Achtes Kapitel - Innerer Zustand des morgenländischen
Reiches
(Anmerkung der
Enzyklopädie des Islam: Die hier erfolgenden Schilderungen
sind in keinster weise authentisch und können daher nicht als
Quelle für die Geschichte des Islam angesehen werden. Die
Wiedergabe dient nur dazu, um darzulegen, wie in der
Westlichen Welt auf den
Islam geblickt worden ist.)
Zustand des morgenländischen Reiches im zehnten
Jahrhundert. – Ausdehnung und Einteilung. – Reichtum und
Finanzen. – Der Palast von Konstantinopel. – Titel und Ämter.
– Stolz und Macht der Kaiser. – Taktik der Griechen, Araber
und Franken. – Aufhören der lateinischen Sprache. – Studien
und Isolierung der Griechen
Ein Schein historischen Lichtes scheint sich aus dem
dunklen zehnten Jahrhundert zu erheben. Wir öffnen mit
Neugierde und Ehrfurcht die kaiserlichen Schriften des
Konstantin Porphyrogenitus, die er in reifem Alter zur
Belehrung seines Sohnes verfaßte und in denen er verspricht,
das morgenländische Reich im Frieden und Kriege, im Innern und
Äußern zu beschreiben. Im ersten dieser Werke gibt er eine
umständliche Beschreibung der üblichen Zeremonien in Kirche
und Palast. Im zweiten versucht er eine genaue Schilderung der
Provinzen oder Themen, wie sie genannt wurden, sowohl von
Europa als auch von Asien. Das System der römischen Taktik,
die Heereszucht und Ordnung der Truppen und ihre kriegerischen
Bewegungen zu Lande und zu Wasser sind in der dritten dieser
didaktischen Sammlungen erläutert, die Konstantin oder seinem
Vater Leo zugeschrieben werden können. In dem vierten Werke,
von der Verwaltung des Reiches, enthüllt er die Geheimnisse
der byzantinischen Politik, den freundlichen und feindlichen
Verkehr mit den Nationen der Erde. Die literarischen
Bestrebungen des Zeitalters, die Rechtssysteme, der Ackerbau
und die Geschichtsforschung kamen den Untertanen und den
makedonischen Fürsten zugute. Die sechzig Bücher der
Basiliken, der Kodex und die Pandekten der Ziviljurisprudenz
wurden nach und nach unter den drei ersten Regierungen dieser
Dynastie verfaßt. In die Kunst des Ackerbaues hatten sich die
besten und weisesten der Alten vertieft und über sie
geschrieben. Die diesbezüglichen Vorschriften sind in den
zwanzig Büchern der Geoponiken Konstantins zusammengefaßt. Auf
seinen Befehl wurden die historischen Beispiele für Laster und
Tugend in dreiundfünfzig Büchern methodisch geordnet
angeführt, und jeder Bürger konnte sich die Erfahrungen der
vergangenen Geschlechter zunutze machen. Der Souverän des
Ostens, zuerst erhabener Gesetzgeber, war ebenso der demütige
Lehrer seiner Untertanen, wie bescheidener Schriftsteller, und
wenn seine Nachfolger und Untertanen sich um seine väterliche
Fürsorge nicht kümmerten, können wir doch das ewige
Vermächtnis genießen.
Bei näherer Prüfung vermindert sich aber der Wert des
Geschenkes und die Dankbarkeit der Nachwelt. Im Besitze dieser
kaiserlichen Schätze müssen wir fortwährend unsere Armut und
Unwissenheit beklagen, und der schwindende Ruhm ihrer
Verfasser wird aus Gleichgültigkeit oder Verachtung gänzlich
erblassen. Die Basiliken werden zu einer unvollständigen
Abschrift, zu einer parteiischen und verstümmelten Übersetzung
der Gesetze Justinians in das Griechische. Die vernünftigen
Gesetze der alten Zivilrechtsgelehrten werden aus Dummheit und
Frömmigkeit verstümmelt und ein unbedingtes Verbot der
Ehetrennung, des Konkubinates und der Geldverzinsung erlassen
und so die Freiheit und das Glück des Privatlebens
unterbunden, In dem historischen Werke hätte ein Untertan
Konstantins die unnachahmlichen Tugenden der Griechen und
Römer bewundern können, hätte lernen können, wie hoch der
menschliche Geist einst strebte. Dem Kanzler oder
Großlogotheten wurde aufgetragen, eine Schrift über das Leben
der Heiligen herauszugeben, und der Aberglaube erhielt durch
die fabelhaften und blumenreichen Legenden des Simon
Metaphrastes neue Nahrung. In den Augen des Weisen sind die
Arbeiten des Landwirtes, der die Gaben des Schöpfers
vervielfältigt und für die Nahrung seiner Brüder sorgt,
wichtiger als astronomische Studien. Die kaiserlichen
Verfasser der Geoponiken waren jedoch ernstlicher mit der
Vernichtungskunst beschäftigt, die seit Xenophons Tagen als
die Kunst der Helden und Könige gelehrt worden ist, als mit
etwas anderem. Die Taktik Leos und Konstantins ist mit unedlen
Zutaten ihres Zeitalters vermengt. Es mangelt dem Werke an
schöpferischem Geiste, sie halten unbedingt an den Maximen
fest, die durch Siege bestätigt worden sind. Weder der Stil
noch die Methode ist richtig; sie verwechseln zeitlich und
räumlich unvereinbare Dinge, die spartanische und makedonische
Phalanx, die Legionen des Cato und Trajan, des Augustus und
Theodosius. Selbst die Nützlichkeit und Wichtigkeit dieser
militärischen Grundbegriffe kann in Zweifel gezogen werden:
die allgemeine Theorie wird jedoch von der Vernunft
eingegeben, aber die Schwierigkeiten und der Verdienst
bestehen in der Ausführung. Ein Soldat wird mehr durch Übung
als Studium ausgebildet, und ein Feldherr muß von Natur aus
zur Ruhe und zum schnellen Entschluß Veranlagung haben, um das
Schicksal von Heeren und Völkern zu entscheiden. Die Siege,
die durch das Studium der Taktik gewonnen worden sind, sind so
viel wert, wie die nach den Regeln der Kritik geschaffenen
epischen Gedichte. Das Buch der Zeremonien schildert
langweilig den verächtlichen Prunk, der in Kirche und Staat
seit dem Verfalle des Reiches für notwendig befunden wurde.
Eine Übersicht der Themen oder Provinzen wäre statt der Sagen
über den Ursprung der Städte und der boshaften Epigramme auf
die Sitten ihrer Bewohner von Nutzen gewesen. Mit Freuden
würde der Geschichtschreiber diese Dinge mitteilen, aber sein
Stillschweigen kann nicht getadelt werden, da die
Bevölkerungszahl der Hauptstadt und Provinzen, die Höhe der
Abgaben und Einkünfte, die Zahl der Untertanen und Fremden,
die unter der kaiserlichen Fahne dienten, von Leo dem
Philosophen und seinem Sohne Konstantin nicht mitgeteilt
werden. Seine Abhandlung über die öffentliche Verwaltung ist
mit denselben Fehlern behaftet, zeichnet sich aber doch durch
einen Vorzug aus: die Geographie und die Sitten der
barbarischen Welt sind genau und interessant gezeichnet. Von
diesen Nationen waren die Franken allein imstande, ihrerseits
die Hauptstadt des Ostens zu beobachten und zu schildern. Der
Gesandte Ottos des Großen, ein Bischof von Cremona, hat den
Zustand Konstantinopels um die Mitte des zehnten Jahrhunderts
beschrieben. Sein Stil ist feurig, die Darstellung lebendig,
seine Beobachtung scharf, ja selbst die Vorurteile und
Leidenschaften Luitprands werden originell und genial
dargestellt. Mit Hilfe dieses spärlichen Vorrats einheimischen
und ausländischen Materials werde ich versuchen, die Form und
das Wesen des byzantinischen Reiches zu beleuchten, die
Provinzen und den Reichtum zu beschreiben, die Zivilregierung
und Streitmacht, den Charakter und die Literatur der Griechen
in einem Zeiträume von sechshundert Jahren, von der Regierung
des Heraklius bis zum sieggekrönten Einbrüche der Franken oder
Lateiner.
Nach der endlichen Teilung zwischen den Söhnen des
Theodosius breiteten sich Barbarenschwärme von Skythien und
Deutschland über die Provinzen aus und vernichteten die
Herrschaft Roms. Die Schwäche der Herrscher von Konstantinopel
war bei der Größe des Reiches nicht ohne weiteres zu sehen,
die Grenzen blieben unverletzt oder wenigstens erhalten, und
Justinians Reich wurde das eroberte Afrika und Italien
angegliedert. Diese Provinzen waren jedoch nur kurz in seinem
Besitz, und die Sarazenen eroberten fast die Hälfte des
morgenländischen Reiches. Syrien und Ägypten wurde durch die
arabischen Kalifen unterdrückt, und nach der Bezwingung von
Afrika drangen die Sarazenen in Spanien ein und eroberten es.
Die Inseln des Mittelmeeres blieben ihrer Flotte nicht
unzugänglich. Die treuen und aufrührerischen Emire
mißhandelten von Kreta und den Festungen von Kilikien aus die
Hauptstadt und die Provinzen. Die übrigen, unter der
Botmäßigkeit der Kaiser gebliebenen Provinzen, erhielten eine
neue Verwaltung, an Stelle der Präsidenten, Konsuln und Grafen
wurden Themen oder militärische Statthalterschaften
eingerichtet, die unter den Nachfolgern des Heraklius
vorherrschten und von dem kaiserlichen Schriftsteller
beschrieben worden sind. Der Ursprung dieser neunundzwanzig
Themen, zwölf in Europa, siebzehn in Asien, ist dunkel, die
Etymologie zweifelhaft, die Grenzen waren willkürlich und
änderten sich. Einige besondere Namen, die unserem Ohr höchst
fremd klingen, waren der Sprache der Truppen entlehnt, die auf
Kosten und zum Schutze dieser Themen erhalten wurden. Die
eitlen griechischen Kaiser griffen nach allem, was einer
Eroberung ähnlich sah und das Ansehen ihres Reiches in
Erinnerung der verlorengegangenen Herrschaft hob. Auf dem
westlichen Ufer des Euphrat wurde ein neues Mesopotamien
geschaffen, der Name der früheren Prätur Sizilien auf einen
schmalen Landstrich in Kalabrien übertragen und ein Bruchteil
des Herzogtums Benevent wurde die Theme Lombardei. Zur Zeit
des Verfalls des arabischen Reiches konnten die Nachfolger
Konstantins ihren Stolz mit tatsächlichen Eroberungen
befriedigen. Die Siege des Nikephorus, Johann Zimisces und
Basilius des Zweiten ließen den Ruhm des römischen Namens
wieder aufleben; die Grenzen wurden erweitert, die Provinzen
Kilikiens, die Hauptstadt Antiochia, die Inseln Kreta und
Cypern wurden wieder unterworfen und ein Drittel von Italien
mit Konstantinopel wieder vereinigt. Das Königreich Bulgarien
wurde zerstört, und die letzten Souveräne der makedonischen
Dynastie dehnten ihre Herrschaft von den Quellen des Tigris
bis in die Nähe Roms aus. Im elften Jahrhundert erschienen
neue Feinde, und neue Unglücksfälle brachen herein. Italien
wurde von den Normannen überschwemmt, and die Türken eroberten
fast sämtliche asiatische Gebiete des Reiches. Nach diesen
Verlusten herrschten die Kaiser aus dem Hause der Komnenen
noch immer von der Donau bis zum Peloponnes, von Belgrad bis
Nicäa, Trapezunt und dem sich windenden Mäander. Die großen
Provinzen Thrakien, Makedonien und Griechenland waren ihnen
unterworfen, sie besaßen außer Cypern, Rhodus und Kreta
fünfzig Inseln des Ägäischen oder Heiligen Meeres, und der
Rest ihres Reiches übertraf das größte der europäischen
Königreiche an Ausdehnung.
Diese Fürsten konnten in Wahrheit behaupten, daß sie von
allen christlichen Monarchen das größte Einkommen, die größte
Stadt, den blühendsten und dichtbevölkertsten Staat besaßen.
