Philosophie im Islam

Geschichte der Philosophie im Islam

Tjitze J. de Boer

1901

STUTTGART. FR. FROMMANNS VERLAG (E. HAUFF).

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II. Philosophie und arabisches Wissen

1. Die Sprachwissenschaft

1. Von muslimischen Gelehrten des zehnten Jahrhunderts wurden die Wissenschaften in arabische und in alte oder nichtarabische eingeteilt. Zu den ersteren gehörten Sprachwissenschaft, Pflichten- und Glaubenslehre, Litteraturkenntnis und Geschichte; zu den letzteren die philosophischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Disziplinen. Im großen Ganzen ist die Einteilung richtig. Die letztgenannten Fächer sind nicht nur am meisten von fremden Einflüssen bestimmt, sondern auch nie recht populär geworden. Doch sind auch die sogenannten arabischen Wissenschaften nicht ganz rein einheimische Schöpfungen. Auch sie sind entstanden oder ausgebildet, wo im muslimischen Reiche Araber und Nichtaraber zusammentrafen und das Bedürfnis erwachte, über die den Menschen nächstliegenden Gegenstände, Sprache und Poesie, Recht und Religion, sofern sich darin Unterschiede oder Unzulänglichkeiten zeigten, nachzudenken. In der Weise, wie dieses geschah, spürt man deutlich den Einfluss von Nichtarabern, namentlich Persern, und immer bedeutender macht sich auch dabei die Einwirkung griechischer Philosophie geltend.

2. Die arabische Sprache, an deren Wortfülle, Formenreichtum und innerer Bildungsfähigkeit die Araber selbst sich besonders erfreuten, eignete sich vorzüglich zu einer Weltstellung. Besonders zeichnet sie sich, wenn man sie z. B. mit der schwerfälligen lateinischen oder auch mit der schwülstigen persischen vergleicht, durch kurze Abstraktbildungen aus, was dem wissenschaftlichen Ausdrucke [35]zu gute kam. Sie ist der feinsten Nuancierung fähig, verführt aber auch durch eine reichentwickelte Synonymik dazu, von der aristotelischen Regel, dass in der strengen Wissenschaft der Gebrauch von Synonymen nicht zulässig sei, abzuweichen.

Eine so elegante, ausdrucksfähige, aber schwierige Sprache, wie es die arabische war, musste, als sie die Bildungssprache der Syrer und Perser geworden, zu manchen Betrachtungen Veranlassung bieten. Vor allem machte das Studium des Korans, dessen Vortrag und Auslegung, eine eingehende Beschäftigung mit der Sprache notwendig. Ungläubige glaubten auch wohl, im heiligen Buche Sprachfehler nachweisen zu können. Man sammelte also aus alten Gedichten und der lebendigen Beduinensprache Beispiele, um die koranischen Ausdrücke zu belegen, woran sich wohl Bemerkungen über Sprachrichtigkeit im allgemeinen anschlossen. Im ganzen war der lebendige Brauch die Richtschnur, aber um die Autorität des Korans zu retten, ging es dabei gewiss nicht ohne Künsteleien ab. Den einfachen Gläubigen war dieses Verfahren immerhin etwas bedenklich. Masudi erzählt uns noch von einigen Grammatikern aus Basra, die auf einer Lustfahrt einen koranischen Imperativ durchconjugierten und deshalb (?) von den mit Dattelpflücken beschäftigten Landleuten durchgeprügelt wurden.

3. Die Araber führen die Sprachwissenschaft, wie so vieles Andere, auf Ali zurück, dem sogar die aristotelische Dreiteilung der Rede zugeschrieben wird. In Wirklichkeit sind die Anfänge in Basra und Kufa gemacht worden. Die erste Entwicklung liegt im Dunkeln, denn in der Grammatik des Sibawaih (gest. 786) haben wir eine fertige Gestalt, ein Riesenwerk, das, wie nachher Ibn Sina’s Kanon der Medizin, die späteren Geschlechter sich nur als das Erzeugnis vieler zusammenarbeitender Gelehrten erklären konnten. Auch über die Unterschiede zwischen den Schulen von Basra und Kufa sind wir schlecht unterrichtet. Die [36]Basrenser, wie später die Schule von Bagdad, sollen dem Qijas (der Analogie) einen großen Einfluss auf die Beurteilung sprachlicher Erscheinungen eingeräumt haben, während die Kufenser viele vom Qijas abweichende Spracheigenheiten für erlaubt hielten. Im Gegensatze zu den kufischen Grammatikern wurden aus dem Grunde die anderen Leute der Logik genannt. Ihre Terminologie wich von der kufischen im einzelnen ab. Viele, denen nach Ansicht der echten Araber die Logik den Kopf verdreht hatte, werden in der Meisterung der Sprache entschieden zu weit gegangen sein. Andererseits aber wurde die Willkür zur Regel erhoben.

