Über die Jugend
Frage: Wie fühlen Sie sich, wenn
Sie die Jugend treffen? Was ist das Erste, was Sie zu ihnen
sagen würden?
Imam Chamene’i: Wenn ich in
Anwesenheit der Jugend bin und wenn ich mich im jugendlichen
Umfeld befinde, fühle ich mich wie jemand, der die frische
Morgenluft atmet. Ich fühle eine Frische und Vitalität. Das
Erste was sich in meinen Gedanken entfacht, woran ich öfters
dachte ist: Wissen sie (die Jugend) das ein Stern auf ihrer
Stirn scheint, ich sehe diesen Stern, aber sehen sie es auch?
Der Stern der Jugend ist sehr hell und voller Glück. Ich
denke, wenn die Jugend dieses wertvolle und einzigartige
Kapital in ihrem Leben entdeckt, werden sie es auf dem besten
Weg verwenden, Inschaallah (so Gott will).
Frage: Wie haben Sie ihre
Jugendzeit verbracht?
Imam Chamene’i: Tatsächlich war
die Situation jener Zeit anders als heute, und es war sehr
schlimm. Das jugendliche Umfeld war nicht wünschenswert, nicht
nur für mich als Theologie-Student, sondern für die gesamte
Jugend – ich möchte anmerken, dass ich gleichzeitig
Grundschüler als auch Student der Theologie war. Es wurde
ihnen keine Aufmerksamkeit geschenkt. Ein großes Potenzial
wurde zerstört und wir waren Augenzeugen dieses Phänomens. Ich
selbst sah es in der Schule der Theologie als auch in den
Universitäten weil ich den Kontakt mit Studenten hatte und für
viele Jahre in ihrer Nähe war. Es gab viele glänzende
Potentiale, und es gab auch viele Leute, die wahrscheinlich
nicht genügend Möglichkeiten für die Kurse, die sie
studierten, besaßen. Aber es ist möglich, dass sie Meister in
anderen Bereichen geworden wären. Doch keiner nahm sie wahr,
und niemand wollte sie verstehen. Wie Herr Mir Bagheri
es richtig darggelegt hat, verbrachte ich vor der
(islamischen) Revolution meine gesamte Jugend mit ihnen. Als
die Revolution siegte, war ich etwa 39 Jahre alt. Bis dahin
hatte ich den Großteil meines Lebens vom 17. oder 18. bis zum
39. Lebensjahr zusammen mit der Jugend verbracht; mit den
Studenten der Theologie und der Religion und außerhalb des
Bereiches der Theologie. Ich fühlte, dass das Regime von
Muhammad Reza Pahlawi
etwas getan hatte, was Jugendliche zur Dekadenz, moralischem
Verfall sowie der Dekadenz in ihrer Identität und in ihrer
Persönlichkeit abweichen ließ. Natürlich kann ich nicht
behaupten, dass Regime habe dies absichtlich geplant, um das
Leben der Jugend in unserem Land in Richtung Dekadenz zu
fördern. Es kann so sein oder auch nicht. Aber was ich mit
Gewissheit sagen kann, ist, dass sie planten und das Land in
eine Richtung trieben, dass man sich notwendigerweise ganz
weit von Fragen der Politik und des Lebens distanziert hat.
Würdet ihr mir glauben wenn ich sage,
dass Leute wie ich um ihr 20. Lebensjahr herum nicht wussten,
wer die Personen in der herrschenden Regierung waren? Und
heute, kennt ihr irgendjemanden, der nicht weiß, wer der
(amtierende) Bildungsminister ist, oder wer der Minister für
Wirtschaft und Finanzen ist? Oder gibt es hier jemanden, der
nicht weiß, wer der jetzige Präsident ist? Selbst Menschen in
den entferntesten Winkeln des Landes wissen darüber Bescheid.
In der damaligen Zeit hatten alle in jeder
Gesellschaftsschicht – vor allem aber die Jugendlichen – kein
Bewusstsein für politische Angelegenheiten. Die Jugendlichen
waren meist mit den täglichen Angelegenheiten beschäftigt, und
einige von ihnen mussten sehr hart arbeiten, um sich etwas
Brot zu leisten. Natürlich gaben sie ihr Einkommen nicht nur
für Speise aus, sie gaben einen Teil ihres Geldes auch für
andere Dinge aus.
Wenn ihr die Bücher studiert, die in
dieser Zeit über Südamerika und Afrika geschrieben wurden –
Frantz Fanon
und andere Autoren, die Bücher schrieben, die heute noch
unentbehrlich und beliebt sind aufgrund ihrer Aussagekraft –
werdet ihr feststellen, dass unsere Situation exakt die
gleiche war. Niemand wagte es, über den Iran zu schreiben,
aber man konnte zum Beispiel einfach über Afrika, Mexiko oder
Chile schreiben. Lest diese Bücher, ich fand heraus, dass
unsere (damals) aktuelle Situation eigentlich die gleiche war
wie diejenige, dieser Länder.