Mit dem Verfalle des Reiches waren auch die Städte verfallen;
die Ruinen Roms, die Lehmmauern, hölzernen Schuppen und engen
Grenzen von Paris und London konnten sich nicht mit
Konstantinopel, den prächtigen Palästen und Kirchen
vergleichen. Die reiche Stadt lockte die Perser und Bulgaren,
die Araber und Russen zu kühnen Angriffen, hatte diese aber
bisher abgeschlagen und hoffte dies auch für die Zukunft zu
tun. Minder glücklich und uneinnehmbar waren die Provinzen,
und man konnte nur wenige Bezirke, wenige Städte auffinden,
die nicht von irgendeinem grimmigen Barbaren verheert worden
waren. Nach Justinian verengerte das Reich seine Grenzen;
Kriege wüteten und profane und kirchliche Tyrannen bedrängten
das Volk. Der Gefangene, der den Barbaren entflohen war, wurde
häufig von den Dienern seines Souveräns gegeißelt und
eingekerkert. Allzuviele Fasten und Gebete waren
vorgeschrieben, viele Klöster vorhanden, und eine große Anzahl
Feste lenkte die Menschen von ihrer Tätigkeit ab. Aber die
Untertanen des byzantinischen Reiches blieben immer die
geschicktesten und fleißigsten der Nationen; ihr Vaterland war
mit allen Vorteilen des Bodens, Klimas und der Lage gesegnet.
Ihr geduldiger und friedlicher Sinn trug zur Erhaltung und
Wiederherstellung der Künste mehr bei, als der kriegerische
Geist und die Feudalanarchie von Europa. Die mit dem Reiche
noch verbundenen Provinzen wurden durch Unglücksfälle
verloren, wieder bevölkert und bereichert. Die Katholiken von
Syrien, Ägypten und Afrika entzogen sich dem Joche des
Kalifen, begaben sich in den Schutz ihres Fürsten, vereinigten
sich mit der Gemeinde ihrer Brüder. Die bewegliche Habe, die
den Nachforschungen des Unterdrückers entzogen werden kann,
wurde in die Verbannung mitgenommen und erleichterte diese.
Konstantinopel nahm die fliehenden, gewerbefleißigen Familien
aus Alexandria und Tyrus auf. Die Häuptlinge von Armenien und
Skythien, die vor Feinden oder Religionsfanatikern flohen,
wurden ebenfalls gastfreundlich aufgenommen, ihre Anhänger
ermuntert, neue Städte zu bauen und öde Ländereien urbar zu
machen. Viele Plätze in Europa tragen noch heute die Namen,
die ihnen von den Einwanderern damals gegeben wurden, bewahren
deren Sitten oder wenigstens ihr Andenken. Selbst die
Barbarenstämme, die sich gewaltsam auf dem Boden des Reiches
niedergelassen hatten, wurden allmählich dem Reiche
einverleibt, unterwarfen sich der Kirche und dem Staat.
Solange sie sich nicht mit den Griechen vermischten, stellten
ihre Nachkommen treue und gehorsame Soldaten. Wenn wir
hinreichend Material besäßen, um die neunundzwanzig Themen der
byzantinischen Monarchie genau zu kennen, könnten wir unsere
Wißbegier befriedigen, indem wir eine beliebige Provinz zur
Betrachtung aussuchten. Dies ist leider nicht der Fall; wir
verdanken es jedoch einem glücklichen Umstand, daß uns der
Zustand der interessantesten Provinz am genauesten bekannt
wurde. Dies ist die Provinz Peloponnes.
Schon im achten Jahrhundert, während der Herrschaft der
Bilderstürmer, hatten sich über Griechenland, ja sogar über
den Peloponnes Sklavenscharen ergossen, die dem Heere der
Bulgaren vorausgeeilt waren. Die Einwanderer alter Zeit,
Cadmus, Danaus und Pelops hatten in diesem fruchtbaren Land
Staatskunst und Wissenschaft begründet, die Wilden des Nordens
aber rotteten die noch erhaltenen spärlichen Reste aus. Durch
diesen Einbruch wurde das Land und die Bewohner umgestaltet,
das griechische Blut geschändet und die stolzen Edlen des
Peloponnes wurden als Fremdlinge und Sklaven bezeichnet.
Spätere Fürsten reinigten das Land einigermaßen von den
Barbaren, die spärlichen Reste wurden durch einen Eid, durch
den sie Gehorsam, Tributzahlung und Stellung von Soldaten
versprachen und den sie oft brachen, gebunden. Die Belagerung
von Patras wurde, durch ein seltsames Zusammentreffen,
gemeinsam von den Sklaven des Peloponnes und den Sarazenen aus
Afrika vorgenommen. Der Mut der Bürger wurde durch die
erdichtete Botschaft, daß der Prätor von Korinth zum Ersatz
heranrücke, gestärkt. Sie machten einen kühnen und glücklichen
Ausfall. Die Fremden schifften sich wieder ein, die Rebellen
unterwarfen sich. Den Erfolg des Tages verdankten die Bürger
angeblich einem Unbekannten, der in den vordersten Reihen mit
den Abzeichen des Apostels Andreas gefochten hatte. Das
Heiligtum, das seine Reliquien enthielt, ward mit den
errungenen Siegeszeichen geschmückt, und der unterworfene
Volksstamm wurde für immer zum Dienste der Metropolitankirche
von Patras und zu deren Vasallenschaft bestimmt. Der Friede
der Halbinsel wurde durch zwei slawische Stämme in der Nähe
von Helos und Lakedämon häufig gestört. Sie verhöhnten die
schwachen Unterdrücker und widerstanden ihnen oft, bis endlich
der feindliche Einbruch ihrer Brüder die Unterzeichnung einer
goldenen Bulle veranlaßte, welche die Rechte und Pflichten der
Ezzeriten und Milenger festsetzte und durch die ihnen ein
jährlicher Tribut von zwölfhundert Goldstücken auferlegt
wurde. Der kaiserliche Geograph macht einen genauen
Unterschied zwischen diesen Fremdlingen und einem ursprünglich
heimischen Stamm, der vielleicht von den früheren Heloten
abstammte. Die großmütigen Römer, insbesondere Augustus,
hatten die Seestädte von der spartanischen Herrschaft befreit,
und da diese dauernd im Besitze der Freiheit blieben, wurden
sie Eleutherer oder freie Lakonier genannt. Zur Zeit
Konstantins Porphyrogenitus hatten sie den Namen Mainoten
erworben, unter welchem Namen sie ihre Ansprüche auf die
Plünderung derjenigen, die an ihrem felsigen Gestade
Schiffbruch erleiden, entehrten. Ihr Land, das kein Korn, aber
Ölbäume hervorbringt, dehnte sich bis zum Vorgebirge Malea
aus. Ihr Häuptling oder Fürst wurde von dem byzantinischen
Prätor ernannt, und sie hatten nur einen geringen Tribut von
vierhundert Goldstücken zu zahlen, der mehr ihre
Steuerfreiheit als ihre Abhängigkeit bewies. Die freien
Lakonier gebärdeten sich wie Römer und bekannten lange die
Religion der Griechen. Unter Kaiser Basilius wurden sie
getauft, verehrten jedoch in ihrer Einfalt Venus und Neptun
weiter, deren Altäre sie noch fünfhundert Jahre nach deren
Ächtung durch die römische Welt bekränzten. In der Theme des
Peloponnes zählte man noch vierzig Städte, Argos und Korinth
mögen trotz ihres Verfalles im zehnten Jahrhundert, weit
entfernt von ihrem alten Glanze, ebenfalls weit entfernt von
ihrem jetzigen Zustand gewesen sein. Die Besitzer oder
Lehensinhaber der Ländereien waren verpflichtet, in Person
oder durch einen Stellvertreter Kriegsdienste zu leisten,
jeder größere Grundbesitzer mußte fünf Goldstücke zahlen, und
die gleiche Summe mußte von mehreren geringeren Sassen, die
zusammen einen Steuerkopf bildeten, aufgebracht werden. Als
ein italienischer Krieg vorbereitet wurde, befreiten sich die
Peloponnesier von persönlicher Dienstleistung durch die
Zahlung von hundert Pfund Goldes (viertausend Pfund Sterling)
und tausend Pferden mit den dazu gehörigen Waffen und
Geschirren. Die Kirchen und Klöster lieferten ihren Beitrag;
ein schwunghafter Handel wurde mit geistlichen Würden
betrieben, und der arme Bischof von Leukadia zum Beispiel
mußte hundert Goldstücke jährlich zahlen.
Der Reichtum der Provinz war auf den großen Ertrag aus dem
Handel gegründet. Von einem weisen Politiker war das Gesetz
gegeben worden, das alle Seeleute des Peloponnes sowie die mit
Pergament und Purpur beschäftigten Arbeiter von allen
persönlichen Abgaben freisprach. Dies kann mit Recht auch von
den Leinwand-, Woll- und Seidenmanufakturen angenommen werden,
wovon die ersteren seit den Tagen Homers in Griechenland
geblüht hatten und die letzteren wahrscheinlich schon unter
der Regierung Justinians errichtet worden waren. Diese
Gewerbe, die in Korinth, Theben und Argos ausgeübt wurden,
gaben zahlreichen Menschen Arbeit und Nahrung. Männer, Frauen
und Kinder erhielten je nach Alter und Stärke Arbeit
zugewiesen, und wenn auch viele derselben häusliche Sklaven
waren, gehörten doch ihre Gebieter, die das Werk leiteten und
den Gewinn daraus zogen, einem freien und ehrenvollen Stande
an. Die Geschenke, die eine reiche und edelmütige Matrone dem
Kaiser Basilius, ihrem Adoptivsöhne, machte, waren ohne
Zweifel auf griechischen Webstühlen verfertigt worden.
Danielis schenkte einen Teppich aus feiner Wolle, mit einem
Muster, das ein Pfauenrad zeigte und von einer Größe, daß
damit der Fußboden einer neuen, Christus, dem Erzengel Michael
und dem Propheten Elias geweihten Kirche bedeckt werden
konnte. Sie gab sechshundert Stück Leinwand und Seide, zu
mannigfaltigem Gebrauche geeignet. Die Seide war purpurn
gefärbt und gestickt, die Leinwand so außerordentlich fein,
daß ein ganzes Stück zusammengerollt in ein hohles Rohr ging.
Ein sizilianischer Geschichtschreiber unterscheidet bei der
Beschreibung die griechischen Fabrikate je nach ihrem Preis,
der sich nach Schwere und Beschaffenheit der Seide, Dichtheit
des Gewebes, Schönheit der Farbe und Art der Stickerei
richtet. Ein einfacher, doppelter oder dreifacher Faden wurde
für gewöhnliche Arbeit verwendet, das kostbarere Gewebe
bestand aus einem sechsfachen Faden. Von den Farben preist er
besonders Scharlach und Grün. Die Stickerei war entweder aus
Seide oder Gold und erhaben gearbeitet, einfache Streifen oder
Kreise wurden ausgeführt, aber auch Blumen gestickt. Die
Gewänder, die man für den Altar oder Palast anfertigte, waren
häufig mit Edelsteinen und Figuren aus orientalischen Perlen
geschmückt. Bis zum zwölften Jahrhundert züchtete man in
Griechenland allein von allen christlichen Ländern die
Seidenraupe und verstand allein die Kunst der
Seidenherstellung. Aber die tätigen und gewandten Araber
hatten das Geheimnis gestohlen. Die Kalifen des Ostens
verschmähten es, von den Ungläubigen Gewänder und Hausschmuck
zu beziehen. Die beiden spanischen Städte Almeria und Lissabon
waren wegen der Erzeugung, Verarbeitung und vielleicht wegen
der Ausfuhr von Seide berühmt. Diese wurde zuerst von den
Normannen in Sizilien eingeführt und der Sieg Rogers
unterscheidet sich durch diese Handlung von den anderen
unfruchtbaren Siegen seiner Zeit. Nach der Plünderung von
Korinth, Athen und Theben schiffte sich sein Unterbefehlshaber
mit einer Anzahl gefangener Weber und Seidenarbeiter beiderlei
Geschlechts ein. Diese bildeten für seinen Gebieter eine
glorreiche, für den griechischen Kaiser aber eine schimpfliche
Trophäe. Der König von Sizilien war über das Geschenk erfreut,
und als er die Gefangenen zurückgab, behielt er die Arbeiter
und Arbeiterinnen von Theben und Korinth zurück, die, wie der
byzantinische Geschichtschreiber sagt, unter einem
barbarischen Gebieter arbeiteten, wie die alten Eretrier im
Dienste des Darius. Ein stattliches Gebäude im Palastbezirk
von Palermo wurde dieser arbeitsamen Kolonie eingeräumt, die
ihre Fertigkeit ihren Kindern und Schülern vererbte, um die
wachsende Nachfrage der westlichen Welt zu befriedigen. Der
Verfall der Seidenweberei von Sizilien muß den Unruhen auf der
Insel und der Nebenbuhlerschaft der italienischen Städte
zugeschrieben werden. Im Jahre 1314 hatte nur Lucca unter
allen Schwesterrepubliken noch das einträgliche Monopol. Ein
Bürgerkrieg zerstreute die Arbeiter nach Florenz, Bologna,
Venedig, Mailand, ja selbst in die Länder jenseits der Alpen.
