Divan der persischen Poesie
Divan der persischen Poesie

Blütenlese aus der persischen Poesie, mit einer litterarhistorischen Einleitung, biographischen Notizen und erläuternden Anmerkungen.

Herausgegeben von Julius Hart.

1887 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Divan der persischen Poesie

Dschami

Aus »Jussuf und Suleicha«.

Schmerz ab der Ferne

Dreimal erscheint ihr der Jüngling, Joseph, im Traume und in der dritten Nacht verkündet er der in allerhand Vermutungen sich Ergehenden, daß er Vezier im Ägypterlande sei. Suleïcha vergißt bei diesem Worte allen Gram; sie drängt den Vater, Boten nach Memphis zu senden, und um die Hand des ägyptischen Veziers anzuhalten, von dem sie glaubt, daß er der Geliebte sei. Aber der Traum hat sie getäuscht, indem er Zukünftiges schon als Gegenwärtiges ihr erzählte. Der greise ägyptische Vezier, Putiphar, ist hocherfreut über die ihm widerfahrende Ehre. Suleïcha zieht unter großem Gefolge nach Memphis, der zukünftige Gemahl kommt ihr entgegen. Als Suleïcha nun durch ein Loch in der Zeltwand hinausspäht, von Sehnsucht erfaßt, den Geliebten zu erblicken, und einen ganz Fremden, einen Greis sieht, fällt sie, jäh erschreckt, wie tot hin und bricht, wieder erwacht, in laute Klagen aus. Erst als eines Engels Stimme sie tröstet, daß das alles Gottes Bestimmung sei, und daß sie nur auf diesem Wege zur Vereinigung mit dem Geliebten kommen könne, faßt sie sich und wird mit Putiphar vereinigt. Wohl ist sie mit aller äußeren Pracht umgeben, aber ihr geheimer Schmerz wächst nur immer mehr:

Schmerz ab der Ferne

... Suleïcha fand an jenem sel'gen Ort,
Was immer nur zur Pracht gehört, bereit.
Als Sklave dient ihr selbst der Großvezier,
Nichts mangelt ihr von Gütern und von Gold;
Es laufen Zofen, rosenduft'gen Leibs,
Sie zu bedienen ohne Rast umher,
Und Sklavinnen – der Herzen Qual und Trost –
Steh'n immerdar auf ihren Wink bereit,
Samt Knaben, in ägypt'schen Stoff gehüllt,
Vom Haupt zum Fuße süß wie Zuckerrohr,
Und Mohren zart aus Ambrathon geformt,
Den Saum, gleich Engeln, von Begierden rein,
Bewohnern des Harems, die reinen Sinns
Und treu dem Dienste des Harems sich weihn.

Ägyptens Frauen kamen sämtlich nun
– Mit Reizen und mit Schönheit reich geziert,
Und ihr an Wuchs sowie an Jahren gleich –
Der Wonne ihres Umgangs sich zu freun.
Suleïcha weilt bei allen in dem Saal
Wo Freund und Fremder gleichen Rechts genießt,
Und spannt des Frohsinns bunten Teppich auf,
Das Herz voll Blut, die Lippe voll von Lust.
Sie schien mit jeder im Gespräche hier,
Doch anderswo lag ihres Herzens Pfand;
Zwar sprach der Mund mit den Versammelten,
Doch waren Herz und Seele stets beim Freund,
Beim Freund, mit dem in Wonne wie im Schmerz,
Sie nur allein ein festes Band geknüpft;
Es weilt ihr Bild bei jenen Menschen nur,
Denn, ach, ihr Sinn hegt andrer Sorgen Qual!
Dies war vom Morgen bis zur Nacht ihr Thun,
Dies ihr Benehmen mit den Freunden nun.