Ich meine, dass junge Arbeitnehmer, die
nach sehr harten Arbeiten um ein paar Cent zu verdienen,
bereit waren, die Hälfte ihres Lohnes für Sinnlichkeiten,
Vergnügungssüchte und derlei Dinge auszugeben. Es waren die
gleichen Dinge, die wir in diesen Büchern lasen. Und wir
sahen, dass unsere Gesellschaft in Wirklichkeit in derselben
Lage war. Es war wirklich sehr schlimm. Das jugendliche Umfeld
war kein gutes Umfeld. Natürlich war es in ihren Herzen
anders, weil die Jugendlichen grundsätzlich voller Freude,
Hoffnung, Aufregung und so weiter sind.
Ich persönlich hatte eine sehr aufregende
Jugend, sogar vor dem Ausbruch der Revolution sorgten meine
literarischen und künstlerischen Aktivitäten für Aufregung in
meinem Leben. Und auch nach dem Ausbruch der Kämpfe 1341
(1962) – damals war ich 23 Jahre alt – war unsere eigentliche
Aufregung natürlich für unser Land, ich wurde im Jahr 1342
(1963) zwei mal inhaftiert – Festnahmen, Verhöre – ihr wisst,
wie all das eine Person aufregen kann. Danach, vorausgesetzt
eine Person nimmt an Aufregung zu beim Anblick von riesigen
Massen von Menschen die sich für diese Dinge interessieren,
und wenn er Zeuge von einer Führungspersönlichkeit wie Imam
Chomeini wird, der die Menschen leitet und ihre Handlungen und
Gedanken korrigiert, steigt die Aufregung noch mehr. So war
das Leben von Leuten wie mir, die in dieser Art lebten und
dachten, sehr spannend, aber es war nicht so für jedermann.
Gewiss, die Jugend sollte sich treffen,
weil es ihre Herzen erfreut. Ich meine, es ist eine Art von
Glück in ihrer Natur. Sie genießen Essen und Sprechen, in den
Spiegel schauen, und sie genießen Ferien. Ihr werdet es nicht
wahrhaben wollen, das eine Person die ihre Jugend hinter sich
hat nicht mehr fähig ist zu genießen, sie kann zum Beispiel
nicht mal leckeres Essen genießen, wie ihr es tut. Zu jener
Zeit sagten es uns unsere Älteren – die im selben Alter waren
wie ich jetzt – was uns erstaunte, und wir fragten uns,
weshalb sie so dachten? Jetzt verstehe ich, dass diese armen
Menschen gar nicht mal so falsch lagen. Natürlich habe ich
mich nicht völlig von der Jugend getrennt, auch jetzt fühle
ich ein wenig Jugendlichkeit in mir, die ich mir nicht nehmen
lassen möchte.
Aber wer ein hohes Alter erreicht, fühlt
den Genuss selbstverständlich nicht so wie ein Jugendlicher
oder eine Jugendliche sie mit all ihren Aspekten im Leben
fühlt. So war es zu diesem Zeitpunkt. Ich behaupte nicht, dass
eine Atmosphäre der Trauer dominierte, aber es war eine
Atmosphäre der Nachlässigkeit und der Unwissenheit und der
Mangel an Identität.
Darum haben wir, die ernst und tief über
die Angelegenheiten des Kampfes nachdachten, unsere Bemühungen
daraufhin gerichtet, die Jugend, so weit es geht, von den
Kreisen des Kultur beeinflussenden Regimes zu befreien. Zum
Beispiel bin ich in die Moschee gegangen und habe
Qur’an-Interpretation [tafsir] unterrichtet, habe zu den
Menschen nach dem Gebet gepredigt und öfters bin ich in andere
Städte gegangen und gab dort Vorträge. Der Hauptpunkt meiner
Aufmerksamkeit zielte darauf, die Jugend aus der kulturellen
Schlinge des Regimes zu befreien. Ich betrachtet es für eine
„unsichtbare Schlinge“. Ich sagte: „Es ist eine unsichtbare
Schlinge, welche die Menschen in eine bestimmte Richtung
lenkt“ und ich möchte dieses Lasso losreißen und die Jugend
freilassen, so weit wie irgend möglich.