Dreizehn Jahre nach diesem Ereignis gebieten die Verordnungen
Modenas die Anpflanzung von Maulbeerbäumen und bestimmen die
Abgaben an roher Seide. Nördlichere Gegenden sind der Zucht
von Seidenwürmern minder günstig, die gewerbefleißigen Länder
Frankreich und England erhalten aber für andere Waren die
Erzeugnisse Italiens und Chinas.
Ich muß die Klage wiederholen, daß die beiläufigen und
kärglich vorhandenen Schriften jener Zeiten eine richtige
Schätzung der Steuern, des Einkommens und der Hilfsquellen des
griechischen Reiches nicht erlauben. Aus jeder Provinz von
Europa und Asien flössen ununterbrochen Gold- und Silberströme
in die kaiserlichen Kassen. Die Ausbreitung der verschiedenen
Stämme vergrößerte auch das Reich, und nach den Maximen eines
Despoten verkörperte sich der Staat in der Hauptstadt, diese
im Palaste und der Palast in der Person des Kaisers. Ein
jüdischer Reisender, der den Orient im zwölften Jahrhundert
besuchte, bewundert die byzantinischen Reichtümer. »Hier, bei
der Königin der Städte, fließen die Abgaben des Reiches
zusammen«, sagt Benjamin von Tudela; »die hohen Türme sind mit
kostbaren Vorräten an Seide, Purpur und Gold angefüllt. Man
sagt, Konstantinopel zahle seinem Souverän jeden Tag
zwanzigtausend Goldstücke, die von den Buden, Schenken und
Märkten, von den Kaufleuten Persiens, Ägyptens, Rußlands und
Ungarns, von den Spaniern und Italienern, die die Hauptstadt
besuchen, erhoben werden.« In allen Geldangelegenheiten ist
die Meinung eines Juden zweifellos von Gewicht. Da obgenannter
Betrag aber ein Einkommen von mehr als sieben Millionen Pfund
Sterling im Jahr bedeuten würde, nehme ich an, daß die
zahlreichen Festtage des griechischen Kalenders nicht
inbegriffen sind. Die Größe des Schatzes, den Theodors und
Basilius II. sammelten, wird ein Bild von ihren Einkünften und
Hilfsquellen geben. Bevor die Mutter Michaels sich in ein
Kloster zurückzog, suchte sie die Verschwendungssucht ihres
Sohnes zu zügeln oder ihn bloßzustellen, indem sie freimütig
die Reichtümer, die er erbte, aufzählte: einhunderttausend
Pfund Gold, dreihunderttausend Pfund Silber, die von ihrem
Gemahl und ihr selbst gespart worden waren. Die Habsucht des
Basilius ist nicht geringer als seine Tapferkeit und sein
Glück; seine siegreichen Heere wurden bezahlt und belohnt,
ohne daß der Schatz von zweihunderttausend Pfund Gold (gegen
acht Millionen Pfund Sterling), den er in den unterirdischen
Gewölben des Palastes verborgen hatte, angegriffen wurde.
Wie groß der Geldbedarf des Staates immer war und wieviel
Geld für zukünftige Zwecke beiseite gelegt wurde, immer
standen die Bedürfnisse und das Vergnügen des Kaisers an der
ersten Stelle, und sein Verbrauch wurde nach seinem eigenen
Ermessen bestimmt. Die Fürsten von Konstantinopel waren
anspruchsvoll; je nach der Jahreszeit beteiligten sie sich an;
den Vergnügungen der Hauptstadt, machten jede Mode mit oder
zogen sich auf das Land zurück. Sie feierten das Fest der
Weinlese, vertrieben sich die Zeit mit Jagd oder Fischen und
suchten in heißen Sommern die kühle, erfrischende Seeküste
auf. Auf zahlreichen Inseln und an den Küsten von Asien und
Europa besaßen sie prächtige Villen, die auf das prunkvollste
ausgestattet und in überladenem Stil gebaut waren. Durch
Erbschaft und Konfiskation waren die Kaiser Eigentümer vieler
schöner Häuser in der Stadt und den Vorstädten geworden, wovon
zwölf den Ministern des Staates angewiesen wurden. Der große
Palast, der Mittelpunkt der kaiserlichen Residenz, stand elf
Jahrhunderte auf demselben Platze zwischen dem Hippodrome, der
Kathedrale der heiligen Sophie und den Gärten, die sich über
manche Terrasse zum Gestade der Propontis senkten. Der
ursprüngliche Palast des ersten Konstantins war eine
Nachbildung desjenigen des alten Roms. Seine Nachfolger
erweiterten denselben und waren bestrebt, mit den Wunderbauten
der Alten Welt zu wetteifern. Im zehnten Jahrhundert erregte
der byzantinische Palast die Bewunderung wenigstens der
Lateiner, durch seine Festigkeit, Größe und Pracht. Aber die
mit viel Mühe und unter großem Aufwand durch Jahrhunderte
fortgesetzten Zubauten, hatten einen ungeheuren und
unregelmäßigen Komplex geschaffen. Jedes einzelne Gebäude trug
den Stempel der Zeiten, in denen es gebaut wurde und seines
Stifters, und der Mangel an Raum macht es verständlich, daß
der regierende Monarch, vielleicht mit geheimer Freude, die
Werke seines Vorgängers einreißen ließ. Die sonstige
Sparsamkeit des Kaisers Theophilus gestattete ihm, großen
häuslichen Aufwand zu treiben. Ein begünstigter Gesandter, der
selbst die Abbassiden durch seinen Stolz und seine
Freigebigkeit in Erstaunen gesetzt hatte, überreichte bei
seiner Rückkehr das Modell eines von dem Kalifen von Bagdad
erst kürzlich an den Ufern des Tigris erbauten Palastes. Das
Muster wurde unverzüglich nachgebaut und an Pracht
übertroffen. Der neue Palast des Theophilus war mit Gärten und
fünf Kirchen, von denen sich eine durch besondere Größe und
Schönheit auszeichnete, geschmückt und mit drei Domen gekrönt.
Das Dach aus vergoldetem Erz ruhte auf Säulen aus
italienischem Marmor, und die Wände waren mit buntem Marmor
ausgekleidet. An der Vorderseite der Kirche wurde ein
halbrunder Portikus nach dem griechischen Sigma gestaltet, von
fünfzehn Säulen aus phrygischem Marmor getragen. Eine ähnliche
Anordnung zeigten die unterirdischen Grüfte. Der Platz vor dem
Sigma war mit einem Springbrunnen geschmückt und der Rand des
Beckens mit Silberplatten ausgelegt und umgeben. Am Beginn
jeder Jahreszeit wurde das Becken statt mit Wasser mit
köstlichen Früchten angefüllt, die von der Menge an Ort und
Stelle verzehrt wurden. Der Fürst genoß dieses lärmende
Schauspiel von einem von Gold und Edelsteinen schimmernden
Thron, der auf einer hohen Terrasse, zu der Marmorstufen
führten, stand. Unterhalb des Thrones saßen die Hauptleute
seiner Leibwache, die Obrigkeiten, die Häupter der Parteien
des Zirkus. Die unteren Stufen nahm das Volk ein. Ganze Banden
von Tänzern, Sängern und Gebärdenspielern trieben ihr Wesen.
Der Platz war von der Justizhalle, dem Arsenale und
verschiedenen Amts- und Luxusgebäuden umgeben; der Purpursaal
führte diesen Namen, weil darin alljährlich von der Kaiserin
selbst Scharlach- und Purpurgewänder verteilt wurden. Die
vielen Gemächer waren den Jahreszeiten angepaßt und mit
Marmor, Porphyr, mit Malerei, Bildhauerarbeit und Mosaik, mit
Gold, Silber und Edelsteinen geschmückt. Die geschicktesten
und ausdauerndsten Künstler des Zeitalters wurden zu den
Arbeiten verwendet. Die geschmackvollen Athener jedoch würden
ihre läppischen und kostspieligen Arbeiten verachtet haben:
ein goldener Baum mit Blättern und Zweigen, auf denen Vögel
saßen, die man Lieder singen lassen konnte, ferner zwei Löwen
aus massivem Gold in Lebensgröße, die ein Gebrüll ausstoßen
konnten. Die Nachfolger des Theophilus aus der basilischen und
komnenischen Dynastie geizten nicht minder darnach, ein
Denkmal ihres Daseins zu hinterlassen, und der prachtvollste
und edelste Teil des Palastes erhielt den würdevollen Namen
des goldenen Trikliniums. Mit geziemendem Anstand strebten die
reichen griechischen Großen ihren Souverän nachzuahmen, und
wenn sie in ihren gestickten Seidengewändern durch die Straßen
zogen, wurden sie von den Kindern für Könige gehalten. Eine
Matrone vom Peloponnes, Danielis, die Basilius den Makedonier
gepflegt hatte, ließ sich aus Zuneigung oder Eitelkeit
verlocken, ihren Adoptivsohn, der nun Kaiser war, zu besuchen.
Wegen ihres Alters oder wegen der damit verbundenen
Unannehmlichkeiten lehnte sie Reiten oder Fahren ab. Sie wurde
über fünfhundert Meilen in einer reichgeschmückten Sänfte von
zehn starken Sklaven auf den Schultern getragen. Da diese in
kurzen Zwischenräumen einander ablösten, waren dreihundert zu
diesem Dienste erforderlich. Sie wurde im byzantinischen
Palaste mit kindlicher Ehrerbietung und mit den Ehren einer
Königin empfangen. Woher immer ihr Reichtum stammte, so waren
doch ihre Geschenke des Königs würdig. Ich habe bereits die
Erzeugnisse des Peloponnes an Leinwand, Seide und Wolle
beschrieben, die sie als Geschenk darbrachte; aber das
vollkommenste ihrer Geschenke bestand in dreihundert schönen
Jünglingen, worunter sich hundert Verschnittene befanden;
»denn es war nicht unbekannt«, sagt der Geschichtschreiber, »daß
die Luft des Palastes für solche gedeihlicher ist, als die
Milchkammer eines Hirten für Sommerfliegen.« Schon zu ihren
Lebzeiten verfügte sie über den größten Teil ihrer Besitzungen
am Peloponnes und ernannte in ihrem Testamente Leo, den Sohn
des Basilius, zu ihrem Universalerben. Nach der Auszahlung der
Vermächtnisse kamen dadurch achtzig Villen zur kaiserlichen
Domäne. Dreitausend Sklaven der Danielis wurden von ihrem
neuen Gebieter freigelassen und an der italienischen Küste
angesiedelt. An diesem Beispiel einer Frau im Privatstande
können wir den Reichtum der Kaiser ermessen. Wir sind aber nur
in der Lage, ein gewisses Maß an Vergnügen genießen zu können,
und welchen Wert auch der Luxus im Leben haben mag, erfreut
sich ein Privatmann mehr an seinem eigenen Vermögen, als der
Verwalter eines öffentlichen an diesem.