Kaum deckt der nächt'ge Flor der Sonne Licht,
So hüllt auch sie – ein Mond – sich in den Flor,
Und setzt des Freundes Traumbild insgeheim
Vor sich hoch auf den Pfühl der Anmut hin;
Drauf setzt sie selbst sich auf der Ehrfurcht Knie,
Klagt ihm den Gram, den er ihr angethan,
Stimmt nach Gestöhn die Harfe ihres Worts,
Fängt rasch des Wahnsinns Lied zu singen an,
Und spricht zum Bilde: »O mein Seelenwunsch!
Verwiesen hast du auf Ägypten mich:
Du nanntest dich Ägyptens Großvezier:
Es werde stete Ehre dir zuteil!
Denn deine Ehre ist mir Kronenzier,
Und Seligkeit ist's, deine Magd zu sein.
Verlassen bin ich in Ägypten heut,
Und ach, beraubt des glücklichen Vereins!
Wie lange noch, von diesem Mal gesengt,
Zünd' ich an ihm des Elends Fackel an?
Komm, sei der Lichtglanz meiner Herzensflur,
Ein heilend Pflaster für mein Herzensmal!
Von Liebe zog mich's zur Verzweiflung hin:
Da gab ein Engel plötzlich Hoffnung mir;
Mein Leben fristet jene Hoffnung nur,
Vom Saum mir schüttelnd der Verzweiflung Staub.
Dein Schönheitslicht, das mir ins Herz gestrahlt,
Verbürgt mir unsres Wiedersehens Glück.
Träuft gleich mein Auge von der Sehnsucht Blut,
So späht es allenthalben doch nach dir.
O sel'ge Zeit, in der du, Holder, einst –
Ein Mond – ins Zeichen meiner Augen trittst!
Vernichtet steh' ich da, erblick' ich dich,
Und rolle schnell des Daseins Teppich zu,
Verliere der Gedanken Fadenend,
Und fasse, selbstlos, kaum mein eignes Thun;
Du schaust mich nicht am eig'nen Platze mehr,
Und nimmst als Seele meinen Platz nun ein;
Den Wahn des eignen Ichs entfern' ich ganz,
Und finde dich, wo ich nur mich gesucht!
Ich sehn' in beiden Welten mich nach dir:
Fand ich dich, ach! was sprech' ich dann von mir?«
Zum Morgen schuf, so klagend, sie die Nacht,
Und bis zum Tag sprach ihre Lippe so,
Doch kaum begann der Morgenwind zu wehn,
Als sie ihr Wort nach andrer Weise stimmt.
Wie sprach sie wohl? Sie sprach: »Auf, Morgenwind!
Geuß Moschusduft in der Jasmine Schoß,
Durchwehe Lilien und Cypressenau'n,
Und reibe Sunbuln an der Rose Blatt!
Du regst die Blätter gleich dem Glockenspiel,
Und sieh, es tanzt der festgebannte Baum;
Du dienst als Bote treu den Liebenden,
Und wehest Ruh in der Verliebten Herz;
Du bringst von Holden einen Schmeichelbrief,
Und linderst stets der Schmerzerfüllten Schmerz.
Kein ird'sches Wesen grämt sich mehr als ich,
Ist harmerfüllter durch der Trennung Mal.
Mein Herz erkrankte – sei mein Herzenstrost,
Viel Qual schon litt ich – teile diese Qual!
Kein Plätzchen giebt es auf dem Erdenrund,
In das man je den Eintritt dir verwehrt:
Du dringst durch Thüren, selbst durch eiserne,
Du dringst durch Fenster, ist die Thür versperrt;
Erbarme meiner, der Verirrten dich,
Und o durchspähe jeden Ort für mich!
Flieh' nach der mächt'gen Fürsten Königstadt,
Auf des Monarchen Thron flieh' rasch von hier;
Frag' meinem Mond in allen Städten nach,
Auf jedem Thron such' meinen König mir;
Durchziehe jede bunte Frühlingsflur,
Und weile froh an jedes Stromes Strand:
Vielleicht erspähet der Cypresse Spur
Dein forschend Aug' an eines Baches Rand.
Nach Chotens Feldern lenke hold den Tritt,
Und lagre dich in Chinas Bilderhaus:
Du spähst vielleicht ein zart Gazellchen dort,
Und hier ein Bildnis, das ihm gleichet, aus.
Und kehrst du dann aus jenen Landen heim,
So denk' auf jedem Berg, an jedem Baum,
Wo sich ein Repphuhn schwanken Tritts dir naht,
O denke sein, und hasch' es flugs beim Saum!
Und stößt dir eine Karawane auf,
Geführt von einem Führer, sanft und mild,
So sieh ihn hold mit meinem Auge an,
Und lenke schnell den Zug in dies Gefild'.
Ich pflücke dann, kann ich den Holden schau'n,
Ein Röschen auf der Hoffnung Rosenau'n!«

Vom frühen Morgen, bis der Sonne Licht
Hineilte auf des Tages Tummelplatz,
Besprach sie, leiderfüllt und blut'gen Augs,
Sich stets so eifrig mit dem Morgenwind;
Und als die Sonn' des Tages Kreis erhellt,
Erhellt Suleïcha der Versammlung Kreis.
Vor ihr in Reihen stand der Zofen Schar,
Und sonnte sich an ihrer Schönheit Strahl:
Mit diesen Mädchen, rein an Herz und Brust,
Benahm sie heute so wie gestern sich.
So war des Tags ihr Zustand, so des Nachts,
So schwanden Monde, Jahre so dahin. –
Fühlt sie ihr Herz im Hause zu beengt,
So eilt sie flugs hin auf die Saatenflur:
Bald ächzt sie da aus brandmalvoller Brust,
Und wölbt zum Glutzelt, gleich der Tulpe sich,
Und spricht mit Tulpen von dem ros'gen Freund,
Und vom Geheimnis ihres Herzensmals;
Bald stürzt sie, gleich des Thales wildem Strom,
Mit nassem Auge an des Niles Strand,
Vertraut ihm den verborgnen Herzensgram,
Und menget Thränen in des Niles Flut.
So bringt sie kummervolle Tage zu,
Den Blick erwartend auf die Bahn gewandt:
Woher wohl komme der geliebte Freund,
Wo er als Mond, als Sonne wo erscheint? –

Der Dichter wendet sich alsdann der Geschichte Josephs zu, erzählt von seinem Traume, dem Neid und Verrat der Brüder, bis zum Verkaufe des Jünglings auf dem Sklavenmarkte. Gerade kommt Suleïcha vorüber, sieht das Gedränge des die Schönheit Josephs bewundernden Volkes und fragt nach der Ursache. Als man ihr Rede gestanden, schlägt sie der Sänfte Saum zurück,

Erblickt den Knaben und – erkennet ihn.
Ein unwillkürlich »Ach!« entfahrt der Brust,
Und bei dem »Ach« sinkt sie entselbstet hin.

