Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Brief von Pierre Lotis Schwester.

Fontbruant 1876.

Lieber guter Bruder!

Ich hoffe, daß Du Dich nach und nach auf dem »Gladiateur« eingewöhnen wirst, wie Dir Dein Kellerloch auf der »Couronne« auch langsam zur Gewohnheit geworden war. Du weißt, daß solches fast immer rasch geht. Doch auf phantasiereiche Menschen üben die Dinge der Außenwelt so starken Einfluß aus! Dein theoretischer Humor der Häßlichkeit Deiner Gefährten gegenüber ließ mich erst herzlich lachen. Dann aber mußte ich an Deine Worte eine Fülle praktischer Erwägungen knüpfen. Ich für mein Teil bin ja auch immer stark beeindruckt von physischer Häßlichkeit, die mich ganz seltsam gefangen nimmt, und ich erachte es als eine Wohltat, daß ich in meiner Umgebung nur hübsche Gesichter sehe; denn unter jenen, die wir lieben, sind einige von strenger Schönheit, und andere haben wieder die schönen Augen voll kluger Tiefe, die wir an keinem geliebten Antlitz gern missen würden ...

Wie verschönt sich aber physische Häßlichkeit, wenn Schönheit der Seele sie wunderbar von innen heraus belebt! Wie herrlich wurden nicht die Gemälde der alten Meister, wenn sie Häßlichkeit zum Vorwurf hatten, die sich selbst veredelte, sei es durch den Funken des Geistes, der Inspiration oder der Güte. Es scheint, daß sie oft mit Vorliebe nach solchem Vorwurf suchten, besonders Tizian, wenn mein Gedächtnis nicht trügt. Und welche Größe liegt dann stets darin.

Hand in Hand damit geht die Schönheit des Himmels. Die Diener Gottes strahlen, ich weiß nicht welches innere Licht aus, das ihnen göttlich im Antlitz leuchtet. Zeuge des ist Tante Adele und andere ihrer Wesensart. Könntest Du Dir Tante Adele als alte schwatzhafte Ungläubige vorstellen?

So erbitte ich denn Deine Nachsicht für die armen Leute, die Du mir »voll bleicher Häßlichkeit und mit Krokodilaugen« schilderst. Gib acht, es kommt ein Tag, an dem sie Dich lieben, und dann werden sie Dir auch gefallen, und ich glaube, mit all meinen klugen Reden sage ich Dir doch nur Dinge, die Du längst schon weißt.

Marie.

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