Bei einer unumschränkten Regierung, unter der der
Unterschied zwischen edler und plebejischer Abstammung
aufgehoben ist, vergibt der Souverän allein die Würden, und
der Rang im Palaste und im Reiche hängt von den Titeln und
Ämtern ab, die von ihm willkürlich verliehen und aberkannt
werden. Über tausend Jahre, von Vespasian bis zu Alexius
Komnenus, war Cäsar der zweithöchste Titel, da der höchste
Titel Augustus den Söhnen und Brüdern des regierenden
Monarchen häufiger erteilt wurde. Um sein Versprechen gegen
einen mächtigen Bundesgenossen, den Gemahl seiner Schwester,
zu umgehen, ohne es zu brechen und um die Liebe seines Bruders
Isaak zu belohnen, ohne ihn sich gleichzustellen, erfand der
schlaue Alexius eine neue Würde. Die biegsame griechische
Sprache erlaubte es ihm, die Titel Augustus und Kaiser (Sebastos
und Autokrator) zu vereinigen, was den stolzklingenden Titel
Sebastokrator ergab. Der Träger dieses Titels stand über dem
Cäsar auf der ersten Stufe des Thrones. Er wurde durch
öffentlichen Zuruf gefeiert und unterschied sich von dem
Souverän nur durch einen besonderen Schmuck des Hauptes und
der Füße. Nur der Kaiser durfte die purpurnen oder roten
Halbstiefel tragen, und sein geschlossenes Diadem oder seine
Tiara war nach Art jener der persischen Könige geformt. Sie
bestand aus einer hohen pyramidenförmigen Kappe aus Tuch oder
Seide, mit Perlen und Juwelen verschwenderisch besetzt. Die
Krone wurde aus einem waagrechten Reif und zwei Bogen aus Gold
gebildet. Oben am Kreuzungspunkte war eine Kugel oder ein
Kreuz angebracht, und zwei Schnüre Perlen hingen über jede
Wange. Die Halbstiefel des Sebastokrators und Cäsars waren
statt rot grün, und ihre offenen Kronen waren mit weniger
Juwelen besetzt. Alexius schuf noch die Titel Panhypersebastos
und Protosebastos, deren Klang und Bedeutung den Kenner der
griechischen Sprache befriedigen wird. Diese Benennungen
bedeuteten einen Vorzug vor dem einfachen Augustus, und dieser
ehemals heilige Titel der römischen Fürsten wurde auf
Verwandte und Diener des byzantinischen Hofes angewendet. Die
Tochter des Alexius preist die verschiedenen Abstufungen der
Titel, die ihr Vater geschaffen hat, es ist aber auch für
geringe Geister möglich, weitere Titel zu erfinden. Das
Titelwörterbuch wurde bald durch seine Nachfolger weiter
bereichert. Den bevorzugten Söhnen oder Brüdern gaben sie den
höheren Titel Herr oder Despot. Die Inhaber dieser Titel
erhielten neue Vorrechte und kamen in der Rangliste sogleich
nach dem Kaiser. Die fünf Titel: 1. Despot, 2. Sebastokrator,
3. Cäsar, 4. Panhypersebastos und 5. Protosebastos waren
gewöhnlich auf die Prinzen von Geblüt beschränkt. Mit ihnen
verband sich jedoch keinerlei Amt, sie waren daher unnütz und
nicht sehr eindrucksvoll.
In jeder Monarchie muß die effektive Regierungsgewalt von
den Ministern des Palastes und Schatzes, der Flotte und des
Heeres ausgeübt werden. Die Titel allein können verschieden
sein, und in einer Jahrhunderte dauernden Umwälzung stiegen
die Grafen, Präfekten, Prätoren und Quästoren allmählich
herab, und ihre Untergebenen erhoben sich zu den ersten Würden
des Staates. 1. In einer Monarchie, in der alles nur in bezug
auf den Fürsten von Wichtigkeit ist, ist das wichtigste Amt
die Sorge für den Palast und die Zeremonien. Der zu Justinians
Zeiten hochgestellte Curapalata wurde durch den
Protovestiarius, der ursprünglich nur die Kleiderkammer zu
beaufsichtigen hatte, verdrängt. Er dehnte seine Macht über
zahlreiche Diener immer mehr aus und stand mit seinem
silbernen Stabe bei öffentlichen oder Privataudienzen an ihrer
Spitze. 2. Im alten System Konstantins führten die
Finanzeinnehmer den Titel Logothet oder Rechnungsführer. Die
vornehmsten Beamten wurden als die Logotheten der Domänen, der
Stellen, des Heeres, des Privatschatzes, des öffentlichen
Schatzes bezeichnet, und der Großlogothet, der oberste Hüter
der Gesetze und Finanzen, kann mit dem Kanzler der
lateinischen Monarchien verglichen werden. Er wachte über die
Zivilverwaltung und hatte als helfende Untergebene: den Eparch
oder Präfekten der Stadt, den ersten Geheimschreiber und die
Bewahrer des geheimen Siegels, den Archivar, der für die
allein dem Kaiser zu Unterschriften vorbehaltene rote oder
Purpurtinte zu sorgen hatte. Einführer und Dolmetscher der
fremden Botschafter waren der Großtschausch und der Dragoman,
zwei Worte türkischen Ursprungs, die noch später bei der hohen
Pforte gebräuchlich waren. 3. Die Domestici wurden aus
Leibwachen allmählich zu Heerführern. Die militärischen Themen
im Osten und Westen waren oft unterteilt, bis der
Großdomestikus den allgemeinen und unumschränkten Befehl über
die Landmacht erhielt. Der Protostrator, ursprünglich der
Beamte, der dem Kaiser half zu Pferde zu steigen, wurde
allmählich der Stellvertreter des Domestikus im Felde. Seine
Amtsgewalt erstreckte sich über die Ställe, die Reiterei, die
Jäger und Falkner des Kaisers. Der Stratopedarch war der
Großrichter des Lagers, der Protospathar befehligte die
Leibwache, der Connetable, der Großäteriar und Acolyth waren
die Anführer der Franken, Barbaren und der Waräger oder
Engländer, der fremden Miettruppen, die bei abnehmendem
Nationalgeist den Kern der byzantinischen Truppen bildeten. 4.
Die Seemacht stand unter dem Befehle des Großherzogs, dessen
Vertreter der Großdrungär war, der seinerseits vom Emir oder
Admiral, ein Titel sarazenischer Herkunft, der sich in allen
Sprachen Europas eingebürgert hat, vertreten wurde. Aus diesen
Beamten und vielen anderen, die aufzuzählen überflüssig ist,
bestand die Zivil- und Militärhierarchie. Ihre Würden und
Gehalte, Tracht und Titel, ihre wechselseitigen Begrüßungen
und ihre Rangordnung waren genau bestimmt. Der Codex war fast
vollendet, als dieser auf Sand errichtete Bau, das Denkmal des
Stolzes und der Knechtschaft, für immer unter dem Schutt des
Reiches begraben wurde.
Die erhabensten Titel, die auf das höchste Wesen angewendet
wurden, sind aus Schmeichelei und Furcht menschlichen
Geschöpfen gegeben worden, die auch in anbetender Stellung
verehrt werden. Diese Sitte, flach niederzufallen und die Erde
zu Füßen des Kaisers zu küssen, hatte Diokletian von den
knechtischen Persern entlehnt. Sie dauerte bis zum Ende der
Monarchie, ja wurde noch verschärft. Ausgenommen am Sonntag,
an dem man aus religiösem Stolze darauf verzichtete, wurde sie
von allen, die sich dem Kaiser näherten, auch von den Prinzen,
die mit Diadem und Purpur bekleidet waren, wie von den
Gesandten, die ihre unabhängigen Souveräne, die Kalifen von
Asien, Ägypten oder Spanien, die Könige von Frankreich und
Italien und die lateinischen Kaiser des alten Rom vertraten,
an allen Tagen gefordert. Bei den Geschäftsverhandlungen
behauptete der Bischof Luitprand von Cremona die Würde seine
Gebieters Otto und eines Franken. Er kann aber seine
Erniedrigung bei der ersten Audienz nicht verbergen. Als er
sich dem Throne näherte, fingen die Vögel des goldenen Baumes
an, ihre Lieder zu gurgeln und die beiden Löwen brüllten.
Luitprand wurde mit seinen zwei Gefährten gezwungen, sich zu
verneigen und niederzufallen, und dreimal berührte er mit
seiner Stirne den Boden. Als er sich erhob, war der Thron
durch eine Vorrichtung zur Decke hochgehoben worden, und der
Kaiser erschien in anderem, schönerem Schmucke. Die
Zusammenkunft schloß in stolzem und majestätischem Schweigen.
Der Bischof von Cremona schildert in seiner interessanten
Erzählung ehrlich die Zeremonien des byzantinischen Hofes, die
noch bei der hohen Pforte beachtet wurden und bis ins
siebzehnte Jahrhundert an den Höfen der Großfürsten von Moskau
oder Rußland üblich waren. Nach einer langen Reise zu Lande
oder Wasser machte der Gesandte am goldenen Hofe Halt, bis er
von den hiefür bestimmten Beamten in den zu seiner Aufnahme
vorbereiteten Palast geführt wurde. Aber dieser Palast war ein
Kerker, und seine Wächter hinderten jeden geselligen Verkehr
mit Eingeborenen und Fremden. Bei seiner ersten Audienz
überreichte er die Geschenke seines Gebieters, Sklaven,
goldene Gefäße und kostbare Rüstungen. Vor seinen Augen
wurden, um zu prunken, die Beamten und Soldaten des Reiches
bezahlt, er wurde bei einem kaiserlichen Bankett bewirtet,
wobei Gesandte anderer Nationen, je nachdem die Griechen sie
achteten oder verachteten, anwesend waren. Als besondere Gunst
sandte der Kaiser von seiner Tafel die Schüsseln, von denen er
gekostet hatte, und seine Lieblinge wurden mit Ehrengewändern
entlassen. Des Morgens und Abends fanden sich seine Zivil- und
Militärbeamten zur Begrüßung im Palaste ein. Sie wurden
dadurch belohnt, daß sie den Kaiser sehen durften, erhielten
vielleicht ein Lächeln von ihm. Er deutete seine Befehle durch
Winke oder Zeichen an, und jedermann stand in seiner
Anwesenheit schweigend und unterwürfig da. Bei seinen
regelmäßigen oder außergewöhnlichen Zügen durch die Hauptstadt
entschleierte er sein Antlitz, damit alle es sehen konnten.
Die politischen Zeremonien hingen mit den religiösen zusammen,
und seine Besuche in den Hauptkirchen richteten sich nach den
Feiertagen. Am Vorabend solcher Umzüge wurde die Absicht des
Monarchen durch Herolde verkündet. Die Straßen wurden geräumt
und gereinigt, mit Blumen bestreut und der kostbarste Hausrat,
Gefäße aus Gold und Silber, seidene Teppiche in den Fenstern
und auf den Baikonen zur Schau gestellt. Lärmen wurde dem
Volke auf das strengste verboten und für Zucht und Sitte Sorge
getragen. Den Zug eröffneten die Anführer an der Spitze ihrer
Truppen, der Kaiser wurde von den Eunuchen und der Leibgarde
beschützt und an der Kirchentüre von dem Patriarchen und
seiner Geistlichkeit feierlich empfangen. Die Freudenzurufe
wurden im vorhinein geregelt und keineswegs dem Zufall und dem
Volke überlassen. Die besten Plätze waren von der blauen und
grünen Partei des Zirkus eingenommen. Ihre wütenden Kämpfe,
die die Hauptstadt erschüttert hatten, waren allmählich zum
Kampfe um die Gunst des Souveräns geworden. Von allen Seiten
ertönte das Lob des Kaisers; die Dichter und Musiker leiteten
den Chor, und den Schluß jedes Gesanges bildete der Wunsch,
daß der Kaiser ein langes Leben haben und viele Siege feiern
möge. Ähnliche Rufe erschollen bei den Audienzen, bei der
Tafel und in der Kirche. Als Beweis seiner grenzenlosem
Herrschaft wurde der Zuruf in lateinischer, gotischer,
persischer, französischer, ja selbst in englischer Sprache von
den Söldnern wiederholt, die diesen Nationen wirklich oder
angeblich angehörten. Diese Wissenschaft der Formen und
Schmeichelei ist durch Konstantin Porphyrogenitus zu Papier
gebracht worden, die durch die Eitelkeit der folgenden Fürsten
mächtig hätte ergänzt werden können. Bei ruhiger Überlegung
mußte der Fürst gewiß bedenken, daß derselbe Beifallsruf jedem
Herrscher dargebracht wurde. Wenn sich dieser vielleicht aus
dem Privatstande emporgeschwungen hatte, erinnerte er sich
wohl, daß seine Stimme in dem Augenblicke, in dem er seinem
Vorgänger beneidete oder sich gegen sein Leben verschwor, die
lauteste gewesen sei. Die Fürsten des Nordens, die Völker ohne
Glauben oder Ruhm, sagt Konstantin, strebten darnach, ihr Blut
mit dem Blute der Kaiser zu mengen, indem sie eine kaiserliche
Jungfrau heirateten oder ihre Töchter römischen Fürsten zur
Ehe gaben. Der greise Monarch offenbart in seinen Lehren, die
für seinen Sohn bestimmt sind, die Maximen der Politik und des
Stolzes und führt Gründe an, warum diese Forderungen
verweigert werden sollen. Jedem Tiere, sagt der kluge Kaiser,
ist es bestimmt, sich eine Gefährtin unter den Tieren seiner
eigenen Art zu suchen; auch das Menschengeschlecht ist durch
Sprache, Sitten und Religion in mehrere Stämme geteilt.
Rücksicht auf die Reinheit der Abstammung bewahrt die Harmonie
des öffentlichen und Privatlebens, und fremdes Blut ist die
Quelle der Unordnung und Zwietracht. Das war von jeher die
Ansicht der weisen Römer gewesen; ihre Gesetze verboten die
Vermählung ihrer Bürger mit Fremden. In den fernen Tagen der
Größe Roms hätte ein Senator die Werbung eines Königs um seine
Tochter voll Verachtung zurückgewiesen, und Marcus Antonius
befleckte sich durch seine Verheiratung mit einer Ägypterin.