Sie ersteht den Jüngling für einen ungeheuren Preis. Ihr Herz jauchzt nun hoch empor:

»O Herr! Ist's wachend oder träumend nur
Daß sich mein Herz des Herzgeliebten freut?
Wann hofft' ich wohl in schwarzer Nächte Grau'n
Auf dieses weißen Tages Seligkeit?
Des Sieges Frührot folgt nun meiner Nacht,
Und schmerzlos eilt so Nacht als Tag mir hin;
Nun jener Zarte mein Vertrauter ward,
Nun biet ich kühn dem list'gen Himmel Trotz.
Wer ist so froh in diesem Trauerhaus,
Wer blüht, wie ich, die Welke, neu empor?
Da ich ein wasserloses Fischchen schien,
Das dürstend hüpfte in des Sandes Glut,
Als der Erbarmungswolke Regenstrom
Vom Sande glücklich in das Meer mich trug;
Da ich in nächt'gem Dunkel mich verirrt,
Und auf der Lippe schon der Geist mir saß,
Als hell ein Mond am Horizont erschien,
Und mir den Weg zum Gau des Glückes wies;
Die ich schon auf des Todes Kissen lag,
Des Todes Fliete in der wunden Brust,
Als plötzlich Chiser an mein Pförtchen trat,
Und mich durch Lebensflut gerettet hat? –
Dem Himmel Dank, daß mich das Glück geschützt,
Daß mich die Zeit zu quälen aufgehört!« .......

Joseph wird natürlich nicht wie ein Sklave gehalten, sondern mehr wie der Herr des Hauses: auch Suleïchas Gatte ist sein aufrichtigster Bewunderer. Immer wilder flammt die Glut im Herzen der Verliebten auf. Aber Joseph bleibt keusch und weist alle versteckten und offenen Anträge zurück, wie sie ihm Suleïchas Amme überbringt. Klug weiß er immer neue Entschuldigungen vorzubringen. Suleïcha greift auf den Rat ihrer Amme zu allen Verführungskünsten. Sie besitzt einen herrlichen Garten, den der Dichter in allen poetischen Farben ausmalt:

Der silberbrüst'gen Mädchen hunderte,
Noch unberührt und von der reinsten Art,
Verpflanzt sie nun, Cypressenbäumen gleich,
Zur strengen Dienstpflicht hin an jenen Ort,
Dann spricht sie: »Du, dem ich mein Haupt geweiht!
Erlaubt sei dieser Götzen Liebe dir;
Bin ich auch, wie du wähnest, dir verwehrt,
– Ein Wahn, der mich mit Bitterkeit erfüllt –
So gieb doch jeder, die dir winkt, dich hin,
Genieße jeder, die dir Lust verheißt:
Genieße, denn die schöne Jugendzeit
Ist dem Genusse und der Lust geweiht!«

Und wiederholt trägt sie den Mädchen auf:
»Süßlippige, seid wohl auf eurer Hut;
Liegt Josephs Dienst mit ganzer Seele ob,
Und trinkt selbst Gift, reicht seine Hand euch's dar!
Wo's ihn nach Seelen lüstet, spielt sie aus,
Und seid selbst stolz auf dieses Seelenspiel.
Was er zu thun befiehlt, erfreue euch,
Und folgsam müßt ihr seinem Willen sein.
Doch sei von jener, die er glücklich macht,
Die schnelle Kunde mir vorerst gebracht!«

So malt die Schlaue, voll der Ungeduld,
Das Bild des Truges auf der Wünsche Brett,
Und will, statt jener aus der Zofen Schar,
Die er zur Zeit des Schlafes sich erwählt,
Sich heimlich schleichen in des Lagers Raum,
Die Frucht verkosten seiner Anmutsflur,
Sich lagern unter seinem Palmenbaum,
Und Datteln pflücken – doch verstohlen nur ...

   

Nachts, als im schwarzen, rosenduft'gen Haar
Der Himmel schön wie eine Braut erschien,
Mit dem Plejadenschmuck im zarten Ohr,
Und mit dem Mond, als Spiegel in der Hand,
Da reihn die Mädchen, in der Anmut Kleid,
Voll holder List, in schlauem Liebesspiel,
In schöner Ordnung sich um Josephs Thron,
Und blasen Anmutszauber auf ihn hin.
Der Ersten süßer Mund streut Zucker aus:
»Verzuckre deinen süßen Gaum durch mich!
Brich meines Zuckerballens Schloß entzwei,
Und käue Zucker, gleich dem Papagei!«
Die Zweite winkt ihm mit dem Augenlid:
»O Holder, den kein Ausdruck je beschrieb!
Mein weltenschauend Aug' besäß' dich gern:
Komm setz' dich in dies Aug' als Augenstern!«
Die Dritte zeigt ihm ihres Baumes Pracht:
»Laß meinen Baum heut Nacht im Arm dir ruhn!
Wie schliefst du in der Wiege sel'ger Lust,
Schlief nicht mein holder Baum an deiner Brust?
Die Vierte ringelt schlau ihr Moschushaar:
»Gleich Ringen bin ich ohne Haupt und Fuß,
Laß des Vereines Thor mich offen sehn,
Laß mich als Thorring vor dem Thor nicht steh'n!«
Die Fünfte hebt die zartgeformte Hand,
Und schlägt vom Arm den Ärmel hoch empor:
»Um dich vom Bosheitsauge zu befrein,
Will ich die Hand zum Amulet dir weihn!«
Die Sechste wählt ein Haar zum Gürtel sich,
Und schmückt ein Haar mit einem andren Haar:
»Um meine Lende gürte deine Hand:
Schon schwebt für dich mein Geist am Lippenrand!«

