Divan der persischen Poesie
Divan der persischen Poesie

Blütenlese aus der persischen Poesie, mit einer litterarhistorischen Einleitung, biographischen Notizen und erläuternden Anmerkungen.

Herausgegeben von Julius Hart.

1887 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Divan der persischen Poesie

Ibn Jemin

Herr Jesus

Herr Jesus, Frieden ihm und Preis!
Rief einst zu Gott mit heißem Flehen:
»Die Welt erstand auf dein Geheiß,
Laß, wie sie ist, die Welt mich sehen!«

Er rief's und wallte betend fort
Den Pfad, der in die Wüste leitet,
Wo er verhüllt an ödem Ort
Ein Weib erblickt, das einsam schreitet.

»Wer bist du – ruft es Jesus an –
Und was beginnst du hier? laß hören!«
Das Weib: »Ich höre dein, o Mann,
Nach der so brünstig dein Begehren.«

»Nie hab' ich Weibern nachgestellt!«
Spricht Jesus mit bewußter Würde.
»Und doch ist's so; ich bin die Welt,
Wie du bist des Jahrhunderts Zierde!«

»Die Welt? nun dann entschleire dich
Und deine Reize laß mich schauen!«
Der Herr gebot, der Schleier wich
Und vor ihm stand – o Schreck und Grauen –

Ein Scheusal: hager, gelb und alt,
Das bunte Schminken überdecken,
Die eine Hand von Duft umwallt,
Die andre rot von Blutes Flecken!

Herr Jesus trat zurück und frug,
Was Blut und Duft der Hand bedeute?
Sie sprach: »Mit einer Hand erschlug
Ich einen meiner Freier heute;

Doch während eine einen schlägt,
Lockt Duft der andren andre Freier:
Und doch – man staunt, wenn man's erwägt –
Zerriß noch nie mein Jungfernschleier!«

»Wie – ruft der Herr, den Zorn erfaßt –
Du feile häßliche Megäre,
Die täglich hundert Männer hast,
Wie kannst du Jungfer sein? erkläre!«

Da lachte auf das Weib der Welt:
»Von allen, die mich hoch gepriesen,
Von allen, die mir nachgestellt,
Hat keiner sich als Mann erwiesen;

Und wer ein Mann in Wirklichkeit,
Begehrte nimmer mich zu lieben!
So bin, seit ewig neu gefreit,
Seit ewig Jungfrau ich geblieben.«

Schlechta Wssehrd. (Franz Xaver Schlechta von Wschehrd)

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