Der Kaiser Tacitus wurde durch das Volk gezwungen, Berenice zu
verlassen. Dieses Verbot wurde durch den großen Konstantin in
ein heiliges Gesetz umgewandelt. Die Gesandten der Nation
wurden feierlichst aufmerksam gemacht, daß Fremdehen vom
Stifter der Kirche und Stadt verdammt worden wären. Das Gesetz
war über dem Altar der Sophienkirche eingemeißelt, und der
ruchlose Fürst, der es verletzt hätte, wäre von der
bürgerlichen und kirchlichen Gemeinschaft der Römer
ausgeschlossen worden. Wenn die Gesandten über die
byzantinische Geschichte informiert gewesen wären, hätten sie
drei Beispiele anführen können, daß dieses Gesetz verletzt
worden war: die Vermählung Konstantins des Vierten, Vater
Leos, mit einer Tochter des Königs der Chozaren; die
Verheiratung der Enkelin des Romanus mit einem
Bulgarenfürsten; und die Verlobung Bertas von Frankreich und
Italien mit dem jungen Romanus, dem Sohne Konstantin
Porphyrogenitus' selbst. Auf diese Entgegnungen hatte man drei
Antworten in Bereitschaft, die die Schwierigkeit lösten und
das Gesetz bestätigten. I. Die Tat und Schuld Konstantin
Copronymus' wurden anerkannt. Der isaurische Ketzer, von dem
der Taufbrunnen beschmutzt und den heiligen Bildern Krieg
erklärt worden war, hatte in der Tat eine Barbarin zur Gattin
gehabt. Das Maß seiner Verbrechen war dadurch voll geworden,
und er verfiel der gerechten Strafe der Kirche und Ächtung
durch die Nachwelt. II. Romanus war kein rechtmäßiger Kaiser.
Er war plebejischer Usurpator, der die Gesetze der Monarchie
nicht kannte und ihre Ehre nicht achtete. Sein Sohn Christoph
bekleidete im Kollegium der Fürsten den dritten Rang und war
zugleich Untertan und Mitschuldiger eines rebellischen Vaters.
Die Bulgaren waren aufrichtige und fromme Christen, und die
Sicherheit des Reiches und die Freiheit vieler tausend
Gefangener hing von dieser tadelnswerten Heirat ab. Es gab
jedoch keinen Grund, der es ermöglichte, das Gesetz
Konstantins unwirksam zu machen. Geistlichkeit und Senat
mißbilligten die Handlung des Romanus, und er wurde deswegen
zu seinen Lebzeiten und nach seinem Tode mit Vorwürfen
beladen. III. Was die Vermählung seines eigenen Sohnes mit der
Tochter des Königs Hugo von Italien betrifft, so hat der weise
Porphyrogenitus dafür eine bessere Verteidigung ersonnen.
Konstantin der Große und Heilige achtete die Treue und
Tapferkeit der Franken. In seinem prophetischen Geist sah er
ihre künftige Größe voraus. Sie allein waren von dem
allgemeinen Verbote ausgenommen. König Hugo von Frankreich war
in gerader Linie ein Abkömmling Karls des Großen, und seine
Tochter Berta erbte alle Vorrechte ihrer Familie und der
Nation. Aus Wahrheitsliebe oder Bosheit wurde aber der Betrug
oder Irrtum des kaiserlichen Hofes verraten. Das angebliche
Erbe Hugos, die Monarchie, war jedoch die Grafschaft Arles,
obwohl man nicht leugnete, daß er sich in Zeiten der
Verwirrung die Provence angemaßt hatte und in Italien
eingefallen war. Sein Vater war ein einfacher Edelmann, und
wenn Berta in weiblicher Linie von den Karolingern abstammte,
waren die Verwandtschaftsverhältnisse verworren und oft
unlegal. Die Großmutter Hugos war die berüchtigte Waldrada,
mehr die Konkubine als die Gattin Lothars des Zweiten, dessen
Ehebruch, Scheidung und zweite Vermählung die Bannstrahlen des
Vatikans gegen ihn veranlaßt haben. Seine Mutter oder die
große Berta, wie sie genannt wurde, war zuerst die Gattin des
Grafen von Arles und dann des Markgrafen von Toscana gewesen.
Frankreich und Italien nahmen an ihren Ausschweifungen Anstoß,
und bis in ihr sechzigstes Jahr hatte sie Liebhaber jedes
Standes, die ihr eifrigst dienten. Das Beispiel mütterlicher
Unkeuschheit wurde von dem König von Italien nachgeahmt. Seine
drei Lieblingsgeliebten wurden mit den klassischen Namen
Venus, Juno und Semele geschmückt. Die Tochter der Venus
vermählte oder verlobte sich vielmehr mit dem jungen Romanus,
dem künftigen Erben des morgenländischen Reiches, und ihr Name
Berta wurde in Eudoxia umgewandelt. Die Vollziehung der Ehe
wurde wegen des zarten Alters beider aufgeschoben und die
Verlobung nach fünf Jahren durch den Tod der Braut gelöst. Die
zweite Braut des Kaisers Romanus war eine Plebejerin, jedoch
von römischer Herkunft. Ihre beiden Töchter Theophania und
Anna wurden Fürsten zur Ehe gegeben. Die Ältere heiratete als
Friedenspfand den ältesten Sohn Ottos des Großen, der sich um
sie durch Gesandtschaften und mit den Waffen in der Hand
beworben hatte. Man konnte fragen, wie ein Sachse zu einem
Vorrechte kam, das den Franken vorbehalten blieb. Aber jede
Frage wurde durch den Ruhm und die Frömmigkeit eines Helden,
der das abendländische Kaisertum wiederhergestellt hatte, zum
Schweigen gebracht. Nach dem Tode ihres Schwiegervaters und
Gemahls regierte Theophania während der Minderjährigkeit ihres
Sohnes Otto des Dritten, Rom, Italien und Deutschland, und die
Lateiner haben die Tugenden einer Kaiserin gepriesen, die
einer höheren Pflicht das Andenken an ihr Vaterland zum Opfer
brachte. Bei der Vermählung ihrer Schwester Anna wurde jedes
Vorurteil, jede Rücksicht auf Würde aus Furcht und
Notwendigkeit beiseite geschoben. Ein Heide des Nordens,
Wladimir, Großfürst von Rußland, freite um eine Tochter des
byzantinischen Hofes. Er drohte mit Krieg, falls seine Werbung
nicht angenommen würde, andernfalls wollte er sich bekehren
und gegen die einheimischen Rebellen tatkräftigst Hilfe
leisten. Ein Opfer ihrer Religion und ihres Vaterlandes wurde
die griechische Fürstin aus dem Palaste ihrer Väter gerissen
und wurde zur Herrscherin der Barbaren und eine ewig Verbannte
an den Ufern des Borysthenes oder in der Nähe des
Polarkreises. Dennoch war Annas Ehe glücklich und fruchtbar.
Die Tochter ihres Enkels Jeroslaus, die auf ihre kaiserliche
Abstammung hinweisen konnte, wurde die Gemahlin Heinrichs I.
von Frankreich.
Im byzantinischen Palaste war der Kaiser der erste Sklave
der Zeremonien, die er wünschte, der starren Formen, die jedes
Wort, jede Gebärde regelten, ihn im Palaste festhielten und
ihn in ländlicher Einsamkeit störten. Er war jedoch
unumschränkter Herrscher über das Leben und Schicksal von
Millionen, und die festesten, über die Verlockungen des
Reichtums erhabensten Menschen, wären vielleicht von der
Macht, über ihresgleichen zu herrschen, verführt worden. Er
hatte die gesetzgebende und vollziehende Gewalt in Händen, und
Leo, der Philosoph, entzog dem Senat den letzten Rest der
Machtbefugnisse. Die Griechen waren in Knechtschaft gefangen;
in den wildesten Stürmen kam ihnen nicht einmal der Gedanke an
Freiheit. Der Fürst war der einzige Maßstab, die einzige
Quelle ihres Glückes. Aberglaube schmiedete ihre Ketten
fester. Der Kaiser wurde in der St. Sophienkirche feierlich
gekrönt; am Fuße des Altars schwuren sie ihm und seiner
Familie unbedingten Gehorsam. Er seinerseits versprach, die
Todesstrafe und Verstümmelungen so wenig als möglich zu
verhängen; das orthodoxe Glaubensbekenntnis wurde von ihm
unterzeichnet, und er gelobte den Beschlüssen der sieben
Synoden und den Kanons der heiligen Kirche zu gehorchen. Aber
die Worte, mit denen er Barmherzigkeit zusicherte, waren
allgemein gehalten, er schwur nicht dem Volke, sondern seinem
unsichtbaren Richter, und mit Ausnahme der unsühnbaren Schuld
der Ketzerei war die Geistlichkeit stets bereit, ihren
Souverän von eventuellen Sünden freizusprechen und sein Recht
zu predigen. Die griechischen Geistlichen waren selbst der
weltlichen Obrigkeit Untertan: der Tyrann bestimmte, welche
Bischöfe ernannt, versetzt oder abgesetzt und mit dem Tode
bestraft werden sollten. Es glückte ihnen nie, so wie der
lateinischen Geistlichkeit, eine unabhängige Republik zu
bilden, und der Patriarch von Konstantinopel verurteilte die
zeitliche Größe seines römischen Bruders, um die er ihn
insgeheim beneidete. Unbegrenzter Despotismus wird
glücklicherweise durch die Natur und Notwendigkeit begrenzt.
Der Gebieter eines Reiches muß nach Maßgabe seiner Tugend und
Weisheit seine heiligen und schwierigen Pflichten erfüllen.
Ist er zu lasterhaft und zu wenig weise, wird er zu einem
Scheinbilde und sein Zepter in Wirklichkeit von irgendeinem
Minister oder Günstling gehandhabt, der für sein
Privatinteresse arbeitet und das Volk unterdrückt. Jeder,
selbst der unumschränkteste Monarch, muß in irgendeinem
verhängnisvollen Augenblick die Einsicht und Launen einer
Nation von Sklaven fürchten, und die Erfahrung hat bewiesen,
daß, was an Ausdehnung der königlichen Macht gewonnen wird, an
Sicherheit und Festigkeit verlorengeht.
Welche Titel ein Despot auch führt, welche Rechte er in
Anspruch nimmt, ist es doch zuletzt das Heer, das ihn gegen
innere und äußere Feinde schirmt. Vom Zeitalter Karls des
Großen bis zu jenem der Kreuzzüge beherrschten oder machten
sich die Welt (ich sehe von dem fernen chinesischen Reiche ab)
drei Reiche oder Völker streitig: die Griechen, Sarazenen und
Franken. Ihre kriegerische Macht läßt sich ermitteln, indem
man ihren Mut, ihre Künste und Reichtümer und ihren Gehorsam
gegen ihre Herrscher vergleicht. Die Griechen waren weit
weniger mutig als ihre Nebenbuhler, gehorchten jedoch ihrem
Souverän besser und hatten größere Reichtümer als die Franken,
und waren darin den Sarazenen mindestens ebenbürtig.
Der Reichtum der Griechen setzte sie in den Stand, die
Dienste der ärmeren Nationen zu erkaufen und zum Schutze ihrer
Küsten eine Seemacht zu unterhalten. Mit dem Golde
Konstantinopels wurden Slawen und Türken, Bulgaren und Russen
geworben, deren Tapferkeit zu den Siegen des Nikephorus und
Zimisces beitrug. Wenn ein friedliches Volk zu sehr die
Grenzen bedrängte, wurde ein wohlgeleiteter Angriff eines
ferneren Stammes auf dasselbe organisiert und so das
angreifende Volk von den Grenzen des byzantinischen Reiches
wieder abgelenkt. Die Nachfolger Konstantins beanspruchten
stets die Herrschaft über das Mittelländische Meer von der
Mündung des Danais bis zu den Säulen des Herkules, und sie
besaßen dieselbe auch häufig. Ihre Hauptstadt enthielt große
Schiffsvorräte und beherbergte viele geschickte Künstler.