So jede jener Tulpenwangigen,
Von Joseph fordernd des Vereines Lust:
Doch ihn, der Schönheit frische Gartenflur,
Ihn kümmert jene Hand voll Strohes nicht.
Ja, jene Schar der schlauen Götzen blieb
Im Grunde doch nur Götzendienerin.
Drum kannte Joseph keinen andern Zweck,
Als sie zu leiten auf des Dienstes Bahn;
Denn, was er sprach, er sprach's vom Glauben nur,
Und vom Geheimnis, das die Zweifel löst.
Er sprach zuerst: »O schöne Mädchenschar,
Dem Auge teuer jedes Erdensohns!
Entflieht der Schmach, da ihr so teuer seid,
Und folgt des Glaubens weiser Satzung nur:
Denn außerhalb der Erde lebt ein Gott,
Der der Verirrten sichrer Führer ist;
Sein Gnadentau hat unsern Thon genäßt,
Worein er der Erkenntnis Korn gesät,
Damit der Zweig, der diesem Korn entsprießt,
Zum Baume reife auf der Erde Flur,
Und, hochaufstrebend aus dem niedren Grund,
Nur Früchte trage wahrer Gottesfurcht.
Anbetung ziemt dem Einen Gotte nur,
Denn er allein ist der Anbetung wert.
Kommt, laßt uns ihm, anbetend, huldigen,
Denn niedrig sind wir üb'rall ohne ihn.
Nur jenem neige huld'gend sich dein Haupt,
Der dir das Haupt zur Huld'gung hat verliehn.
Neigt sich das Haupt des Klugen wohl vor dem,
Des Haupt und Fuß auf gleicher Stufe stehn?
Schnitzt seine Hand sich wohl ein Steinbild aus,
Um liebend ihm das wunde Herz zu weihn?
Nur zu bekannt ist, was ein Stein vermag:
Sein frevler Dienst bringt Schande nur und Schmach.«
Als Joseph so vom Nachtbeginn bis früh
Die Unbedachten Achtsamkeit gelehrt,
Erschließt, ihn preisend jede Lippe sich,
Und ihm zu Füßen neigt sich jedes Haupt.
Da prägt er jeder das Bekenntnis ein,
Und aller Mund wird wie von Honig süß.

Aber auch dieser Fehlschlag schreckt Suleïchen nicht ab; auf den Rat ihrer in allen Liebes- und Verführungskünsten erfahrenen Amme läßt sie einen herrlichen Palast mit vielen Sälen bauen; ein chinesischer Meister bedeckt die Wände, Fußböden und Decken eines jeden Zimmers mit üppigen Gemälden, die nur Suleïcha und Jussuf darstellen in allerhand verliebten Lagen, damit der Anblick derselben den Jüngling hinreiße und verführe. Aufs herrlichste geschmückt, geleitet Suleïcha alsdann den Geliebten hinein; aber auch jetzt widersteht dieser. Und so kommen beide zum siebenten Sal.

Als sie der Häuser siebentem sich nahn,
Da stöhnt Suleïcha aus beklemmter Brust:
»Mein Aug', o Joseph, soll dein Schemel sein;
Tritt aus Erbarmen in dies Harem ein!«

Da setzt sie in dies Harem ihn, und schließt's
Mit goldner Kett' und einem Eisenschloß.
Ein Harem fand er, ganz von Fremden leer,
Und rings vom Auge scheeler Neider fern;
Kein Unbekannter ging hier ab und zu,
Denn Einlaß hofften selbst Bekannte nie;
Nur der Geliebte mit der Liebenden,
Doch keine Furcht vor Störern weilte hier.
Des Lieblings Wange schmückt ein holder Trotz,
Und Liebessang tönt aus der Freundin Herz;
Ein weiter Spielraum öffnet sich der Lust
Und heißer glüht die Flamme in der Brust.

Suleïcha, trunknen Augs und Herzens, legt
Nun ihre Hand in des Geliebten Hand,
Und führt durch süßer Worte Schmeichelton
Ihn, schwanken Tritts, bis zu des Thrones Fuß;
Dann wirft sie auf des Thrones Höhe sich,
Und weint und spricht zu jenem schlanken Baum:
»O Rosenwange, sieh mir ins Gesicht,
Sieh mit der holden Gnade Aug' mich an!
So oft die hehre Sonne mich erblickt,
Pflückt sie als Mond die Ähren meiner Frucht;
Wie lang noch wirst du meiner Qual dich freun,
Und mich mit Mitleid anzusehn dich scheun'?«
So mehrt sie selber ihres Herzens Pein,
So giebt sie Joseph ihre Sehnsucht kund;
Doch Joseph hält den Blick in sich gekehrt,
Und senkt das Haupt aus Furcht vor ihrer List;
Und wie er's züchtig auf den Boden senkt,
Da zeigt sich ihm sein und Suleïchens Bild;
Ein Bett von Goldstoff und von Seidenzeug,
Wo sie sich enge, Brust an Brust, umfahn.
Schnell wendet er von jenem Bild sich ab,
Und wählt zum Schauplatz einen andern Ort:
Doch sieht er auf dem Thor wie an der Wand
Nur jener Rosenwangen holdes Paar;
Drum blickt er zu des Himmels Herrn empor,
Allein die Decke zeigt ein Gleiches ihm.
Da zieht's ihn liebend zu Suleïchen hin
Und er erschließt Suleïchen seinen Blick.
Jetzt hofft Suleïchens Herz mit frischem Mut
Auf einen Strahl von jenem Sonnenlicht
Und seufzend spricht sie mit verhalt'ner Wut,
Indes ihr Blut aus Herz und Auge bricht:
»Selbsücht'ger, stille meiner Sehnsucht Pein,
Und heile liebend meiner Seele Qual!
Ich dürste – und du bist des Lebens Born,
Ich sterbe – und du bist der ew'ge Geist:
So fern bin ich von dir, verborgner Schatz,
Als Durst vom Wasser und vom Leben Tod!
Durch Jahre schon glüh' ich im Liebesmal,
Und Schlaf und Nahrung raubt die Sehnsucht mir:
Laß mich fortan in dieser Glut nicht glühn,
Laß mich nicht schlaf- und nahrungslos verblühn! –
Beim Rechte jenes Herrn beschwör' ich dich,
Der über alle Herren Herrschaft übt;
Bei jener Schönheit, die die Welt besiegt,
Bei jenem Reiz, der dir die Wange ziert,
Bei jenem Licht, das deiner Stirn entstrahlt,
Und dem sich selbst der hellste Vollmond neigt;
Bei deinen bogengleichen Augenbrau'n,
Bei deinem Baume, der so reizend wallt:
Bei deiner Bogenbrauen Betaltar,
Beim zarten Schlingenhäkchen deines Haars;
Bei der Narzisse, die die Menschen trügt,
Bei der Cypresse, die in Goldstoff prunkt;
Bei dem Geheimnis, das du Mund genannt,
Beim feinen Haare, das dir Lende heißt;
Bei deiner Rosenwange Moschuspunkt,
Beim süßen Lächeln deines Knospenkelchs;
Beim Augenwasser, das mein Schmerz vergießt,
Beim Rauch, der meiner Trennungsglut entqualmt,
Bei der Entbehrung, die als Berg mich drückt,
Und mich mit tausendfält'gem Leid umschließt;
Bei deiner Liebe Herrschaft über mich,
Bei meines Seins und Nichtseins g'ringem Wert;
Erbarme mein, der Herzberaubten, dich,
Den Knoten lösend, der mein Thun beschwert. –
Ein Leben ist's, seit mich dein Mal durchglüht,
Seit mich's nach deiner Fluren Duft verlangt:
Drum sei mein Pflaster durch ein Weilchen nur,
Und hauche Duft in meines Herzens Au!
Es schwächt wie Hunger deine Trennung mich:
Gieb Seelenbrot mir am Verein'gungstisch;
Du Palme bringst die Datteln, ich die Milch:
Drum weigre dich den Tisch zu decken nicht;
Gieb mir aus Milch und Datteln Seelenbrot
Und rette mich von diesem Hungertod!«

