so geschrieben, wie wenn man statt folgender
gedehnter Schreibart:
An der Pforte der Erbarmung klopft Hafis entschlossen
an;
Glaube mir, sie wird ihm eher, als dem Heuchler aufgethan –
nachstehende wählt:
An der Pforte der Erbarmung
Klopft Hafis entschlossen an;
Glaube mir, sie wird ihm eher,
Als dem Heuchler aufgethan.
Werden dann weiter diese Distichen durch Zwischenräume
auseinandergehalten, so tritt die befreundete und beliebte
Gestalt eines einheimischen, in Strophen abgetheilten Liedes
vor Augen, wobei nur die Reimart eigen. So wäre z.B. folgendes
hafisische Gedichtchen in unserer Manier gereimt:
Gieb, o Gott, dem Mann der Zelle
Der Entsagung hehre Kraft;
Mache, daß er hoch im Äther
Schweb' ob aller Leidenschaft;
Mir jedoch, dem minder Edlen,
Spende, was mir frommt allein:
Eine Lippe, süß, wie Kandel,
Schöne Reime, Feuerwein!
Setzt man aber am Ende statt Feuerwein: Rebensaft, so
bezieht sich der Reim nicht auf den ersten Theil derselben
Strophe, sondern auf die ganze erste Strophe zurück und es
entsteht eine Vierzeile, die sich indessen der gebrochenen und
getrennten Schreibart wegen vielmehr als zweistrophige
Achtzeile präsentirt. Künstlicher wird diese Form gehandhabt,
wenn in den sonst leer ausgehenden Versen und Zeilen ein
zweiter Reim durchgeführt wird, wie in den Nummern 93, 94,
136, 18, 88, 177 unserer persischen Sammlung der Fall. In den
neugriechischen Gedichten findet sich der jambische Vers; der
an die Stelle des antiken Hexameters und Pentameters getreten.
Er zerfällt in zwei Theile, so daß sich der erste derselben
auch wieder in sich selbst zu theilen im Stande ist, und
zuweilen zwei dieser Theile oder alle drei zusammen mit
demselben[9] Worte oder derselben Wortverbindung beginnen, was
einen besondern Effekt macht, wie z.B. in folgenden
Nachahmungen der Fall:
Nun blüht die Flur, nun lacht die Welt,
Nun ist die schöne Zeit da –
Drei Tage hält er kämpfend aus,
Drei Tage ringt der Brave;
Ohn' alle Rast, ohn' alle Ruh',
Ohn' alle Labe bleibt er.
Was das Übrige betrifft, so ist keine Erläuterung nöthig.
Und so seien denn diese meist wunderschönen Erzeugnisse der
poetischen Menschennatur voll Leben und Geist, die ich,
soferne Stoff und Gehalt nicht mein Eigenthum ist, ohne alle
Unbescheidenheit und Anmaßung rühmen und empfehlen kann, dem
Publikum vertrauend an's Herz gelegt!