Durch die Lage Griechenlands und Asiens, die langen Küsten,
tiefen Buchten und zahlreichen Inseln, wurden ihre Untertanen
zu guten Schiffern, und der Handel mit Venedig und Amalfi
veranlaßte die Ausbildung vorzüglicher Seeleute für die
kaiserliche Flotte. Seit dem peloponnesischen und punischen
Krieg waren die Handelsbeziehungen nicht erweitert worden, und
die Wissenschaft des Schiffbaues scheint geringer geworden zu
sein. Die Kunst, jene staunenswerten Schiffe zu bauen, die
drei, sechs, ja zehn Reihen von Ruderbänken hatten, die
übereinandergelagert waren, scheint den Schiffsbaumeistern von
Konstantinopel unbekannt gewesen zu sein. Die Dromonen oder
leichten Galeeren des byzantinischen Reiches hatten zwei
Reihen Ruderbänke, jede Reihe bestand aus fünfundzwanzig
Bänken und auf jeder Bank saßen zwei Ruderer und handhabten
ihre Ruder. Eine Galeere hatte außerdem einen Kapitän oder
Zenturio, der beim Gefecht mit seinem Waffenträger am
Schiffsheck stand, ferner zwei Steurer und zwei Offiziere, die
am Vorderteile beschäftigt waren, der eine um den Anker zu
betätigen, der zweite um die Röhre, die das griechische Feuer
ausspie, zu richten und das Feuer abzuschießen. Die ganze
Besatzung war zugleich Soldaten und Matrosen. Sie waren mit
Angriffs- und Verteidigungswaffen versehen, mit Bogen und
Pfeilen, die sie vom oberen Verdeck aus abschössen und mit
Piken, mit denen sie durch die Luken des unteren Verdecks
stießen. Zuweilen waren allerdings die Kriegsschiffe größer
und fester gebaut und trugen siebzig Soldaten und zweihundert
Matrosen. Aber meistens waren sie klein und leicht zu lenken.
Da das Vorgebirge des Peloponnes, Malea, noch sehr gefürchtet
war, wurde die kaiserliche Flotte fünf Meilen zu Lande über
die Meerenge von Korinth geschafft. Die Grundsätze der Taktik
bei Seegefechten hatten seit den Zeiten des Thukydides keine
Veränderung erfahren. Eine Flotte von Galeeren rückte noch
immer im Halbkreis vor, griff den Feind von vorn an, und die
Schiffe versuchten ihre scharfen Schnäbel in die Seiten der
feindlichen Fahrzeuge zu bohren. Eine aus starkem Holze
gebaute Schleudermaschine für Wurfspieße und Steine stand in
der Mitte des Verdecks. Das Entern geschah mittels eines
Kranes, der Körbe mit Bewaffneten auf das gegnerische Deck
hob. Signale waren nur selten üblich und wurden mit
Hauptflaggen in verschiedenen Stellungen und Farben gegeben.
In der Nacht wurden die Befehle: Verfolgung, Angriff, Halt,
Rückzug, Abbruch des Kampfes, Formierung mittels Lichtern von
der Anführergaleere aus gegeben. Am Land wurden Feuerzeichen
verwendet, die von Berg zu Berg sichtbar waren, und eine Reihe
von acht Stationen beherrschte einen Raum von fünfhundert
Meilen. Konstantinopel erfuhr durch sie in wenigen Stunden,
wenn die Sarazenen von Tarsus feindselige Bewegungen
ausführten. Aus der interessanten und ins Detail gehenden
Beschreibung einer zur Bezwingung von Kreta ausgerüsteten
Armada kann man sich einen Begriff von der Macht der
griechischen Kaiser bilden. Eine Flotte von hundertzwölf
Galeeren und fünfundsiebzig Schiffen pamphylischer Bauart
wurde in der Hauptstadt, auf den Inseln des Ägäischen Meeres
und in den Seehäfen Asiens, Makedoniens und Griechenlands
ausgerüstet. Sie war mit vierunddreißigtausend Matrosen,
siebentausenddreihundertundvierzig Soldaten, siebenhundert
Russen und fünftausendsiebenundachtzig Mardaiten, deren Väter
vom Libanon verpflanzt worden waren, bemannt. Der Monatssold
dieser Truppen betrug vierunddreißig Zentner Gold, ungefähr
hundertsechsunddreißigtausend Pfund Sterling. Es folgt eine
endlose Aufzählung von Waffen, Maschinen, Kleidern, Leinwand
und Brot, die für Menschen und Pferde erforderlich waren,
nicht hinreichend zur Eroberung einer kleinen Insel, aber mehr
als genügend zur Gründung einer blühenden Kolonie.
Die Erfindung des griechischen Feuers brachte nicht wie
jene des Pulvers eine Umwälzung in der Kriegskunst hervor.
Diesem flüssigen Brennstoffe verdankte das Reich Konstantins
seine Rettung. Er wurde bei Belagerungen und Seegefechten mit
furchtbarer Wirkung verwendet. Die Erfindung wurde jedoch
nicht vervollkommnet oder war nur geringer Vervollkommnung
fähig. Die Maschinen des Altertums, die Katapulte, Ballisten
und Stoßwidder waren beim Angriffe und der Verteidigung von
Festungen noch immer in Verwendung und sehr erfolgreich. Die
Entscheidung bei der Schlacht hing keinesfalls vom schnellen
und schweren Feuer des Fußvolkes ab, das man gegen ein
ähnliches Feuer von Seiten des Feindes vergeblich mit
Rüstungen versehen hatte. Stahl und Eisen wurden zu Angriffs-
und Verteidigungswaffen verarbeitet, und die Helme, Schilde
und Brustharnische des zehnten Jahrhunderts unterscheiden sich
weder in Form noch Stoff wesentlich von denjenigen, welche die
Gefährten Achilles oder Alexanders gehabt hatten. Statt aber
die neueren Griechen gleich den Legionssoldaten der alten Zeit
an das ständige Tragen dieser schweren Waffen zu gewöhnen,
wurden die Rüstungen in leichte Wagen gelegt, die ihnen auf
ihrem Marsche folgten. Bei Annäherung des Feindes wurden die
Harnische mit Eile und Widerwillen angelegt. Die
Angriffswaffen bestanden aus Schwertern, Streitäxten und
Speeren. Die makedonische Pike war um ein Viertel ihrer Länge
gekürzt worden und war auf zwölf Vorderarmslängen oder Fuß
gebracht worden. Die scharfen skythischen und arabischen
Pfeile hatten immer großes Unheil angerichtet, und die Kaiser
beklagten den Verfall der Kunst des Pfeilschießens. Sie geben
ihm die Schuld an den öffentlichen Unglücksfällen und raten
und befehlen, daß sich die kriegerische Jugend bis zum Alter
von vierzig Jahren emsig in dieser Kunst üben solle. Die
Rotten oder Regimenter waren gewöhnlich dreihundert Mann
stark. Das Fußvolk Leos und Konstantins war in Reihen von acht
Gliedern aufgestellt; die Reiterei griff jedoch nur in
Gliedern von vier Reihen an, aus der Überlegung heraus, daß
der Stoß der vorderen durch einen Druck der hinteren Pferde
nicht verstärkt werden könne. Wenn die Reihenanzahl des
Fußvolkes und der Reiterei zuweilen verdoppelt wurde, verriet
dies Mißtrauen in den Mut der Truppen, deren Zahl diesen
ersetzen sollte und von denen es nur eine auserlesene Schar
wagte, den Speeren und Schwertern der Barbaren zu begegnen.
Die Schlachtordnung mußte sich nach den Bodenverhältnissen und
dem Gegner richten. Gewöhnlich wurde aber in zwei Linien mit
einer Reserve Aufstellung genommen, die dem Charakter der
Griechen am meisten zusagte und genügend Hilfsquellen bei
unvorhergesehenen Zwischenfällen bot. Wurde die erste Linie
geschlagen, zog sie sich hinter die zweite zurück, und die
Reserve schwenkte in zwei Abteilungen um die Flanken, um den
Sieg zu vervollständigen oder den Rückzug zu decken. Der
Herrscher schärfte, wenigstens in der Theorie, die Kriegskunst
ein, indem er Lager- und Marschordnung, Übungen und
Schwenkungen durch Edikte beschrieb. Was in Schmieden, am
Webstuhl und in Laboratorien nur erzeugt werden konnte, wurde
mit Hilfe der Reichtümer der Fürsten von ihren zahlreichen,
fleißigen Arbeitern geschaffen. Aber weder Heeresmacht noch
Kunst vermochte den wichtigsten Bestandteil der Heere, den
Soldaten selbst, zu schaffen. Wenn man bei einem Auszug
Konstantins stets dessen glückliche und sieggekrönte Rückkehr
voraussetzte, so konnte er mit aller Taktik selten mehr
erreichen als einer Niederlage zu entgehen oder den Krieg in
die Länge zu ziehen. Trotz einiger vorübergehender Erfolge
waren die Griechen in ihrer eigenen wie in der Achtung ihrer
Nachbarn gesunken. »Eine träge Hand und eine geschwätzige
Zunge« sagte man gewöhnlich von ihnen. Der Verfasser der
Taktik wurde in seiner Hauptstadt belagert, und die
unzivilisiertesten Barbaren, die bei Nennung der Sarazenen
oder Franken zitterten, zeigten stolz die Denkmünzen aus Gold
oder Silber, die sie von dem schwachen Souverän von
Konstantinopel als Lösegeld erhalten hatten. Der Mut, den die
Regierung und der Herrscher nicht einzuflößen verstanden,
hätte wenigstens von der Religion angefeuert werden sollen;
aber die Religion der Griechen lehrte sie nur zu dulden und
nachzugeben. Der Kaiser Nikephorus, der für kurze Zeit die
Heereszucht und den Ruhm der Römer wiederhergestellt hatte,
wünschte, daß den Christen, die ihr Leben in dem heiligen
Krieg gegen die Ungläubigen verloren hatten, das Märtyrertum
zuerkannt wurde. Dies scheiterte jedoch an dem Widerstände des
Patriarchen, der Bischöfe und der vornehmsten Senatoren, die
sich auf die Satzungen des heiligen Basilius beriefen, welche
besagen, daß alle, die das blutige Handwerk eines Soldaten
ausgeübt haben, drei Jahre aus der Gemeinschaft der Gläubigen
ausgeschlossen sein sollen.
Man vergleiche diese Gewissenszweifel der Griechen mit den
Tränen der Muselmanen, die sie vergossen, wenn sie an der
Schlacht nicht teilnehmen durften. Dieser Gegensatz macht
einem philosophischen Betrachter die Geschichte der beiden
sich einander befehdenden Nationen verständlich. Die
Untertanen der letzten Kalifen hatten zweifellos nicht mehr
den Eifer und den Glauben der Gefährten des Propheten. Aber
ihr kriegerischer Glaube stellte immer Gott als den Urheber
der Kriege dar. Der Fanatismus glühte, wenn auch verborgen,
fort und flammte bei den Sarazenen, die an den christlichen
Grenzen wohnten, häufig auf. Ihre ständige Streitmacht bestand
aus tapferen Sklaven, die erzogen worden waren, ihren Gebieter
zu bewachen und seiner Fahne zu folgen. Ertönte aber die
Trompete, die den heiligen Krieg gegen die Ungläubigen
verkündete, so scharten sich die Muselmanen von Sykien,
Kilikien, Afrika und Spanien zusammen. Reiche und Arme geizten
nach Sieg oder Tod in der Sache Gottes, Greise, Gebrechliche
und Frauen betätigten sich an dem verdienstlichen Werke, indem
sie Stellvertreter gerüstet und beritten ins Feld sandten.
Ihre Angriffs- und Verteidigungswaffen kamen an Stärke und
Güte jenen der Römer gleich, die sie in der Kunst des Reitens
und Bogenschießens weit übertrafen. Das gediegene Silber an
ihren Gürteln, Zäumen und Schwertern zeigte ihren Wohlstand.
Statt der Wagen folgten ihnen zahlreiche Kamele, Maultiere und
Esel. Die Menge dieser Tiere, die sie mit Flaggen und Fahnen
zierten, vermehrten ihre Pracht und schien ihre Zahl zu
vergrößern, und die Pferde der Feinde wurden oft durch den
ihnen widerwärtigen Geruch der Kamele in Unordnung gebracht.