Wer auch immer sich von dieser geistigen
Schlinge befreit – mit erstens all der erforderlichen
Frömmigkeit und zweitens mit dem befolgen von Imam Chomeinis
Gedanken – bekommt eine Art Immunität. So war es. Diese
Generation erlangte die Hauptfundamente der Revolution. Wenn
ich jetzt unsere Gesellschaft betrachte, so kann ich mich mit
vielen Identifizieren, gleich ob ich mit ihnen verwandt bin
oder auch nicht.
Jedenfalls lebt ihr in einer besseren
Zeit, die Atmosphäre ist besser. Natürlich sage ich nicht,
dass unsere Jugend mit allem ausgestattet ist und dass alles
so läuft, wie es sollte. Aber im Vergleich zu damals ist die
heutige Situation besser. Meiner Meinung nach ist es einem
Jugendlichen heute möglich, ein gutes Leben zu führen und
seine oder ihre menschliche Identität und Persönlichkeit zu
finden wenn er oder sie will.
Frage: Was ist Ihre Definition von
muslimischen Jugendlichen und was sind ihre Eigenschaften? Wie
kann ein Jugendlicher im Laufe des Lebens seine Ziele
erreichen?
Imam Chamene’i: Gewiss kann es
nicht einfach beschrieben werden. Die Bedingungen, nach denen
ihr fragt, machen es schwierig für mich, euch (hinreichend) zu
antworten. Eigentlich könnte jede wichtige und ernsthafte
Arbeit problemlos durchgeführt werden. Beabsichtigt allerdings
jemand, wertvolle Ziele zu verwirklichen, hat er sich viele
Mühen und Anstrengungen zu unterziehen – das ist
unvermeidlich.
Grundsätzlich halte ich drei
Eigenschaften als die wichtigsten Eigenschaften der Jugend.
Wenn diese Eigenschaften erkannt und in eine richtige Richtung
geleitet werden, wird es möglich sein, eure Frage zu
beantworten. Diese drei Eigenschaften sind folgende: Energie,
Hoffnung und Innovation. Dies sind die drei wichtigsten
Merkmale der Jugend.
Wenn die Medien – sei es ein religiöser
Lehrbeauftragter, Dozent für kulturelle und intellektuelle
Angelegenheiten, Fernsehen, Radio oder Schulen – als
kulturelle Unterstützung, diese drei Hauptmerkmale lenken,
denke ich, wird es sehr einfach für einen jungen Menschen den
islamischen Weg zu finden, weil das, was der Islam bietet,
notwendig ist für uns, um unsere Potenziale in die Tat
umzusetzen.
Der Qur’an enthält einen sehr
wesentlichen Aspekt, und es schadet nicht, dass ich es für
euch erwähne, liebe Jugend, dass er seinen Schwerpunkt auf die
Gottesehrfurcht [taqwa] konzentriert. Wenn Personen sich im
Zustand der Gottesehrfurcht sehen wollen, denken sie an das
Gebet, das Fasten, den Gottesdienst- und -verehrung,
Gottesgedenken und an Bittgebete.
Diese können alle jeweils einen Teile der
Gottesehrfurcht ausmachen, aber keiner von ihnen ist die
Gottesehrfurcht selbst. Gottesehrfurcht heißt, sich selbst in
Acht nehmen. Gottesehrfurcht bedeutet, dass der Menschen weiß,
was er tatsächlich tut, und dass er jede seiner Handlungen in
Übereinstimmung mit seinem eigenen Willen, Denken und seiner
eigenen Entscheidung bringt. Es ist so, als wenn eine Person
ein gezähmtes Pferd reitet und die Zügel hält und weiß wohin
er reitet, das ist Gottesehrfurcht. Eine Person ohne
Gottesehrfurcht hat keine Kontrolle über ihre Handlungen,
Entscheidungen und Zukunft. Wie es im „Pfad der Eloquenz“ (Nahdsch-ul-Balagha)
heißt: Er gleicht einem, der auf ein feuerfestes Pferd gesetzt
wird – ohne jegliche Kontrolle darüber. Er hält die Zügel in
der Hand, er weiß nicht wohin er will und hat keine andere
Wahl als dahin zu gehen, wo das Pferd hin möchte. Und es ist
niemand da, der ihn errettet.
Wenn wir die beschriebene Art von
Gottesehrfurcht im Hinterkopf behalten, wird es meiner Meinung
nach leichter, auf diesen Weg zu schreiten, nicht sehr
einfach, aber es wird möglich sein. Es ist für einen
Jugendlichen machbar, die islamische Lebensweise zu finden;
wenn jemand religiös ist, sollte er darauf achten ob seine
Handlungen, seine Risiken, seine Wortwahl, seine Beziehungen,
seine Lehre und Arbeit überall seine Handlungen und Gedanken,
ob diese richtig oder falsch sind?! Dieses viele Nachdenken
über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der eigenen Handlungen
ist Gottesehrfurcht. Wenn jemand nicht religiös ist, sich aber
in diesem Zustand befindet, wird er in Richtung der
Religiösität geführt.