Zur Antwort giebt ihr Joseph: »Periskind,
Bei dem man wohl die Peris selbst vergißt,
Nicht treibe heute in die Enge mich,
Noch breche frevelnd meiner Unschuld Glas;
Beflecke mich nicht mit der Sünde Schmach,
Verbrenne mich nicht in der Wollust Glut!
Bei Gott, dem Urbild jeder Eigenschaft
Und jedes Innern, jedes Äußern Bild;
Aus dessen Meer die Welt, ein Bläschen schäumt;
Aus dessen Licht die Sonn', ein Funke sprüht;
Bei jenen Reinen, denen ich entsproß,
Und die auch mich bis jetzt so rein bewahrt;
Durch die die Gemme meines Wesens glänzt,
Durch die das Sternbild meines Wesens strahlt!
Wenn du mir heute meinen Wunsch gewährst,
Und mich aus dieser grausen Enge führst,
So füg' auch ich bald deinem Wunsche mich,
Und lohne dich mit tausendfält'gem Lohn:
Dann winkt dir mein belebender Rubin,
Dann ruhst du sanft an meinem holden Wuchs;
Drum eile nicht nach deines Wunsches Ziel,
Denn Weile ist der Eile vorzuziehn;
Fängt spät ein gutes Wild sich in dem Wald,
Ist's besser, als ein schlechtes fängt sich bald.«

Suleïcha spricht: »Vom Durst'gen fordre nicht,
Daß er den Trunk auf morgen sich verspart;
Der Geist schwebt sehnend auf dem Mund mir heut,
Ich kann mich länger nicht gedulden mehr:
Wo nähm' ich wohl den nöt'gen Starkmut her,
Mich zu vertrösten bis auf andre Zeit?
Auch weiß ich nicht, was du so sehr kannst scheu'n,
Daß du mit mir kein Weilchen dich willst freun?«

Er spricht: »Zwei Dinge scheu' ich sonderlich:
Des Ew'gen Straf' und des Vezieres Zorn;
Wenn der Vezier den krummen Sinn erführ',
So träf' mich hundertfält'ge Qual und Schmach,
Und mit entblößtem Schwerte, wie du weißt,
Zög' er des Lebens buntes Kleid mir aus.
Der schönen Schande, die am jüngsten Tag
Der Ehebrecher frevle Thaten lohnt!
Geschrieben steht so schnöder Sünder Fluch:
Als Titel prangt' ich dann in ihrem Buch!«

Suleïcha spricht: »Vergesse jenen Feind!
An einem Wonnetage weih' ich ihm
Ein Glas, das seiner Seele Kraft bekämpft,
Und ihn berauscht hält bis zum jüngsten Tag.
Du sagtest: ›Gnädig ist der Herr, mein Gott,
Und stets barmherzig gegen Sündige.‹
Wohl hundert Schätze Golds und prächt'gen Schmucks
Verberg' ich noch in diesem stillen Haus:
Ich will sie sämtlich deiner Sünde weihn,
Vielleicht wird dann dir Gottes Huld verzeihn.«

Er spricht: »Nicht jener bin ich, der sich freut,
Wenn andre Kränkung oder Unbill trifft:
Zuvörderst den Vezier, der hulderfüllt,
Sogar dich selbst zur Sklavin mir bestellt.
Mein Gott, dem ich zu danken nicht vermag,
Wird er wohl durch Bestechungen verzeihn?«