Durst und Hitze ertrugen die Sarazenen in besonderem Maße, sie
unterlagen aber leicht der Kälte, und ihr großes
Schlafbedürfnis erforderte besondere Vorsichtsmaßregeln gegen
nächtliche Überfälle. Ihre Schlachtordnung war ein längliches
Viereck mit zwei dichten Reihen. Die erste bestand aus
Bogenschützen, die zweite aus Reitern. In den Schlachten zu
Wasser und Land widerstanden sie geduldig den wütenden
Angriffen und griffen selten ihrerseits eher an, als bis sie
gewahrten, daß die Feinde ermattet waren und über den Haufen
geworfen werden konnten. Wenn sie jedoch zurückgeschlagen und
ihre Reihen durchbrochen wurden, verstanden sie es selten,
sich wieder zu sammeln oder den Kampf wieder aufzunehmen, und
ihr Entsetzen steigerte sich durch das Vorurteil, daß Gott
zugunsten des Gegners entschieden habe. Durch den Verfall des
Kalifats wurde dieser Glaube gestützt; es fehlte auch weder
bei den Christen noch bei den Mohammedanern an dunklen
Prophezeiungen, die beider Niederlagen vorhersagten. Die
Einheit des arabischen Reiches war zerstört, aber die
Bruchstücke waren bevölkerte und mächtige Königreiche, und der
Emir von Aleppo oder Tunis zum Beispiel konnte bei seinen
Rüstungen zu Wasser und Land über viele geschickte,
kunstfleißige Männer und Schätze gebieten. Die Fürsten von
Konstantinopel fühlten bei ihren Verhandlungen im Kriege und
Frieden mit den Sarazenen nur zu häufig, daß die Disziplin
dieser Barbaren nichts barbarisches hatte, und wenn ihnen auch
der geniale Geist für Erfindungen mangelte, waren sie doch
lebhaft, wißbegierig und besaßen Fertigkeit in der Nachahmung
der Dinge. Das Muster war allerdings vollkommener als die
Nachbildung; ihre Schiffe, Maschinen und Festungswerke waren
nicht so geschickt gebaut, wie die der Griechen. Sie bekannten
ohne Scham, daß Gott ihnen die besondere Gabe der Rede
verliehen hatte, aber die Chinesen geschickter, die Griechen
klüger seien.
Einige deutsche Stämme zwischen Rhein und Weser hatten
ihren Einfluß über den größten Teil von Gallien, Deutschland
und Italien ausgedehnt. Die Christen der lateinischen Kirche
und die Nationen des Westens, die sich bis an das Gestade des
Atlantischen Ozeans ausbreiteten, wurden von den Griechen und
Arabern gemeinsam als Franken bezeichnet. Sie wurden von Karl
dem Großen vereinigt, und sein Geist wurde ihnen eingeflößt.
Nach der Teilung unter seine Nachkommen und deren Ausartung
ging die kaiserliche Macht, die mit den Cäsaren von Byzanz
gewetteifert und die dem christlichen Namen angetane Schmach
gerächt hätte, bald verloren. Ihre Feinde fürchteten sie nicht
länger, und die Untertanen konnten nicht mehr damit rechnen,
daß das öffentliche Einkommen für den Krieg verwendet würde
und daß die Heere und Seegeschwader, die von der Mündung der
Elbe bis zu jener des Tibers regelmäßig verteilt waren, sich
gegenseitig unterstützen würden. Im Anfang des zehnten
Jahrhunderts war die Dynastie Karls des Großen fast
verschwunden; seine Monarchie war in viele feindliche und
unabhängige Staaten zersplittert; die ehrgeizigen Fürsten
nahmen den Titel König an; ihr Beispiel wurde durch ihre
Untergebenen nachgeahmt: die Edlen jeder Provinz verweigerten
ihrem Souverän den Gehorsam, unterdrückten ihre Vasallen und
lagen gegen ihre Nachbarfürsten ununterbrochen im Streite.
Ihre Privatfehden, die das Regierungsgebäude stürzten, nährten
den kriegerischen Geist ihrer Untertanen. Bei den verworrenen
Zuständen des zehnten und elften Jahrhunderts war jeder Bauer
ein Soldat und jedes Dorf eine Festung; jeder Wald und jedes
Tal war der Schauplatz des Mordes oder Raubes, die Herren
jedes Schlosses waren genötigt, Fürsten und Krieger zu sein.
Sie trauten sich gleich Eroberern größeren Maßstabes kühn zu,
ihre Familien, Ländereien und Diener verteidigen, die ihnen
zugefügten Gewalttaten rächen zu können, und nicht selten
wurde aus einem Verteidigungskampfe ein Angriffskrieg. Die
Nähe der Gefahr und die Notwendigkeit schneller Entschlüsse
stählte Körper und Geist; sie weigerten sich, einen Freund zu
verlassen und einem Feinde zu vertrauen, und statt unter der
schützenden Fürsorge der Obrigkeit ruhig zu leben, verachteten
sie die Gesetze. In den Tagen der Feudalanarchie verwandelte
man die Werkzeuge für den Ackerbau in solche für den Krieg,
friedliche Tätigkeit wurde kaum geduldet, und der Bischof, der
seine Inful mit dem Helm vertauschte, tat dies mehr aus
Vorliebe als aus Lehenspflicht.
Die Franken liebten Freiheit und Krieg, was die Griechen
mit Staunen und Schrecken wahrnahmen. »Die Franken«, sagt der
Kaiser Konstantin, »sind bis zur Verwegenheit kühn und tapfer,
sie sind mutig und verachten Gefahren und Tod. Im Felde und
Handgemenge drängen sie vorwärts und stürzen sich blindlings
auf den Feind, ohne es der Mühe wert zu erachten, seine oder
ihre Zahl zu zählen. In ihren Reihen kämpfen Blutsverwandte
und Freunde nebeneinander, und ihre kriegerischen Taten werden
von dem Verlangen, ihre treuesten Gefährten zu retten oder zu
rächen, hervorgerufen. In ihren Augen ist Rückzug schimpfliche
Flucht, Flucht unauslöschliche Schmach.« Eine so mutige und
unerschrockene Nation hätte siegen müssen, wenn diese Vorzüge
nicht durch viele gewichtige Mängel aufgehoben worden wären.
Der Verfall ihrer Seemacht gab den Griechen und Sarazenen die
Meere zu jeder beliebigen Unternehmung frei. In dem
Jahrhundert, das der Einführung des Rittertums voranging, war
die fränkische Reiterei unerfahren und ungeübt. Ihre Krieger
waren sich dessen so bewußt, daß sie bei allen gefährlichen
Fällen vom Pferde stiegen und lieber zu Fuß kämpften. Ungeübt
im Gebrauche der Piken und Wurfwaffen, wurden sie durch ihre
langen Schwerter, ihre schwere Rüstung und großen Schilde und,
wenn ich die spottenden Griechen zitieren darf, durch ihren
großen Leibesumfang behindert. Im Unabhängigkeitsdrang
verschmähten sie es, sich unterzuordnen, sie verließen die
Fahne ihres Führers, wenn er sie länger als die ausbedungene
Zeit im Felde zu halten trachtete. Sie waren überall den
Fallstricken eines zwar minder tapferen, aber schlaueren
Feindes preisgegeben. Sie konnten bestochen werden, denn die
Barbaren waren käuflich; sie konnten überrumpelt werden, denn
sie verachteten Vorsichtsmaßregeln und verschmähten es, ihr
Lager mit Posten zu umgeben. Ein Sommerfeldzug erschöpfte ihre
Kraft und ihren Mut, und sie überließen sich der Verzweiflung,
wenn ihr immer großer Hunger und Durst nicht mit Fleisch und
Wein gestillt werden konnte. Dies war der allgemeine Charakter
der Franken, der hier und dort einige nationale oder örtliche
Schattierungen zeigte, die ich mehr dem Zufalle, als dem Klima
zuschreiben möchte, die aber sowohl von Einheimischen als von
Fremden bemerkt wurden. Ein Gesandter Ottos des Großen
erklärte im Palaste von Konstantinopel, daß die Sachsen besser
mit dem Schwerte als mit der Feder zu kämpfen wüßten und daß
sie den Tod der Schmach vorzögen, einem Feinde den Rücken zu
kehren. Die Edlen von Frankreich setzten ihren Ruhm darein,
daß ihre einzigen Vergnügungen und Beschäftigungen Krieg und
Raub seien. Sie verhöhnten die Paläste, Bankette und Sitten
der Italiener, die nach Angabe der Griechen selbst entartete
Nachkommen der alten Lombarden waren.
Durch das wohlbekannte Edikt Caracallas erhielten seine
Untertanen von Britannien bis Ägypten den Namen und die
Vorrechte von Römern; ihr Souverän konnte vorübergehenden oder
dauernden Aufenthalt in jeder Provinz ihres gemeinsamen
Vaterlandes nehmen. Nach der Teilung des Reiches wurde eine
ideelle Einheit gewissenhaft bewahrt, und die Nachfolger des
Honorius und Arcadius bezeichnen sich in ihren Gesetzen,
Satzungen und ihren Titeln genau so wie die Herrscher des
früheren Reiches als die Souveräne der gesamten römischen
Welt. Nach dem Sturze des abendländischen Reiches waren bloß
die Herrscher von Konstantinopel römische Kaiser, und von
diesen war Justinian der erste, der nach einer Trennung von
sechzig Jahren die Herrschaft über das alte Rom wieder
erlangte und dadurch den Titel Kaiser der Römer wieder
wahrmachte. Aus Eitelkeit oder irgendwelchem Mißvergnügen
verließ einer seiner Nachfolger, Konstans II., den thrakischen
Bosporus und zog wieder in der Tiberstadt ein: ein
ausschweifendes Tun (ruft der boshafte Byzantiner aus), als
wenn man eine häßliche, alte Matrone einer blühenden und
schönen Jungfrau vorziehen wollte. Aber die Langobarden
widersetzten sich seiner Niederlassung in Italien; er zog in
Rom nicht als Sieger, sondern als Flüchtling ein; und während
eines zwölftägigen Aufenthaltes plünderte er die Hauptstadt
der Welt und verließ sie dann für immer. Die endgültige
Trennung Italiens wurde ungefähr zweihundert Jahre nach der
Eroberung Roms durch Justinian vollzogen. Seit seiner
Regierung datiert das allmähliche Vergessen der lateinischen
Sprache. Dieser Gesetzgeber hatte seine Institutionen, Kodizes
und Pandekten in einer Sprache, verfaßt, die er als die
geeignete für die römische Regierung preist und als
geheiligtes Idiom des Palastes und Senats von Konstantinopel,
der Lager und Richterstühle des Ostens hinstellt. Diese fremde
Sprache war den Bewohnern und Soldaten der asiatischen
Provinzen unbekannt und wurde von dem größeren Teil der
Richter und Staatsdiener nur unvollständig verstanden. Nach
kurzem Kampfe siegte Natur und Gewohnheit über die menschliche
Macht: Justinian erließ seine Novellen zum allgemeinen Besten
seiner Untertanen in beiden Sprachen. Die einzelnen Teile
seiner Jurisprudenz wurden nach und nach übersetzt; man vergaß
das Original, studierte die Übersetzung, und das Griechische,
das allerdings den Vorzug verdiente, erlangte in der Monarchie
allgemeine und gesetzliche Geltung. Die Abstammung der
folgenden Fürsten und ihre Residenz entfremdete sie der
römischen Sprache; Tiberius wird von den Arabern, Mauritius
von den Italienern als der erste der griechischen Cäsaren, als
Stifter einer neuen Dynastie und Monarchie bezeichnet. Die
stille Umwälzung war vor dem Tode des Heraklius vollendet, und
nur Reste der lateinischen Sprache wurden in der Jurisprudenz
und im Palast beibehalten. Nach der Wiederherstellung des
abendländischen Reiches durch Karl den Großen und die Ottonen
erlangten die Namen Franken und Lateiner gleiche Bedeutung und
Ausbreitung. Diese stolzen Barbaren behaupteten mit einigem
Recht, daß sie Anspruch auf die Sprache und Herrschaft Roms
hätten. Sie schmähten die Fremdlinge des Ostens, die auf
Tracht und Sprache der Römer Verzicht geleistet hatten und
wendeten auf sie den Namen Griechen ständig an. Aber diese
verächtliche Benennung wurde von dem Fürsten und dem Volke,
auf die sie angewendet wurden, mit Entrüstung zurückgewiesen.
Welche Veränderungen immer im Laufe der Jahrhunderte
vorgegangen sein mögen, behaupteten sie in gerader Linie von
Augustus und Konstantin abzustammen, und der Name Römer blieb
ihnen, bis das konstantinopolitanische Reich in Trümmer
zerfallen war.