Dass die Schule von Basra sich zuerst logischer Hilfsmittel bediente, wäre kein Zufall. Überhaupt zeigte sich in Basra am ersten der Einfluss philosophischer Lehren, und unter ihren Grammatikern befanden sich viele Schiiten und Mutaziliten, die auch auf ihre Glaubenslehren einzuwirken fremder Weisheit gerne gestatteten.

4. Die Sprachwissenschaft, sofern sie nicht, von Gegenständen bestimmt, auf Sammlung von Beispielen, Synonymen u. s. w. sich beschränkte, wurde von der aristotelischen Logik beeinflusst. Syrer und Perser hatten schon vor muslimischer Zeit die Schrift περὶ ἑρμηνείας, mit stoischen und neuplatonischen Zusätzen, studiert. Ibn al-Moqaffa, der anfangs mit dem Grammatiker Chalil (s. unten) befreundet war, machte dann Alles, was sich sprachlich-logisches im Pahlawi vorfand, den Arabern zugänglich. Es wurden darnach die Satzarten, bald fünf, bald acht oder neun, und die drei Redeteile, Nomen, Verbum und Partikel, aufgezählt. In der Folgezeit nahmen einige, wie Dschahiz, unter die rhetorischen Figuren auch Schlussfiguren der Logik auf. Und in späteren Darstellungen wurde viel über Laut und Begriff gestritten und die Frage erörtert, ob die Sprache durch Satzung oder von Natur sei. Allmählich gewann die philosophische Ansicht, sie sei durch Satzung, das Übergewicht. [37]

Neben der Logik kommt hier noch der Einfluss der propädeutischen oder mathematischen Wissenschaften in Betracht. Wie die Prosa des Verkehrs und die Reime des Korans wurden die Verse der Dichter nicht bloß gesammelt, sondern auch nach bestimmten Gesichtspunkten, unter denen das Metrum, geordnet. Nach der Grammatik entstand die Metrik. Chalil (gest. 791), der Lehrer Sibawaih’s, dem man die erste Anwendung des Qijas in der Sprachwissenschaft zuschreibt, soll auch die Metrik erfunden haben. Während man die Sprache als das nationale, conventionelle Element in der Poesie anzusehen lernte, glaubte man im Metrum das natürliche, allen Völkern gemeinsame zu finden. Thabit ibn Qorra (836–901) behauptete darum in seiner Anordnung der Wissenschaften, das Metrum sei etwas Wesentliches, die Metrik eine natürliche Wissenschaft, sie gehöre somit zur Philosophie.

5. Trotz alledem behielt die Sprachwissenschaft, die sich auf das Arabische beschränkte, ihre Eigentümlichkeiten, auf die hier einzugehen nicht am Platze ist. Jedenfalls ist sie eine großartige Schöpfung des fein beobachtenden und fleißig sammelnden arabischen Geistes, darauf die Araber stolz sein durften. Ein Apologet des zehnten Jahrhunderts, der sich gegen die griechische Philosophie wendet, sagte: “Wer die Feinheiten und Tiefen der arabischen Poesie und Metrik kennt, der weiß, dass sie alles dasjenige übertrifft, was die Leute als Beweise für ihre Meinungen anzuführen pflegen, welche in dem Wahne leben, dass sie die Wesenheiten der Dinge zu erkennen im Stande sind: Zahlen, Linien und Punkte. Ich kann den Nutzen dieser Dinge nicht einsehen, es sei denn, dass sie trotz des geringen Nutzens, den sie bringen, den Glauben schädigen und Dinge im Gefolge haben, gegen welche wir Gottes Beistand anrufen.” Man wollte sich seine Freude an den Einzelheiten der Sprache durch allgemeine philosophische Spekulationen nicht trüben lassen. Manche Wortbildung, von den Übersetzern fremder Werke herrührend, wurde als barbarisch [38]von puristischen Sprachlehrern verabscheut. Und weitere Verbreitung als die wissenschaftliche Sprachforschung fand die schöne Kunst der Kalligraphie, die sich, wie die arabische Kunst überhaupt, mehr dekorativ als konstruktiv, in edlen, feinen Formen entwickelte. In den Schriftzügen der arabischen Sprache zeigt sich uns noch die Subtilität des Geistes, der sie gebildet, zugleich aber auch ein Mangel an Energie, der sich in der ganzen Entwicklung arabischer Kultur bemerklich gemacht hat.

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