Der Heilige Qur’an sagt:
„...(es ist) eine Rechtleitung für die
Gottesehrfürchtigen.“
(Heiliger Qur’an 2:2)
Er sagt nicht: „Es ist eine Rechtleitung
für die Überzeugten (bzw. Gläubigen)“. Der erste Ausdruck
bedeutet, dass eine nicht-religiöse Person geleitet wird, wenn
diese Gottesehrfurcht besitzt. Es ist für einen
nicht-religiösen Menschen möglich, Gottesehrfurcht zu besitzen
in dem Sinne, wie wir es skizziert haben. Aber wenn ein
Gläubiger keine Gottesehrfurcht besitzt, ist es so, weil seine
Überzeugung wahrscheinlich nicht stark genug ist. Und sein
Dasein wird von der Situation bestimmt, in der er sich zurzeit
befindet. Wenn er sich in einem positiven Umfeld aufhält, wird
ihm sein Glaube verbleiben.
Deshalb, wenn wir diese drei Merkmale im
Rahmen der Gottesehrfurcht nutzen und sie dahingehend
kanalisieren, wird es sehr leicht für euch, in der Art zu
leben, wie es der Islam geraten hat. Dies wird vor allem so in
unserem Land sein, welches ein islamisches Land ist. Es ist
sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Regierung – die
nationale Behörde – unter der Schirmherrschaft des Islam
steht. Die Leute, die eine Autorität in diesem Land haben,
glauben fest an den Islam, und der Glaube hat tiefe Wurzeln in
den Seelen der Bevölkerung geschlagen. Daher ist der Weg
geebnet, um ein Muslim zu sein und wie ein Muslim zu leben.
Ich gebe ein kurzes Beispiel und schließe meine Antwort auf
eure Frage:
Während des aufgezwungen Krieges,
dessen Dämmerung ihr bedauerlicherweise nicht mit erleben
konntet – natürlich gibt es beim nicht Miterleben des Krieges
nichts zu bedauern, was zu bedauern ist, ist das nicht
Miterleben der besonderen Erscheinungen, die damit assoziiert
werden – waren Jugendliche in eurem jetzigen Alter, Achtzehn-
und Zwanzigjährige, was die spirituelle Reinheit angeht auf
den selben gnostischen Stand von jemandem, der bereits vierzig
Jahre auf dem Gottesweg schreitet. Wir nahmen ihre Wesen wahr
und solche Personen waren beileibe nicht wenige. Wenn ich vor
solch einem Jugendlichen von Angesicht zu Angesicht stand,
fühlte ich ein wirkliches Gefühl der Demut, und es ist nicht
so als ob ich solch eine Demut vortäuschen wollte. Ihr habt
gesehen, dass wenn der Mensch sich in Gegenwart der Größe
befindet und Zeuge ihrer Vollkommenheit wird, werden ihm seine
eigenen Schwächen bewusst. Ich bemerkte dasselbe Gefühl in
mir, wenn ich in Gegenwart eines jungen Basidsch
oder eines jungen Widerstandskämpfers war. So war die
Atmosphäre, die einen normalen Jugendlichen in solch einer
Weise verändern konnte. Ihr wisst, wie die Jugend in der Welt
sich für „Rap-Bands„
und dergleichen und für alle Arten von geistigem und
moralischen Unheil interessiert. Die Jugend in der Welt leidet
wirklich unter tausenden Arten solchen Unheils. Solche
„Rap-Gruppen“ und ähnliche Gruppen, existierten auch zu
unserer Zeit. Zu unserer Zeit waren die „Beatles“ berühmt, ich
habe gehört die sind nun alte Männer geworden.
Vor einiger Zeit habe ich über sie in
einer ausländischen Zeitschrift gelesen die darüber
berichteten, wo sie waren und was sie taten. Diese
spirituellen Plagen und psychologischen Komplexe verwickelt
sie am Ende in diesen Dingen. Nun diejenigen, die sie in
rückständigen und fernen Ländern imitieren, verstehen nicht,
was für eine Krankheit diese armen Unglücklichen heimgesucht
hat. Was sie als Fortschritt betrachten, ist in der Tat
Verfall und Niedergang. Doch während die Welt sich in solch
einem Zustand befand, war unsere Jugend in einer völlig
anderen Situation, die Jugend im Iran brodelte, hoch
angesehen. In der Tiefe ihres Herzens waren sie glücklich, sie
hatten einen Sinn für Verantwortung, und sie waren im Klaren
über ihre Ziele, was sie taten und wofür.