Während die Regierungssprache des Ostens Latein war, blieb
Griechisch die Sprache der Literaten und Philosophen, und die
Meister dieses vollkommenen und klangreichen Idioms konnten
nicht in Versuchung kommen, ihre römischen Schüler um die
scheinbare Gelehrsamkeit und den unselbständigen Geschmack zu
beneiden. Nach dem Sturze des Heidentums, dem Verluste von
Syrien und Ägypten und dem Ende der Schulen von Alexandria und
Athen wurden die Studien der Griechen hauptsächlich in einigen
Mönchsklöstern und dem kaiserlichen Kollegium von
Konstantinopel fortgesetzt, das unter der Regierung Leos des
Isauriers abbrannte. In dem prahlerischen Stil des Zeitalters
hieß der Präsident dieser Stiftung die Sonne der Wissenschaft;
seine zwölf Genossen, die Professoren der verschiedenen Künste
und Fakultäten, waren mit den Namen der zwölf Zeichen des
Sternkreises benannt. Eine Bibliothek von
sechsunddreißigtausendfünfhundert Bänden stand zu ihrer
Verfügung, und sie konnten die Handschrift Homers auf einer
hundertzwanzig Fuß langen Pergamentrolle zeigen, die angeblich
aus den Eingeweiden einer ungeheuren Schlange hergestellt
worden war. Aber das siebente und achte Jahrhundert war eine
Zeit der Zwietracht und Finsternis; die Bibliothek war
verbrannt, das Kollegium geschlossen. Die Ikonoklasten werden
als Feinde des Altertums dargestellt, und barbarische
Unwissenheit und Verachtung der Wissenschaften hat die Fürsten
der heraklianischen und isaurischen Dynastie geschändet.
Im neunten Jahrhundert belebte sich die Wissenschaft zuerst
wieder. Nachdem sich der Fanatismus der Araber gelegt hatte,
waren die Kalifen mehr bestrebt, die Künste und Wissenschaften
zu beleben, als Eroberungen zu machen. Die Griechen wurden
dadurch zum Wetteifer angespornt, der Staub wurde von den
alten Büchern geblasen, und die Philosophen wurden geschätzt
und belohnt. Der Cäsar Bardas, Michaels III. Oheim, war der
hochherzige Beschützer der Wissenschaften, ein Titel, durch
den allein er sein Andenken bewahrt hat und sein Ehrgeiz
entschuldigt wird. Ein Teil der Schätze seines Neffen wurden
zuweilen nicht für Vergnügungen vergeudet, sondern eine Schule
im Palaste von Magnaura gegründet, wo die Anwesenheit des
Bardas den Wetteifer der Lehrer wie der Lernenden anregte. An
ihrer Spitze stand der Philosoph Leo, Erzbischof von
Thessalonika. Seine tiefen Kenntnisse in der Astronomie und
Mathematik wurden von den Fremdlingen bewundert und die
Schwierigkeit dieser geheimen Wissenschaften von der
leichtgläubigen Menge vergrößert, die bescheiden voraussetzt,
daß jede der ihrigen überlegene Kenntnis entweder die Folge
göttlicher Eingebung oder der Magie ist. Auf die dringende
Bitte des Cäsars entsagte sein Freund, der berühmte Photius,
seinem weltlichen, studienreichen Leben, bestieg den Thron des
Patriarchen und wurde von den Synoden des Ostens abwechselnd
verdammt und wieder losgesprochen. Selbst die ihn hassenden
Priester gaben zu, daß diesem Universalgelehrten keine Kunst
und Wissenschaft, mit Ausnahme der Poesie, fremd sei und er
Tiefe des Gedankens mit Belesenheit und Beredsamkeit vereine.
Während Photius noch die Stelle eines Protospathars oder
Hauptmanns der Leibwache bekleidete, war er als Gesandter an
den Kalifen von Bagdad geschickt worden. Er vertrieb sich die
langsam dahin schleichenden Stunden in dieser Verbannung durch
die unbegreiflich schnelle Verfassung seines Hauptwerkes, der
Bibliothek, dieses lebendigen Denkmals der Gelehrsamkeit und
Kritik. Zweihundertachtzig Schriftsteller, Geschichtschreiber,
Redner, Philosophen und Theologen werden ohne regelmäßige
Ordnung beurteilt; er gibt eine Übersicht über ihre Werke oder
Lehren, würdigt ihren Stil und Charakter und richtet
bescheiden, aber freimütig selbst über die Kirchenväter und
zeigt häufig den Aberglauben der Zeiten. Der Kaiser Basilius,
der seine eigene mangelhafte Erziehung beklagte, vertraute
seinen Sohn und Nachfolger, Leo den Philosophen, Photius an,
und die Regierung dieses Fürsten und seines Sohnes Konstantin
Porphyrogenitus bildet eine der gedeihlichsten Epochen der
byzantinischen Literatur. Sie sammelten die Schätze des
Altertums und vereinigten sie in der kaiserlichen Bibliothek.
Sie oder ihre Gefährten machten Auszüge daraus, so daß das
Publikum ohne besondere Anstrengungen seine Wißbegierde
befriedigen konnte. Außer den Basiliken und dem Gesetzkodex
wurden die Wissenschaften der Landwirtschaft und Kriegskunst,
die zur Erhaltung und Vernichtung des Menschen dienen, gleich
emsig verbreitet. Die Geschichte Griechenlands und Roms war in
dreihundertfünfzig Büchern oder Titeln enthalten, von denen
nur zwei (das von den Gesandtschaften und das von den Tugenden
und Lastern) erhalten sind. Der Leser jedes Standes konnte die
Vergangenheit kennenlernen und daraus Lehren ziehen und konnte
die Helden einer glänzenden Zeit bewundern und vielleicht
nachzuahmen lernen. Ich werde über die Werke der
byzantinischen Griechen nicht ausführlich berichten, die es
verdienten, bekannt zu bleiben, da sie die Alten emsig
studiert hatten. Die Gelehrten der Gegenwart können sich noch
immer an dem philosophischen Kollektaneenbuch des Stobäus, dem
grammatischen und historischen Lexikon des Suidas, der
Chiliaden des Tzetzes, die sechshundert Erzählungen in
zwölftausend Versen enthalten, und der Kommentarien zum Homer
von Eustathius, Erzbischof von Thessalonika; erfreuen, der
vierhundert Schriftsteller und Autoritäten aufzählt. Aus
diesen selbstschaffenden Schriftstellern und aus den
zahlreichen Scholiasten und Kritikern läßt sich einigermaßen
der literarische Reichtum des zwölften Jahrhunderts ermessen.
Die Schriften Homers, Demosthenes', Aristoteles' und Platons
waren den Konstantinoplern zugänglich und wir müssen trotz des
gegenwärtigen Reichtums ein Geschlecht beneiden, das noch die
Geschichte des Theopompus, die Reden des Hyperides, die
Lustspiele des Menander und die Oden des Alcäus und der Sappho
lesen konnte. Die zahlreichen Erläuterungsschriften zeigen die
Beliebtheit der griechischen Klassiker. Man kann aus den
Kenntnissen zweier gelehrter Frauen auf die allgemeinen
Kenntnisse schließen. Die Kaiserin Eudokia und die Prinzessin
Anna von Komnena betrieben Rhetorik und Philosophie. Die
gewöhnliche Mundart der Stadt klang grob und barbarisch; in
den Reden und Schriften und der Umgangssprache der Kirche und
des Palastes zeigt sich ein schönerer Stil, der zuweilen den
reinen attischen Mustern nahekommt. Bei unserer jetzigen
Bildung ist es mühsam und zeitraubend, zwei Sprachen, die
nicht mehr zu den lebenden gehören, zu erlernen. Die Dichter
und Redner unserer Vorfahren konnten sich lange nur in ihren
barbarischen, Harmonie und Anmut entbehrenden Sprachen
ausdrücken. Sie hatten keine Beispiele und Lehrer und konnten
sich nur auf ihre Phantasie und ihr Genie verlassen. Wenn aber
die Griechen Konstantinopels die Beimengungen, die ihre
Sprache hatte, ausmerzten, gelangten sie zu ihrer alten
Sprache und konnten die schönsten Schöpfungen menschlicher
Kunst, die Erzeugnisse jener erhabenen Meister genießen, die
das erste aller Völker belehrt und begeistert hatten. Dieser
Vorteil dient jedoch nur dazu, die Schuld und Schmach der
entarteten Nation zu vergrößern. Sie hielten den Reichtum
ihrer Väter in Händen, ohne deren Geist geerbt zu haben; sie
lasen, priesen, sammelten, aber ihre matten Seelen waren
gleich unfähig zum Denken, wie zum Handeln. In zehn
Jahrhunderten ist nicht eine einzige Entdeckung gemacht
worden, durch die die Würde und das Glück des
Menschengeschlechtes gefördert worden wäre. Kein einziger
Gedanke ist zu den spekulativen Systemen des Altertums
hinzugefügt worden, und die geduldigen dogmatischen Schüler
wurden die dogmatischen Lehrer des nächstfolgenden
Geschlechtes. Kein einziges geschichtliches, philosophisches
oder poetisches Werk ist durch besondere Schönheit, Phantasie,
Originalität oder auch nur durch geglückte Nachahmung der
Vergessenheit entrissen worden. Die am wenigsten anstößigen
der prosaischen byzantinischen Schriftsteller haben sich durch
ihre Einfachheit dem Tadel entzogen; aber die in ihrem Dünkel
so beredten Redner sind am weitesten von den Mustern entfernt,
denen sie nachstrebten. Große und obsolete Wörter werden
gewählt, der Aufbau verwickelt gemacht, Bilder kindisch
geschmückt, um den Leser in Erstaunen zu setzen und die
Gewöhnlichkeit zu verbergen. Die Prosa versteigt sich zur
Poesie, die Poesie sinkt noch unter die Flachheit und
Schalheit der Prosa. Die tragischen, epischen und lyrischen
Musen waren verstummt. Die Barden von Konstantinopel boten
selten mehr als ein Rätsel oder Epigramm, ein Lobgedicht oder
eine Erzählung; sie vergaßen sogar die Regeln der Prosodie und
vermengten Füße und Silben in den Weisen, die politische oder
Stadtverse genannt wurden. Die Seelen der Griechen waren im
Aberglauben befangen, ihr Verstand wurde durch metaphysische
Streitigkeiten verwirrt. Im Glauben an Erscheinungen und
Wunder hatten sie alle Grundsätze der Moral verloren, und
durch die Predigten der Mönche, ein sinnloses Gemisch von
deklamierten Bibelstellen, war ihr Geschmack verderbt worden.
Die Häupter der griechischen Kirche begnügten sich, die Orakel
des Altertums zu bewundern und nachzuahmen, und weder die
Schulen noch die Kanzel brachte einen Athanasius oder
Chrysostomus hervor.
Der Wetteifer der Staaten und des einzelnen ist immer im
Leben die Triebfeder der Anstrengungen und des Fortschrittes
des Menschengeschlechts. Die Städte Griechenlands hatten jene
glückliche Mischung von Einheit und Unabhängigkeit, die sich
in einem größeren Maßstabe, aber lockerer Form bei den
Nationen des neueren Europas wieder findet: Einheit der
Sprache, Religion und Sitten, die sie gegenseitig zu Zeugen
und Richter machte; Unabhängigkeit der Regierung, die ihre
Freiheit verteidigt und sie aufstachelt, um Ruhm zu kämpfen.
Die Lage der Römer war minder günstig; aber in früher Zeit des
römischen Reiches, in welcher der Nationalcharakter gebildet
worden war, hatte es einen ähnlichen Wettkampf zwischen den
Staaten Latium und Italien gegeben, und die Römer strebten in
Künsten und Wissenschaften darnach, ihre griechischen
Lehrmeister zu erreichen und zu übertreffen. Das Riesenreich
der Cäsaren hemmte ohne Zweifel die Fortschritte des
menschlichen Geistes und gewährte dem Wetteifrigen nur
innerhalb seiner Grenzen Spielraum. Als sich das Reich aber
allmählich auf den Osten und zuletzt auf Griechenland und
Konstantinopel verminderte, wurden die Griechen geistig träge,
die natürliche Folge ihrer isolierten Lage. Von Norden her
wurden sie durch namenlose Barbarenstämme bedrängt, die sie
kaum Menschen nannten. Die Sprache und Religion der Araber
bildeten für sie eine unübersteigliche Schranke für jeden
geselligen Verkehr. Die Eroberer Europas waren wohl gleichen
Glaubens wie sie, aber die Sprache der Franken und Lateiner
waren ihnen unbekannt, die Sitten derselben waren roh, und sie
kamen nur selten in Krieg oder Frieden mit den Nachfolgern des
Heraklius in Berührung. Alleinstehend wurden die
selbstgenügsamen stolzen Griechen durch keinen Vergleich mit
Fremden gestört, und wir dürfen nicht staunen, wenn sie auf
der Bahn zurückblieben, da es ihnen an Mitbewerbern,
derentwegen sie ihren Lauf beschleunigt hätten, und an
Richtern fehlt, die sie im Siegesfalle krönen konnten. Die
Nationen von Europa und Asien vermengten sich bei ihren Zügen
in das Heilige Land, und erst unter der Dynastie der Komnenen
zeigt sich wieder ein schwacher Wetteifer bei Ausübung
kriegerischer Tugenden und in den Kenntnissen.