Suleïcha spricht: »O glücklicher Monarch,
Stets werde Thron und Krone dir zuteil!
Es ward mein Herz zum Ziel des Leidenpfeils,
Weil du mir Vorwand stets auf Vorwand häufst.
Ein Vorwand ist ein krummer Weg, ein Trug,
Ein Vorwand ist der Pfad des Gradsinns nicht.
Gott wahre stets vor krummen Wegen mich:
Nie hör' ich wieder diesen Trug von dir!
Ich bin bewegt; – gieb meine Ruhe mir,
Wo nicht, so füge meinem Wunsche dich! –
In Worten schwanden meine Tage hin,
Und meinen Willen hast du nie erfüllt;
Schweig' endlich doch von diesen Märchen still,
Und komm, denn Unglück weilet beim Verzug!
Es fiel ein Feuer auf mein trocknes Rohr
Und du, du freust dich dieses Feuers noch!
Was frommt dir wohl des lohen Feuers Rauch,
Lockt er nicht Thränen in dein Auge auch?
Wie Brodem leid' ich in des Feuers Gischt:
Dein Wasser nur ist's, das mein Feuer lischt.«

Als hier Suleïcha ihre Rede schließt,
Stimmt Josephs Lippe neue Ausflucht an.
Suleïcha spricht: »Hebräisch Redender,
Des Wort die Zeit als Beute mir geraubt!
Leg' nicht die Hand des Hinderns auf mein Thun,
Sonst töt' ich mich durch deine eigne Hand;
Laß deine Hand jetzt meinen Hals umfahn;
Sonst schneid' ich ihn mit scharfem Schwert mir ab;
Schlingst du nicht gleich die Hand mir um den Hals,
So wird mein Blut dein grauser Halsschmuck sein,
Und Lilien gleich zieh ich das Schwert auf mich,
Und Rosen gleich tauch' ich mein Hemd in Blut:
Denn drück' ich mir des Todes Brandmal auf,
So rett' ich mich von deiner Schlüsse Trug.
Wenn der Vezier mich tot vor dir erblickt,
Lenkt er des Tötens Zügel auf zu dir
Und nach dem Tod, wenn uns kein Wahn mehr quält,
Wird diese durst'ge Seele dir vermählt!«

Sie spricht's und zieht nun hinterm Pfühl
Ein Schwert hervor, grün wie ein Weidenblatt –
Ein Herz im Feuer wilder Grameswut
Löscht nur durch blut'ge Tropfen seine Glut.

Doch Joseph sieht's, springt rasch vom Sitz empor,
Umfängt gleich einem Armband ihre Hand,
Und spricht: »Suleïcha mäß'ge deine Wut,
Suleïcha kehre um auf dieser Bahn,
Sonst wirst du nie des Zieles Wange sehn,
Wirst nie durch mich des Herzens Wunsch erflehn!«

Als jetzt Suleïcha, jener Anmutsmond,
Dies holde Mitgefühl bei Joseph sieht,
Wähnt sie, er füge ihrem Wunsche sich,
Und wolle Ruh' ihr durch Genuß verleihn.
Drum schleudert sie das Schwert aus ihrer Hand
Legt, Friede bietend, einen andern Grund,
Versüßt die Lipp' ihm durch den eignen Mund,
Und macht den Arm zu seines Halses Band. –
Es wird ihr Geist zu seiner Wünsche Ziel,
Zur Muschel seiner Sehnsucht wird ihr Leib;
Doch Joseph hemmt der Wünsche raschen Flug,
Und achtet ihrer hehren Tugend Glanz.
Wenngleich gefährlich ihm ihr Liebreiz droht,
Wahrt er doch treu der Reinigkeit Gebot.

Stets glüht Suleïcha nach Erwiderung,
Und Joseph bringt stets Aufschubsgründe vor;
Doch legt er schon die Hand ans eigne Kleid,
Treibt mit den Knöpfen manch bedenklich Spiel
Als in des Hauses Ecke jetzt sein Blick
Auf einen golddurchwehten Vorhang fällt.
Da frägt er sie: »Was soll der Vorhang hier,
Und wer ist's wohl, den dieser Vorhang birgt?«
Sie spricht: »Derjen'ge, dem ich immerdar
Als eine Magd anbetend huldigte;
Ein Götze, goldnen Leibs und Gemmenaugs,
Des heil'gen Innre reinen Moschus wahrt.
Zu jeder Stunde sink ich vor ihm hin,
Und neige ihm der schuld'gen Ehrfurcht Haupt;
Ich barg ihn hinter diesen Vorhang hier,
Weil ich vor seinem Blicke mich gescheut;
Nicht sehen soll er meine sünd'ge Art,
Nicht so mich sehn in deiner Gegenwart.«
Mit lauter Stimme ruft jetzt Joseph: »Ach,
Kein Dank ward von des Denars Barschaft mir!
Es schämt dein Auge vor dem Toten sich,
Und Lebenloses achtet dein Gemüt:
Soll ich den Sehenden, den Einigen,
Den Dauernden, den Mächtigen nicht scheun?«
Spricht's und ermannt sich bei der schnöden That,
Und springt erwacht aus jenem Traum empor,
Und bricht den Bund des Lamelif entzwei,
Und ringt sich schnell aus ihren Armen frei.

Und wie er so mit raschem Schritt enteilt,
Schließt jedes Thor zur Flucht ihm auf,
An jedem Thor, das er geöffnet wünscht,
Fliegt hier das Thor und dort der Riegel hin;
Das bloße Deuten seines Fingers scheint
Ein Schlüssel zur Eröffnung jeder Faust.
SuleiÏcha sieht's, springt schamentblößt herbei,
Erreichet in dem letzten Saale ihn,
Faßt seinen Saum, um ihn zurückzuziehn,
Und reißt von rückwärts ihm das Hemd entzwei.
Doch ihrer Hand entwischt er kummerbleich
Zerriss'nen Hemdes, einer Knospe gleich.

SuleiÏcha reißt nun auch am eignen Kleid,
Und sinkt, ein Schatten, auf die Erde hin,
Wild tobt und stürmt ihr unbefriedigt Herz,
Drum klagt sie, unbefriedigt, also nun:
»Weh über mein unseliges Geschick,
Nun jener Zarte mir den Hausrat stahl,
Weh jenem Wild, das meinem Netz entläuft,
Weh jener Milch, die meinem Gaum entträuft! –
Auf Reisen weit zog eine Spinne einst,
Um sich mit Lebensmitteln zu versehn.
Da sieht sie plötzlich einen Falken ruhn,
Der kühn aus Königshänden war entflohn;
Voll List fängt sie ihn zu umspinnen an,
Denn lähmen will sie seines Fittichs Kraft:
Sie müht sich lang in diesem schlauen Krieg,
Und wendet allen ihren Speichel dran;
Doch als der Falke seine Flügel hebt,
Da lag zerstückt, was sie mit Müh gewebt. –
Und jene schwache Spinne bin ich selbst,
Entfernt von meiner teuren Wünsche Ziel;
Gleich ihren Fäden ist mein Herz zerstückt,
Gleich ihr entfloh der Hoffnung Falke mir!
Es gleicht mein Thun zerstückter Fäden Band:
Zerstückte Fäden nur hält meine Hand!«

Wie in der Bibel verklagt Suleicha den Jussuf alsdann des niedrigen Angriffes ans sie; aber ein Säugling zeugt für seine Unschuld und Jussuf wird wieder freigelassen. Dennoch gelingt es ihr, den schwachen Gatten zu überreden, daß dieser den Jüngling dauernd gefangen setzt, damit so aufs beste das Gerede der Leute widerlegt würde, welche sie mit Schmähungen überhäufen. Sie hofft durch die Haft den Sinn Jussufs zu beugen, ihre Liebe ist unverändert. Stets sind ihre Gedanken bei dem Gefangenen, am liebsten ist ihr der Aufenthalt in der Nähe des Kerkers, auf ihm ruhen stets ihre Augen:

Ein Altan stand auf ihres Köschkes Dach,
Von dem sich ihr das Dach des Kerkers wies.
Ganz einsam setzt sie auf den Altan sich,
Verschließt die Thür mit emsigem Bemühn,
Durchstößt Rubine mit der Wimpern Dolch,
Blickt nach des Kerkers Gegend hin und spricht:
»Wer bin ich wohl um sein Gesicht zu schau'n?
Mir g'nügt's, sein Dach vom eignen Dach zu sehn,
Bin ich doch nimmer seines Anblicks wert,
Ich, die der Wände Anblick schon vergnügt!
Denn jedes Häuschen, das mein Mond bezieht,
Umschafft er in ein hohes Paradies,
Des Dach enthält des Glückes Kapital,
Denn es beschattet so ein Sonnenlicht;
Die Wand zerbricht im Gram den Rücken mir,
Denn an ihr lehnt der Rücken jenes Monds!
Stolz tritt das Glück zu jener Thür herein,
Durch die mein Freund gebeugten Hauptes zieht;
Wie hochbeseligt ist die Schwelle nicht,
Die jenes Herzensräubers Füße küßt!
O Wonne, wenn mich seiner Liebe Schwert
Zu Teilchen schnitte, klein wie Sonnenstaub;
Wenn ich dann häuptlings, durch des Fensters Raum,
Hinfiele vor sein strahlend Sonnenlicht!
Mit tausend Neid erfüllt die Liebe mich,
Auf der, voll Anmut, jener Zarte wallt:
Denn es durchwürzt sie seines Saumes Staub,
Und seines duft'gen Ambrazweiges Laub.«

Mit einem Wort, dies war bis nachts ihr Thun,
Dies ihr Benehmen, dies ihr Selbstgespräch.
Es trat dabei der Geist ihr auf den Mund,
Es schwand so traurend ihr der Tag zur Nacht
Und als die Nacht erschien, da sann sie schlau
Zu thun, was sie die vor'ge Nacht gethan.
Auf diese Weise schwanden Tag und Nacht,
So lang ihr Herzenslicht im Kerker blieb.
Nachts tröstet ein Besuch im Kerker sie,
Tags schaut sie sehnend vom Altane hin;
Nie unterläßt sie dies zu thun und blickt
Die Wände bald und bald sein Antlitz an.
Denn Joseph sitzt so fest ihr im Gemüt,
Daß sie der Seele und der Welt vergißt.
Sich selbst verlierend, weil sie ihn nur sucht,
Verfällt sie in die tiefste Schwermut nun:
Selbst wenn der Schwarm der Zofen laut sie ruft,
Kehrt sie nicht wieder zu sich selbst zurück,
Und häufig sagt sie zu der Mädchen Schar:
»Nie nehm ich wieder auf mich selbst Bedacht!
Heischt von mir nicht Bedacht auf euer Wort,
Und rüttelt mich nur stets, bevor ihr sprecht;
Denn nur ein Rütteln bringt mich zu mir selbst
Und öffnet mir das Pförtchen des Gehörs,
Es lebt mein Herz beim Freund im Kerker nur,
Und dies allein ist meines Blödsinns Grund.
Wer jenen Mond wahrt in des Herzens Nacht,
Nimmt der auf andre Dinge wohl Bedacht?«

Da stößt ihr plötzlich eine Krankheit zu
Und sie benötigt der Lanzette Schlag;
Und sieh, den Boden färbt ihr reines Blut,
Und bildet – Josephs teuren Namenszug;
Der Wundarzt formt mit der Lanzette Rohr
Nur diesen Schriftzug auf der Erde Brett:
Ihr war die Ader so vom Freunde voll,
Daß nur der Freund ihr aus der Ader quoll.

Es folgt nunmehr die Geschichte vom Traume Pharaos und Josephs Erhöhung. Suleichas Gatte stirbt und sie zieht sich ganz in die Einsamkeit zurück, wo sie viele Jahre zubringt und ein altes Mütterchen wird.

So einsam bringt sie Monde, Jahre zu,
Schmucklosen Fußes, kronenleeren Haupts;
Die Schulter leer vom reichen Atlaskleid,
Die Ohren ledig von der Gemme Korn,
Den Hals entblößt vom funkelnden Geschmeid,
Die Wange frei vom golddurchwebten Flor.
Auf einem Erdenteppich ruht ihr Leib,
Ihr Antlitz ruht auf einem Ziegelpfühl.
Mit Joseph zöge sie ein Bett von Staub
Der Seidenwiege einer Huri vor,
Und sein gedenkend, scheint ein Ziegel ihr
Ein Himmelspolster reich an Gemmenzier.

Hart am Wege Josephs, den dieser vorüberkommt, baut sie sich ein Hüttchen aus Rohr; aber sie wird von den Knaben wegen ihrer Liebe verspottet; es gelingt ihr nicht, Josephs Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bis sie ihr steinernes Götzenbild zertrümmert. Da endlich werden beide vereinigt und Joseph verleiht durch die Macht seines Gebetes der Geliebten wieder ihre volle Jugendschönheit.

Nach vierzig Jahren wird sie achtzehn alt.

Mit fürstlicher Pracht wird die Hochzeit gefeiert und

Weil ihre Treue keine Grenzen kennt,
So fühlt zuletzt auch Joseph sich bewegt;
Ja Josephs Herz wird so von Liebe warm,
Daß er sich dieser Herzenswärme schämt;
Er wallt so treu auf ihres Herzens Bahn,
Daß er kein Stündchen ohne sie mehr ruht;
Stets späht er sorgsam seinen Wünschen nach,
Preßt seine Lippe stets an ihren Mund .....

Lang währt der Bund der beiden Glücklichen, Kinder und Enkel vermehren die Freude, bis Joseph, infolge eines Traumes, den Tod von Gott erfleht und stirbt. Suleicha erhebt über ihn die Totenklage:

»Ach, wo ist Joseph, wo sein hoher Thron,
Und wo sein Mitleid mit der Dürft'gen Not?
Als er von hier auf einem schmalen Pferd,
Hinüber ritt in jenes ew'ge Land,
Da küßt' ich, ach, weil er so schnell entwich,
Den Bügel gleich, den zarten Fuß ihm nicht.
Als er aus diesem Leidenköschk entfloh,
Da war ich, ach, nicht Zeugin seiner Flucht;
Ich sah sein Haupt nicht auf dem Pfühle ruhn,
Und küßte seinen Rosenschweiß nicht auf!
Als jene Wunde in den Leib ihm drang,
Gab ich ihm, ach, die Brust zur Lehne nicht!
Als er vom Thron zum Brette sich gewandt,
Und jenes Brett zum Thron des Glücks umschuf,
Da borgt' ich, ach, kein Rosennaß vom Aug',
Und wusch ihn nicht mit duft'gem Rosentau.
Als man das Grabtuch um den Leib ihm warf,
Und ihn bestattend auf und nieder hob,
Da nützt' ich, ach, die Kunst des Nähens nicht,
Um meinen dünnen Leib mit einzunäh'n!
Als man aus Gram im Herzen Dorne brach,
Und seine Sänft' aus diesem Posthaus trug,
Da macht' ich, ach, den klagerfüllten Mund
Zur Glocke nicht, die sie geleitete!
Als man ein Bett ihm in die Erde grub,
Und ihn als reine Gemme drin verbarg,
Da fegt' ich, ach, das Lager ihm nicht rein,
Und schlief, nach Wunsch, in seinem Arm nicht ein! –
Weh über diesen gräßlichen Verlust!
Weh über dieses grause Herzensleid!« ....

Auch sie erbittet sich den Tod. Auf seinem Grabe bricht sie noch einmal in Wehrufe aus:

»Weh mir, weh!
Du steckst als Rosenwurzel tief im Thon,
Doch oberm Thon blüh' ich, als Rosenzweig;
Du wohnst als Schatz tief in der Erde Schoß:
Als Wolke netz' ich ihre Fläche nur;
Du drangst wie Wasser in der Erde Grund:
Wie Dorne rag' ich über sie hervor!
Dein Bild wälzt Blut auf meiner Erde Staub,
Und deiner Trennung Glut sengt meine Spreu;
Du hast die Streu des Körpers mir entflammt,
Drum qualmt mein Rauch zum Himmel hoch empor,
Und wer sein Auge meinem Rauch erschließt,
Dem quillt stets Wasser aus dem Aug' hervor.«

So klagt sie jetzt, und reibt die wunde Brust
In hundertfält'ger Sehnsucht stets am Staub.
Doch als ihr Schmerz die Grenzen überschritt,
Beugt sie ihr Haupt, als wär's zum Erdenkuß,
Wühlt sich mit eigner Hand die Augen aus,
Reißt ein Narzissenpaar aus seinem Beet,
Und sät es aus des Hauptes Schal' aufs Grab,
Weil ja Narzissen nur die Erde taugt;

»Schaut, ach, das Aug' dein Rosenantlitz nicht,
So leistet's auf dies Lusthaus gern Verzicht!«

Es ist die Sitte armer Trauernder,
Den Sarg mit schwarzen Mandeln zu bestreun:
Nun sie von seinem Sarge sich getrennt,
Wirft sie zwei schwarze Mandeln auf sein Grab;
Ihr Antlitz schwimmt in einem blut'gen Meer;
Sie küßt den Erdenstaub und – ist nicht mehr!

V. v. Rosenzweig.

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